Dan Bar-On Dialog mit dem Feind (original) (raw)

Dialog mit dem Feind

Der israelische Psychologe Dan Bar-On entwickelt den TRT–Prozess

[Hebr�isch / Englisch / Arabisch]

Beifall brandet auf. Zwei M�nner sch�tteln sich die Hand. Die etwa tausend Zuh�rer in der W�rzburger Kongresshalle erheben sich von ihren Pl�tzen. Damit ehren sie die beiden Redner, Sami Adwan und Dan Bar-On. Der Israeli und der Pal�stinenser umarmen sich. Eine unglaubliche Geste im Mai 2001: Dort, wo beide herkommen, herrscht Krieg: t�glich sterben Menschen auf den Strassen und in ihren H�usern. Der Kreislauf von Gewalt und Vergeltung in Israel und Pal�stina geht bereits in die dritte Generation. Der Beifall will nicht enden. Da erhebt sich in der zweiten Reihe ein �lterer Herr, geht nach vorn und legt seine Arme um beide. Es ist Martin Bormann, dessen Vater >Reichsleiter< Martin Bormann, ein hochrangiger Nazi und enger Vertrauter Hitlers gewesen ist.

Was viele der Anwesenden, in der Mehrheit Therapeuten, so ber�hrt, ist die Ehrlichkeit der Vers�hnungsgeste, deren Zeugen sie sind. Eben haben sie zwei Lebensgeschichten geh�rt, die davon handelten, wie sich Feindbilder aufl�sen konnten und wie daraus Zusammenarbeit und Freundschaft entstand. Der Israeli und der Pal�stinenser hatten jeder, zwecks Verteidigung der eigenen Rechte, die andere Nation bek�mpft. Inzwischen arbeiten beide im Rahmen von „PRIME – Peace Research Institute in the Middle East" – dessen Gr�nder und Kodirektoren sie sind, f�r den Frieden zwischen beiden V�lkern. Dan Bar-On, der 1938 in Haifa geborene Sohn eines aus Hamburg immigrierten j�dischen Arztes und ehemaliger Offizier der israelischen Armee in drei Nahostkriegen; und Sami Adwan, heute Professor f�r P�dagogik an der Universit�t Bethlehem, der als Pal�stinenser im Westjordanland in der ersten Intifada gegen die Besatzungsmacht gek�mpft und dies mit Haft in einem israelischen Spezialgef�ngnis in der Negev-W�ste geb��t hat. Der Weg von der Feindschaft zur Vers�hnung, in einem Umfeld, wo der Kreislauf von Gewalt, Rache und Gegengewalt unaufl�slich zu sein scheint, war ein langer, langsamer und schwieriger. „TRT – To Reflect and Trust", haben ihn diejenigen genannt, die ihn mitgegangen sind. Martin Bormann war einer von ihnen.

Initiator des TRT-Prozesses ist Dan Bar-On, heute Professor f�r klinische Psychologie an der Ben-Gurion-Universit�t in Beersheva. Die Anf�nge von TRT liegen Jahrzehnte zur�ck. TRT ist keine neue Therapieform. Es ist ein Dialogprozess, der in seiner Vielschichtigkeit und Komplexit�t nur zu verstehen ist, wenn man bis an die Wurzeln zur�ckgeht. Einer der Anf�nge liegt im Juni 1992. Damals trafen sich an der Universit�t Wuppertal achtzehn Menschen zu einem mehrt�gigen Dialog. Alle teilten ein Schicksal: Das Schweigen ihrer Eltern �ber einen zentralen Teil der eigenen Biografie. Die Eltern aller Teilnehmer der Wuppertaler Gruppe waren entweder Opfer und �berlebende des Holocaust oder aber Mitt�ter und Organisatoren des V�lkermordes. Opferkinder trafen mit T�terkindern zusammen. Schon allein die Tatsache, sich zu treffen, mehrere Tage miteinander zu verbringen, sich in einem Raum gegen�ber zu sitzen und miteinander zu sprechen, bedeutete f�r die meisten einen schwierigen Schritt. Fast alle waren voller �ngste, Bef�rchtungen und Albtr�ume nach Wuppertal gefahren. Sie hatten diesen Schritt getan in der Hoffnung, dass es auch eine Erl�sung sein k�nnte, aus dem Gef�ngnis der Sprachlosigkeit des Schweigens, das ihr Leben gezeichnet hatte.

�berlebende des Holocaust sind meist schwer traumatisiert. Das Verschweigen der erlittenen Erniedrigungen ist auch eine Strategie der R�ckkehr in ein normales Leben. Im Israel der f�nfziger und sechziger Jahre, einer Nation der Starken und Siegreichen, war f�r eine ausf�hrliche W�rdigung dieses Leids der Opfer, au�erhalb der offiziellen Gedenkrituale, kein Raum. Auch f�r die Nazit�ter war das Verschweigen ihrer Taten und das Verleugnen der Verantwortung f�r den Massenmord eine Grundbedingung daf�r, in b�rgerlicher Normalit�t weiterzuleben. Auch im Land der T�ter war das Verdr�ngen Teil der offiziellen Kultur: Erst Anfang der 60iger Jahre, fast zwei Jahrzehnte nach Kriegsende, wurde durch den Frankfurter Auschwitzprozess mit der �ffentlichen Aufarbeitung des Holocaust begonnen. So hatte z. B. Hertha F., die 1992 in Wuppertal mit dabei war, erst im Alter von 20 Jahren durch die Verhaftung ihres Vaters und den anschlie�enden Prozess davon erfahren, dass als er SS-Offizier an Massenmorden in der Ukraine beteiligt war. Die Erkenntnis, einen Massenm�rder zum Vater zu haben, bestimmte ihr weiteres Leben.

Verdr�ngen und Verschweigen machen auf die Dauer krank, physisch und psychisch, was immer die kulturellen Ursachen und die gesellschaftlichen Kontexte dieser Sprachlosigkeit sind. Einer strukturellen �hnlichkeit der Leiden von T�terkindern und Opferkindern in ihren Auswirkungen auf das Individuum war Dan Bar-On auf die Spur gekommen, nachdem er in den siebziger und achtziger Jahren in seiner therapeutischen Praxis mit den traumatisierten Holocaustopfern gearbeitet hatte, die an Sp�tfolgen litten. Er begann sich zu fragen, wie es wohl den Kindern der T�ter ergangen sei. Da sich bisher noch niemand daf�r interessiert hatte, macht Dan Bar-On dies zu seinem Forschungsthema.

Als Angeh�riger einer Nation, die ihre Entstehung aus dem Holocaust definierte, war er niemals „unabh�ngiger Wissenschaftler" oder „objektiver Beobachter", sondern aufgrund seiner Biografie, stets als Beteiligter und Betroffener in den Forschungsprozess involviert. Durch den Weitblick seines Vaters, hatte die engere Familie Dan Bar-Ons �berlebt: Hans Bruno, ein Hamburger j�discher Arzt, der aus Heidelberg stammte, war bereits 1933, nach den ersten diskriminierenden Nazigesetzen, die seine freie Praxis zerst�rten, nach Pal�stina ausgewandert, das damals unter britischer Mandatshoheit stand. Dort wurde Dan 1938 als zweiter Sohn geboren: „Ich wuchs in Haifa deutscher Kultur auf", erinnert sich der Israeli. Er spricht akzentfrei Deutsch, weil in seinem Elternhaus, mit den Gro�eltern nur Deutsch gesprochen wurde. Als Jugendlicher, Anfang der f�nfziger Jahre im eben gegr�ndeten Staat Israel, kappte Dan Bar-On diese deutschen Wurzeln, hebr�isierte seinen Namen und zog in ein Kibbuz. In den Kriegen von 1956, 1967 und 1973 k�mpfte er als Offizier einer Aufkl�rungseinheit.

Doch das Verdr�ngen und Verleugnen der eigenen Herkunft hat seinen Preis. In einer Psychotherapie, die der Israeli in einer Lebenskrise nach dem Oktoberkrieg von 1973 begonnen hatte, besann sich Dan Bar-On auf seine deutschen Herkunft: Diesen Aspekt seiner Identit�t hatte er als Teil des Nazifeindbildes lange Zeit aus seinem Bewusstsein ausgeklammert. 1983, inzwischen ausgebildeter Psychologe und Hochschullehrer, stie� bei einem Forschungsaufenthalt in den USA die Frage nach den T�terkindern. 1985 kam er zum ersten mal in seinem Leben nach Deutschland und f�hrte in den folgenden drei Jahren mehr als 90 qualitative Interviews mit erwachsenen Kindern von Nazit�tern durch, um Aufschluss �ber die psychischen Folgen des Holocaustes f�r sie zu gewinnen. (1989 ver�ffentlicht: „Legacy of Silence: Encounter with Children of the Third Reich", Harvard University Press, frz., dt. japanisch, hebr�isch).

Bei dieser Arbeit nahm er auch mit Martin Bormann Kontakt auf und lernte ihn pers�nlich kennen. „Es war ein hartes St�ck Arbeit und m�hsamer Weg dahin", erinnert sich Dan Bar-On. Fast anderthalb Jahre lang hatten wir uns geschrieben und miteinander telefoniert, und ich sah unserer ersten pers�nlichen Begegnung mit Angst und Unsicherheit entgegen." Sein Gegen�ber litt unter �hnlichen Bef�rchtungen. Dass beide M�nner sich diese Gef�hle gegenseitig eingestehen konnten, legte den Grund f�r eine pers�nliche Beziehung.

Aufgrund dieser heilsamen Erfahrung des pers�nlichen Dialoges als Opferkind mit einem T�terkind initiierte Dan Bar-On 1992 das erste Treffen in Wuppertal. Die Gruppe gab sich den Namen TRT und traf sich bis 1997 jedes Jahr, in Deutschland, Israel oder den USA. Gearbeitet wurde mit der Methode des „story telling": jeder Teilnehmer erz�hlte der Gruppe seine pers�nliche Lebensgeschichte, w�hrend die anderen zuh�rten und darauf eingingen. In Wuppertal er�ffnete Lena, die j�dische Ehefrau von Dirk, dem Sohn eines Gestapokommandanten, die Runde. Sie erz�hlte, wie sie 1941, im Alter von drei Jahren, das Massaker an den j�dischen Dorfbewohnern Ukraine �berlebt hatte; wie ihre christlichen Gro�mutter sie aus einer Schlange vor dem j�dischen Ghetto heraus riss, den Gestapokommandanten um das Leben ihrer Enkelin anflehte und sie bis zur Befreiung durch die Rote Armee 1944 auf einem Dachboden versteckte. Lena berichtete, wie sie sp�ter ihre Mutter in Israel wieder fand, nach Deutschland ging und dort heiratete.

Anschlie�end erz�hlte Martin Bormann seine Lebensgeschichte: Geboren wurde er 1930, Hitler war sein Taufpate. Martin Bormann besuchte die „NAPOLA", eine Eliteschule f�r Kinder von Nazis. Bei Kriegsende verschlug es ihn nach �sterreich, wo er von da an getrennt von seiner Familie lebte. Er wurde katholisch, trat in einen Orden ein und arbeitete in den sechziger Jahren in der Mission in Afrika. Aus Gesundheitsgr�nden gab er den Missionsdienst auf. Sp�ter verlie� er den Orden, heiratete und arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Lehrer f�r katholische Religion und Philosophie.

Insgesamt dauerte es bei diesem ersten Treffen in Wuppertal dreieinhalb Tage, bis alle Beteiligten ihre Geschichte erz�hlt hatten. „Es entstand ein Gef�hl der Offenheit und Energie, das ein Au�enstehender wahrscheinlich nicht h�tte einordnen k�nnen", erinnert sich ein Teilnehmer. Alle wollten mit diesem positiven Anfang weiterarbeiten und erkl�rten sich zu weiteren Treffen bereit. Ein Ergebnis des Wuppertaler Treffens war, dass die deutschen T�terkinder eine Selbsthilfegruppe gr�ndeten, die sich mehrere Jahre lang regelm��ig traf. Das zweite Treffen, dass 1993 in Israel stattfand, war aus mehreren Gr�nden sehr viel schwieriger: Zum erstenmal fuhren T�terkinder offiziell in den Staat der Holocaustopfer, besondere Sicherheitsma�nahmen waren, z.B. f�r Martin Bormann, n�tig.

Da die BBC das Treffen f�r eine Dokumentationssendung filmte, entstand eine Hierarchie in der Gruppe – ein Widerspruch zu ihrer urspr�nglich symmetrischen Struktur. Auch inhaltlich war die Fortsetzung des Prozesses schwierig: nach der Euphorie des Anfangs war jedes Mitglied in seinen soziales Umfeld zur�ckgekehrt. Fast alle hatten bei ihren Familien und Freunden, j�dischen wie deutschen, Ablehnung und Unverst�ndnis erlebt. Die TRT-Gruppe stand also vor dem Dilemma, sich zu isolieren oder aber dem Druck nachzugeben und sich aufzul�sen. Die TRT-Gruppe entschied sich daf�r, die Spannung auszuhalten und weder das positive Gef�hl des Vertrauens, das durch die Begegnung entstanden war, aufzugeben, noch die Beziehungen au�erhalb der Gruppe. Nicht alle konnten das Dilemma ertragen: Einige Mitglieder verlie�en die Gruppe, andere kamen hinzu. Am dritten Treffen nahm Martin Bormann deshalb nicht teil, weil er f�rchten musste, dass seine Anwesenheit von amerikanische Nazis f�r ihre Propaganda genutzt w�rde. Hier zeigte sich, welchen Einfluss die Geschichte, auch nach fast einem halben Jahrhundert, auf das pers�nliche Leben einzelner Teilnehmer der TRT-Gruppe hatte.

W�hrend des sechs Jahre dauernden Dialogprozesses, den Dan Bar-On begleitete, stellte der israelische Forscher zahlreiche strukturelle �hnlichkeiten im Leben der Opferkinder und der T�terkinder fest. Angeh�rige beider Gruppen mu�ten mit der st�ndigen Pr�senz des Holocaustes leben. Sie f�hlten sich entfremdet und entwurzelt und erlebten die Abl�sung von den eigenen Eltern als ausgesprochen schwierig. Der Dialog war f�r alle ein befreiender, aber auch schmerzhafter Lernprozess, der es ihnen erm�glichte, einen neuen Weg zu finden, mit der Vergangenheit zu leben. F�r einige bedeutete es, Teile der eigenen Identit�t, n�mlich als Opfer im Hass auf die T�ter im Recht zu sein, aufzugeben. „Mein Hass war grenzenlos und instinktiv, er wuchs mit jedem Buch, Film oder Artikel, den ich �ber den Holocaust las", erinnert sich die Miriam K. an ihre Befindlichkeit vor dem TRT-Prozess. „Doch in dieser Gruppe begriff ich, dass es ehrliche anst�ndige Deutsche gibt, die f�r das, was ihre Landsleute w�hrend des Zweiten Weltkrieges begangen haben, gro�e Scham und starke Schulgef�hle empfinden, obwohl sie selbst unschuldig sind. Es ist mir klar geworden, dass es unwahrscheinlich hilfreich ist, die Geschichte der anderen zu h�ren und die eigenen Geschichte in einer Umgebung zu erz�hlen, die Sicherheit bietet. Dieser Heilungsprozess kann nur dann geschehen, wenn Menschen von beiden Seiten zusammenkommen. Wenn man in der eigenen Familie und in der Gruppe der Opfer ist, ist es so einfach, im Schmerz und in der Wut, ja sogar im Hass zu verharren und sich an die Opferrolle zu gew�hnen. In der Gruppe der T�ter scheint es die gr��te H�rde zu sein, sich von den immensen Schulgef�hlen frei zu machen. Da ich drei T�chter habe, musste ich mich einfach diesen Problemen stellen, denn ich m�chte auf keinen Fall, dass sie eine ganze Nation aufgrund von historischen Ereignissen hassen", fasst die j�dische Amerikanerin ihre Motivation, sich dem schwierigen Prozess zu stellen, zusammen.

Dass der Holocaust bei den Nachkommen von T�tern und Opfern immer pr�sent ist, sei unvermeidlich, res�miert Dan Bar-On seine Untersuchung. Doch der negative Einfluss auf das Leben kann durch den bewussten Verarbeitungsprozess, der im TRT-Dialog stattfindet, vermindert werden. Die Folgen werden weniger bedrohlich und selbstzerst�rerisch, denn durch den Dialog wird es allen Betroffenen m�glich auf eine ertr�gliche Art damit zu leben.

Auf ihrem sechsten Treffen 1997 beschloss die TRT-Gruppe, ihrer Arbeit eine neue Qualit�t zu geben: Sie wollten die eigenen positiven, als heilsam erlebten Erfahrungen mit der dialogischen Aufarbeitung des eigenen Traumas, das Teil eines kollektiven Traumas ist, an Menschen weitergeben, die in aktuellen Konflikten leben. Die Hamburger K�rber-Stiftung unterst�tzte diesen Schritt. So trafen sich im Fr�hsommer 1998 in Hamburg Mitglieder der TRT-Gruppe mit eingeladenen Multiplikatoren aus L�ndern die jahrzehntelange Konflikte erlebt hatten: Katholiken und Protestanten aus Nordirland, Farbige und Wei�e S�dafrikaner und sowie Pal�stinenser und Israelis. Dabei erlebten die Beteiligten, welchen Unterschied es macht, ob der Dialog �ber einen historischen oder gegenw�rtigen Konflikt gef�hrt wird. Miriam K. erinnert sich, wie sie unbedingt an der S�dafrikagruppe teilnehmen wollte, dann aber begriff, dass sie sich dem israelisch-pal�stinensischen Konflikt stellen musste. Das Anh�ren der pal�stinensischen Geschichten war f�r sie fast unertr�glich: „Als der erste Pal�stinenser �ber sein Leben, seine Vergangenheit, seine aktuelle und schmerzhafte Realit�t in der West Bank sprach, stellte ich fest, dass ich in der Defensive war und mich peinlich ber�hrt, geschockt und ver�rgert f�hlte. Es fiel mir sehr schwer zu glauben, es handele sich keineswegs um eine Ausnahme und deshalb sei es unfair, so zu tun, als sei es die >Normalit�t< f�r Pal�stinenser. Nat�rlich traute ich mich nicht, diese Gedanken zu �u�ern."

Wieder erz�hlte Miriam K. ihre Geschichte als Nachkommin von Holocaustopfern, doch diesmal erlebte sie, wie die eigene Opfer-Identit�t zu br�ckeln begann: „Als der n�chste Pal�stinenser sprach, wand ich mich. Schon wieder war es eine Geschichte �ber Verfolgung, Angst und unertr�gliche Erniedrigung. Ich konnte nicht glauben, was ich h�rte. Wie war das m�glich? Je mehr ich h�rte, desto mehr schauderte ich. Es war mir peinlich, J�din zu sein. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine j�dischen Mitmenschen diesen Leuten solchen Schmerz und solches Grauen zuf�gten. Ich wollte ihre Taten verteidigen, sie als ein Bed�rfnis nach Sicherheit f�r Israels Bestreben, sich vor Terrorismus zu sch�tzen, begr�nden. Aber ich konnte mich nicht einmal mich selbst davon �berzeugen, dass diese Gr�nde gut genug waren. Ich war ersch�pft und w�nschte, ich w�re woanders."

Miriam K. und ihre Gespr�chspartner, zu denen auch Sami Adwan geh�rte, erlebten auch, wie aus dem gegenseitigen Zuh�ren, dem Aushalten und Ausdr�cken der eigenen Schmerzen, ein neues gegenseitiges Verst�ndnis erwuchs: „Als die Tage verstrichen und wir mehr und mehr schreckliche Geschichten von allen Seiten h�rten, f�hlte ich, dass die Mauern zu brechen begannen. Wir weinten gemeinsam, tr�steten einander und f�hlten, dass wir dabei waren, Br�cken zu errichten." Ein Verst�ndnis, das zun�chst �u�erst fragil war und durch die Frage einer Pal�stinenserin, die die Realit�t des Holocaustes in Frage zu stellen schien, wieder zu zerbrechen drohte. Martin Bormann wurde nun mit seiner Geschichte zum glaubw�rdigen Zeitzeugen: „Die Pal�stinenser h�rten ihm offensichtlich gebannt zu. Die ganz Situation war unwirklich: Juden versuchten, Pal�stinenser von der Bedeutung und Wahrheit des Holocaust zu �berzeugen, w�hrend der Sohn eines ber�hmten Nazi-T�ters die Fakten aufz�hlte." Mehr als ein Jahr nach dem Hamburger TRT-Dialog, reflektiert Miriam K. ihre Erfahrung so: „Noch einmal war meine Weltsicht ersch�ttert worden. Meiner Ansicht nach waren Juden immer die Opfer, aber diese Position kann ich nun nicht mehr aufrecherhalten. Der Workshop in Hamburg hat mich aus dieser Opferkategorie herauskatapultiert, und ich musste mir einen neuen Platz suchen. Ich bin unserer Konfliktgruppe f�r den Mut und die Offenheit, ihren Schmerz mitzuteilen, sehr dankbar. Sie ging mit unbequemen Tatsachen um und lie� neue Informationen an sich heraus, die f�r sie eine Herausforderung darstellten."

Die Pal�stina-Israel-Gruppe war sicher die schwierigste der Hamburger Begegnung. Doch die praktischen Konsequenzen, die daraus erwuchsen, haben bis heute Bestand: Aus der pers�nlichen Begegnung von Sami Adwan und Dan-Bar On wurde die Idee f�r „PRIME – Peace Research Institute for the Middle East", geboren. Die Forschungsprojekte dienen dazu, die gemeinsame Zukunft von Pal�stinensern und Israelis in der Region vorzubereiten. Auch unter den schwierigen, kriegs�hnlichen Bedingungen arbeiten sie weiter an den gemeinsamen Projekten und halten den Kontakt untereinander aufrecht. F�r den W�rzburger Kongress hatte Sami Adwan erstmalig wieder eine Ausreisem�glichkeit erhalten. Er berichtete den Zuh�rern, wie er w�hrend der ersten Intifada, im israelischen Gef�ngnis zum erstenmal begann, hinter der Maske des Feindes, die Gesichter von Menschen wahrzunehmen und wie ihn das bewog, auf Gewalt als Mittel Konfliktl�sung zu verzichten.

Dan Bar-On versteht den TRT-Prozess als M�glichkeit, an der langfristigen Befriedung von ethnischen, nationalen und religi�sen Konflikten zu arbeiten. Gerade auch solche, die auf der legal-juristischen Ebene gel�st erscheinen, wie z.B. in Nordirland oder S�dafrika, existieren die Folgen der jahrzehntelangen Gewalt weiter und haben eine subtile Wirkung: „Konflikte ver�ndern sich auf der offenkundigen Ebene, aber das bedeutet nicht notwendigerweise eine Schw�chung der Motive; vergessen geglaubte Konflikte k�nnen wieder aufflammen." Als Beispiel f�hrt der Forscher die ethnische Konflikte auf dem Balkan an: oberfl�chlich schienen fr�here ethnische Spannungen im kommunistischen Jugoslawien aufgehoben, was eine Rate von 46% ethnisch gemischter Ehen zu belegen schien. Doch die Aufl�sung der jugoslawischen Zentralmacht nach der Wende lie� die alten Spannungen wieder an die Oberfl�che kommen und in extremes Blutvergie�en eskalieren - sogar zwischen vertrauten Nachbarn und guten Bekannten. Daran wird deutlich, so Dan Bar-On, dass die Konflikte auf der oberfl�chlichen Ebene unterdr�ckt wurden, doch in psychologischer Hinsicht keine Verarbeitung stattgefunden hatte. „Diesem verborgenen Aspekt muss sich eine psychosoziale Schlichtungsstrategie, wie z.B. der TRT-Prozess, widmen, damit eine dauerhaft erfolgreiche Konfliktl�sung m�glich wird

Elisabeth Gruendler

Dan Bar-On, Sami Adwan und Martin Bormann sind am 21. Febr. 2002 in Berlin und stellen dort den TRT-Proze� vor. Ort: Katholische Akademie Berlin, Hannoversche Stra�e 5 (Mitte), U 6 Oranienburger Tor. Zeit: 19.00 - 21.30 Uhr.

Eine gek�rzte Fassung dieses Beitrags wurde in Psychologie heute, Okt. 2001 ver�ffentlicht.

hagalil.com / 18-02-02

haGalil onLine 18-02-2002