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Verkehrte Welt im Münchner Stadion

Bayern München — Eintracht Frankfurt 4:1 (2:0)

Wenn je im Fußball das Ergebnis und der Spielverlauf zwei Paar Stiefel waren, dann diesmal, bei diesen wunderlichen 90 Minuten von München. An der Grünwalder Straße spielten zwei Mannschaften vor 25.000 staunenden Augenzeugen verkehrte Welt, Am verkehrtesten ging es in der zweiten Halbzeit zu. Da stürmte, spielte, schoß und schaffte nur noch eine Mannschaft. Da bollerten Stürmer, Außenläufer und Verteidiger auf das gegnerische Tor, in dem sich ein Bodenakrobat von Torwart die Hände wundhielt. Da verpulverte ein Team kaum geahnte Kraftreserven und schien drauf und dran, sämtliche Gegner in einem „Muster-ohne-Wert-Päckchen" zusammenzuschnüren und nach Hause zu schicken. Es war dieselbe Mannschaft, die mit 1:4 Toren aussichtslos im Rückstand war. Es war die Eintracht.

Profunde Weisheiten, die eine solche Schlappe überzeugend klären könnten, gibt es nicht. Man kann nur sagen, daß sich so vier Treffer im Fußball verteufelt schnell zusammenläppern. Eine leichte Verwirrung des erstmals wieder eingestellten Lutz, die jeder Trainer bei einem Mann, der wochenlang aussetzte, in Kauf nehmen muß, ein ungedeckter Huber, eine scharfe Flanke und ein Kopfball Siedls in die leere Ecke, und schon stand es 1:0. Ein winziger Rechenfehler des grundsoliden Höfer, bei der Jagd nach dem Ball, den ihm Grosser gerade noch vor der großen Zehe wegstibitzte, zwei kurze Haken mit abschließendem Querpaß, und abermals stand Siedl frei. 2:0! Ein Eckball, der akurat auf die Stirn des Glückspilzes Siedl paßte 3:0!

Fehlte nur noch ein Abseitstor, um das Maß vollzumachen. Es fiel wie bestellt, zehn Minuten nach der Pause durch Jobst, der sich nicht übereilen brauchte. Die Riederwälder standen starr, stumm und sprachlos an der Strafraumgrenze und warteten vergeblich auf den Pfiff des Schiedsrichters. So weitete sich die Affäre innerhalb 55 Minuten zu einem 4:0 für die Bayern aus, das dem Kräfteverhältnis der beiden Mannschaften ebenso wenig entsprach wie den armen Leuten ein Zylinderhut.

Gewiß stimmte nicht alles bei den Riederwäldern. Sie hatten keinen Spieler von dem Format eines Sommerlatt, der als linker Läufer seinen Gegner im Lauf der Zeit einfach unter, den Tisch spielte und dieser Gegner hieß immerhin Istvan Sztani. Sommerlatt neutralisierte den Eintracht-Ungar sozusagen nebenbei, ohne seine Aufgaben als bestimmende und richtungsweisende Aufbaukraft auch nur eine Minute zu vernachlässigen. Er erreichte seine Wirkung gegen Sztani nicht etwa durch pedantisches Markieren, sondern er, spielte sich — wie soll man es anders ausdrücken — einfach über ihn hinweg.

Der Eintracht hafteten auch Mängel an, die nichts mit dem Gegner zu tun hatten. So souverän Ivica Horvat mit seinem brillanten Kopfballspiel im ersten Stock regierte, so unsicher war Horvat hin und wieder im Parterre. So imposant sich Schymik schlug, wenn er seinen Gegner zum Duell Mann gegen Mann gestellt hatte, so schwer fiel es mit der Zeit überhaupt erst einmal den Gegner vor die Schuhe zu bekommen. Und ein echter, formender Beitrag zum Angriffsspiel durch die Außenläufer fehlte der Eintracht sowieso.

Trotzdem war sie in keinem Augenblick des Kampfes um vier Tore schlechter, ja noch nicht einmal um drei, zwei oder ein Tor. Keiner der 25.000 hätte etwas an einem Unentschieden, falls es eingetreten wäre, auszusetzen gehabt. Die Eintracht spielte schon in der ersten Halbzeit so aggressiv, unternehmungslustig und selbstbewußt auf, daß die Bayern trotz ihrer mannigfaltigen Qualitäten nie über eine kurzfristige Ueberlegenheit hinauskamen. Alfred Pfaff — jawohl, der Alfred war wieder dabei — produzierte sich im Mittelfeld, als ob er einem Jungbrunnen entstiegen wäre und nicht dem Krankenbett. Und Alfred riß Meier mit, der fast ein Dutzend dicker Schüsse haarscharf vorbeisteuerte. Alfred hielt auch Feigenspan am Leben, der sich mit einem Mai herumplacken mußte, den Trainer Pattek vom Bruder Leichtfuß zum unerbittlich markierenden Stopper umgeschult hat. Lindner litt lange unter der Vernachlässigung durch Sztani, nach der Pause machte er sich jedoch selbständig und wurde neben Pfaff zur Zentralfigur der mitreißenden Riederwälder Verfolgungsjagd. Es war bei weitem kein Zufall, daß Lindner nach Vorarbeit von Pfaff beim Stande 4:0 per Kopfstoß Frankfurts Gegentreffer unterbrachte.

Warum unter diesen Umständen nicht mehr Tore für die Eintracht fielen? Ganz einfach! Weil Fazekas nicht mehr Tore zuließ. Das klingt simpel, aber jede andere Definition der Sachlage wäre an den Haaren herbeigezogen. Fazekas vollbrachte auf der Torlinie und im Herauslaufen mehrere Wunderdinge von seinen großen Taten ganz zu schweigen. Der hohe Münchener Sieg gegen einen nahezu gleichwertigen Gegner ist ein neuer Beweis dafür, was ein Tormann in der Sonderklasse für seine Mannschaft vermag. Solch ein Tormann macht von sich reden. Ludwig Dotzert (aus 'Der neue Sport' vom 20.10.1958)

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