Zürich (Gemeinde) (original) (raw)

ZürichGemeinde

Version vom: 25.01.2015

Politische Gemeinde des Kantons Zürich, Kantonshauptstadt und Bezirkshauptort, am Ausfluss der Limmat aus dem Zürichsee zwischen Albiskette im Westen sowie Adlisberg und Zürichberg im Osten gelegen. Um 200 statio Turicensis/Turicum, 680-700 Ziurichi, französisch Zurich, italienisch Zurigo, romanisch Turitg.

Nach spätkeltischen und römischen Anfängen entwickelte sich die an der Schnittstelle von schiffbaren Routen und Landwegen gelegene Stadt ausgehend von den frühmittelalterlichen, zum Teil befestigten Siedlungskernen Lindenhofhügel und Fraumünster-Münsterhof links sowie Niederdorf und Grossmünster rechts der Limmat. Diese wurden im 12. Jahrhundert durch eine umfassende, im 13. Jahrhundert neu gebaute Stadtbefestigung umschlossen; der Stadelhof blieb ausserhalb der Mauer. Der Bau der barocken Schanzenanlage führte im 17. Jahrhundert zu einer Erweiterung des befestigten Siedlungsraums. Mit der Stadtvereinigung von 1893 kamen die Gemeinden Aussersihl, Enge, Fluntern, Hirslanden, Hottingen, Leimbach, Oberstrass, Riesbach, Unterstrass, Wiedikon, Wipkingen und Wollishofen zur Stadt. 1934 folgten Affoltern bei Zürich, Albisrieden, Altstetten, Höngg, Oerlikon, Schwamendingen, Seebach und Witikon.

Zürich ist Sitz von Institutionen des Bundes (ETH und Nationalmuseum), privater (Tamedia) und öffentlicher Medienunternehmen (Schweizer Radio und Fernsehen) sowie internationaler Organisationen von Fussball (FIFA) und Eishockey (IIHF). Als Wirtschaftszentrum der Schweiz beherbergt die Stadt zahlreiche Banken und Finanzdienstleister wie UBS, Credit Suisse Group (Schweizerische Kreditanstalt), Swiss Re (Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft), Swiss Life (Rentenanstalt) und Zurich Financial Services (Zürich Versicherungen), nationale Firmen wie die Migros sowie international tätige Unternehmen wie IBM Schweiz, Google, Siemens (Siemens-Albis) und Asea Brown Boveri (ABB).

Inhaltsverzeichnis

  1. Von der Urgeschichte bis zum Hochmittelalter
    1. Urgeschichte
    2. Spätlatènezeit, römische Epoche, Merowingerzeit
    3. Stadt der Könige und Herzöge (8.-12. Jahrhundert)
  2. Herrschaft und Politik vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
    1. Die Stadt wird selbstständig
    2. Kommunale Verfassung und städtische Institutionen
    3. Stadtanlage, öffentliche und private Bauten
  3. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
    1. Wirtschaft
    2. Gesellschaft
    3. Kirche und religiöses Leben
    4. Bildung und Kultur
  4. Die politisch-administrative Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert
    1. Kommunale Verfassung und Behörden
    2. Das Gemeindegebiet
    3. Politische Kräfte
    4. Städtische Güter und Finanzen
    5. Soziales
    6. Städtische Werke und Betriebe
  5. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert
    1. Stadtentwicklung und Verkehr
    2. Wirtschaft
    3. Sozialstruktur und sozialer Wandel
    4. Kirchen und religiöses Leben
    5. Bildung
    6. Musik, Theater und bildende Kunst - Feste und Festspiele
  6. Quellen und Literatur
  7. Weitere Artikelinformationen

Von der Urgeschichte bis zum Hochmittelalter

Urgeschichte

Autorin/Autor:Andreas Motschi

Älteste Siedlungshinweise auf Stadtgebiet sind am Katzensee gefundene Silexgeräte aus dem Mesolithikum. Zahlreiche Fundstellen am und im unteren Seebecken belegen eine bedeutende Besiedlung während des Neolithikums und der Bronzezeit im Zeitraum von etwa 4300 bis 800 v.Chr. Die ältesten Pfahlbaufunde stammen von der ehemaligen Insel Kleiner Hafner vor dem Bellevue. Reste prähistorischer Landsiedlungen sind nur punktuell erfasst. Am Letten und bei der Rathausbrücke fand man in der Limmat Metallobjekte aus der Bronzezeit, die vielleicht als Weihegaben dort deponiert wurden. In der Hallstatt- und frühen Latènezeit befand sich auf dem Uetliberg eine wichtige Zentralsiedlung. In Höngg, im Balgrist und im Burghölzli untersuchte Grabhügel dieses Zeitraums enthielten Bestattungen mit zum Teil reichen Beigaben. Aus der frühen und mittleren Latènezeit sind auf Stadtgebiet vereinzelte Grabfunde bekannt.

Spätlatènezeit, römische Epoche, Merowingerzeit

Autorin/Autor:Andreas Motschi

Auf dem links der Limmat gelegenen Moränenhügel mit den Erhebungen Lindenhof, St. Petershügel und dem heute abgetragenen Sihlbühl im Norden ist ab 80 v.Chr. ein keltisches Oppidum nachweisbar, in dem eine wohlhabende Führungsschicht unter anderem eine Münzprägestätte betrieb. Der rätselhafte Fund eines Klumpens aus über 17'000 verschmolzenen keltischen Münzen der Zeit um 100 v.Chr., der in der südlichen Bahnhofstrasse zum Vorschein kam, lässt an eine im Wasser deponierte Opfergabe denken.

Die Besiedlung setzte sich in römischer Zeit bruchlos fort. Die Stationierung von römischem Militär erfolgte entgegen früherer Ansicht nicht erst während des Alpenfeldzugs 16-15 v.Chr., sondern bereits ab 40 bzw. 30 v.Chr. in der bestehenden keltischen Siedlung. Darauf weisen Funde von Militaria und Importgütern aus dem Mittelmeerraum wie Dünnwandkeramik, Sigillata-Geschirr und Öllämpchen mit Bildmotiven hin. Auf beiden Seiten der Limmat entwickelte sich ein ziviles kleinstädtisches Zentrum (vicus?). Ein um 200 datierter Grabstein nennt die Statio Turicensis, eine Zollstation des gallischen Zolls für den Warenverkehr im Grenzbereich zu Rätien. An der Bucht unter dem Weinplatz stand eine öffentliche Therme. Bei der Rathausbrücke werden ein Hafen und ein Flussübergang vermutet. Auf dem Grossen Hafner, einer ehemaligen Insel vor dem Seefeld, befand sich ein vom 1.-4. Jahrhundert aufgesuchtes Inselheiligtum, das gemäss Jahrringchronologie 122 auf rundem Grundriss mit Holzpfosten neu errichtet wurde. Um einen weiteren Tempel dürfte es sich bei dem an der Storchengasse freigelegten Rundbau handeln. Der von Bärenjägern (ursari) den Gottheiten Diana und Silvanus gestiftete Weihestein und ein Depot mit Goldschmuck zeigen möglicherweise ein weiteres Heiligtum im Oetenbachareal an. Das Bruchstück eines Viergöttersteins stammt vom Sockel einer Jupitergigantensäule. An den archäologisch untersuchten Wohnbauten ist für die Zeit um 70 der Übergang zur Steinbauweise zu beobachten.

In spätrömischer Zeit, wohl im frühen 4. Jahrhundert, wurde die Kuppe des Lindenhofhügels mit einem Kastell befestigt, das der Zivilbevölkerung Wohnsitz und Zuflucht auch in der Zeit nach dem Abzug der Truppen und dem Ende der weströmischen Reichsverwaltung bot. Auf eine mehrheitlich romanische Bevölkerung lassen die im Gräberfeld Bäckerstrasse untersuchten Bestattungen aus dem 6. Jahrhundert schliessen. Darunter befindet sich auch das Grab einer Frau mit germanischer, in den fränkischen Raum weisender Fibeltracht. Bei den am St. Petershügel untersuchten Platten- und Mauergräbern wurden auch Mörtel, Verputz und Kalktünche benutzt. Sie belegen damit, dass in römischer Zeit eingeführte Bautechniken in einem Friedhof des 7. Jahrhunderts angewendet wurden. Die Beigabe von zwei Schwertern (Spatha, Sax) in einem Männergrab folgt germanischem Grabbrauch. Im Innern des Kastells wurden im 7. und 8. Jahrhundert nach Geländearbeiten mehrere Steinbauten errichtet. Reste von Holzhäusern aus derselben Zeit wurden im Niederdorf gefunden.

Stadt der Könige und Herzöge (8.-12. Jahrhundert)

Autorin/Autor:Andreas Motschi

Im 8. und 9. Jahrhundert war Zürich der Mittelpunkt eines ausgedehnten karolingischen Reichsgutskomplexes von politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Mit dem um 760 gebildeten Fiskus Zürich entstand eine Verwaltungsorganisation, die an Funktionen des alten Kastellorts anknüpfte. Dazu gehörte der Königshof, der unter anderem den Albisforst und Besitz in Uri umfasste und dessen wirtschaftliches Zentrum der Stadelhof war. Mit diesem stattete Ludwig der Deutsche in einer 853 beurkundeten Schenkung das Kloster Fraumünster aus. Äbtissinnen waren seine Töchter Hildegard und Berta, was die enge Bindung des Konvents an das Königshaus belegt. Auf dem Lindenhof freigelegte Fundamente eines Monumentalbaus sind als Reste eines karolingischen Pfalzgebäudes zu deuten. Für die im 10. Jahrhundert zur Verwaltung des weltlichen und kirchlichen Königsbesitzes als Vögte eingesetzten Herzöge von Schwaben war Zürich ein Zentrum ihrer Herrschaft. Münzprägung, Markt- und Zollrecht illustrieren die Bedeutung von Wirtschaft und Handel. Im 11. und 12. Jahrhundert sind Wirtschaftsbeziehungen bis in den Ostseeraum belegt.

Nach 1000 setzten die Königsbesuche in Zürich wieder ein: Heinrich III. weilte 1045-1055 sechsmal in der Pfalz auf dem Lindenhof und liess sie zu einer Residenz mit zweigeschossigem Saal und Kapelle ausbauen. Nach dem Verlust der Funktion als Pfalzort beschrieb Otto von Freising in der Mitte des 12. Jahrhunderts Zürich immer noch als vornehmste Stadt Schwabens. Im staufisch-zähringischen Ausgleich von 1098 schied Zürich aus dem Herrschaftsbereich der staufischen Herzöge aus. Die schon 976 als Stifts- und Klostervögte eingesetzten Grafen von Lenzburg wurden bestätigt, die Herzöge von Zähringen als Inhaber der Reichsrechte eingesetzt. Nach dem Aussterben der Lenzburger waren die Zähringer 1173-1218 alleinige Stadtherren. Ihnen ist wohl der Umbau der Königspfalz zur Burg mit Türmen und Gräben zuzuschreiben.

Die Konvente Fraumünster und Grossmünster bildeten im 10. Jahrhundert mit der Wasserkirche und den Pfarrkirchen St. Peter und St. Stephan eine aussergewöhnliche, vom lokalen Märtyrerkult um Felix und Regula geprägte Sakrallandschaft. Die älteste archäologisch nachgewiesene Kirche der Benediktinerinnenabtei Fraumünster ist ein Grossbau des 9. Jahrhunderts mit Querhaus und drei Apsiden. An seiner Stelle stand zuvor ein frühmittelalterlicher Pfostenbau unbekannter Funktion. In seiner Frühzeit besass das Kloster eine Einfriedung mit Graben. Das Chorherrenstift Grossmünster galt als Ort der Grablegung der Stadtheiligen. Die im ausgehenden 8. Jahrhundert niedergeschriebene Leidensgeschichte berichtet von Wundern an ihren Gräbern, was vermuten lässt, dass bereits um diese Zeit ein Kultbau bestand. Unbekannt ist, ob der als Stifter verehrte Karl der Grosse sich um die Grabstätte bemüht hatte. Die Grossmünsterkirche wurde zwischen 1100 und 1230 als spätromanischer Bau anstelle eines Vorgängerbaus neu errichtet. Die Wasserkirche, deren ältester Vorgängerbau sich auf 1000 datieren lässt, beherbergt den Märtyrerstein. Dieser bezeichnete die Stelle auf einer Limmatinsel, die als Ort der Enthauptung der Stadtheiligen verehrt wurde. Die 857 erstmals erwähnte Kirche St. Peter ist ab dem 12. Jahrhundert als Pfarrkirche bezeugt; sie folgte vielleicht auf die abgegangene Kirche St. Stephan westlich des Lindenhofs. Aufgrund einer Schenkung entstand 1127 das Augustinerchorherrenstift St. Martin auf dem Zürichberg.

Im 8. Jahrhundert einsetzende Schriftquellen geben Hinweise auf die Topografie der Siedlung: castrum, castellum und civitas verweisen auf das Kastell bzw. den Kastellort, vicus auf die unbefestigten Siedlungsteile, villa und curtis auf die Hofstellen. Aus karolingischer Zeit stammen Holzbauten in der Umgebung des Fraumünsters sowie Aufschüttungen für eine mutmassliche Verbauung am östlichen Limmatufer. Der am oberen Rennweg gefasste erweiterte Befestigungsgraben des Lindenhofs wird ins 10.-11. Jahrhundert datiert. Die intensive Bautätigkeit des 12. Jahrhunderts schlug sich auch in der schriftlichen Überlieferung nieder. Archäologisch belegt sind die erste umfassende Stadtmauer und eine Bossenquadermauer am Limmatufer. Im östlichen Stadtteil vermitteln regelmässige Abfolgen von Gebäudekomplexen, Gassen und Ehgräben den Eindruck von planmässig angelegten Parzellen. Der viergeschossige Kernbau des Zunfthauses zu Zimmerleuten ist auf 1156 dendrodatiert.

Herrschaft und Politik vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Die Stadt wird selbstständig

Autorin/Autor:Max Schultheiss

Die 1098 den Herzögen von Zähringen übertragene Reichsvogtei Zürich blieb zwar nach deren Aussterben 1218 bestehen, doch verlieh sie der König nicht mehr als erbliches Amt an einen Fürsten, sondern zeitlich beschränkt an einen Reichsbeamten, der in der Regel aus der Bürgerschaft stammte. Die damit durch Kaiser und Reich bescheinigte Reichsunmittelbarkeit der Stadt, die bis 1512 mehrmals bestätigt wurde, bildete die Grundlage zur allmählichen Ausbildung einer städtischen Selbstverwaltung. Das alte Herrschaftszentrum auf dem Lindenhof muss im frühen 13. Jahrhundert, nach urkundlicher Überlieferung lange vor 1271, von den Stadtbewohnern zerstört worden sein.

Wie das Grossmünsterstift wurde auch das Fraumünsterstift aus vogteilicher Bevormundung befreit. Dessen Äbtissin erhielt den Rang einer Reichsfürstin (belegt ab 1234), ernannte schon früh den Schultheissen und beeinflusste die Wahl der übrigen Amtspersonen. Sie verlieh das Münz- und Zollrecht, bestimmte Münzfuss und Masse und beurkundete mit ihrem Siegel noch lange auch die städtischen Rechtsgeschäfte. Ab Ende des 13. Jahrhunderts gerieten die grundherrschaftlichen Rechte und Regalien der Abtei zunehmend in den Einflussbereich der wirtschaftlich erstarkten Bürgerschaft, zum Beispiel in Form von befristeten Münzrechtsverleihungen (ähnlich wie beim Markt- oder Zollrecht). Die niedere Gerichtsbarkeit verblieb jedoch beim Stift. Die Äbtissin beglaubigte auch die "Geschworenen Briefe" und Rechtsbücher, bis Kaiser Sigismund 1433 der Bürgerschaft die selbstständige Änderung der Gesetzestexte erlaubte. Bedingt durch den ökonomischen Zerfall des Fraumünsters mischte sich die Stadt im Spätmittelalter zunehmend in die Klosterangelegenheiten ein. Die wirtschaftlichen Verhältnisse verbesserten sich zwar; dennoch wurde das Kloster in der Reformation 1524 aufgehoben und das Klostergut eingezogen. Die Stadt fasste das Fraumünstergut zum Fraumünsteramt zusammen. Das ehemalige Klostervermögen wurde vom übrigen Klostergut gesondert verwaltet und dazu 1533 das Obmannamt eingerichtet.

Kommunale Verfassung und städtische Institutionen

Autorin/Autor:Max Schultheiss

Ein Rat ist in Zürich ab 1220 nachweisbar. Da der Reichsvogt den Rat präsidierte, ist anzunehmen, dass dieser aus dem Reichsvogteigericht hervorging. Bis Mitte des 13. Jahrhunderts sind die genauen Kompetenzen des Rats nicht bekannt, doch traten dessen Mitglieder anfangs vorwiegend als Zeugen bei Handänderungen auf. Ab 1250 ist er anhand der Ratslisten besser fassbar (1252 vollständig erwähnt). Die zwölf Mitglieder umfassende Ratsrotte von Rittern und Bürgern teilte sich in einen Fasten-, Sommer- und Herbstrat mit einer Amtsdauer von je vier Monaten. Diese Urkunde wurde im 1252 erstmals erwähnten Rathaus (in domo nostrae universitatis) ausgestellt. Der um 1250 erstmals abgefasste Richtebrief ist die älteste Kodifikation der städtischen Gesetze. In der erneuerten Fassung von 1304 wurde zwar die Bildung von Zünften als politische Gruppierungen verboten, hingegen blieben sie als Berufsgenossenschaften bestehen.

Nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf Winterthur 1292 verdrängte das bürgerlich-kaufmännische Patriziat die Ritter zunehmend aus dem Rat. Den Machtzuwachs der Patrizier stoppte 1336 die Brun'sche Zunftrevolution. Im "Ersten Geschworenen Brief" ist der Rat in einen Baptistal- und Natalrat mit je halbjähriger Amtsdauer aufgeteilt. Er setzte sich aus 26 Mitgliedern zusammen: 13 Räte stellte die Konstaffel, welche sieben Ritter und sechs Grosskaufleute umfasste (consules), die 13 anderen Räte waren die Zunftmeister (scabini) der 13 neu gebildeten Zünfte. Bürgermeister Rudolf Brun wurde, mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet, auf Lebenszeit gewählt. Die nach Rapperswil verbannten Räte versuchten unter anderem in der Zürcher Mordnacht 1350 erfolglos, die Macht zurückzugewinnen. Die Zunftverfassung blieb in modifizierter Form bis 1798 in Kraft.

Im "Zweiten Geschworenen Brief" 1373 wurden die Amtsbefugnisse des Bürgermeisters zugunsten des Rats eingeschränkt und seine Amtszeit auf den halbjährigen Ratsturnus beschränkt. Die Räte der Konstaffel sollten neu vom abtretenden Rat, den consules und scabini, gewählt werden, was zur Zunahme von Kaufleuten und Grundrentnern im Rat zulasten der Ritter führte. Die Handwerker wurden ratsfähig, während sie zuvor nur über die Zunftmeister vertreten waren. Der nach dem sogenannten Schöno-Handel 1393 vereinbarte "Dritte Geschworene Brief" sanktionierte die Wahl von Zünftern unter die consules und machte den Grossen Rat zusammen mit dem Kleinen Rat zur obersten staatlichen Gewalt. Nach den Judenpogromen von 1401 verteidigte der Grosse Rat nicht nur sein Recht auf Selbstergänzung, sondern wählte de facto auch die Vorgesetzten der Zünfte. Ab dem 15. Jahrhundert übernahm das Zunftmeisterkollegium aufgrund verbriefter Rechte die Kontrolle im Rat und in den Zünften. Nach dem Sturz Hans Waldmanns 1489 (Waldmannhandel) wurden die Zunftbefugnisse wieder auf den gewerberechtlichen Bereich beschränkt. Nach dem 1489 erlassenen "Vierten" bzw. dem "Fünften Geschworenen Brief" von 1498 hatten Berufsgruppen wie Kaufleute, Goldschmiede, Grundrentner und freie Gewerbe freie Zunftwahl, was zur Durchbrechung der Zunftverfassung führte, die Machtkonzentration in den Händen einer Oberschicht auf Kosten der Handwerker ermöglichte und die Konstaffel zusätzlich schwächte. In diese wurden ab 1490 auch die Hintersassen und damit ein Teil der ärmeren Bevölkerung aufgenommen.

Der Grosse Rat oder Rat der Zweihundert setzte sich ab Ende des 15. Jahrhunderts aus beiden Bürgermeistern, 48 Mitgliedern des alten und des neuen Kleinen Rats, 144 Zwölfern (je zwölf Räte der zwölf Zünfte) und den Achtzehnern (18 Konstaffelherren) zusammen und zählte 212 Mitglieder. Die Kleinräte wurden von den amtierenden Klein- und Grossräten gewählt. Zu den Kompetenzen des Grossen Rats gehörten Entscheide über Krieg und Frieden, Abschluss neuer Bündnisse, Wahl von Bürgermeister, Rat, Vögten und Amtleuten sowie steuerrechtliche Angelegenheiten. Zudem wurden die wichtigeren Geschäfte dem anfangs unterschiedlich besetzten und schliesslich aus den neun Standeshäuptern gebildeten Geheimen Rat zur Vorberatung vorgelegt, einem Kollegium, das ab 1633 permanent eingesetzt wurde. Weitere wichtige Gremien waren der für den Staatshaushalt zuständige Rechenrat und der Kriegsrat.

Bis zum Ende des Ancien Régime wurden die "Geschworenen Briefe" noch zweimal geändert. Im "Sechsten Geschworenen Brief" 1654 wurde die freie Zunftwahl der Kaufleute bestätigt, was deren Vormachtstellung festigte. Auch der "Siebte Geschworene Brief", der als Reaktion auf die Bürgerunruhen 1712-1713 erlassen wurde, änderte daran nichts mehr. So stieg der Anteil der Kaufleute an der Bürgerschaft 1599-1790 von 3% auf 12%, deren Präsenz im Rat im selben Zeitraum aber von 8% auf 40%. Um den Ämterkauf, das sogenannte Praktizieren, zu erschweren, wurde das geheime Wahlverfahren für die Zunftmeister eingeführt, was ihre Wiederwahl allerdings nicht verhinderte. Da sich die Obrigkeit gegenüber den Handwerkern durchsetzte, blieb diese letzte Verfassungsreform zwar in ihren Ansätzen stecken, hingegen verminderten sich die Streitigkeiten innerhalb der Führungselite.

Bereits ab Ende des 15. Jahrhunderts kam es in Zürich - ähnlich wie in anderen Zunftstädten - zur Aristokratisierung und Intensivierung des Obrigkeitsstaats, begünstigt durch die ab Mitte des 16. Jahrhunderts verstärkte Abschliessung des Bürgerrechts und infolge der durch Reformation und Säkularisation bedingten Aussicht der Räte auf Übernahme von Vogtei- und Klosterämtern. Eine politische Karriere war unter diesen Voraussetzungen durchaus attraktiv, wobei neben dem Vermögen die persönlichen Beziehungen entscheidend für die Wahl in solche Ämter waren. Die von der Kirche an die Stadt gelangten Aufgaben führten - vor allem im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen - zu einem Ausbau des Verwaltungsapparats, während polizeilich-militärische Funktionen wie die allgemeine Dienstpflicht und der Wachtdienst weiterhin zum Teil direkt in den Zuständigkeitsbereich von Konstaffel und Zünften fielen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert hatten die Zünfte als Körperschaften vor allem organisatorische Bedeutung, politisch massgebend war jedoch die aus den Machteliten der Kaufleute und des Stadtadels hervorgegangene Obrigkeit. Die Kompetenzen der Bürgerschaft beschränkten sich im Ancien Régime auf die bei Bedarf einberufene Bürgerversammlung und auf die Ablegung des Bürgereids an den Schwörtagen.

Stadtanlage, öffentliche und private Bauten

Autorin/Autor:Max Schultheiss

Am rechten Ufer der Limmat entwickelte sich die sogenannte Mehrere Stadt mit den Wachten Auf Dorf, Linden, Neumarkt und Niederdorf, am linken Limmatufer die sogenannte Mindere Stadt mit den Wachten Münsterhof und Rennweg. Ausserhalb des Stadtkerns entstanden die drei Vorstadtquartiere Hirschengraben, Stadelhofen und Talacker. Die ummauerte Stadt umfasste 38 ha und grenzte sich mit vorgelagerten Wehrmauern vom Umland ab. Mit dem Bau der Befestigungsanlagen im 13. Jahrhundert, die auf eine ältere Stadtmauer folgte, verlagerte sich das politische Zentrum vom Lindenhof an die Limmat. Im Rahmen der damit verbundenen Stadterweiterung entstanden auch das Kloster Oetenbach und der Rennweg links der Limmat. Die beiden Stadtteile verbanden zwei in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene Brücken, die untere oder Rathausbrücke und die obere oder Münsterbrücke. Zwei Brücken führten zudem über die Sihl. Mühlen standen auf den Mühlestegen, am rechten Limmatufer und weiter flussabwärts. Aus verteidigungstechnischen, städtebaulichen und ökonomischen Gründen wurde von 1642 bis zum 18. Jahrhundert eine sternförmige Schanzenanlage gebaut, die die ummauerte Fläche verdoppelte.

Sakralbauten, Steinhäuser wie Rittertürme und Zunfthäuser und Holzbauten prägten das spätmittelalterliche Stadtbild. Geschlossene Gassenzüge gab es ab dem 14. und 15. Jahrhundert. Frühe Steinbauten gruppierten sich um die kirchlichen Zentren Fraumünster, Grossmünster, St. Peter und die beiden Limmatbrücken. Für den Getreidehandel wurde im späten 13. Jahrhundert das Kornhaus am Weinplatz eingerichtet, im 17. Jahrhundert aber an die obere Brücke verlegt. Nach einem ersten Rathaus entstand ab 1397 an derselben Stelle ein zweites und 1694-1698 am rechten Limmatufer das heute noch bestehende Gebäude. Ebenfalls an der Limmat wurde um 1468 das Richthaus (später Hauptwache), das 1253 erwähnte Helmhaus an der Giebelseite der Wasserkirche, das dem Textilhandel, der Qualitäts- und Masskontrolle sowie dem Einzug des Warenzolls diente, und ihm gegenüber der Hottingerturm mit Kaufhaus ab 1412 und späterem Salzhaus errichtet. Für öffentliche Bauprojekte war das Bauamt zuständig. Neben dem Schützenhaus am Platz nordwestlich der mittelalterlichen Stadtmauer war das Bauhaus im Kratzquartier der wichtigste Repräsentationsbau des 16. Jahrhunderts.

Nach der Vertreibung der jüdischen Gemeinde 1436 wurde die Synagoge an der Froschaugasse in ein Wohnhaus integriert. Die in der Reformation aufgehobenen Klöster und Stadtkirchen wurden umgebaut und neuen Nutzungen zugeführt. So übernahm das im Niederdorf gelegene Heiliggeist-Spital die Bauten des Predigerklosters und die profanierte Wasserkirche wurde 1633-1639 zur Bürgerbibliothek mit Kunstkammer ausgebaut. Zu den wichtigsten Profanbauten aus dem 17. und 18. Jahrhundert gehören die erweiterten bzw. neu erbauten Zunfthäuser sowie die Häuser Zur Krone (später Rechberg), Zum Florhof und Zum Kiel, ferner ausserhalb der Schanzenanlage unter anderem das Freigut, das Muraltengut in der Enge und der Beckenhof in Unterstrass.

Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Wirtschaft

Autorin/Autor:Max Schultheiss

Im Spätmittelalter blühte in Zürich das ab dem 13. Jh. belegte Seidengewerbe, das im Zentrum von ausgedehnten Handelsbeziehungen stand. Davon profitierten auch Woll- und Leinenweber, ferner das Ledergewerbe. Der Fernhandel bedingte die Anwesenheit von jüdischen, lombardischen und südfranzösischen Geldverleihern, die mit den Wandmalereien im Haus zum Brunnenhof oder dem "Lamparterturm" an den oberen Zäunen Spuren hinterlassen haben. Nach dem Brun'schen Umsturz 1336 und dem Pestjahr 1350 verloren Textilgewerbe und Fernhandel an Gewicht. Nach dem Alten Zürichkrieg ging das Seidengewerbe zugrunde. Zürich behielt einen regionalen Markt für Güter des täglichen Bedarfs sowie für den Getreide-, Wein-, Salz- und Eisenhandel. Der Fernhandel lief unter anderem über den Gotthard und die Bündner Pässe.

Bis zum Ende des Ancien Régime war Zürich eine von der Zunftverfassung geprägte Handwerkerstadt. Die Stadt besass das Marktmonopol und schützte die Tätigkeit der städtischen Handwerker gegen äussere Konkurrenz. Innovationen waren nur ausserhalb des durch die Zünfte geregelten Bereichs möglich. Ansätze von Wirtschaftstätigkeiten für den Export wurden umgehend zugunsten der korporativen Interessen der die Zunftoligarchie dominierenden städtischen Kaufleute monopolisiert. Von dem einst bedeutenden Textilgewerbe hatte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur noch die Tüchliproduktion überregionale Bedeutung. Ab der Jahrhundertmitte verhalfen protestantische Glaubensflüchtlinge dem Textilhandwerk zu einem erneuten Aufschwung. Dank deren Handelsbeziehungen zu Italien wurde auch die Seidenindustrie in Zürich wieder heimisch, viele neu gegründete Webereiunternehmen fielen aber zünftischem Druck zum Opfer. Ab 1620 nahm die Zahl der Textilverlage mit einigen Schwankungen deutlich zu. Verlagskaufleute, die aus der Bürgerschaft und den nach Zürich gelangten Hugenotten kamen und ihre Aktivitäten ausserhalb des Zunftzwangs entwickelten, setzten sich gegenüber dem zünftisch organisierten Textilgewerbe durch. Zur Verteidigung ihrer Interessen schlossen sie sich 1662 im Kaufmännischen Direktorium zusammen (1834 aufgelöst). Textilfabrikanten spezialisierten sich als Marchands-Banquiers und eröffneten Privatbanken. Als Bank wirkte auch die 1755 gegründete staatliche Zinskommission, die später zur Bank Leu wurde. Als Finanz- und Handelsplatz lag Zürich jedoch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hinter Basel, Genf und St. Gallen zurück.

Gesellschaft

Autorin/Autor:Max Schultheiss

In Zürichs Laienbevölkerung werden zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert drei soziale Gruppen erkennbar: Unfreie des Klosters und des Stifts, die sogenannten Kirchenhörigen, Unfreie der Pfalz und des Königguts, die sogenannten Fiskalinen, sowie die Leute vom Zürichberg (homines de monte), die wahrscheinlich Freie waren. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts verschwand diese Differenzierung zugunsten einheitlicher Bezeichnungen für die Stadtbewohner: laici de loco, cives, concives, burgenses, urbani. Diese bestanden aus Stadtbürgern, Aufenthaltern und Hintersassen. Im Spätmittelalter bildeten Ritter und bürgerliches Patriziat die Oberschicht, der Grossteil der Handwerker die Mittelschicht, mittellose Handwerker, Gesellen, aber auch viele alleinstehende Frauen die Unterschicht. Zwischen den Schichten war soziale Mobilität durchaus möglich. Ein gewisses soziales Gefälle ist vom Zentrum zur Peripherie an den Stadtmauern, etwa dem Kratzquartier, festzustellen.

Die Bürgerschaft gliederte sich in soziale und berufsspezifische Gruppen: Rentner, Magistraten, Händler, Kaufleute, Handwerker, freie Berufe und Geistliche. Rentner lebten als Junker von ihrem Vermögen oder besetzten hohe öffentliche Ämter. Mit den Händlern und Kaufleuten waren sie die politisch bestimmende Kraft, während der Einfluss der Handwerker in der frühen Neuzeit zurückging. Unter den Kaufleuten standen zuerst Eisen-, Salz- und Textilhändler, später die auf Exportwirtschaft ausgerichteten Kaufleute und Textilverleger sowie Bankiers an der Spitze. Alle Bürger waren ab 1409 Mitglieder einer Zunft oder der Konstaffel; freie Berufe wie Juristen, Ärzte und Lehrkräfte konnten sich nach Wahl in eine Zunft oder die Konstaffel aufnehmen lassen. Die Pfarrstellen auf der Zürcher Landschaft waren, ausser bei einigen Winterthurer Kollaturen, Stadtbürgern vorbehalten und boten Aufstiegsmöglichkeiten für Handwerkersöhne. Aufenthalter, zu denen Mägde, weiteres Dienstpersonal und Gesellen gehörten, waren befristet in der Stadt; die vor allem im nichtzünftischen Gewerbe und protoindustriellen Verlagswesen eingesetzten Hintersassen wurden je nach wirtschaftlichem Bedarf in die Stadt aufgenommen. Ihr Anteil an der Stadtbevölkerung blieb daher relativ gering.

Die Zünfte übten neben politischen und wirtschaftlichen auch soziale und kulturelle Funktionen aus. Das öffentliche Leben regelten Sittenmandate. Aus dem spätmittelalterlichen zünftischen Küchlimahl entwickelte sich im 18. Jahrhundert das Sechseläuten, mit dem der Frühlingsbeginn gefeiert wurde. Erste Umzüge fanden ab 1818 statt. Das auf den Dreissigjährigen Krieg zurückgehende Knabenschiessen wurde erst 1809 institutionalisiert.

Kirche und religiöses Leben

Autorin/Autor:Max Schultheiss

Im Spätmittelalter herrschte ein vielfältiges kirchliches Leben, bei dem der Kult um Felix und Regula eine zentrale identitätsstiftende Rolle spielte. Kirchen und Klöster waren für die Stadtentwicklung von grosser Bedeutung und wurden wie das Spital und die Siechenhäuser St. Jakob und Spanweid grosszügig dotiert. Im 13. Jahrhundert entstanden die Frauenklöster Oetenbach, St. Verena und Selnau sowie die Klöster von Mendikantenorden der Augustiner-Eremiten, der Franziskaner und Prediger. Beginen und Begarden waren in der Nähe der Bettelorden ansässig.

In der Reformation wurden die Klöster aufgehoben und die Klostergüter in städtischen Besitz überführt. Das nachreformatorische Grossmünsterstift erhielt neue Aufgaben vor allem in der Theologenbildung. 1525 wurde ein städtisch-kirchliches Ehegericht eingeführt. Der Antistes, gleichzeitig erster Pfarrer am Grossmünster, wurde vom Rat auf Lebenszeit gewählt. Als Vorsteher der Zürcher Kirche präsidierte er den kirchenpolitisch massgebenden Examinatorenkonvent und die Kirchensynode. Im 17. Jahrhundert dominierte eine dogmatisch gewordene Kirche das öffentliche Leben der Stadt. Die Hinwendung von der protestantischen Orthodoxie zum aufklärerischen Rationalismus und Pietismus ging nicht widerstandslos vonstatten. 1685 wurde eine französische Kirche für protestantische Glaubensflüchtlinge eingerichtet. Eine katholische Messe gab es erstmals wieder 1799.

Bildung und Kultur

Autorin/Autor:Max Schultheiss

Die ersten Stadtschulen waren die Lateinschulen am Fraumünster und am Grossmünster. Deutsche Schulen vermittelten Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen, wobei anfangs nur Knaben unterrichtet wurden. Nach der Reformation reorganisierte die Kirche zusammen mit der Stadtregierung das von ihr geleitete Schulwesen neu. Oberste Stufe war die von Huldrych Zwingli gegründete Prophezey (ab 17. Jh. Carolinum), die Theologen ausbildete und später auch naturwissenschaftliche und geschichtliche Fächer anbot. Eine Zwischenstufe bildete das Collegium humanitatis. Für die Universitätsausbildung zogen die jungen Zürcher vor allem an die protestantischen Universitäten des Reichs. Ausgehend von aufklärerischen Ideen entstanden neue Schultypen: 1774 wurde die Kunstschule, 1782 das medizinisch-chirurgische Institut eröffnet. Die Bürgerbibliothek gab ab 1645 Neujahrsblätter zur Belehrung der Zürcher Jugend heraus; die ersten Zeitungen erschienen ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Im gleichen Jahrhundert entstanden erste Sozietäten, unter anderem das 1679 gegründete Collegium Insulanum und das 1685 gegründete Collegium anatomicum, im 18. Jahrhundert unter anderem die 1746 gegründete physikalische Gesellschaft und die 1765 gegründete Mathematisch-Militärische Gesellschaft.

Das Zürcher Musikleben spielte sich vor allem im häuslichen Bereich, in der Kirche und in verschiedenen Musikgesellschaften wie der 1613 gegründeten Gesellschaft auf dem Musiksaal ab. Im 16. Jahrhundert wurden auf dem Münsterhof Theaterstücke aufgeführt, an denen die ganze Stadt teilnehmen konnte. Das Theaterleben kam 1624 unter Antistes Johann Jakob Breitinger (1575-1645) aus puritanischem Rigorismus vollständig zum Erliegen. Dank Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger (1701-1776) wurde Zürich im 18. Jahrhundert zu einem Zentrum der deutschsprachigen Literatur. Zu den bedeutendsten Künstlern und Akademikern zählten Johann Heinrich Füssli, Salomon Gessner, Johann Kaspar Lavater und Johann Heinrich Rahn.

Die politisch-administrative Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert

Kommunale Verfassung und Behörden

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Nach der Helvetischen Revolution von 1798 trat der helvetische Einheitsstaat bzw. dessen kantonale Verwaltungseinheiten die Rechtsnachfolge des alten Stadtstaats an. Zur politischen Gemeinde der ortsansässigen Aktivbürger, der die Munizipalität vorstand, kam 1799 die Bürgergemeinde hinzu. Diese wurde von der Gemeindekammer geleitet und übernahm die Armenpflege sowie die Verwaltung der Gemeindegüter. In der Mediationszeit wählte die Gemeindeversammlung der Bürger und der Niedergelassenen mit zweijährigem Aufenthalt oder städtischem Grundbesitz aufgrund des kantonalen Gemeinderatsgesetzes von 1803 einen 15 Mitglieder zählenden Stadtrat. 1816 erliess der Grosse Rat des Kantons Zürich auf der Basis der Restaurationsverfassung ein Organisationsgesetz für den Stadtrat. Letzterem wurde der Grössere Stadtrat beigeordnet, der aus je fünf Vertretern der 13 kantonal-städtischen Wahlzünfte bestand. Dieser Ausschuss wählte den Gemeinderat, den Stadtpräsidenten und die Friedensrichter. Zudem entschied er über Bürgerrechte sowie die städtischen Grundstückgeschäfte. Die Regenerationsverfassung von 1831 gab den Gemeinden das Recht, eigene Gemeindeordnungen zu erlassen. Nach der bereits 1831 geschaffenen, ersten Zürcher Gemeindeordnung bestand neben der Gemeindeversammlung als oberstem Organ ein Kleiner Stadtrat aus sieben Mitgliedern sowie ein 60-köpfiger Grosser Stadtrat. Letzterer wurde bis 1866 von den Wahlzünften gewählt, obwohl diese auf kantonaler Ebene bereits 1838 abgeschafft worden waren. 1875 wurde aufgrund übergeordneter Gesetze die seit 1803 bestehende Armen- und Bürgergemeinde als Gebietskörperschaft aufgehoben und zu einem Personenverband der in Zürich wohnhaften Stadtbürger umgewandelt. 1881 wurden der Kleine und der Grosse Stadtrat personell getrennt. Sie werden seither an der Urne gewählt. Das kantonale Zuteilungsgesetz schaffte 1891 die Gemeindeversammlung ab und führte das kommunale Initiativ- und Referendumsrecht ein. Die Gemeindeordnung von 1892 erhöhte die Zahl der Stadträte von sieben auf neun. Seit 1913 wird der Grosse Stadtrat nach dem Proporz gewählt. Die Gemeindeordnung von 1933 benannte das Parlament in Gemeinderat um. 1969 wurde das kommunale Frauenstimmrecht eingeführt. Von der letzten Totalrevision der Gemeindeordnung von 1970 bis 2010 fanden 44 Teilrevisionen statt.

Das Gemeindegebiet

Autorin/Autor:Nicola Behrens

1798 wurde die Stadt in die drei Sektionen Oberdorf, Niederdorf und Kleine Stadt eingeteilt. Die starke Zuwanderung im 19. Jahrhundert, die vor allem die Vororte betraf und diese finanziell überforderte, führte schliesslich zur ersten Eingemeindung von 1893, die von der Aussersihler Petition von 1885 eingeleitet worden war. Sie machte Zürich zur grössten Schweizer Stadt. Das kantonale Zuteilungsgesetz von 1891 legte die Einteilung der fünf damals noch mit römischen Ziffern bezeichneten Stadtkreise Altstadt (I), Enge, Leimbach und Wollishofen (II), Aussersihl und Wiedikon (III), Oberstrass, Unterstrass und Wipkingen (IV) sowie Fluntern, Hirslanden, Hottingen und Riesbach (V) fest. 1913 wurden diese auf acht erhöht. Die Gemeindeordnung von 1933 vor der zweiten Eingemeindung von 1934 teilte Zürich in elf Kreise auf: Altstadt (1), Enge, Leimbach und Wollishofen (2), Wiedikon (3), Aussersihl (4), Industriequartier (5), Oberstrass und Unterstrass (6), Fluntern, Hirslanden, Hottingen und Witikon (7), Riesbach (8), Albisrieden und Altstetten (9), Höngg und Wipkingen (10) und Affoltern, Oerlikon, Schwamendingen und Seebach (11). Seit 1970 bildet Schwamendingen den Kreis 12.

Gedenkblatt zur Landesausstellung 1883. Gedruckt in der Arbeitsgalerie der Lithographen-Genossenschaft Aussersihl, gezeichnet von Ernst Conrad (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).

Gedenkblatt zur Landesausstellung 1883. Gedruckt in der Arbeitsgalerie der Lithographen-Genossenschaft Aussersihl, gezeichnet von Ernst Conrad (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).[…]

Politische Kräfte

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Von 1799 bis Mitte des 19. Jahrhunderts dominierten die Konservativen die städtische Politik. Die städtischen Liberalen spielten ab 1830 vor allem in der kantonalen Politik eine Rolle. Nach ihrer Rückkehr an die Macht im Kanton begannen sie nach 1845 auch die städtische Politik zu dominieren. In den 1860er Jahren arrangierten sich die Konservativen mit den Liberalen und schlossen sich ihnen politisch an. Die starke Zuwanderung ab Mitte des 19. Jahrhunderts begünstigte den Aufstieg der vor allem in Winterthur und in ländlichen Gebieten verankerten demokratischen Bewegung, die auch sozialreformerische Ideen vertrat. 1866 wurde mit Spenglermeister Jakob Schnurrenberger der erste Nichtbürger in den Kleinen Stadtrat gewählt. Bis zur ersten Eingemeindung war Zürich eine liberale Hochburg. Die letzte Bastion konservativ gesinnter Stadtbürger, die Bürgergemeinde, fiel mit dem Gemeindegesetz von 1875, das die Einbürgerung von Schweizerbürgern erleichterte. In den Vororten wurden die Demokraten zur stärksten Kraft.

Wahlplakat der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zürich, gestaltet von Otto Baumberger, 1931 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Wahlplakat der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zürich, gestaltet von Otto Baumberger, 1931 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Im Grossen Stadtrat bzw. Gemeinderat dominierte bis 1907 die liberale Partei (ab 1917 FDP), die dann von der SP abgelöst wurde. 1928-1938 besass das "rote Zürich" eine absolute Parlamentsmehrheit. 1938 zog der Landesring der Unabhängigen (LdU) in den Gemeinderat ein. Er bildete bis Ende der 1970er Jahre zusammen mit der CVP, die als Christlich-soziale Partei 1907 eine städtische Parteisektion gegründet hatte, und der Evangelischen Volkspartei die politische Mitte. 2002 löste die aus der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei hervorgegangene SVP die FDP als stärkste bürgerliche Kraft ab.

Im Stadtrat dominierte 1892-1901 die demokratische Partei mit fünf von neun Sitzen, ab 1907 die SP mit vier, ab 1928 mit fünf Sitzen. In der Exekutive endete das "rote Zürich" 1949 mit dem Tod von Stadtpräsident Adolf Lüchinger. Ab 1950 besetzte die SP in der Regel vier, die FDP und der 1999 aufgelöste LdU je einen bis zwei Sitze. 1970 wurde mit Emilie Lieberherr (SP) die erste Frau in den Stadtrat gewählt. 1990 wurde die SP wieder stärkste Partei, während die SVP ausschied. Seit 1994 regiert eine rot-grüne Mehrheit.

Städtische Güter und Finanzen

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Das Vermögen des früheren Stadtstaats ging an die Helvetische Republik, die der Stadt 1798 provisorisch Güter überliess. Die Mediationsakte von 1803 sicherte ihr ein Vermögen zu, das die Kosten für das Schul-, Armen- und Kirchenwesen sowie das Bauwesen deckte. Die Polizei wurde aus Gebühren und Konsumsteuern finanziert. Schon ab 1802 bezog die Stadt von jedem Haushalt Einquartierungsabgaben. Die Niedergelassenen wurden ab 1833 für Polizei, Schule, Kirche und Strassenbau besteuert. Besassen sie Grundeigentum, mussten sie auch an die Kosten für öffentliche Bauten und Feuerwehr beitragen. Das Gemeindegesetz von 1855 stellte sie mit den Bürgern steuerrechtlich gleich; nun wurden direkte Gemeindesteuern erhoben, die aber das Armenwesen noch nicht betrafen. Das Zuteilungsgesetz von 1891 führte ein modernes Gemeindesteuersystem ein.

Soziales

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Bis 1835 waren die Kirchgemeinden für das Armenwesen zuständig, dann wurden die städtische Zentralarmenbehörde und der allgemeine Armenunterstützungsfonds geschaffen. Die Privatwohltätigkeit, etwa durch die Hülfsgesellschaft oder die Gemeinnützige Gesellschaft, blieb bis ins 20. Jahrhundert notwendige Ergänzung der kommunalen Fürsorge. Dann baute die Stadt schrittweise ihre Sozialleistungen aus. Bis das Heimat- durch das Wohnsitzprinzip im Sozialwesen ersetzt wurde, machte die steigende Mobilität im 19. Jahrhundert die als Verein organisierte und von der Gemeinde getragene "Freiwillige und Einwohnerarmenpflege der Stadt Zürich" (1878-1929) nötig. Seit 1907 fördert die Stadt den Wohnungsbau direkt oder indirekt über die Unterstützung von Genossenschaften.

Städtische Werke und Betriebe

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Die 1778 auf privater Basis eingeführte Strassenbeleuchtung wurde 1855 zur öffentlichen Aufgabe. Zu diesem Zweck wurde ein Gaswerk errichtet, das zunächst als konzessioniertes Unternehmen und ab 1886 als städtischer Betrieb geführt wurde. Es stand bis 1867 im Platzspitz, dann im Industriequartier und ab 1898 in Schlieren. 1974 erfolgte die Umstellung auf Erdgas.

Leitungsbau der Wasserversorgung Zürich im Schanzengraben beim Botanischen Garten der Universität. Fotografie von Eduard Schucht, 1885 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Leitungsbau der Wasserversorgung Zürich im Schanzengraben beim Botanischen Garten der Universität. Fotografie von Eduard Schucht, 1885 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).[…]

Nach der Choleraepidemie von 1855 kam Kritik an den hygienischen Verhältnissen bei der Abfallentsorgung auf. 1860-1873 wurde die Abwasserkanalisation erstellt, 1867 folgte die Kloakenreform. 1868 wurde die Trinkwasserversorgung verbessert, die den öffentlichen Brunnen Quellwasser und den Haushaltungen Brauchwasser aus der Limmat zuleitete. Nach der Typhusepidemie von 1884 wurde das Wasser dem See entnommen und ab 1895 auch Quellwasser aus dem Sihl- und dem Lorzetal bezogen. 1904 wurde die Kehrichtverbrennungsanlage eröffnet, 1923 der Bau der Kläranlage und die Schwemmkanalisation beschlossen. 1892 nahm das städtische Elektrizitätswerk Letten den Betrieb auf. Die Stadt engagierte sich stark im Bau von Wasserkraftwerken (Albula, Heidsee, Limmat Wettingen, Julia Tiefencastel, Julia Marmorera, Bergeller Kraftwerke) oder beteiligte sich an Wasser- und Atomkraftwerken (Maggia, Blenio, Hinterrhein sowie den Atomkraftwerken Gösgen und Leibstadt, Bugey und Cattenom in Frankreich). Das 1888 eröffnete private Rösslitram ging 1894 in Gemeindebesitz über und wurde 1900 elektrifiziert. Bis 1931 übernahm die Städtische Strassenbahn Zürich (ab 1950 Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich, VBZ) alle privaten Tramgesellschaften. 1990 nahm der Zürcher Verkehrsverbund, der Zusammenschluss der VBZ mit sieben weiteren Verkehrsunternehmen, zusammen mit der S-Bahn den Betrieb auf.

Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert

Stadtentwicklung und Verkehr

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Bis 1830 war nur die Kernstadt dicht besiedelt, das übrige Stadtgebiet bestand aus Wiesen, Feldern, Weinbergen und Wald, Einzelhöfen und Villen von Städtern. Ab 1780 setzte der Abbruch der mittelalterlichen Stadtmauer ein. 1833 begann der Kanton mit dem Schanzenabbruch, der Platz für öffentliche Bauten und Strassen schuf. Mit dem Bau von Münsterbrücke und Limmatquai ab 1835 orientierte sich Zürich von der Limmat an den See. Der 1847 eröffnete Bahnhof ausserhalb der Altstadt löste die grosse Bauperiode 1860-1890 aus. Bis 1859 entstand der Limmatquai, 1861-1863 die Bahnhofbrücke, 1864-1869 das Zeughaus und 1873-1875 die Kaserne in Aussersihl, ab 1864 die Bahnhofstrasse, ab 1867 das Bahnhofquartier, 1861-1864 das Polytechnikum, 1865-1871 der neue Hauptbahnhof und 1873-1875 die Schweizerische Kreditanstalt am Paradeplatz. Zürich dehnte den Stadtbann in Selnau und am Neumühlequai aus und legte 1875-1890 das Fraumünster-, 1876-1878 das Prediger- und 1877-1880 in Aussersihl das Industriequartier an. 1880-1890 wurden Börse und obere Bahnhofstrasse, Seepromenade und Quaibrücke errichtet, danach die Seefront und der Stadthausquai bebaut. Das von Gustav Gull geplante neue Verwaltungszentrum mit Amtshäusern auf dem Oetenbachareal und entlang der Schipfe sowie eine Strassenverbindung vom Zähringerplatz an die Rämistrasse wurde nur zum Teil realisiert. Die Struktur des Hauptstrassennetzes geht auf den allgemeinen Bebauungsplan von 1899 zurück. Der internationale Wettbewerb für einen Bebauungsplan der Stadt Zürich und ihrer Vororte (1915-1918) prägte die künftige Entwicklung stark.

Ab 1930 erwarb die Stadt Häuser für die Altstadtsanierung. 1962 wurde die Altstadt unter städtischen Schutz gestellt, was in vielen Fällen zu Auskernungen der Altstadthäuser führte. Das Konzept einer autogerechten Stadt wurde unter anderem mit der Verbreiterung von Bahnhof- und Limmatquai, Bahnhofbrücke und Central nur zum Teil realisiert. Hingegen kamen die im Generalverkehrsplan von 1955 vorgesehene Hochleistungsstrasse um die Altstadt, ein in der Volksabstimmung 1962 abgelehntes Unterpflaster- oder Tieftram und eine 1973 abgelehnte U-Bahn nicht zustande. Mit der Förderung des Autobahnbaus durch das Zentrum versuchte die Stadt innerstädtische Verkehrsprobleme mit Bundesmitteln zu lösen, doch führte die Eröffnung der provisorischen Westtangente 1972 zu einem Umdenken. Nun fanden sich für Umweltanliegen regelmässig politische Mehrheiten. Die Abwanderung der Industrie ab den 1970er Jahren brachte die Stadt in die finanzielle Krise der 1990er Jahre, liess aber auch Freiräume entstehen, die den Boom in Zürich-West und Umnutzungen von Industriearealen zu Dienstleistungs- und Wohnquartieren in Oerlikon, im Giesshübel, in der Binz, in Altstetten und in Affoltern ermöglichten.

Wirtschaft

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Anfang des 19. Jahrhunderts dominierten Baumwoll- und Seidengewerbe die städtische Wirtschaft. 1805 wurde die mechanische Baumwollspinnerei, später Maschinenfabrik Escher, Wyss & Cie. am Neumühlequai gegründet. Die Mühlen in der Limmat wurden bis 1895 zu Textilfabriken umgenutzt. Der Handel und die Verarbeitung der Seide erfolgten in Zürich, die Webereien lagen ausserhalb der Stadt. Der Bau der Eisenbahn ab 1847 ermöglichte die Entwicklung Zürichs zum bedeutenden Industriestandort und zum Verkehrsknotenpunkt. Mit der Schweizerischen Kreditanstalt, 1856 geschaffen zur Finanzierung von Textilindustrie und Eisenbahnbau, wurde Zürich zum Bankenplatz. Die Schweizerische Rentenanstalt (1857) und die Schweizerische Rückversicherungsanstalt (1863) begründeten die Versicherungsbranche in Zürich. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlagerte sich die Schwerindustrie aus dem Zentrum in die Aussenquartiere Aussersihl und Oerlikon. Die Textilindustrie verlor bis 1930 ihre führende Rolle an die Metall-, Maschinen- und Elektroindustrie. Im gleichen Zeitraum stieg Zürich zum Finanzzentrum der Schweiz auf: 1929 war ein Viertel aller Bankangestellten und ein Drittel aller Versicherungsangestellten in der Schweiz in Zürich tätig. In den 1980er und 1990er Jahren lagerten die Finanzinstitute einen Teil ihrer Arbeitsplätze in die Vororte aus und die Region Zürich rückte zu einem der zehn grössten Finanzplätze der Welt auf. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Stadt auch zum schweizerischen Medienzentrum. Neben den grossen Zürcher Zeitungen "Neue Zürcher Zeitung" und "Tages-Anzeiger" erschienen hier diverse Blätter der Boulevard- und Regenbogenpresse wie der Blick. Zudem liess sich das Fernsehen der deutschen und rätoromanischen Schweiz in Zürich nieder.

Sozialstruktur und sozialer Wandel

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Im frühen 19. Jahrhundert dominierte politisch und wirtschaftlich die Minderheit der Altzürcher Geschlechter, die bereits vor 1798 zum Regiment gehört hatten. Lange grenzten sich diese gegenüber dem nachdrängenden Bürgertum ab, bis sich die Unterschiede im späten 19. Jahrhundert zu verwischen begannen. Diese Oberschicht traf sich in zum Teil exklusiven Vereinen wie den Schildnern zum Schneggen, den Bogenschützen, dem altzürcherischen Club zur Weissen Rose oder dem Reitclub Zürich. Eher mittelständisch orientiert waren die Zünfte und einige Kultur- und Sportvereine wie etwa der Lesezirkel Hottingen oder der Grasshopper Club. Die Handwerker stellten die Mehrheit der Stadtbevölkerung, bis die Gleichstellung von Stadt und Land, der Wegfall von Privilegien durch die Aufhebung des Zunftsystems 1837 sowie die Industrialisierung ihre Existenzgrundlage unterminierte.

Industrialisierung und Zuwanderung wälzten die Bevölkerungsstruktur radikal um. Der Anteil der Bürger an der Stadtbevölkerung lag um 1800 noch bei 55,9%. Schon 1836 besassen die Niedergelassenen die Mehrheit. Mit der Zuwanderung aus der Inner- und der Ostschweiz, Süddeutschland und Österreich sowie später aus Italien und weiteren Mittelmeerländern wurde Zürich, das bis 1798 noch rein reformiert war, zu einer gemischtkonfessionellen Stadt. Auch die Zusammensetzung der Nationalitäten änderte sich radikal. Die Deutschen kamen ab 1830 als Akademiker oder qualifizierte Arbeitskräfte, einige davon als politische Flüchtlinge nach Zürich und gründeten hier 1856 einen Hilfsverein. Um 1900 war die Arbeitsimmigration aus Deutschland mehrheitlich weiblich. Die Italiener wanderten ab 1880 vor allem aus den ländlichen Gebieten Norditaliens zu, waren vorwiegend im Bausektor tätig und organisierten sich nach und nach in Arbeitervereinen.

Die wirtschaftlichen und demografischen Umbrüche lösten auch soziale Spannungen aus, die sich 1871 im Tonhallekrawall und 1896 im Italienerkrawall entluden. Schon vorher hatten sich soziale Konflikte, trotz kantonalem Gewerkschaftsverbot 1844-1869, in ersten Streiks der Schuhmacher, Spengler, Schlosser, Schreiner und Steinhauer niedergeschlagen, die 1870 einen ersten Höhepunkt erreichten. 1906-1907 fanden in Zürich mehr als 50 Streiks statt. Der Streik der Maler und Schlosser führte 1912 zum Generalstreik. Die Verschlechterung der Lebensverhältnisse im Ersten Weltkrieg radikalisierte die Arbeiterschaft, förderte revolutionäre und pazifistische Ideen, die 1917 in den Novemberunruhen und 1918 im Landesstreik gipfelten. Von 1914 an sank die Zahl der Ausländer bis nach dem Zweiten Weltkrieg ständig, obwohl Zürich vor allem ab 1933 zu einem Ziel der politischen und künstlerischen Emigration aus Deutschland wurde.

Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg löste die sozialen Milieus, die mit einem dichten Netz an eigenen Kultur-, Sport- und Geselligkeitsvereinen, Treffpunkten und Festen, Zeitungen und Verlagen gelebt hatten, weitgehend auf. An ihre Stelle traten Lebensstilmilieus. In der Sozialtopografie wurde der Gegensatz Zürichberg-Aussersihl/Industriequartier tendenziell vom Gegensatz Zentrum-Peripherie abgelöst. Ab 1950 setzte eine zweite italienische Arbeitsimmigration ein; in den 1970er Jahren wurde sie durch die Zuwanderung aus weiteren Mittelmeerländern abgelöst. Eine erneute erhebliche Zuwanderung aus Staaten der Europäischen Union (EU), vor allem aus Deutschland, begann nach Abschluss der bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU von 2002.

Kirchen und religiöses Leben

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Bis 1798 lebten in Zürich nur Reformierte, die in die vier Kirchgemeinden Grossmünster, Fraumünster, St. Peter und Prediger eingeteilt waren. 2013 waren es 34. Die erste von heute 23 katholischen Pfarreien entstand 1807. Pfarrkirche war zunächst die St.-Anna-Kapelle, ab 1833 das Fraumünster und 1842-1873 die Augustinerkirche, die im Kulturkampf an die neu entstandene christkatholische Gemeinde ging. 1874 wurde St. Peter und Paul in Aussersihl geweiht.

Vor der Gewährung der Niederlassungsfreiheit 1862 waren die Juden, die vor allem aus Endingen, Lengnau (AG), Süddeutschland und dem Elsass stammten, nur geduldet. Im selben Jahr gründeten einige dieser Zuwanderer, darunter Mitglieder der Familie Ris, die Israelitische Cultus-Gemeinde. Die osteuropäische Einwanderung setzte in den 1870er Jahren ein. 1895 entstand die Israelitische Religionsgemeinschaft, 1912 Agudas Achim und 1978 Or Chadasch. Insgesamt hatten die jüdischen Gemeinden nie wesentlich mehr als 6000 Mitglieder. Antisemitische Vorurteile gegen mittellose ostjüdische Zuwanderer führten 1910 zu verlängerten Wohnsitzpflichten und 1920 zum vor allem gegen orthodoxe Juden gerichteten Kriterium der genügenden Assimilierung bei Einbürgerungen. 1963 wurde in Zürich die erste Moschee der Schweiz, die Machmud-Moschee, eröffnet. Der Zuwachs der Muslime verschiedener Glaubensrichtungen ist hauptsächlich auf die Immigration von Arbeitskräften und politischen Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei zurückzuführen.

Bildung

Autorin/Autor:Nicola Behrens

1831-1833 reformierten die Liberalen das Schulwesen im Kanton von Grund auf und integrierten die bestehenden Bildungsinstitutionen der Stadt ins neue Bildungssystem. Die 1833 eröffnete Universität Zürich, die schon 1840 Frauen zum Studium zuliess, und das 1855 gegründete Polytechnikum (Eidgenössische Technische Hochschulen) wurden im 19. Jahrhundert stark von Professoren aus den Nachbarländern geprägt und gaben dem kulturellen Leben der Stadt Impulse. Sie brachten einige Nobelpreisträger hervor und machten Zürich zum Forschungsstandort. Auch private Vereine wie die 1832 gegründete Antiquarische Gesellschaft, die 1834 gegründete Museumsgesellschaft und die 1837 gegründete Gelehrte Gesellschaft waren bis ins 20. Jahrhundert wichtige Forschungs- und Bildungsinstitutionen. 1976 ging die 1875 gegründete städtische Höhere Töchterschule an den Kanton über, 1988 übernahm dieser die 1873 gegründete Gewerbeschule und die 1878 gegründete Kunstgewerbeschule. Letztere wurde 1998 zur Hochschule für Gestaltung und Kunst umgewandelt und 2007 in die Hochschule der Künste integriert.

Musik, Theater und bildende Kunst - Feste und Festspiele

Autorin/Autor:Nicola Behrens

Während das Musikleben in Zürich im 18. und 19. Jahrhundert blühte - die drei Musikgesellschaften schlossen sich 1812 zur Allgemeinen Musikgesellschaft zusammen - verhinderten kirchliche Kreise das Schauspiel bis in die 1830er Jahre. 1834 entstand die Sprech- und Musikbühne des Aktientheaters, das 1837-1843 von Charlotte Birch-Pfeiffer geleitet wurde und bis 1890 bestand. Im Casino am Hirschengraben (1806-1874) gab auch Richard Wagner Konzerte. Die Tonhalle im Kornhaus beim Bellevue wurde 1867 für das Schweizerische Musikfest provisorisch und mit der Gründung der Tonhalle-Gesellschaft ein Jahr später definitiv eröffnet. Der Direktor des Tonhalle-Orchesters, Friedrich Hegar, gehörte auch zu den Initianten der 1876 gegründeten Zürcher Musikschule (ab 1907 Konservatorium). Nach dem Brand des Aktientheaters wurde 1891 das Stadttheater am Bellevue erbaut, das 1964 in Opernhaus umbenannt wurde. Die 1895 errichtete neue Tonhalle ersetzte die Tonhalle im 1897 abgebrochenen Kornhaus; 1937 wurde sie ins Kongresshaus integriert. Direktor Ferdinand Rieser machte aus dem 1892 gegründeten Volkstheater am Pfauen das Schauspielhaus, das ab 1933 die bedeutendste freie Bühne im deutschsprachigen Raum wurde. Die 1938 gegründete Neue Schauspiel AG bespielt seit 2000 auch die Schiffbauhalle in Zürich-West.

Auf Initiative der Kunstgesellschaft, die ihrerseits aus der 1787 gegründeten Zürcher Künstlergesellschaft hervorging, wurde 1910 das Kunsthaus eingerichtet. Es erlangte erst nach dem Zweiten Weltkrieg dank zahlreicher Schenkungen internationale Bedeutung. In der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelangten weitere bedeutende Sammlungen nach Zürich, so unter anderen Baron Eduard von der Heydts Sammlung für aussereuropäische Kunst im 1952 eröffneten städtischen Museum Rietberg, die Sammlung des Migros-Genossenschafts-Bunds im 1996 eröffneten Museum für Gegenwartskunst im Löwenbräuareal oder die Sammlung der 1986 gegründeten Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst im 2001 eröffneten Haus Konstruktiv (EWZ-Unterwerk Selnau). Sie rückten Zürich in den Blickpunkt führender internationaler Kunstgalerien.

Neben den traditionellen Festen Sechseläuten und Knabenschiessen fanden in Zürich mehrmals nationale Sänger-, Turner- und Schützenfeste, die Landesausstellungen von 1883 und 1939 sowie 1958 die Saffa statt. 1916 wurde in Zürich die Dada-Bewegung gegründet. Seit 1936 werden die Juni-Festwochen (ab 1997 Zürcher Festspiele), seit 1951 das Zürifest, seit 1980 das Zürcher Theaterspektakel, seit 1991 die Streetparade und seit 2005 das Zurich Film Festival durchgeführt.

Quellen und Literatur

Archive

Quellen

Literatur

Reihen

Allgemeines

Von der Urgeschichte bis zum Hochmittelalter

Vom Hochmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

19. und 20. Jahrhundert

Kurzinformationen

Endonyme/Exonyme Turitg (Rätoromanisch) Zurich (Französisch) Zürich (Deutsch) Zurigo (Italienisch)

Zitiervorschlag

Nicola Behrens; Andreas Motschi; Max Schultheiss: "Zürich (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000171/2015-01-25/, konsultiert am 03.11.2024.