Gereift und geläutert (original) (raw)

Im Foyer des »Pfefferkorn« in Lech am Arlberg simuliert die junge Dame einen Slalomlauf, die männlichen Hotelgäste folgen mit bewundernden Blicken ihren Bewegungen. Schwarze Lackschuhe, goldene Ohrringe, Jeans, Männersakko: Christa Kinshofer-Güthlein, 27, ist wieder da.

Vier Jahre nach ihrem unfreiwilligen Abschwung aus der deutschen Ski-Nationalmannschaft ins holländische Exil ist die, wie »Bild am Sonntag« meint, »notorisch allerliebste Skiprinzessin« heimgekehrt. In Piancavallo, Mitte Dezember, gipfelte das Comeback mit einem Sieg beim Weltcup-Slalom.

Einst als »Glamourgirl« oder »Diva« abqualifiziert und gefeuert, schaffte Christa Kinshofer, was vor ihr noch niemand gelang: die Rückkehr an die Weltspitze nach jahrelangen sportlichen Mißerfolgen. Mehr noch: Im Olympiateam für Calgary, so Klaus Mayr, Damen-Cheftrainer im Deutschen Skiverband (DSV), soll sie »Vorbild für die anderen« sein.

Die »Wiederkehr der Extravaganz«, so die »Süddeutsche Zeitung« über Christa Kinshofer, und ihre Beförderung zur Vorzeige-Athletin waren möglich, weil sich die Strukturen im Team gewandelt haben. Das autoritäre Lehrer-Schüler-Verhältnis, in dem sich kaum jemand traute, »den Mund aufzumachen«

(Kinshofer), ist passe, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung sind gefragt. Da kam eine laut Mayr »in ihrer Persönlichkeit gereifte und geläuterte« Christa Kinshofer gerade recht. »Sie ist der Profi überhaupt in der Mannschaft«, ergänzt Slalomtrainer Edi Reichhart.

Das war nicht immer so. Als Christa Kinshofer 1979, damals 18, nach fünf Siegen in Folge den Riesenslalom-Weltcup gewann, priesen Experten einhellig ihr überragendes Talent. Ein Jahr später reichte es in Lake Placid noch zu Olympia-Silber im Slalom, danach geriet sie bei Trainern, Funktionären und Presseleuten zunehmend in Mißkredit.

Trainer Willi Lesch beklagte die »vielen PR-Termine«, und »Welt am Sonntag« entdeckte eine »Blondine aus der Generation der Anspruchsvollen«, die »Anerkennung ohne Arbeit« fordere.

Für die medien war klar: Die Zehntelsekunden am Steilhang verlor »Kinsi« bei der Segelpartie auf der väterlichen Jacht oder beim Besuch der Münchner Oper. Ihr unverkrampftes Auftreten, das immer strahlende Lächeln, »alles, was mich 1979 zur Sportlerin des Jahres gemacht hat«, wurde zur Ursachenforschung ihrer Mißerfolge benutzt. »Das hat mich schockiert«, bekennt Christa Kinshofer heute noch. Niemand habe ihr abgenommen, daß sie sich über Monate hinweg mit nicht auskurierten Verletzungen geplagt habe.

Weil sie am Ende der Rennsaison 1982/83 nicht genügend Weltcup-Punkte gehortet hatte, flog sie aus der Nationalmannschaft. Das empfand Christa Kinshofer als »grobes Unrecht« - und startete fortan für den holländischen Skiverband. Das ist nach dem Reglement auch ohne Wechsel der Nationalität erlaubt.

Doch was Christa Kinshofer nicht gewußt hatte: Ihr wurden nach dem Verbandswechsel sämtliche Ranglistenpunkte aberkannt, die sie als DSV-Läuferin erworben hatte. Der einstige Weltcup-Star versank in der Anonymität unbedeutender Wettbewerbe, in der Branche Bauernrennen genannt. Oder fuhr, etwa mit der Startnummer 100, auf einer ramponierten Piste chancenlos zu Tal.

Den Trainer, so erinnert sich Christa Kinshofer, habe sie sich mit dem niederländischen Nachwuchs geteilt. Sie war ihr eigener Mannschaftsführer, Chauffeur und bettelte bei Franzosen oder Schweden, zum Aufwärmen vor dem Rennen mal deren Torstangen umkurven zu dürfen.

Abwechselnd begleiteten Mutter, Schwester, Bruder oder Ehemann die Einzelkämpferin und gaben seelischen Beistand, wenn mal wieder »über mich gelächelt wurde«. Nur der Rückhalt der Familie und die »Liebe zum Skisport« aktivierten Restbestände an Motivation: »Ich wollte mir später nicht vorwerfen, nicht alles probiert zu haben.«

Das leben die Eltern vor. Vater Alfred Kinshofer, Maschinenbau-Ingenieur, machte sich 1971 selbständig. Sein Unternehmen umfaßt inzwischen 130 Mitarbeiter und exportiert Hydraulikanlagen in ein Dutzend Länder.

In Miesbach, so stellte die »Zeit« fest, gelten die Kinshofers als »saubere, arbeitsreiche Leit'«. Christa ist »stolz auf die Eltern«, die ihr und den drei Geschwistern eine »wunderschöne Kindheit« ermöglichten. Nur das Skifahren bremste den Weg zum Abitur. »Es gibt Millionen Abiturientinnen«, rechnete ihr seinerzeit der Deutschlehrer vor, »aber nur zehn Mädchen, die so gut Ski fahren wie du.« Christa verließ nach der mittleren Reife das Gymnasium und konzentrierte sich fortan auf den Sport.

Die Kinshofer hat nicht viel gemein mit den anderen Ski-Amazonen, die meist einsilbig und verbissen von einem Rennort zum anderen hetzen und darauf harren, daß der Berg ruft. Sie weiß sich zu verkaufen und zu artikulieren - im gepflegten Tonfall der TV-Sprecherinnen des Bayerischen Rundfunks. Als einzige aus der deutschen Damenriege ist sie verheiratet - mit Reinhard Güthlein, 42, Besitzer eines Sporthauses in Rosenheim. Und in der Residenzstraße, Münchens feiner Couture-Adresse, hat sie ein Geschäft für sportliche Kindermoden eröffnet.

Die finanzielle Unabhängigkeit schafft Distanz zum Metier. Christa Kinshofer fährt, erkannte Mayr, »wirklich nur aus Spaß«. Sie selbst sagt: Erst fernab jeder Publicity »habe ich erkannt, wieviel mir Skifahren bedeutet«. Als 18jährige habe sie »einfach drauflosgelebt«, jetzt fühle sie sich »geimpft fürs Leben«.

Gute Ergebnisse im vorigen Winter und der Trainertausch beim DSV (Mayr für Lesch) ermöglichten die Rückkehr. Die Integration ins Damenteam verlief geräuschlos. Christa Kinshofers Bereitschaft, sich der jüngeren Konkurrenz noch einmal unter gleichen Bedingungen zu stellen, wurde anerkannt.

Mayr schätzt an der »Ausnahmeerscheinung Kinshofer« ein psychisches Phänomen: 90 Prozent aller Mädchen blieben im Wettkampf unter ihren Möglichkeiten, »die Christa fährt über ihrem Maximum«.