Bregenzer Festspiele 2010 eröffnen mit Weinbergs „Passagierin“ | nmz - neue musikzeitung (original) (raw)

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Mit der szenischen Uraufführung der Oper «Die Passagierin» des Schostakowitsch-Weggefährten Mieczyslaw Weinberg wagen sich die Bregenzer Festspiele 2010 wieder auf unbekanntes Musiktheater-Terrain. Die Oper sei «von außergewöhnlicher Qualität und gigantischen Ausmaßen», sagte Festspielintendant David Pountney, der das Werk selbst inszenieren wird, am Mittwoch in Bregenz.

Die Eröffnungspremiere findet am 21. Juli im Bregenzer Festspielhaus statt und ist Auftakt zu einer ganzen Weinberg-Retrospektive. Einen Tag später wird auf der weltgrößten Seebühne im Bodensee die spektakuläre Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper «Aida» aus dem Jahr 2009 wiederaufgenommen.

Die Oper «Die Passagierin» basiert auf dem gleichnamigen Roman der 1923 geborenen polnischen Autorin Zofia Posmysz und schildert die unverhoffte Begegnung einer früheren KZ-Aufseherin mit der KZ-Gefangenen Martha auf einem Passagierdampfer in den 60er Jahren. Dmitri Schostakowitsch sprach von einem «Meisterwerk». Das ergreifende Stück des polnisch-jüdischen Komponisten Weinberg, der 1941 vor den deutschen Truppen in die Sowjetunion flüchtete, wurde 1968 vollendet, jedoch erst 2006 in konzertanter Form in Moskau uraufgeführt.

Weinberg, dessen Familie von den Nazis ermordet wurde, lebte bis zu seinem Tod 1996 als freischaffender Komponist in Moskau. Zu Zeit der antisemitischen Pogrome unter Sowjetdiktator Stalin war er auch kurzzeitig inhaftiert. Die Spannweite seiner zahlreichen Werke, die zum Teil stark an die Musik Schostakowitschs erinnern, reicht vom Requiem bis zur Zirkusmusik.

Die neue Saison der Bregenzer Festspiele dauert vom 21. Juli bis 22. August 2010 und steht unter dem Motto «In der Fremde». In ihr zweites Jahr geht die Seebühnen-Produktion von Verdis «Aida». Die Deutung des britischen Regisseurs Graham Vick und seines Bühnenbildners Paul Brown beeindruckte vor allem durch das von zwei haushohen Baukränen dominierte Bühnenbild und zahlreiche technische Effekte.

Im Rahmen einer Weinberg-Retrospektive ist nächstes Jahr in Bregenz auch Weinbergs satirische Oper «Das Porträt» nach einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Nikolai Gogol zu sehen, mit der der Komponist auf die offizielle Ablehnung seiner dramatischen Oper «Die Passagierin» reagierte. Sie kommt im Theater am Bregenzer Kornmarkt in der Regie des jungen Briten John Fulljames heraus. Auch die Orchesterkonzerte der Wiener Symphoniker, des Symphonieorchesters Vorarlberg und des Kammerorchesters MusicAeterna aus dem sibirischen Nowosibirsk stehen ganz im Zeichen des polnisch-jüdischen Komponisten, dessen Leben und Wirken auch ein Symposium gewidmet ist. Am Pult der Symphoniker steht der russische Dirigent Vladimir Fedosseyev, der mit Weinberg befreundet war.

In der Schauspielreihe des Festivals präsentiert das Deutsche Theater Berlin unter seinem neuen Intendanten Ulrich Khuon den Joseph Conrad-Klassiker «Herz der Finsternis» und die Produktion «Öl» des Schweizer Autoren Lukas Bärfuss mit Nina Hoss in der Hauptrolle. Die Avantgarde-Reihe «Kunst aus der Zeit» (KAZ) beleuchtet das Motto «In der Fremde» unter anderem mit der Uraufführung der Kammeroper «Jakob's Room» von Morton Subotnick, einem Pionier der elektronischen Musik in den USA.