Israels Top-Spion bei der Hamas: Letzte Rettung für den "grünen Prinzen" (original) (raw)
Zehn Jahre lang spionierte Mussab Hassan Jussuf im Auftrag der Israelis die Hamas aus. Jetzt könnte der Sohn eines Mitbegründers der Organisation in den USA Asyl bekommen: Sein Leben ist in höchster Gefahr, er steht auf der Abschussliste islamischer Milizen.
01.07.2010, 18.08 Uhr
Als die Entscheidung bekanntgegeben wird, spielen sich vor dem Gericht in San Diego rührende Szenen ab: Dutzende der - zumeist jüdischen - Freunde schließen Mussab Hassan Jussuf in die Arme. Der Sohn eines Mitbegründers der Hamas, der jahrelang für den israelischen Geheimdienst spionierte, bekommt voraussichtlich Asyl in den USA.
Monatelang hatten die Freunde gegen die drohende Abschiebung des Palästinensers gekämpft. Ein ehemaliger Offizier des israelischen Inlandsgeheimdiensts legte eigens sein Inkognito ab, um zu seinen Gunsten auszusagen. Zehn Jahre lang war der Israeli Jussufs Führungsoffizier, Jussuf wiederum sein Informant in der Spitze der radikalislamischen .
Jussufs Karriere vom Steine werfenden palästinensischen Jugendlichen zum Undercover-Agenten der Israelis erscheint beinahe unglaublich. Seine im März in den USA und nun auch auf Deutsch erschienene Autobiografie "Sohn der Hamas. Mein Leben als Terrorist" lesen sich wie die Phantasien eines orientalischen Münchhausen.
Doch gibt es inzwischen kaum noch Zweifel: Jussuf war jahrelang einer der wichtigsten Agenten des Schin Bet. Das israelische Parlament bestätigte dies Anfang der Woche. Das Verteidigungskomitee der Knesset schickte Jussuf ein Dankschreiben, in dem ihm für seinen Einsatz für die israelische Sicherheit gedankt wurde. Gideon Ezra, ehemaliger Vizechef des Geheimdiensts und heute Parlamentsabgeordneter, lobte den heute 32-Jährigen: Im Kampf gegen den Terror habe er mehr geleistet als Hunderte andere zusammen.
"Nicht des Geldes wegen zum Verräter geworden"
Jussuf wird 1978 in den höchsten Hamas-Adel hineingeboren, sein Vater, Scheich Hassan Jussuf, ist später einer der Gründer der radikal-islamischen Organisation. Jussuf wächst in Ramallah auf, wird nach eigenen Angaben schon mit zehn Jahren das erste Mal verhaftet - weil er Steine auf israelische Siedler geworfen habe. Als 18-jähriger Student an der Bir-Zeit-Universität im Westjordanland wird er politisch aktiv. Als israelische Soldaten bei einer Durchsuchung eine gerade gekaufte Pistole bei ihm finden, landet er im Gefängnis.
Gleich zu Beginn seiner Haftzeit bekommt Jussuf demnach Besuch von Agenten des israelischen Inlandsgeheimdienstes: Er solle als Maulwurf für die Schin Bet die Hamas ausspionieren, zu der er doch dank seines Vaters beste Kontakte habe. Jussuf willigt ein, seiner Aussage nach erst mal nur zur Tarnung: Seine Idee sei es gewesen, die Israelis in Sicherheit zu wiegen und zu beobachten, seine Erkenntnisse dann an die Hamas weiterzugeben.
Doch die 16 Monate in israelischer Haft - eine zu frühe Entlassung des frisch rekrutierten Schin-Bet-Manns wäre verdächtig gewesen - lassen ihn offenbar umdenken. Mit ihm einsitzende Hamas-Männer hätten andere Häftlinge so brutal gefoltert, dass er beschlossen habe, tatsächlich für zu arbeiten, schreibt er. Jussuf führt hehre Gründe für seinen Gesinnungswandel an: Ihm sei es nur darum gegangen, Menschenleben zu retten. Obwohl er von nun an auf der Gehaltsliste des Geheimdienstes steht, sei er nicht des Geldes wegen zum Verräter geworden.
Der "Grüne Prinz" der Israelis
In den folgenden zehn Jahren verdingt sich Jussuf als der "Grüne Prinz" für die Israelis. Sein Deckname weist auf die Flagge der Hamas und die Abstammung von seinem prominenten Vater hin. Nach eigenen Aussagen verhindert er in seiner Zeit als Top-Spion mit Zugang zur Führungsriege der Hamas zahlreiche Selbstmordanschläge auf israelische Ziele und trägt zur Verhaftung Dutzender militanter Palästinenser bei. 2001 habe er ein Attentat gegen den damaligen Verteidigungsminister und heutigen israelischen Präsidenten verhindert, so Jussuf. Ein Jahr später führt er seine Führungsoffiziere auch zu seinem eigenen Vater: Indem er dessen Verhaftung herbeigeführt habe, habe er verhindert, dass dieser getötet werden würde, behauptet Jussuf in seinem Buch.
Parallel zu seiner Agententätigkeit entwickelt Jussuf ein starkes Interesse für die christliche Religion. Nachdem er Katechismus-Unterricht genommen hat, lässt er sich 2005 heimlich taufen. Zwei Jahre später verlässt er das Westjordanland und geht in die USA - warum, bleibt unklar. Die Hamas droht ihm womöglich auf die Schliche zu kommen. Dass Jussuf sich verändert hat, wird seiner Familie, und der palästinensischen Öffentlichkeit spätestens 2008 klar, als er sich im US-amerikanischen Exil in einem Interview zum Christentum bekennt.
Die Beamten in der amerikanischen Einwanderungsbehörde zweifeln jedoch an Jussufs Geschichte: Im Februar 2009 verweigern ihm die zuständigen Richter politisches Asyl. Ausgerechnet dem Ex-Spitzel werden "terroristische Aktivitäten" vorgeworfen, er stelle "eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA" dar. In nächster Instanz soll dann darüber entschieden werden, ob er nach abgeschoben wird. Der inzwischen 31-Jährige schreibt sein Enthüllungsbuch - auch, weil ihm das Geld ausgegangen ist.
Die Reaktionen auf sein Geständnis folgen prompt: Sein Vater, immer noch in israelischer Haft, enterbt ihn, die Hamas bezeichnet ihn als Lügner, ihr militanter Flügel setzt Gerüchten zu Folge einen Preis auf Jussufs Kopf aus. Überraschender ist die Reaktion der US-Behörden. Sie verwenden Jussufs Buch gegen ihn. Seine Erzählung, wie er Hamas-Führer zu konspirativen Treffen gefahren habe, beweise, dass er Terroristen unterstützt habe, argumentieren die Anwälte der Heimatschutzbehörde.
Ganz oben auf der Abschussliste der Islamisten
Das ruft die pro-israelische Lobby in den USA auf den Plan: Monatelang kämpfen sie für Jussuf und bekommen acht Abgeordnete des US-Kongresses dazu, sich in einem Brief an den Heimatschutz für den Ex-Agenten einzusetzen. Schließlich können die Lobbyisten Jussufs ehemaligen Führungsoffizier vom Schin Bet überzeugen, seine Tarnung aufzugeben und sich schützend vor seinen Ex-Agenten zu stellen. Gonen Ben-Itzhak reist durch die USA, spricht bei Veranstaltungen zu Ehren Jussufs. "So viele Menschen verdanken ihm ihr Leben und wissen es gar nicht", lobt er seinen ehemaligen Spitzel. Die US-Medien machen sich ebenfalls für Jussuf stark: Das "Wall Street Journal" spricht davon, dass es ein "Ehrverlust" für die Vereinigten Staaten wäre, sollte Jussuf abgeschoben werden.
Schließlich das vorläufige Happy End: Richter Rico Bartolomei entscheidet, dass Jussuf in den USA bleiben kann. Doch die Gefahr für den Palästinenser ist damit noch lange nicht gebannt. Israelischen Quellen aus dem Sicherheitsapparat zufolge steht der Palästinenser ganz oben auf den Abschusslisten islamistischer Milizen. Jussuf selbst gab sich nach dem Gerichtsbeschluss unbeeindruckt: "Ich werde weiter gegen die Ideologie der Terroristen kämpfen, weil ich weiß, wie sie ticken", sagte er zu Reportern. "Ich weiß, dass sie eine reale Gefahr für die Freiheit, für die Menschheit darstellen."