Eintracht Frankfurt - Archiv (original) (raw)
Ein Derby ohne Milde
FSV Frankfurt — Eintracht Frankfurt 1:2 (0:0)
Auf dem Bornheimer Hang hockte etwas Ungutes. Es konnte nicht gut gehen. Und es ging auch nicht gut. Herr X wurde per Lautsprecher abgerufen, weil sein Freund mit dem Auto verunglückte; Herr Y wurde in einem Ton dazu aufgefordert nach Hause zurückzukehren, als stände die Wohnung in Flammen; Herr Z mußte durch den Lautsprecher vernehmen, daß... Der Sturmwind der Ereignisse hat es ausgeblasen in den Köpfen der Unbeteiligten; aber um eine Hiobsbotschaft handelte es sich auch. Die Kassandra am Platzmikrophon kannte keine Milde. Das ganze Derby war ohne Milde.
Nicht, daß es unter dem Druck der Konsequenzen ausartete; Im Gegenteil. Ueber dem Spiel waltete bei aller klirrenden Härte, bei aller Kampfesentschlossenheit, bei aller gereizten Verbissenheit eine Ritterlichkeit, die beide Mannschaften gleichermaßen ehrte. Jeder Mann in der 20.000köpfigen Publikumsmasse stöhnte und jauchzte frei nach seiner Fasson, ohne befürchten zu müssen, daß er von seinem Nebenmann angepöbelt wurde. Die Leidenschaften schäumten; aber sie schäumten nicht über die Ufer. Das Derby blieb drinnen und draußen sauber wie ein Tropfen destilliertes Wasser.
Und dennoch hinterließ es ein quälendes Gefühl. In einem Spiel, das für den Frankfurter Fußball die Welt bedeutete, entschied das Glück. Jawohl, es bleibt dabei: das Glück. Der FSV hatte eine der besten Stunden dieser Saison erwischt, die Eintracht eine ihrer schwächsten. Beide trafen sich genau auf der zwischen ihnen liegenden mittleren Ebene. Wer sich im Feuer des Bornheimer Brutofens nur ein wenig Gerechtigkeitssinn bewahrte, hatte nach dem Ausgleichstreffer des FSV den heißen Wunsch, daß dieses 1:1 erhalten bleiben möge, gleichgültig, was in Zukunft kommen mag. Dieses 1:1 war über alle Wenn und Aber erhaben.
Es waren keine schönen Treffer und es war kein schönes Spiel, das zu diesem 1:1 führte. Die Eintracht legte in der 59. Minute ein Tor vor, bei dem der Ball in die Ecke krabbelte wie eine überfressene Ratte. Nach einer Flanke Bäumlers, der freilich der schimmerndste Kombinationszug des ganzen Spieles vorausging, geriet die Kugel im Menschenauflauf an den Stutzen von Pfaff und nahm ihren Lauf. Vergeblich hangelte der am Boden liegende Leichum in die entsprechende Richtung. Immer war akkurat die falsche Hand vorn. Für eine Strecke von knapp drei Meter brauchte der Ball gut seine zwei Sekunden. Das also war das Führungstor der Eintracht.
Der Ausgleich nahm sich nicht viel besser aus, nämlich gerade so gut, wie Elfmeter sich ausnehmen können. Herrrnann zwängte sich in rasendem Lauf zwischen zwei Abwehrspielern der Eintracht hindurch in Richtung Tor vor. Einer davon — Höfer — stellte ihm das Bein in die Quere, Herrmann stürzte und Schiedsrichter Sparing aus Kassel ließ die Pfeife schrillen. Immerhin, es war ein klassischer Elfmeter, in der Entstehung und in der Ausführung, die Buchenau ebenso präzise wie wuchtig übernahm. Mit den neun Treffern, die tags zuvor in Offenbach fielen, konnte keines dieser Tore auch nur im entferntesten konkurrieren.
Sei's drum, die Abrechnung stimmte. Vielleicht verdiente das Treffen keine besseren Treffer. Ob es Ueberheblichkeit war oder eine unbewußte Beklemmung — das ganze Eintrachtspiel lag von Anfang irgendwie schief in der Landschaft. Eine Chance für Bäumler nach steiler Vorlage von Pfaff und wie fortgeblasen waren Frische und Schwung. Alles was jetzt folgte, wirkte merkwürdig mühsam, merkwürdig zerfahren. Sztani und Pfaff verloren die Geschehnisse aus dem Griff. Man sah sie bald in Warte-Position auf Links- und Rechtsaußen, um sich von den Strapazen, die ihnen ihre Gegenspieler Straub und Werner Mayer auferlegten, zu erholen. Sztani verschwand völlig unter der Oberfläche; Pfaff verlegte sich unter Verzicht auf jegliche solistischen Einlagen ganz auf das Verschicken von Vorlagen und blieb dadurch weiterhin einer der relativ wertvollsten Kräfte im Sturm der Riederwälder.
Dennoch sahen sich Feigenspan und Bäumler oft genug vor die Aufgabe gestellt, allein weiter zu kommen. Bäumler schaffte es weiter als erwartet, zumal Wagner immer wieder auf die gleichen Tricks hereinfiel; Feigenspan jedoch schaffte es nur in Ausnahmefällen. Und Kreß? Genau wie gehabt. Für ihn schien das Ganze eine Privatsache zwischen ihm selbst und seinem grimmigen Widersacher Krone. Kurz, auf Riederwälder Seite stürmten allenfalls fünf Stürmer, aber kein Sturm.
Dahinter war es umgekehrt. Als Block machte die Eintracht-Abwehr auch diesmal einen recht respektablen Eindruck. Jeder für sich betrachtet erntete weniger Ruhm. Ausgenommen sind lediglich Loy, der auch Auge in Auge mit dem freistehenden Gegner nie Nerven und Uebersicht verlor, und Lutz, der neun von zehn Sprinterduellen gegen Richard Herrmann gewann. Schymik pulverte zwar seine Mannschaft in den Phasen der Not durch dynamischen Vorwärtsdrang mehr als einmal wieder auf, hinterließ aber in seinem Kielwasser bisweilen gähnende Lücken. Die übrigen waren höchstenfalls gut, nie souverän. Die unangenehmste Ueberraschung erlebte Horvat. Mit Hamann, der in den Mittelstürmer-Ranglisten ziemlich unten rangiert, fand er einen Gegner vor, den der Name Horvat nicht erschreckte, sondern hochkitzelte. Hamann unterwühlte förmlich den Turm im Abwehrzentrum der Eintracht. Manchmal schien der Bornheimer quasi verschwunden, tauchte aber bereits eine Sekunde später mit dem Ball am Fuß hinter dem Rücken des langen Ivica wieder auf. Die Bornheimer brachten ihrem Hamann mit Recht Ovationen dar. Der Hamann Nr. 2 hieß Hofmann. Die kleine Gewalt am rechten Flügel des FSV katzbalgte sich mit Höfer herum, daß dieser bisweilen nur erstaunt mit dem Kopf schütteln konnte.
Geiger machte soviel für den Aufbau und Ja sogar Buchenau ließ etwas davon spüren, um was es hier ging. Er brannte Loy zwei, drei dicke Brocken auf den Kasten.
Eine kleine Wiedergeburt fand in der Bornheimer Läuferreihe statt. Unbehelligt von Alfred Pfaff brach in Werner Mayer endlich wieder uraltes Bornheimertum durch. Eigentlich beauftragt, seinem Gegenspieler auf den Schnürsenkeln zu stehen, schwang er sich über Alfred Pfaff hinweg und verströmte zeitweilig soviel Energie, daß er vom Aufpasser zum Antreiber avancierte. Der Rest bestand aus einer Equipe hingebungsvoller Biedermänner. Wie konnte sich Leichum beim ersten Eintrachttor nur so verheddern?
Die Zahl der Angriffe, die Zahl und der Wert der Chancen, Hoch und Hoch, Tief und Tief, alles stand pari in diesem 117. Derby, als Feigenspan in der 81. Minute aus einem buntgemischten Spielerpulk emporschnellte, um einen von Pfaff hereingezirkelten Eckball zum Siegestreffer der Eintracht mit dem Kopf unter die Latte zu stoßen. Daß dieses Tor das schönste war, änderte nichts daran, daß es zuviel war. Die 60jährige Geschichte des FSV ist um eine schmerzhafte Niederlage reicher.
Keiner der Riederwälder warf die Arme in die Luft, als der Schlußpfiff des Dramas ein Ende machte; keiner ließ sich seine Freude anmerken. Mannhaft drückten die Schwarzblauen den Glücklicheren die Hand. Von nun an ziehen sie wieder am gleichen Strang. Ludwig Dotzert (aus 'Der neue Sport' vom 23.02.1959)