Abschied in Nahaufnahme | NZZ (original) (raw)

Über die Kunst, das Alter, die Liebe und den Tod hat Ingmar Bergman immer wieder Gespräche geführt, in den letzten Jahren mit Kollegen wie Jörn Donner oder mit dem Freund Erland Josephson in seinen Stockholmer Büros. Die Filmdokumentationen zeigen einen

Über die Kunst, das Alter, die Liebe und den Tod hat Ingmar Bergman immer wieder Gespräche geführt, in den letzten Jahren mit Kollegen wie Jörn Donner oder mit dem Freund Erland Josephson in seinen Stockholmer Büros. Die Filmdokumentationen zeigen einen zwar redseligen, aber stets auch distanzierten Bergman. Es grenzt somit an ein Wunder, dass der Regisseur ein Kamerateam in seine Trutzburg auf Fårö gelassen hat. Der Journalistin Marie Nyreröd, Mitarbeiterin an einer Dokumentation über «Saraband», vertraut sich der «Alte von Fårö» auf eine Weise an, die durchaus irritiert, weil sie in solcher Intensität nicht zu erwarten war. So sehen wir den 85-Jährigen ohne Maske und in Momenten der Schwäche, die mehr noch als der Einsamkeit und der Trauer um die verstorbene Ehefrau der Krankheit des hohen Alters geschuldet sind.

Wir sehen ihn, wie er am Fenster sitzt und um Worte ringt, neben sich den Teddybären aus Kleinkindertagen. In aller Schonungslosigkeit berichtet er von Versagensängsten und Todesfurcht und beschwört zugleich glaubhaft jene «mozartischen» Kräfte, die es ihm ermöglichen, der Verzweiflung täglich zu widerstehen. Zweifellos ist es vorrangige Absicht der Dokumentation, die spezifischen Ausprägungen dieser guten Geister zu verdeutlichen - in drei jeweils einstündigen Teilen: Bergman und der Film, Bergman und das Theater, Bergman und Fårö.

Zu Beginn führt uns der Gastgeber in den Lagerraum seines Hauses, kramt einen Karton hervor, dem er ehrfürchtig wie einem Schrein den «Kinematographen» seiner Jugend, die Laterna magica, entnimmt. Und wir begreifen, dass die folgenden Stationen der Erfolgsgeschichte eines Künstlers von Weltrang ohne Laterna magica, Puppenbühne und Teddybären nicht möglich gewesen wären. Denn über diese «Hilfsmittel» arbeitet das aus der Kindheit schöpfende Genie, als wären sie der «Zauberflöte» entsprungen. Und dennoch: Zwar verwandelt der wunderbare Einfall, das berühmte Weihnachtsgeschenk noch einmal auspacken zu lassen, den Hausherrn in den sinneswachen Künstler, der das neugierige Kind in sich zu bewahren vermochte; Szenen mit dem Übergangsobjekt Teddybär hingegen verstärken den Eindruck, dass unheilbare Wunden über alle Welterfolge triumphieren.

Gelegentlich befreien sich die Interviewpartner aus räumlicher wie atmosphärischer Beengung und suchen historische Plätze auf: das sagenumwobene Filmstudio in Råsunda, das «spukende» Dramaten oder die Drehplätze der Fårö- Filme. Gut dosiert sind die eingeblendeten Dokumente. Neben bekannten Filmausschnitten sind erstmals öffentlich gezeigte Schmuckstücke aus Bergmans schier unerschöpflichem Archiv zu sehen: mit der Schmalfilmkamera festgehaltene Szenen am Set seiner Meisterwerke oder Fotos aus Familienalben.

«3× Ingmar Bergman», bisher erst am schwedischen Fernsehen gezeigt, geht es nicht um Enthüllungen. Dennoch gibt es überraschende Momente. Etwa wenn Bergman seine «Dämonen» so offen anspricht, dass uns seine Untröstlichkeit ergreift und zugleich verunsichert. Oder wenn er über das grosse Schweigen berichtet, das in seiner Produktionsfirma ausbrach, ausgerechnet, als mit «Das Lächeln einer Sommernacht» der internationale Erfolg einsetzte: Man erlaubte ihm von nun an zwar, nach Belieben zu drehen, nicht aber, über seine Projekte zu diskutieren, und überliess ihn beruflicher Einsamkeit.

Wenn Bergman sich an seinen wohl spektakulärsten Zornesausbruch erinnert - während einer öffentlichen Bühnenprobe zu «Woyzeck» schlug er einen seiner hartnäckigsten Kritiker nieder und wurde dafür zu einer Geldstrafe verurteilt -, spricht er von einem Akt der Befreiung. Und doch werden wir Zeuge, wie ein sanftmütiger Alter in seinem Ohrensessel von Schuld und Unversöhnlichkeit erdrückt zu werden droht.

Im Zusammenhang mit seiner Arbeit fürs Theater und fürs Fernsehen spricht Ingmar Bergman plötzlich über den privaten Hintergrund von «Szenen einer Ehe». Zitternd fingert er ein Foto seiner «Paula» hervor und wirft es erregt auf den Tisch, das Konterfei Gun Gruts, mit der er nach Paris floh. Wie selbst anklagend gibt er sodann den Blick frei auf das Porträt seiner glücklich erscheinenden «Marianne», dasjenige von Ellen mit den Kindern Eva, Jan, Anna und Mats, und dann presst er heraus, wie sehr sich Ellen eben noch über seinen unerwarteten Besuch freut und er ihr gleich die Pläne für Paris mit Gun gestehen wird. Ein stummer Schrei.

Marie Nyreröd registriert geduldig jedes gesprochene Wort, ihre Kamera beobachtet derweil jede Bewegung der Hände, die Sprache der Augen in Nah- und Grossaufnahmen, denn sie arbeitet nach Prinzipien des Porträtierten, der gesagt hat: Wir alle tragen unsere Masken, aber da sind gewisse Punkte in unserem Antlitz, die wir nicht verbergen können.

Eckhard Weise

Das ZDF strahlt heute Freitag um 23 Uhr «Saraband» (2003) aus. Diese Weiterführung von «Szenen einer Ehe» ist Ingmar Bergmans jüngster und, wie er erklärt hat, letzter Film.