Ziya Gökalp (original) (raw)

Ziya Gökalp

Mehmed Ziya (* 23. März 1876 in Çermik[1]; † 25. Oktober 1924 in Istanbul), ab 1911 unter dem Schriftstellernamen Ziya Gökalp bekannt, war ein türkischer politischer Publizist, Essayist, Intellektueller und Mitbegründer der Soziologie im Osmanischen Reich und der modernen Türkei.[2] Die Errichtung der modernen Türkei als säkularer Staat geht großteils auf die gedankliche Orientierung zurück, die Gökalps Ideen vorbereitet hatten.[3] Seine Ideologie sieht eine strikte Ablehnung von (Pan-)Islamismus und Osmanismus vor, stattdessen ist der Türkische Nationalismus hervorgehoben.[4]

Gökalp war zazaischer Abstammung,[5] sein Vater ein Journalist in Diyarbakır. Durch ihn lernte Gökalp den jungosmanischen Patriotismus und Konstitutionalismus kennen. Während seiner schulischen Laufbahn an einer modernen Hochschule lernte er Französisch und moderne Wissenschaften. Nach dem Tod seines Vaters lehrte ihn sein Onkel Persisch und Arabisch und brachte ihm die Werke klassischer islamischer Bildung näher.

Gökalp ging 1895 nach Istanbul. Der Zusammenprall von Glauben, Mystik und moderner Wissenschaft in seiner Gedankenwelt sowie die Ablehnung seiner Pläne von einer höheren Ausbildung in Istanbul durch seinen Onkel hatte ihn zuvor zu einem Selbstmordversuch getrieben, von dem er durch seinen Freund Dr. Abdullah Cevdet abgehalten worden war.

In Istanbul besuchte Gökalp die Veterinärsschule und lernte so seine späteren Genossen İbrahim Temo und İshak Sukûti kennen. Seine liberale und revolutionäre Lebensphase begann durch sein Studium und durch seinen Beitritt zur damals noch geheimen Organisation der Einheit und des Fortschritts (İttihad ve Terakki). 1897 wurde er deshalb verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und anschließend nach Diyarbakır in die Verbannung geschickt. Nach der Machtergreifung der Jungtürken im Jahre 1908 wurde er einer der bekanntesten osmanischen Autoren.

1909 wurde er in Selânik (heutiges Saloniki) in das Zentralkomitee der İttihad ve Terakki gewählt. Er brachte mit einer Gruppe von jungen Schreibern die Periodika Genç Kalemler (Junge Federn bzw. Junge Schreiber) und Yeni Felsefe Mecmuası (Die Zeitschrift der neuen Philosophie) heraus, die an der Demokratisierung der Sprache und der Literatur und an der Entwicklung einer Ideologie interessiert war, die eine soziale Veränderung anstrebte, die das Ziel der konstitutionellen Revolution von 1908 war. Diese Gruppe führte zum Erscheinen zweier Tendenzen: einer materialistischen und sozialistischen und einer ideologischen und nationalistischen, wobei Gökalp der führende Name der letzteren Tendenz wurde, die erstere Tendenz verschwand bald.

Gökalps Grab in Istanbul

Von 1912 bis 1919 lebte Gökalp in Istanbul. 1912 wurde er zum ersten Professor der Soziologie an der Darülfünun ernannt. In dieser Zeit machte er die Bekanntschaft mit ausgewiesenen Intellektuellen aus Kasan, von der Krim und aus Aserbaidschan, was seinem Nationalismus einen pantürkistischen Anstrich verlieh. Er wurde zum Mitglied des Türk Ocağı (dt. Türkischer Heimatverein).

Gökalp blieb aber in erster Linie der nationalistische Ideologe der Türken des osmanischen Reichs. Seiner Ideologie nach sollten die Türken des osmanischen Reichs aufgrund der Herausforderungen seitens der nichttürkischen Völker des sich auflösenden Reichs ein nationales Bewusstsein pflegen. Gökalps Schlüsselkonzept war dabei die Kultur, die er als „Werte und Institutionen“ definierte, die „eine Nation von einer anderen unterschieden“. Die türkische Nation sollte aus dem Gemisch von östlicher und westlicher Zivilisation hervorgehen. Die Elemente des Islam, die integraler Teil der türkischen Kultur geworden waren, sollten als geistige Kraft erhalten bleiben, die türkische Nation sollte verwestlicht werden, soweit die westlichen Werte mit der eigenen Kultur und dem eigenen Glauben in Einklang blieben.

Durch mehrere Artikel und durch seine Professur an der Universität Istanbul arbeitete er seinen Ansatz für Reformen in den Bereichen der Bildung, der Sprache, der Familie, der Justiz, der Wirtschaft und der Religion heraus.

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde er von den Briten zusammen mit mehreren türkischen Staatsmännern und Intellektuellen nach Malta ins Exil geschickt, wo er zwei Jahre blieb. 1921 kehrte er in die Türkei zurück und schloss sich der durch Mustafa Kemal geführten Nationalbewegung an. 1923 wurde er Abgeordneter von Diyarbakır im neuen türkischen Parlament. 1924 starb er als Mitglied der Großen Nationalversammlung der Türkei.

Fachlich beeindruckt vor allem von Durkheim, war er als jungtürkischer Verfechter der Modernisierung von nicht unbedeutendem Einfluss auf Atatürk. Er entwarf so ein neues Konzept für die neue türkische Republik. Dabei verschmolz er türkische Traditionen mit einigen westlichen Ideen. Die stärksten Pfeiler seiner Ideologie waren der Islam und das Türkentum. Er gilt als einer der prominentesten Verfechter des Turanismus. Nach Angabe der Großloge der Freien und Angenommenen Maurer der Türkei war Ziya Gökalp ein Freimaurer.[6]

Ziya Gökalp schrieb auch Gedichte, blieb aber in der Hauptsache Essayist. Sein einziges Buch Türk Medeniyet Tarihi (Die Geschichte der türkischen Zivilisation) blieb unvollendet und wurde postum veröffentlicht. Gökalp prägte in seiner wohl bekanntesten Schrift „Die Grundlagen des Türkismus“ (1923) anknüpfend an Ernest Renan den modernen Begriff der türkischen Nation mit. Er lehnte darin jede Form des – damals in Europa herrschenden – völkischen Nationalismus bzw. Rassismus ab und bekannte sich zu seiner türkischen Identität.

Außerhalb der Türkei hatte Gökalp Einfluss auf Sati' al-Husri. Al-Husri verließ 1919 die Türkei, um sich der arabischen Nationalbewegung anzuschließen, wobei er Gökalps Theorien übernommen zu haben scheint.[7]

  1. Ziya Gökalp Kimdir ? - Ziya Gökalp Hayatı ve Biyografisi. Abgerufen am 14. März 2020.
  2. Niyazi Berkes in Encyclopaedia of Islam, Artikel GÖKALP, ZIYA (Memento vom 19. April 2005 im Internet Archive) – […]Turkish thinker, born Mehmed Diya (Ziya) at Diyarbakr in 1875 or 1876 and known by his pen name after 1911.[…]
  3. Encyclopaedia of Islam GÖKALP, ZIYA[…]The establishment of modern Turkey as a secular nation-state is greatly indebted to the orientation prepared by Gökalp's ideas.[…]
  4. Taha Parla: The Social and Political Thought of Ziya Gökalp: 1876-1924. BRILL, 1985, ISBN 90-04-07229-2 (google.at [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  5. Hendrik Fenz: Strukturelle Zwange, personliche Freiheiten: Osmanen, Türken, Muslime: Reflexionen zu gesellschaftlichen Umbrüchen: Gedenkband zu Ehren Petra Kapperts. In: Studien zur Geschichte und Kultur des islamischen Orients. Band 21. Walter de Gruyter, 2009, ISBN 978-3-11-020055-3, S. 31 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 5. Januar 2017] illustriert).
  6. Berühmte Türkische Freimaurer (Memento vom 17. Juli 2011 im Internet Archive)
  7. Niyazi Berkes in Encyclopaedia of Islam, Artikel GÖKALP, ZIYA. Von al-Husri gibt es eine deutsche Quelle: Das islamische Band, in Andreas Meier, Hg.: Der politische Auftrag des Islam. Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen. Originalstimmen aus der islamischen Welt. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1994, ISBN 3-87294-616-1, S. 115–122. Mit Einl. des Hg.: Panarabismus versus Panislamismus.
Personendaten
NAME Ziya Gökalp
ALTERNATIVNAMEN Mehmet Ziya
KURZBESCHREIBUNG türkischer politischer Publizist, Soziologe, Intellektueller
GEBURTSDATUM 23. März 1875 oder 23. März 1876
GEBURTSORT Diyarbakır
STERBEDATUM 25. Oktober 1924
STERBEORT Istanbul