Powerpoint-Karaoke: Maulwurf-Pellets für Verwaltungsnerds (original) (raw)
Die Thesen von Edward Tufte sind nicht neu - aber brandaktuell. "Powerpoint ist böse",
schrieb er im Jahr 2003 auf Wired.com
. "Powerpoint korrumpiert - und zwar absolut." Der Kommunikationswissenschaftler hält das Präsentationsprogramm aus dem Hause Microsoft für eine einzige Katastrophe.
Das Programm halte nicht, was es verspreche. Statt Dinge zu erleichtern, erzeuge es Dummheit, vergeude Zeit und mindere die Qualität und Glaubwürdigkeit von Kommunikation. Powerpoint trivialisiere Inhalte auf unzulässige Weise. Es sei einfach nur laut und sehr simpel. Im Grunde müsse Microsoft wegen der schweren Mängel des Programms, das weltweit millionenfach eingesetzt wird, einen Produktrückruf starten - sagt Tufte.
Seine Absichten sind ehrenwert. Er sorgt sich um die sprachlichen Fähigkeiten amerikanischer Schüler, die tumbe Slideshows zusammenklicken, anstatt Aufsätze zu schreiben. Doch gäbe es Powerpoint nicht, dann wäre die Welt um einiges dröger. Denn das Internet ist voll von bizarren Vorträgen über noch bizarrere Themen, die eine Menge Spaß bereiten können als Vorlagen für "Powerpoint-Karaoke".
Powerpoint-Karaoke funktioniert ganz einfach: Kandidaten mit ausgeprägtem Hang zur Selbstdarstellung stellen sich vor eine Leinwand und referieren zu einer Slideshow, die sie vorher noch nie gesehen haben. Jede neue Folie wird zur Herausforderung. Spontanität ist gefragt und Flexibilität, um bei dem Auftritt nicht den Faden und oder das Gesicht zu verlieren.
Dinge "aufsexen"
Die Idee zu Powerpoint-Karaoke entstand in der
- einem Verbund von Künstlern und Journalisten, der auch das Blog
betreibt. "Wir haben im Internet zu bestimmten Themen recherchiert", sagt Holm Friebe von der Agentur. Es sei interessant, wie viele Powerpoint-Präsentationen man dabei finde.
"Unsere Idee ist, sich diese Präsentationen aus dem Netz zu nehmen und sie in einen neuen sozialen Zusammenhang zu stellen." Powerpoint diene oft dazu, Dinge "aufzusexen", sagt Friebe, vor allem im Marketingbereich. Schmale Inhalte sollten so besser aussehen, als sie tatsächlich seien.
Vergangene Woche feierte Powerpoint-Karaoke Premiere in einer Kneipe der Berliner Kulturbrauerei. 18 Präsentationen standen zur Auswahl. Mit knappen Beschreibungen versuchten die Organisatoren, die Fundstücke aus dem Netz den rund 150 Besuchern schmackhaft zu machen.
Etwa den "brettharten Theorieklopper für Verwaltungsnerds" mit dem viel versprechenden Titel
"Strategische und operative Steuerung durch Balanced-Scorecard-basierte Führungsinformationssysteme"
. Oder jenen "kompakten Verhaltensratgeber auf Bauernniveau" über die
. Als echte Herausforderung galten die
"Chinakontakte der IHK-Bochum"
- Kommentar: "Etwas textlastig - hier ist viel Phantasie gefragt".
Die eigene Komik von Slideshows
Mehr als Titel, die Zahl der Slides und ein von der Jury festgelegter Schwierigkeitsgrad wurde allerdings nicht verraten. Neun Vorträge wurden schließlich ausgewählt - pro Präsentation erlaubte die Jury maximal fünf Minuten. Nach jeder Karaoke-Nummer folgte eine gnadenlose Analyse des Gehörten - ganz im Stile einer berüchtigten Castingshow aus dem Privatfernsehen.
Holm Friebe hält die erste Karaoke-Show für einen großen Erfolg, weitere sollen folgen. "Niemand hat sich gelangweilt", versichert er, was bei den Originalvorträgen möglicherweise der Fall gewesen sei.
"Es hat sich gezeigt, dass viele Präsentationen eine eigene Komik haben. Die unbeholfene Art, wie Dinge dargestellt werden." Die oft sehr hermetische Expertenwelt, in die man blicke. "Ein Problem wird solange zerlegt, bis keiner mehr weiß, was das Problem eigentlich ist", sagt Friebe im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Den ersten Platz holte übrigens ein Besucher namens Roland mit seinem Vortrag über
"Pelletspeicher mit Sonnen-Pellet Maulwurf" (Download als Zip-Datei)
. "Mir war bis zum Schluss nicht klar, was Pellets eigentlich sind", bekennt Friebe. "Das Schöne daran ist die Leerstelle. Ich glaube, ich habe inzwischen eine Ahnung, was es sein könnte."
Als Preis bekam der Karaoke-Sieger nicht etwa ein Office-Paket sondern eine DVD-Box mit dem Namen "The Office" überreicht. Die englischsprachige Comedy-Serie sei ideal, um sich in die "staubige Bürowelt" einzufühlen, erklärt Friebe.