Lynchburg, Tennessee: Wo Whiskeytrinken unter Strafe steht (original) (raw)
Lynchburg - Lynchburg hat es nicht eilig. Die wenigen Läden rund um den Marktplatz des 400-Seelen-Ortes im Südosten des US-Bundesstaates Tennessee sind am Morgen noch geschlossen. Ein Ladeninhaber fegt in aller Ruhe den Bürgersteig, und auf der Veranda nebenan wartet ein Nachbar im Schaukelstuhl entspannt ab, was der Tag wohl bringt.
An der Ruhe ändern auch die Touristen nichts, die eigens in das versteckt in den Bergen liegende Lynchburg kommen. Sie wollen die Attraktion sehen, die Whiskey-Trinker aus aller Welt mit dem südlichen Bundesstaat verbinden: "Tennessee ist bekannt für Elvis, Country-Musik und für Jack Daniel's", sagt Besucherführer Randy Baxter. Rund 200.000 Besucher besuchten jährlich die älteste Whiskey-Destillerie der Vereinigten Staaten.
Baxter, ein Südstaaten-Original mit Jeans-Latzhose, Strohhut, Halstuch und Dreitagebart, zeigt ihnen bereitwillig mit seinen Kollegen, wie bei Jack Daniel's seit mehr als 100 Jahren Whiskey hergestellt wird - Tennessee-Whiskey, kein Bourbon. Darauf wird hier Wert gelegt. Der Unterschied zu herkömmlichem amerikanischen Whiskey besteht im speziellen Herstellungsverfahren, das einst von Firmengründer Jasper Newton "Jack" Daniel entwickelt wurde, und nach dem die Brennmeister auch heute noch die Marken "Old No.7", "Gentleman Jack" und "Single Barrel" destillieren.
Während Baxter schwitzend die Treppe der stickigen Fermenter-Halle erklimmt, gibt er Besuchern eine Einweisung, wie aus den Zutaten Mais, Roggen, Gerstenmalz und Quellwasser Whiskey wird: In den Fermentern - haushohen Stahl-Bottichen - wird aus den Zutaten die so genannte Maische hergestellt. Dabei gärt sie auf natürliche Weise - ähnlich wie beim Ansetzen von Sauerteig zum Brotbacken. Während dieses sechs Tage dauernden Prozesses wandelt sich der Zuckergehalt des Getreides in Alkohol um.
Im nächsten Schritt wird die Maische in 30 Meter hohen Apparaten destilliert. Heraus komme 70-prozentiger Whiskey, sagt Baxter. "Allerdings als kristallklare Flüssigkeit." Seine dunkle Färbung erhalte er erst durch die Fasslagerung. Wäre er ein Bourbon, würde er nach der Destillation direkt in Fässer gefüllt und zum Reifen eingelagert, erklärt Baxter.
Hier in Lynchburg folgt jedoch noch ein Zwischenschritt, um aus der hochprozentigen Flüssigkeit unerwünschte Fettanteile herauszufiltern. Dazu lässt man den destillierten Whiskey zwölf Tage lang durch drei Meter hohe Holzkohlefilter tröpfeln. Dieses langwierige Verfahren mache ihn im Geschmack sanfter und reifer, so Baxter.
Anschließend wird der Whiskey in ausgekohlte Eichenfässer gefüllt und bei natürlicher Temperatur eingelagert. Dann heißt es: abwarten. "Mindestens vier Jahre muss der Whiskey reifen", sagt Baxter. Durch Temperaturschwankungen öffneten und schlössen sich die Poren der Fasswände. Dadurch dringe der Whiskey mehrfach ins Holz ein und wieder aus und nehme auf diese Weise Farb- und Aromastoffe auf. Unvermeidlich geht auch ein geringer Anteil an die Umgebung verloren, wodurch ein verführerischer Geruch die Lagerhallen durchzieht.
Die Firmenleitung achtet sehr genau darauf, dass sich in den Lagerhäusern in den Bergen rund um Lynchburg, wo insgesamt rund 72 Millionen Fässer lagern, nur befugtes Personal aufhält. Dazu zählen die 35 Verkoster, die regelmäßig probieren, ob die Fässer reif zur Flaschenabfüllung sind. "Das ist der Job, den wir hier am liebsten alle machen würden", gibt Baxter zu. Der Nachteil sei nur, dass die Verkoster den Whiskey beim Geschmackstest wieder ausspucken müssen.
Denn genau genommen wäre das Hinunterschlucken des Whiskeys ein Gesetzesverstoß. "Lynchburg befindet sich in einem Dry County - einem trockenen Landkreis", sagt Unternehmenssprecher Roger Brashears. Das bedeute, dass in Lynchburg zwar jede Menge Whiskey hergestellt, dort aber nicht getrunken werden darf. Die Regelung sei ein kurioses Überbleibsel der Prohibition - als in den dreißiger Jahren in den USA Alkoholkonsum unter Strafe gestellt war.
Als die Bundesregierung das Gesetz aufhob, habe sie es den Bundesstaaten überlassen, abschließend darüber zu entscheiden, erklärt Brashears. Einige von ihnen, darunter Tennessee, delegierten die Entscheidung an ihre Landkreise. Doch das Gesetz in Tennessee sehe für derartige Gesetzesänderungen auf kommunaler Ebene eine Mehrheit von mindestens 1000 Stimmen vor - und für die hat Moore County bislang nie genug Einwohner gehabt.