Alle (original) (raw)
Politische Gemeinde des Kantons Jura, Bezirk Pruntrut. Eines der grössten Dörfer der Ajoie, mit charakteristischen Häuserreihen aus dem 17. und 18. Jahrhundert längs der Allaine und des Cornolbachs. 1136 Alla, deutsch früher Hall. 1809 696 Einwohner; 1850 918; 1900 1238; 1950 1371; 1970 1615; 2000 1542; 2010 1661; 2020 1868.
Alle: Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.
Urgeschichte und römische Zeit
Auf einer Terrasse am linken Allaine-Ufer, am Fuss einer Antiklinale aus Kalken des oberen Kimmeridge, liegen die 1990-1993 entdeckten und zum Teil erforschten archäologischen Fundorte Noir Bois und Pré Monsieur. Sie zählen zu den bedeutendsten in der Schweiz bekannten Plätzen des Moustérien, an welchen Silex bearbeitet wurde. Davon zeugen mehr als 100'000 Abschläge und Arbeitsgeräte aus örtlichem Gestein aus dem Zeitraum um 120000-50000 v.Chr. Im Magdalénien (um 13000 v.Chr.) war Alle Station durchziehender Jäger. Bäuerliche Siedlungsplätze der Glockenbecherkultur (um 2300 v.Chr.) und der älteren Latènezeit (um 400 v.Chr.) zeitigten Siedlungsformen und eine Reihe von Gegenständen, vor allem Töpferware, wie sie zuvor in der Schweiz kaum bekannt waren. Die römische Strasse, die Epomanduodurum (Mandeure, Frankreich) durch die Pierre Pertuis mit Aventicum verband, war in Alle 6,5 m breit und führte an zwei gallorömischen Anlagen vorbei. Eine dritte lag im oberen Teil des heutigen Dorfes.
Mittelalter bis heute
Autorin/Autor:François KohlerÜbersetzung:Arno Aeby
Ein Gräberfeld datiert in das Frühmittelalter. Später teilte Alle das wechselvolle Schicksal der Vogtei Ajoie, die im 13. Jahrhundert zum Bistum Basel geschlagen wurde. Das Dorf wurde 1634-1639, während des Dreissigjährigen Kriegs, mehrmals gebrandschatzt. Im 16. Jahrhundert wurde Alle Hauptort eines der vier grossen Meierämter der Ajoie. Während der Landestroublen von 1730-1740 war das Dorf ein Zentrum des bäuerlichen Aufruhrs. 1836 nahm Alle den Status einer Gemischten Gemeinde an. Die 1302 erstmals erwähnte Pfarrei (Kirchenpatron Johannes Evangelista) gehörte bis 1779 zum Bistum Besançon, seither zum Bistum Basel. Der spätmittelalterliche Glockenturm mit Satteldach blieb vom Kirchenumbau von 1951-1953 unberührt. Vom 14. bis ins 19. Jahrhundert stritten sich die Gemeinden Alle und Courgenay um die Nutzung des Walds Montagne d'Alle. Ein ebenso lang dauernder Zwist mit der Bürgerschaft von Pruntrut ging um das Zufluchtsrecht der Einwohner von Alle in dieser Stadt gegen regelmässige Holzlieferungen. Im 19. Jahrhundert war Alle eine recht wohlhabende Bauerngemeinde. Mit dem Bau der Bahnlinie Pruntrut-Bonfol (1901) blühte die Industrie auf, und im Lauf des 20. Jahrhunderts wandelte sich Alle zu einem kleinen Industriezentrum – mit Holzbearbeitung, Uhrenmacherei (Gehäuse), einer Wirkwarenfabrik und einer Kammgarnspinnerei –, in dem zahlreiche Grenzgänger arbeiteten. 1990 überwog der 2. Sektor, doch ist Alle eine bäuerliche Hochburg geblieben: Die landwirtschaftliche Genossenschaft Centre-Ajoie betreibt seit 1964 eine Sammel- und Verwertungsstelle für Getreide, und seit 1973 findet in Alle alljährlich die Fête des paysans jurassiens statt. 1984 bezog das kantonale Zeughaus die Räume einer aufgelassenen Fabrik.
Quellen und Literatur
Literatur
Urgeschichte und römische Zeit
- «Archäolog. Mitt.», in ArS 14, 1991, 293 f.
- J. Detrey, L.-I. Stahl Gretsch, «Ateliers de taille de silex moustériens à Alle, Pré Monsieur (JU)», in JbSGUF 76, 1993, 135-140
- C. Masserey et al., «Taille de silex moustérien, occupation campaniforme, habitat latènien et route gallo-romaine à Alle», in ArS 16, 1993, 2-11
- Dernier cycle glaciaire et occupations paléolithiques à Alle, Noir Bois, 2000
Mittelalter bis heute
- G. Amweg, «La montagne d'Alle», in Actes SJE 41, 1936, 23-44
- R. Meyer, Centenaire de la fanfare l'Ancienne d'Alle, 1874-1974, 1974
- Le canton du Jura de A à Z, 1992, 49 f.
Zitiervorschlag
François Schifferdecker; François Kohler: "Alle", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.05.2020, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006440/2020-05-14/, konsultiert am 16.11.2024.