Die Mittelpracht | NZZ (original) (raw)

Nicht richtig modisch, nur ein bisschen lässig und immer casual: Der Stil des Mainstreams heisst neuerdings «Normcore». Die Zutaten zur Durchschnittlichkeit werden neuerdings auch unisex getragen.

Nicht richtig modisch, aber ein bisschen lässig soll es sein: Normcorer kaufen unter anderem bei Abercrombie & Fitch ein. Im Bild ein überdimensioniertes Werbeplakat der genannten Mainstream-Marke in New York. (Bild: Keystone)

Nicht richtig modisch, aber ein bisschen lässig soll es sein: Normcorer kaufen unter anderem bei Abercrombie & Fitch ein. Im Bild ein überdimensioniertes Werbeplakat der genannten Mainstream-Marke in New York. (Bild: Keystone)

Den Trendbegriff «Normcore» muss man heute wohl niemandem mehr vorstellen, die neumodische Kombination aus «Normal» und «Hardcore» ist weltweit zum Medienhype avanciert und hat das Zeug dazu, in diesem Jahr noch zum Wort des Jahres gewählt zu werden. Der in den USA von einer Marketingagentur kreierte Begriff beschreibt erstmals griffig diesen offensichtlich an Mode desinteressierten, aber sehr verbreiteten Typus des Mainstream-Kunden, der sich von der Vorstellung, etwas Besonderes sein zu wollen, verabschiedet hat und dem es wohler ist, in der Masse zu verschwinden, als aus ihr herauszustechen.

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Bei Esprit werden Normcorer fündig. (Bild: Reuters)

Normcore beschreibt aber nicht einfach den genuinen Langweiler oder Bünzli, der kein Interesse an Kleidung hat und deshalb einfach irgendetwas anzieht. Vertreter dieser Spezies, auch «Normcorer» genannt, sind sowohl finanziell wie demografisch keine Randgruppen. Sie kaufen durchaus oft Kleidung ein – aber immer möglichst das unauffällige Zeug. Normcorer sind auch keine Hipster, denn Hipster wollen zwar auch irgendwie «normal» angezogen sein, tun dies aber immer mit einer Portion Ironie und dem Flair für bewusst inszenierte Hässlichkeit.

Pflegeleicht und Unisex

Die Uniform des Normcorers besteht aus alltäglichen, pflegeleichten Basics wie bedruckten T-Shirts, Trainerjacken mit Kapuzen (Hoodies), Jeans oder Baumwollhosen (Chinos) und nicht allzu auffälligen Freizeitschuhen, die eine Art Hybride aus klassischen Schnürern und Sneakers (immer mit Gummisohlen) sind. Hemden haben grundsätzlich Muster und kurze Ärmel, manchmal auch sportive Applikationen. Dazu kommt bei Bedarf eine sportliche Nylonjacke (etwa von Jack Wolfskin) oder eine praktische Umhängetasche. Krawatten oder Blusen sind praktisch inexistent. Diese ganz und gar praktische Kleidung tragen Normcorer beiden Geschlechts – erstmals in der Geschichte der Mode ist also der oft als futuristisches Fernziel skizzierte Unisex-Look der alltägliche Standard.

Fündig werden Normcorer bei breit distribuierten Mainstream-Marken wie Jack & Jones, Superdry, Esprit oder Abercrombie & Fitch. Diese Brands tun in ihrem Auftritt zwar so, als spielen sie auf dem internationalen Parkett der Mode mit, doch in Wahrheit decken sie die Welt mit nicht viel mehr als alltäglichen Basics ein. Wichtig sind stets gut sichtbare Logos, denn der Normcorer ist sich seiner modischen Ambitionen zwar nicht allzu sicher, doch möchte er schon, dass man sieht, dass er sich etwas geleistet hat. Mit diesem Prinzip hat die US-Marke Abercrombie & Fitch vor wenigen Jahren den Weltmarkt der Normalität aufgemischt – und findet sich inzwischen mit jährlich zweistelligen Verlusten im Tal der Tränen wieder, denn: Auch der Normcorer wird der Langeweile einmal überdrüssig und zieht weiter. Im Moment scheint die Karawane bei Superdry Halt zu machen. Die bedruckten und applizierten T-Shirts mit den prominenten Lettern sind derzeit omnipräsent.

Facebook scheint ein beliebter Arbeitgeber zu sein. (Bild: Reuters)

Das meiste kommt aus Asien

Gut läuft es auch bei der dänischen Firma Bestseller A/S, welche u. a. die Marken Vero Moda und Jack & Jones vertreibt. Im letzten Geschäftsjahr wurden dort mit Kleidung 2,6 Milliarden Euro umgesetzt, zusammen kommen die Marken auf 3000 eigene Verkaufspunkte und über 12'000 Multi-Brand-Stores weltweit. Auch bei diesen Marken findet man nicht wirklich neue Trends – einiges scheint sogar noch bei den viel grösseren Mitbewerbern Zara oder H&M abgekupfert –, doch solide vestiäre Durchschnittskost für den moderat modischen Appetit. Der überwiegende Anteil des Sortiments ist schnell und billig produzierte Ware aus Fernost – bei Esprit beträgt der Anteil der aus Asien importierten Waren fast 95 Prozent.

Etwas über dem absoluten Mainstream operieren Normcore-nahe Marken wie Marc O'Polo, Woolrich, Desigual, Closed oder Scotch & Soda. Auch hier findet man zwar zumeist Basics, doch sind alle diese Firmen auch darum bemüht, mit eigenen Entwürfen Akzente zu setzen und sich so differenzieren. Im Gegensatz zu den mit dem Taschenrechner und auf Excel-Sheets entworfenen Kollektionen der anonymen Normcore-Brands blitzt hier noch etwas Zeitgeist auf, und man weiss, dass die grossen Player des «Premium»-Segments auch noch Kreativteams beschäftigen, die mehr als nur das Copy-Paste-Prinzip beherrschen.

Backlash durch Übersättigung

Normcore mag derzeit tatsächlich ein zeitgeistiges Phänomen sein – ein Trend ist es dennoch nicht, eher eine Art Backlash. Normcore ist das Resultat von Übersättigung und leistet der textilen Verödung durch Discounter Vorschub, sorgt für noch einmal aggressivere Preisschlachten und beraubt die Mode so jeglichen Zaubers. Allerdings ist Normcore sicher auch ein Warnsignal an die Modebranche, die mit ihrem überdrehten Tempo und immer kurzfristigeren Trends den Draht zu den Leuten verloren hat. Dass Normcorer trotz dem gigantischen modischen Angebot einfach abschalten und nicht einmal mehr rebellieren, müsste all jenen zu denken geben, die in dem Metier tätig sind.

Die Mainstream-Marke Superdry vertreibt Mode für Normcorer. (Bild: Imago)