Kommentar 784 – Die »Teutsche Academie« auf Sandrart.net (original) (raw)
Da die antike Skulpturengruppe erstmals in einem Inventar der Sammlung Ludovisi in Rom vom 2. November 1623 Erwähnung findet, wird angenommen, dass sie kurz zuvor im Rahmen der Bauarbeiten für die Villa Ludovisi in den Gärten des Sallustius entdeckt worden war.
Die große Popularität der Gruppe im 17., 18. und teilweise noch im 19. Jahrhundert ist auf die Begeisterung zurückzuführen, die dem dargestellten Thema entgegengebracht wurde. Dieses wurde zunächst allgemein als Freundschaft von zwei Jünglingen gedeutet, während Perrier in seinem 1638 veröffentlichten Stichwerk die Skulptur unter dem Titel »fratres ses complectentes« einführt, was so viel wie Begrüßung von Brüdern bedeutet (vgl. Perrier, Segmenta 1638 (Editio princeps), Taf. 41). Sandrart hingegen bezieht sich auf eine Identifizierung der Figuren als die römischen Kaiser Marcus Aurelius und Lucius Verus, wobei noch unklar ist, auf wen diese Deutung zurückzuführen ist (s. TA 1679, II (Skulptur), S. 9).
Im 18. Jahrhundert war die Skulpturengruppe unter dem Titel »Papirius mit seiner Mutter« bekannt, wobei man sich auf eine von Aulus Gellius in seinen »Noctes Atticae« (I, 23) überlieferte Anekdote bezog. Interessanterweise war Paolo Alessandro Maffei (1653–1716), der das erste Mal über diese Deutung der Gruppe berichtet, selbst nicht von ihr überzeugt, weil er erkannte, dass es sich bei den Figuren um griechische Schöpfungen handelte (vgl. Maffei, Raccolta di statue, Taf. LXII, LXIII).
Seit Winckelmann (1717–1768), der dieselbe Meinung vertrat, verschob sich die Suche nach dem wahren Thema von Rom nach Griechenland und von einem historischen zu einem mythologischen Gegenstand. Nachdem er zunächst wie Maffei Phaedra und Hippolytos als Dargestellte in Erwägung gezogen hatte, meinte er in der Skulpturengruppe Elektra und Orestes am Grab des Agamemnon dargestellt zu wissen, eine Szene, welche Aischylos und Sophokles in einer ihrer Tragödien überliefern (vgl. Haskell/Penny 1981, S. 290). Seither wurden zahlreiche weitere Deutungen diskutiert, von denen jedoch keine die Bezeichnung der Gruppe als »Orestes und Elektra« verdrängen konnte.
Für den Figurenstil lassen sich Parallelen an attischen Grabstelen des 4. Jhs. v. Chr. finden (s. Helbig 1963–72, Bd. III, S. 274 f. und Kat. Rom 1992–93, S. 176). Vermutlich wurden für die vorliegende Skulptur zwei hellenistische Einzelfiguren kopiert, denen in ihrer Zusammenführung zu einer Gruppe eine neue Bedeutung zufiel. Dank der Signatur kann die Neuschöpfung dem griechischen Bildhauer Marcus Cossutius Menelaos zugeschrieben werden, der im ersten Jahrhundert n. Chr. lebte (vgl. Kat. Rom 1992–93, S. 179).
Kommentar von Carolin Ott — 26.03.2009
Dieser Kommentar bezieht sich auf:
- Kunstwerk: Orestes und Elektra