Musikverkauf ohne Kopierschutz: Steve Jobs drängt Plattenfirmen, DRM abzuschaffen (original) (raw)
Die Kritik an Apples enger Verknüpfung des Online-Plattenladens iTunes Music Store mit dem iPod-MP3-Player wurde in letzter Zeit immer lauter. Zuletzt hatte der norwegische Ombudsmann Bjørn Erik Thon Apple eine Klage angedroht, wenn die Firma ihr Digitales Rechtemanagement-Systeme (DRM) "Fairplay" nicht bis zum 1. Oktober 2007 auch anderen Anbietern öffnet.
Offenbar als Reaktion auf diese Vorwürfe geht Apple-Chef Steve Jobs nun in die Offensive. Nicht Apple, sondern vielmehr die Plattenindustrie sei schuld an den restriktiven Nutzungseinschränkungen, mit denen Apple und seine Konkurrenten die Käufer legaler Download-Musik drangsalieren.
Das derzeitige System habe Apple nur auf Betreiben der Musikindustrie eingeführt. Nur vier Firmen, Sony BMG, Universal Music, Warner und EMI beherrschen 70 Prozent des weltweiten Musikmarktes, so Jobs. Und mit denen habe man sich eben einigen müssen. Das Ergebnis ist das sogenannte Fairplay-System, welches es unmöglich macht, Songs aus dem iTunes Store auf anderen Geräten als Apples iPods abzuspielen. Umgekehrt sind die Apple-Player auch nicht in der Lage, Musik aus anderen Online-Shops wie etwa Musicload wiederzugeben.
Zu der Vereinbarung mit den Plattenfirmen gehört laut Jobs auch, dass Apple nur wenige Wochen Zeit bleiben, um eventuell auftretende Lücken im Kopierschutz zu schließen. Gelingt das nicht, haben die Plattenbosse das Recht, ihren gesamten Katalog aus dem Online-Verkauf via iTunes zurückzuziehen. Dies sieht Jobs offenbar als ernstzunehmende Bedrohung. Schließlich, so Jobs, gibt es "viele sehr schlaue Leute mit viel Zeit, die es lieben solche Geheimnisse zu knacken und Wege zu veröffentlichen, wie man Kopierschutzsysteme umgehen kann." Deshalb seien alle Firmen, die mit DRM-Systemen arbeiten, gezwungen, ihre Systeme ständig zu aktualisieren und mit immer komplizierteren Mechanismen zu schützen. "Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel," sagt Jobs.
Nur 22 im iTunes Store gekaufte Songs pro iPod
Jobs sieht drei Möglichkeiten, mit diesem Dilemma umzugehen. So könnte man einfach weitermachen wie bisher und jede Firma ihr eigenes geschlossenes System weiter entwickeln. Das Argument, man wäre mit dem Kauf von Musik bei einem der großen Anbieter, also Apple, Microsoft und Sony, automatisch an dessen Hardware gebunden, versucht Jobs mit einer Statistik zu demontieren.
So rechnet er vor, dass Apple bis Ende 2006 insgesamt 90 Millionen iPods und zwei Milliarden Songs verkauft habe. Das entspräche 22 Songs pro iPod. Zudem gibt er an, laut Marktforschung seien die meisten iPods randvoll mit Musik gefüllt. Da die populärsten iPods Platz für rund 1000 Songs bieten, seien also nur 3 Prozent der darauf abgelegten Musik im iTunes Store erworbenen worden. Daraus schließt Jobs, iPod-Anwender seien keineswegs an den iTunes Store gefesselt.
Statistisch mag das korrekt sein. Dabei lässt er allerdings die große Bandbreite unterschiedlicher Nutzungsszenarien außer Acht. So dürfte es einen großen Prozentsatz an iPod-Usern geben, die weit mehr 22 Songs bei Apple erworben haben, diese aber auf mehreren iPods lagern. Denn zu den Vorteilen des Fairplay-DRM zählt, dass legal erworbene Musik auf beliebig viele iPods übertragen werden darf.
Keine Lizensierung von Fairplay
Der Option, Fairplay zu öffnen und an andere Firmen zu lizensieren, erteilt Jobs ein klare Absage. Mit einem solchen Schritt würde Apple die Kontrolle über sein System verlieren, fürchtet er. Schließlich würde eine unüberschaubare Zahl Außenstehender Zugang zu Apples geheimen Verschlüsselungstechnologien erlagen. Jobs sieht es als unausweichlich an, dass in einem solchen Szenario geheime Informationen nach außen dringen würden.
Als Königsweg sieht Jobs daher die, auch aus Sicht der Anwender, einfachste Lösung an: die Musikunternehmen sollen gänzlich auf einen Kopierschutz verzichten. Schließlich, so Jobs' Argument, machen die Plattenfirmen immer noch den Löwenanteil ihrer Umsätze mit CD-Verkäufen.
Zwei Milliarden kopiergeschützt online verkauften Songs in 2006 stehen demnach 20 Milliarden vollkommen ungeschützt auf CD verkaufter Songs gegenüber. Die Frage, welchen Vorteil die Industrie also davon haben könnte, zehn Prozent der Musikverkäufe per DRM zu verschlüsseln, beantwortet der Apple-Chef selbst: offenbar keinen. Vielmehr geht er davon aus, die Musikindustrie könnte nur davon profitieren, sich von DRM-Systemen zu verabschieden. Auf diese Weise könnten sich mehr - und vor allem kleinere - Firmen am Geschäft mit Musik-Downloads beteiligen.
Europa hat es in der Hand
Aktivität erhofft sich Jobs nun von seinen ärgsten Kritikern, den Europäern. "Zweieinhalb der vier großen Plattenfirmen sind direkt in deren Hinterhof beheimatet," sagt Jobs und meint damit die britische EMI, den französischen Universal-Mutterkonzern Vivendi sowie die 50-prozentige Bertelsmann-Tochter Sony BMG.
Folgt man den Äußerungen einiger Musikmanager auf der Branchenmesse Midem, die Ende Januar in Cannes stattfand, könnte Jobs Aufforderung schneller Gehör finden als man bisher vermutete. Als Vorbild könnten Independent-Labels dienen, von denen einige schon seit geraumer Zeit legale Musikdownloads ganz ohne DRM ermöglichen - und dabei nicht schlecht verdienen.
Die großen Companies könnten dieser Leitlinie bald folgen, glaubt etwa RealNetworks-Chef Rob Glaser: "Es wird irgendwann innerhalb der nächsten fünf, wahrscheinlich aber schon innerhalb der nächsten zwei Jahre soweit sein," sagte er gegenüber dem "International Herald Tribune". "DRM-freie Musikdownloads sind eine Idee, deren Zeit gekommen ist", so Glaser. Dem Verbraucher kann das nur recht sein.