Police-Abschiedskonzert: Cooler als die Polizei erlaubt (original) (raw)

New York - Gerade noch waren sie drei wilde Milchgesichter. Gebleichtes Strubbelhaar, schwarze, hautenge Hosen und Songs, die es in sich hatten. Reggae, Jazz, Rock - ein einmaliger Sound, dazu verdammt smarte Texte, die alle mitgrölten, doch kaum einer begriff. Schnell waren sie die größte Band der Welt: 50 Millionen verkaufte Alben, Teenie-Idole, Sexsymbole, Mega-Stars.

Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, stehen sie also wieder auf der Bühne, im Madison Square Garden, der legendärsten Arena von allen. The Police: Sting, 56, Stewart Copeland, 56, Andy Summers, 65. Älter sind sie, klar. Hager und asketisch, bis auf Summers, der etwas in die Breite gegangen ist. Grauhaarig, graubärtig, drei betagte Herren, die sich noch mal in die obligaten hautengen Hosen gequetscht haben.

Doch als die ersten Töne von "Synchronicity" (1983) zu hören sind, eines ihrer letzten und tiefgründigsten Hits, da verfliegen alle Gedanken ans Altern sofort. Stings Bass, Summers Gitarre, Copelands Drums: Sie klingen so jung und frisch wie damals, sogar noch besser, durchdachter.

Raureifer Abschied

14 Monate waren sie auf Reunion-Tournee, nach 23 Jahren Sendepause. 150 Gigs auf vier Kontinenten, 3,7 Millionen Zuschauer, mehr als 340 Millionen Dollar Einnahmen, nur die Stones und U2 haben mehr Geld gescheffelt. Und dies ist nun der letzte Abend, die letzte Show, ehrlich, die allerletzte, schwören sie und meinen es. "This is the last time we'll ever do this" ("Dies ist das allerletzte Mal, dass wir dies tun"), ruft Sting den 20.000 Fans zu, viele selbst an Jahren reif, trotz Muscle Shirt und Minirock.

Die letzte Show: "Da kann alles passieren", hatte Copeland zuvor imGespräch mit SPIEGEL ONLINE grinsend gedroht. Und so beginnt sie denn auch mit einem Knalleffekt, der die New Yorker in schiere Ekstase versetzt.

Denn für "Message in a Bottle", ihren Hit von 1979 über Verlust und Einsamkeit, marschiert plötzlich die Band des New York Police Departments auf die Bühne, in voller Gardeuniform und wortwörtlich mit Pauken und Trompeten. Der Anblick von Cops weckt in New York immer große Gefühle, in diesem Fall aber ist es ein genialer Clou. Rocker waren mal Gegenkultur, jetzt sind sie Mainstream. The Police und die Polizei, multiplizierter Sound, multiplizierter Sinn: "Rescue me before I fall into despair." Die Halle wird zum Meer aus wogenden Armen.

Von da an kennen sie kein Halten mehr. Wie Berserker stürzen sie sich in ihr Repertoire, das früher mal so revolutionär-progressiv und doch eingängig zugleich war, eine Art domestizierter Punkrock, der heute ein Repertoire von Klassikern darstellt, die jeder mitsummt, wenn er sie im Aufzug hört. "Do you wanna sing?" ("Wollt ihr singen?"), brüllt Sting. Schweiß rinnt über sein ledernes Gesicht, und natürlich singen alle mit, denn sie sind groß geworden mit diesen Songs, die einen an die ersten Schulfeten erinnern, das erste Auto, den ersten Kuss und Herzschmerz.

"Walking on the Moon", "Voices Inside My Head", "Don't Stand So Close to Me", "Driven To Tears", "Hole In My Heart", "Every Little Thing She Does Is Magic": Jedes Stück ein Hit, selbst wenn man es nicht kennt, kennt man es irgendwie doch. Drei Mädchen stürzen auf die Bühne, tanzen wie wild um Sting herum. Groupies? "Meine Töchter", erklärt der Vater verschämt.

Behutsame Modernisierung

Manche Songs arrangieren sie vorsichtig neu. Es ist eine Gratwanderung: Die Fans wollen das Altbekannte, wollen die Songs, die "von der Welt adoptiert" (Copeland) wurden. Doch sie selbst sind unterdessen noch bessere Musiker geworden, Virtuosen, bei denen jede Note sitzt. Ein solches Talent lässt sich nicht unterordnen, selbst der eigenen Vergangenheit nicht.

"Don't Stand So Close to Me" zum Beispiel verlangsamen sie, um den Inhalt - der Flirt einer Schülerin mit ihrem Lehrer - so noch brisanter zu machen. Stings markante Stimme scheut zwar vor den hohen Noten oft zurück, doch sein Bass packt einen immer noch, ebenso Summers Solos. Und Copeland springt nur grinsend zwischen seinen zwei enormen Schlagzeugbühnen hin und her, verheizt ein paar Dutzend Drumsticks und hat sichtlich den Spaß seines Lebens.

Spaß war das anfangs freilich nicht unbedingt. "Es ist eine riesige Ehre gewesen, mich wieder mit meinen zwei besten Freunden zusammenzutun", sagt Sting zwar. Doch dann: "Das wahre Wunder dieser Tour ist es, dass wir uns nicht gegenseitig erwürgt haben."

Copeland formuliert es krasser, wenn auch augenzwinkernd: "Es war die Hölle." Die Querelen der drei - vor allem die Szenen zwischen Sting und Copeland - sind Legende. Sie waren mit der Grund für die Auflösung von Police 1984. "Diese Band beginnt, mir auf die Nerven zu gehen", schimpfte Copeland in "Everybody Stares", seinem Super-8-Dokumentarfilm von 2006 über die damaligen Jahre. "Es wird einsam in dieser Gruppe."

Zank und Punk

Als sie sich wiedervereinten, erstmals zur Grammy-Verleihung im Februar 2007, dann drei Monate später zur Welttournee, waren sie zwar "älter und weiser" (Copeland). Doch die gegensätzlichen Temperamente lebten weiter. Mehr noch: Sie waren künstlerisch auseinandergedriftet. Jeder von ihnen war inzwischen ans Solo-Leben gewöhnt und auf seine Art erfolgreich geworden, der eine mehr (Sting), die anderen weniger oder zumindest stiller.

So gab es schnell neues Gerede vom Zank hinter den Kulissen. Dass sie nur auf der Bühne vereint seien, getrennte Garderoben hätten, getrennt kämen und wieder gingen. Dass Sting alleine im Privatjet einfliege und sich für 5000 Dollar Blumen in seine Suite liefern lasse. Dass die Proben - vier Monate in Vancoucer und in Stings Villa in der Toskana - sehr angespannt verlaufen seien. "Ein fragiler Waffenstillstand", titelte das Musikmagazin "Rolling Stone" nach einem Probenbesuch.

Fest steht: Die ganze Zeit reiste ein Psychotherapeut mit ihnen mit herum. "Wir brauchten einen Außenstehenden, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten", sagte Copeland zu SPIEGEL ONLINE. Mit Erfolg: Am Ende hätten sich die letzten Jahrzehnte als "Lawine aus Missverständnissen" entpuppt.

So fanden sie, nach all den Jahren, endlich doch noch einmal zueinander. Das erste Konzert in Vancouver, im Mai 2007, kritisierte Copeland auf seinem Blog noch als "unglaublich lahm" und nannte es, nur halb im Scherz, "unseren ersten Desaster-Gig". Doch dann wurden sie immer besser; in Dublin kamen dann 82.000, um sie zu hören, ein Rekord.

Der Bart ist ab

Im Madison Square Garden laufen sie schließlich zu voller Form auf. Es gibt ja nichts mehr zu verlieren. "Wrapped Around Your Finger", "De Do Do Do, De Da Da Da": Sie werden zu musikalischen Zirkusakten, zu einer einzigen Jam-Session, der sich selbst der pingelige, besserwisserische Sting am Ende nicht entziehen kann. "I guess this is our last goodbye", geht eine Zeile in "Can't Stand Losing You": Ich schätze, das war's dann.

Noch nicht ganz. Nach eineinviertel Stunden verschwinden sie plötzlich, bevor sie ihre größten Hits gespielt haben. Auf den riesigen LED-Leuchttafeln in der Halle erscheint ein grinsender Sting - hinter der Bühne. Und dann lässt er sich dort den grauen Bart, der ihm über die letzten Monate gewachsen ist, in aller Seelenruhe live abrasieren. Die Leute toben und kreischen, und den zweiten Teil der Show absolviert Sting oben ohne - in jeder Hinsicht.

"Roxanne", "King of Pain", "So Lonely" (eine weitere Explosion aus polyrhythmischen Percussions) und natürlich das, worauf alle gewartet haben, "Every Breath You Take": Nach zwei Stunden ist Schluss. Eine Zugabe ("Next To You") noch, eine dreifache Verbeugung, und das ist das Ende von Police.

"Wenn du ankommst, wohin du unterwegs warst", sagte Copeland in "Everybody Stares" über die Auflösung der Band 1984, "dann ist die Fahrt vorbei." Das Leben ging weiter, die Stars wurden älter. Was bleibt, sind die Songs.