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Als überparteilicher Veteranen- und Wehrverband wurde das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold am 22. Februar 1924 in Magdeburg gegründet. Die Initiative ging von einem Kreis örtlicher Sozialdemokraten um Otto Hörsing (1874-1937) und Karl Höltermann (1894-1955) aus, die rasch weitere Vertreter von SPD, DDP und Zentrumspartei für eine Zusammenarbeit gewinnen konnten. Das Reichsbanner verkörperte somit die Parteikonstellation der „Weimarer Koalition“ und setzte sich für den Schutz der Republik und ihrer Verfassung ein. Es verfolgte sowohl zivile als auch paramilitärische Ziele und war mit über 1.5 Millionen Mitgliedern die größte politische Massenorganisation der Weimarer Republik. Hauptgegner war in den 1920er Jahren der deutschnationale Stahlhelm. Anfang der 1930er Jahre gerieten Reichsbannermitglieder vermehrt in mitunter tödliche Auseinandersetzungen mit der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA).
Vereinsgründung mit defensivem Charakter
Die Anfangsjahre der Weimarer Republik waren von links- und rechtsradikalen Aufstandsversuchen sowie extremer militärischer Gewalt gekennzeichnet. Auch bei politischen Versammlungen kam es häufig zu Übergriffen, wovon insbesondere die demokratischen Parteien, die jüdische Gemeinde und die pazifistische Bewegung betroffen waren. Diese Gesamtlage führte zu einer personellen Überforderung der Polizeikräfte, sodass auch die demokratisch ausgerichtete Zivilgesellschaft dazu überging, eigene Saalschutzverbände aufzustellen. Zahlreiche Mitglieder dieser paramilitärischen Vereine hatten als einfache Soldaten am Weltkrieg teilgenommen und engagierten sich nun politisch für die Republik. Die ehemaligen Offiziere waren hingegen mehrheitlich in rechtsradikalen Verbänden wie dem Stahlhelm organisiert, der den Versailler Vertrag wie die Weimarer Republik insgesamt offen ablehnte. Demgegenüber standen Männer wie der spätere Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde (DDP) oder der langjährige Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD), die maßgeblich an der Gründung des „Neuen Stahlhelm“ in Schlesien beteiligt waren, der sich als demokratisches Gegengewicht zum Stahlhelm verstand.
Überparteilicher Wehrverband und Männerbund
Im späteren Reichsbanner schlossen sich solche lediglich lokal organisierten Verbände zu einer reichsweiten Organisation zusammen, wobei man früh die Kooperation mit dem ebenfalls reichsweit organisierten Republikanischen Reichsbund suchte, der sich jedoch nicht als Wehrverband definierte. Wie alle Wehrverbände war das Reichsbanner als Verein organisiert und pflegte einen militärischen Habitus. Folgerichtig fanden Frauen, denen damals der Militär- und bewaffnete Polizeidienst grundsätzlich verwehrt war, im Reichsbanner keine Aufnahme. Ebenso schloss die Vereinssatzung Kommunisten und Monarchisten explizit aus. Die Mitglieder veranstalteten Fahnenweihen, Fackelzüge und uniformierte Aufmärsche mit Marschmusikbegleitung. Eine besondere Rolle spielte der ebenfalls militärisch konnotierte Totenkult um „im Dienst“ getötete Reichsbannermitglieder oder aus politischen Gründen ermordete Republikaner wie Walther Rathenau (DDP) und Matthias Erzberger (Zentrum). Anders als in den konkurrierenden Wehrverbänden aus dem links- und rechtsradikalen Spektrum verband man im Reichsbanner diese militärischen Traditionselemente mit einem dezidiert republikanischem Staats- und Demokratiebekenntnis. Bei jedem feierlichen Anlass wurde geschworen, die Weimarer Republik bis zum „letzten Tropfen Blut“ zu verteidigen. Etwa 100 Mitglieder des Reichsbanners starben von 1924 bis zu dessen Verbot im März 1933 bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit ihren politischen Gegnern, wobei auch eine vergleichbare Anzahl von rechtsradikalen Aktivisten durch Reichsbannermitglieder getötet wurde. Während sich der Stahlhelm als Hilfstruppe der Reichswehr verstand und sich die SA und der Rotfrontkämpferbund als die Keimzellen einer späteren „Braunen“ oder „Roten Armee“ betrachteten, sah sich das Reichsbanner als Unterstützung für die republikanischen Polizeibehörden. Notfalls wollte man sich im Falle eines erneuten Aufstandes den regulären Polizeikräften als Hilfspolizei anbieten. Zu diesem Zweck wurden innerhalb des Reichsbanners Kampfsport- und Geländeübungen sowie Schießtrainings organisiert. Anders als der Republikanische Schutzbund – die österreichische Bruderorganisation des Reichsbanners – war das Reichsbanner aber nicht in der Lage, eigenständige militärische Operationen durchzuführen. Wie alle Wehrverbände war auch das Reichsbanner keine Bürgerkriegsarmee im wissenschaftlichen Wortsinn.
Nationalrepublikanisches Vereinsleben
Das Vereinsleben der Reichsbannermitglieder war jedoch nicht nur von paramilitärischen Aktionsformen bestimmt. Mindestens ebenso wichtig waren zivile Veranstaltungen wie Diafilm- und Diskussionsabende, politische Planspiele oder großangelegte Volks- und Sportfeste. Das dominierende Motiv dieser zivilen Aktionsformen war nicht das Militärische, sondern ein als überparteilich verstandenes Bekenntnis zur Demokratie. Da die Reichsbannermitglieder aus unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus stammten, hätte ein einseitiger Bezug auf rein parteipolitische Inhalte schnell zu Konflikten geführt. Stattdessen wurde versucht, konsensfähige Positionen zu finden und etwa die demokratische Verfassung, die Geschichte der Farben Schwarz-Rot-Gold oder das politische System der Republik thematisiert. Das in Reichsbannerpublikationen vertretene Geschichtsbild war „nationalrepublikanisch“: die demokratischen Strömungen in Deutschland und der deutschen Geschichte wurde als Verkörperung der nationalen Interessen definiert. Im Gegensatz hierzu wurden die monarchischen, kommunistischen und nationalsozialistischen Republikgegner als unnational bezeichnet. Die zivilen Veranstaltungen des Reichsbanners sollten daher dazu beitragen, ein schwarz-rot-goldenes, demokratisches Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, was mit dem Schlagwort einer „Volksgemeinschaft aller Republikaner“ beschrieben wurde. Hierin wurden religiöse Minderheiten – also insbesondere Katholiken und Juden, die noch im Kaiserreich staatlich diskriminiert worden waren – explizit eingeschlossen, da allein das politische Bekenntnis als entscheidend betrachtet wurde. Dies war geistige Grundlage für den gemeinsamen Kampf von demokratisch gesinnten Christen, Juden und Freidenkern mit den Republikgegnern von links und rechts.
Wahlagitation für Republik und gegen Monarchie
Insbesondere die mit sehr viel Aufwand betriebene Wahlkampfarbeit der Reichsbannermitglieder diente den demokratischen Parteien der „Weimarer Koalition“. Aber das Reichsbanner als Organisation wurde aufgrund seiner überparteilichen Zusammensetzung vorwiegend bei Wahlen aktiv, bei denen keine Parteien gewählt wurden. Dies traf auf die Reichspräsidentschaftswahlen von 1925 und 1932 sowie die Volksabstimmung über die Fürstenenteignung von 1926 zu. Gerade letztere Abstimmung bot dem Reichsbanner einen breiten Agitationsraum, da die entmachteten Fürsten gemäß der „nationalrepublikanischen“ Richtlinie attackiert werden konnten. Zwar scheiterte die Volksabstimmung, aufgrund eines Wahlboykotts durch die Gegner der Abstimmung, aber es konnten knapp 15 Millionen Stimmen für das Ziel des Reichsbanners mobilisiert werden. Der Mehrwert dieser direktdemokratischen Initiative war, dass die politische Bilanz des Monarchismus öffentlich ausgebreitet und emotional debattiert wurde, was einen wichtigen Beitrag zur damaligen Vergangenheitsbewältigung darstellte. Durch solche propagandistischen Aktionen konnte das Reichsbanner die öffentliche Wirkung des Stahlhelms weitgehend neutralisieren. Dieser monarchistische Wehrverband geriet spätestens ab 1927 deutlich in die Defensive und bei den Reichstagswahlen 1928 erlitt die mit dem Stahlhelm eng verbundene DNVP eine empfindliche Niederlage. Kurzzeitig wurden ob dieses Siegesgefühls im demokratischen Lager Stimmen laut, die eine Abwicklung des Reichsbanners befürworteten, da dessen Zweck vermeintlich erfüllt worden sei.
Demokratisches Gegengewicht zur SA
Nach den Niederlagen von Stahlhelm und DNVP radikalisierte sich das rechte Spektrum jedoch. Die emotional und aggressiv geführten Wahlkämpfe brachten gewaltsame Auseinandersetzung fast zwangsläufig mit sich und die NSDAP nutzte die Gemengelage aus Wirtschaftskrise und politischer Gewalt für ihren raschen Aufstieg. Die hauptsächlich von der SA ausgehende Gewalteskalation ab 1929/30 führte dazu, dass auch das Reichsbanner seine paramilitärischen Kapazitäten ausbaute. Die sogenannten Schutzformationen (kurz: Schufo) sollten ab Februar 1930 als Gegengewicht zur SA fungieren und waren besser ausgebildet und ausgestattet als die übrigen Reichsbannermitglieder, die von nun an in Stammformationen eingeteilt waren. Die Schufo speiste sich personell aus dem Jungbanner, der Jugendorganisation des Reichsbanners. Von ihrem Selbstverständnis her waren die Schufo-Mitglieder aber keine Schlägertypen, sondern vielmehr defensive „Pressböcke für Extremisten“. Neben dem obligatorischen Wehrsport- und Waffentraining der Schufo gab es auch auf Deeskalation abzielende Unterweisungen. Gemeinsamer Schulungsort aller Reichsbannerfunktionäre war die bereits 1929 eröffnete Bundesschule des Reichsbanners in Magdeburg. Wie auch das übrige Vereinsvermögen wurde die Bundesschule bereits 1933 vom NS-Regime beschlagnahmt. Zahlreiche Reichsbannermitglieder wurden seit Februar 1933 politisch verfolgt, mussten emigrieren oder wurden ermordet.
Fazit
Zu den bleibenden Verdiensten des Reichsbanners gehört die Popularisierung der vormals selbst im demokratischen Parteienspektrum wenig geliebten schwarz-rot-goldenen Reichsfarben. Auch das Funktionieren der demokratischen Zivilgesellschaft wäre angesichts der zahlreichen militanten Republikgegner ohne den Saalschutz des Reichsbanners kaum gewährleistet gewesen. Erst dieser Saalschutz schuf Räume für den freien, persönlichen Meinungsaustausch zwischen den Anhängern der demokratischen Parteien. Gleichzeitig erfolgte als Konsequenz der eigenen Militanz eine Abschottung nach außen. So wurden die Vernunftrepublikaner der DVP vom emotionalen Auftreten des Reichsbanners eher abgeschreckt. Die Partei Gustav Stresemanns sprach sich stets gegen die schwarz-rot-goldenen „Bannerparolen“ aus und auch die Zentrumspartei entfremdete sich mit der Zeit vom Reichsbanner. Dies schmälerte bei allen Erfolgen auf der Straße auch den politischen Einfluss des Reichsbanners auf die hohe Politik. Zuverlässige Ansprechpartner in den Ministerien waren selten und spätestens in den Hinterzimmerintrigen der Präsidialkabinette unterlag das Reichsbanner seinen antidemokratischen Gegnern, mit denkbar verheerenden Folgen für den Bestand der Republik.
Sebastian Elsbach
© Deutsches Historisches Museum, Berlin
28. August 2019