Revolutionär: elektronisches Geld | by Robert J. Shiller - Project Syndicate (original) (raw)
Die meisten Berichte in der Presse über die neuen Formen des elektronischen Geldes verkaufen diese Entwicklung fälschlich als lediglich eine weitere Annehmlichkeit für technologieverwöhnte Verbraucher. Was aber ist schon dabei, wenn wir eine Geldkarte zücken, statt wie bisher Kleingeld mit uns herumzutragen? Gar nichts. So betrachtet erinnern diese neuen Geldformen an elektronische Fensterheber im Auto oder die Fernbedienung am Fernseher. Vielleicht ginge es uns besser ohne all diese technischen Spielereien.
Tatsächlich allerdings hat es unsere Medienberichterstattung bisher einfach versäumt, weit genug in die Zukunft zu blicken und sich das volle Ausmaß der Veränderungen, die die neuen Formen des elektronischen Geldes hervorgerufen werden, bewusst zu machen: Menschen und Unternehmen werden neue Möglichkeiten entwickeln, um Geschäfte zu tätigen. Elektronisches Geld ist keine Fernbedienung; es wird sich weiter entwickeln und dazu beitragen, die Weltwirtschaft zu verändern.
Zwei Vorteile des elektronischen Geldes fallen ins Auge und dürften zu seiner Verbreitung beitragen: Am wichtigsten ist, dass es tief einen tief greifenden geistigen Nutzen bieten wird, da es Anreize schafft, aktiv neue Ideen zu verfolgen. Zweitens wird das elektronische Geld die Globalisierung vorantreiben, die Nutzbarkeit und Vielseitigkeit des Internets erhöhen und es den Menschen erleichtern, konstruktiv mit anderen überall auf der Welt zu interagieren. Im Verbund werden diese beiden Vorteile es Millionen von Menschen ermöglichen, erheblich effektiver als bisher zusammenarbeiten.
Um die potenzielle Bedeutung des elektronischen Geldes ganz zu erfassen, sollten wir uns die Erfindung des Münzgeldes - der ersten Form von echtem Geld - vor Augen halten, die im 7. Jahrhundert v. Chr. in Lydien in der heutigen Türkei und unabhängig hiervon in China erfolgte. Dies war ein bedeutender Fortschritt, und das Münzgeld verbreitete sich daher schnell.
Der Grund dafür ist einleuchtend: Vor der Erfindung von Münzen wurden Edelmetallbarren als Zahlungsmittel verwendet. Dabei musste der Betrag entsprechend dem Umfang des getätigten Geschäfts vom Barren abgeschnitten und auf einer Waage ausgewogen werden. Die Menschen mussten diese Waagen, die dazugehörigen Gewichte und manchmal sogar noch die Werkzeuge zum Abschneiden des Metalls mit sich herumtragen, nur um Geschäfte tätigen zu können. Archäologen finden noch heute aufwendige (und zu jener Zeit vermutlich teure) Balkenwaagen und Gewichte auf versunkenen Handelsschiffen aus der Bronzezeit. Die meisten Menschen besaßen so etwas nicht.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Verwendung von Metallbarren zum Tausch war, dass ein gewisses Maß an Vertrauen oder Fachwissen erforderlich war, um den Geschäftspartner von der Reinheit des Metalls zu überzeugen. Dasselbe Problem stellte sich auch bei anderen Rohstoffen, die die Menschen zum Tausch zu nutzen versuchten, also beispielsweise Edelsteinen oder Muscheln: Ihr Wert war häufig nicht eindeutig ermittelbar.
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Aufgrund dieser Schwierigkeiten war es vor der Erfindung standardisierter und identischer Münzen schwer, kleinere Geschäfte zu tätigen, und der Handel war aller Wahrscheinlichkeit nach überwiegend auf Großgeschäfte zwischen bedeutenden Handelspartnern beschränkt. Die Einführung von Münzen ermöglichte die Entwicklung vieler neuer Formen der Geschäftstätigkeit. Man konnte etwa problemlos ein Geschäft zum portionsweisen Verkauf von Lebensmitteln gründen und betreiben oder zufällig vorbeikommenden Personen kleine Haushaltsgegenstände anbieten.
Vor allem aber trug die Erfindung von Münzen enorm zur Verbreitung von Wissen bei: Es war nun einfach, Bücher, Unterricht und Anleitungen zu verkaufen. Die Entwicklung von Münzen ist einer der Gründe dafür, dass die klassische Welt im Umkreis des antiken Lydiens und das China der Han-Dynastie im Vergleich zu anderen Teilen der damaligen Welt so fortschrittlich waren.
Die Lehre hieraus ist, dass die Struktur einer Volkswirtschaft letztlich zu einem großen Teil durch die Höhe der Transaktions- und Vertragskosten bestimmt wird. Je stärker sich diese Kosten durch neue Formen des Geldes senken lassen, desto vielseitiger und komplexer wird unsere Wirtschaft. Niedrigere Transaktionskosten bedeuten, dass der Austausch von Gütern und Dienstleistungen drastisch verfeinert werden kann. Mit den neusten Formen elektronischen Geldes können wir Millionen von unterschiedlichen Menschen überall auf der Welt Millionen von kleinen Dingen verkaufen. Nirgendwo ist dies wichtiger als im Bereich der Ideen.
Kreditkartenunternehmen erheben heute in der Regel für Zahlungen per Kreditkarte vom Verkäufer eine Gebühr in Höhe von etwa 25 Cent plus zwei bis drei Prozent des jeweiligen Zahlungsbetrages. Eine solche Gebührenstruktur macht es schwierig, ein Unternehmen zu führen, das Gegenstände im Wert von unter 10 Dollar verkauft; ein Unternehmen zu führen, das Gegenstände im Wert von unter einem Dollar verkauft, wäre unmöglich: Die Transaktionskosten würden die Gewinne aufzehren.
Dank überlegener Zahlungssoftware sind Kleinzahlungsunternehmen wie Paypal (gegründet 1998), Yaga (gegründet 2000), Peppercoin (gegründet 2001) und BitPass (gegründet 2002) in der Lage, im Vergleich zu den Kreditkartenunternehmen deutlich niedrigere Transaktionskosten in Rechnung zu stellen und so die Anzahl der Transaktionen deutlich zu erhöhen. Ein Unternehmen kann seinen Kunden nun für eine Leistung (wie etwa das Abrufen einer Internetseite) weniger als einen Dollar in Rechnung stellen und trotzdem aufgrund eines hohen Umsatzvolumens beträchtliche Renditen erwirtschaften.
Skeptiker behaupten, die Öffentlichkeit würde sich dagegen wehren, für digitale Inhalte zu bezahlen: Die Menschen seien daran gewöhnt, sie umsonst zu bekommen. Dasselbe wurde vor Jahren über das Kabelfernsehen behauptet. Herausragende Fernsehunterhaltung gibt es aber nicht zum Nulltarif, und mit anderen wichtigen geistigen Schöpfungen ist es ebenso. Diese Skeptiker übersehen den tief greifenden Einfluss, den neue Technologien - je stärker wir uns der von ihnen gebotenen Möglichkeiten bewusst werden - allmählich auf unsere Gewohnheiten nehmen.
Wir haben dies bereits anhand des Erfolgs von iTunes von Apple erlebt: Das Unternehmen verkauft Musiktitel zum Preis von jeweils 99 Cent pro Song. Obwohl erst 2003 gegründet, verzeichnete iTunes Music Store kürzlich seinen 100-millionsten Verkaufsabschluss - eindeutig ein hohes Absatzvolumen. Was iTunes verkauft, ist eine Form von geistigem Inhalt. Andere werden folgen.
Es wird aufregend sein, zu erleben, welche neuen Formen von geistigen Inhalten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erfunden werden. Die wirtschaftliche Revolution, die durch unser zunehmendes Verständnis im Umgang mit elektronischem Geld online wie offline ausgelöst werden wird, könnte so tief greifend sein wie jene, die unsere Vorfahren durch die Erfindung von Münzen eingeleitet haben.