»Keine normale Figur in der Hütte« (original) (raw)

Für Wölfchen und Genossen ist es eben verdammt schwierig, den Leuten klarzumachen, was ein Kollektiv ist, welche Lebensphilosophie sich dahinter verbirgt und was es bewirken will. Daß es dabei nicht um Profit geht, daß die Batschkapp-Typen hinterm Tresen, am Eingang und in der Küche beim Broteschmieren ein Stück alternativer Identität suchen, daß sie sich schon deshalb vom üblichen Glimmer-Konsum grundsätzlich unterscheiden.

Gerade an solchen Samstagen wie diesem ist das Kollektiv mit den Nerven runter, restlos ausgelaugt. Wenn die Jungs, so gegen vier Uhr morgens, die letzten Bierleichen auf die Straße getragen haben, ist für sie noch lange kein Feierabend. Da kommen keine Putzfrauen, die den Laden für die nächste Nacht wieder herrichten.

Dann heißt es fürs Kollektiv saubermachen, Theke putzen, Klos schrubben, Kotze wegwischen. In den frühen Morgenstunden gleicht die Batschkapp einem verlassenen Schlachtfeld --Pappbecher und Zigarettenstummel bedecken den Boden, Bierflaschen wie Munitionshülsen, Qualm wie Kanonenschmauch.

»An und für sich würden wir lieber weiter über unsere Blumen reden, aber wir versacken hier in der Arbeit und Problemen«, schrieb das Kollektiv schon wenige Monate nach der Batschkapp-Eröffnung Anfang 1978 im »Pflasterstrand«, der »Zeitung für Frankfurt«.

»Zu einer inhaltlichen Diskussion sind wir gar nicht mehr gekommen. Nach den Veranstaltungen haben wir erst festgestellt, ob sie gut oder schlecht waren. Und das drückte sich nur in positiven Ausflipps oder in totalem Frust aus.«

Doch auch zwei Jahre später ist die Situation im Batschkapp-Kollektiv keine andere. Gereizt, mißmutig, aufgerieben, mit sich und den anderen ziemlich am Ende, trinkt das Kollektiv morgens um fünf Uhr noch ein Bier.

Jeder ist sich darüber im klaren, daß es nicht so weitergehen kann, jeder spürt, daß ihre Perspektive in kaum zwei Jahren zerronnen ist. Alle reden und schreien durcheinander, aber keiner weiß, wie sie sich aus ihrer Misere herauswinden können.

Nur eines ist unmißverständlich klar geworden. Mit acht Jugendlichen läßt sich die Batschkapp nicht mehr organisieren, das geht an die Substanz und bedroht das ganze Projekt.

Schon am Nachmittag müssen sie wieder antreten, Schnitzel braten, Bier rankarren, kaputte Stühle reparieren, für kommende Veranstaltungen neue Plakate kleben.

Wölfchen, Theo, Jochen, Karo, Nobby, Bernhard und Moni, dieses Batschkapp-Kollektiv -- sie sind nicht nur Kinder unserer Zeit, sie sind vor allem Frankfurter Kinder. Eine Stadt, die sie zu Gegnern dieses Staates werden ließ, eine Stadt, für die sie Haß und Verachtung empfinden, ohne die aber ihr Weltbild erst recht lädiert wäre -eine Art Haß-Liebe, die keinen Stillstand kennt, immer neue Nahrung und auch Märtyrer findet.

Wölfchens oder Theos Entwicklung, ihr einsamer Weg in die Sponti-Szene, wäre anders verlaufen, lebten sie nicht in Frankfurt. Vielleicht wären in anderen Städten, etwa München oder Stuttgart, aus ihnen Jusos oder Jung-Unionisten geworden.

Aber in Frankfurt? Eine Junge Union, die nicht mehr anzubieten hat als »Wir wollen, daß Alfred Dregger Bundeskanzler wird« -- Dregger, der Biedermann aus dem katholischen Fulda, dem man in Sponti-Kreisen alles zutraut.

Auch die Jusos haben den Jugendlichen in dieser Stadt weitgehend ade gesagt. Sie verschanzten sich in all den Jahren immer mehr im SPD-Haus, mauschelten nur noch mit Berufspolitikern aus Bonn und Wiesbaden herum. Frankfurt Anfang der achtziger Jahre ist eventuell die Bundesrepublik von übermorgen.

Batschkapp-Abende im Spätsommer 1979: Elke ist fast jeden Tag hier, selbst wenn keine Disco läuft. Elke sagt S.98 von sich: »Ich bin sinnlos«, und lacht dabei keß.

Elke ist ein Nordweststadt-Kind, also in Beton praktisch groß geworden. Das wäre aber nur halb so schlimm, wenn sie etwas mit sich anzufangen wüßte. Seit zwei Jahren ist die 17jährige von der Hauptschule runter, zwei Jahre ohne Lehrstelle und ohne Job.

Sie hat es aufgegeben, sich noch irgendwo zu bewerben. Sinnlos. Eine Perspektive gleich Null, ein Selbstwertgefühl gleich Null, wenigstens eine Afro-Dauerwelle gleich neu. Mutter gab ihr die 70 Mark dafür.

Zu Hause, da draußen in der Nordweststadt, bei ihren Eltern, zwei jüngeren Brüdern und dem Dackel Stupsi, in der 75-Quadratmeter-Wohnung im sechsten Stock, geht ihr »alles so ziemlich auf den Keks«.

Mit ihrem Vater, einem Elektriker, gibt es nur ein Thema: »Entweder findest du jetzt bald eine Lehrstelle, oder du kannst nur noch Putzfrau werden.« Aber wer will schon mit 17 seine Zukunft aufs Putzen stützen.

Die Jugendheime, die Elke so kennt, sind auch nicht gerade lustig. Das wäre etwas für 13- oder 14jährige Bubis, meint sie. Ewig wird Billard gestoßen, Baby-Fußball gebolzt, ab und zu Disco bei Dosenbier und Wurstbrötchen, ein arbeitsloser Sonderschüler als Thekentyp, Hansi heißt er.

Betreuer, die meist in ihrem »Mitarbeiterraum« sitzen, einen auf Selbstfindung machen oder Mau-Mau spielen. Die Räume kalt und ungemütlich, nur ein Dia vom Strand aus Palma de Mallorca schmückt die kahl-graue Wand.

Aber die Batschkapp, das ist für sie ganz was anderes. Schlägereien -okay, Rauschgift -- okay. »Das gibt es in den städtischen Jugendheimen auch, das macht null Unterschied.« In der Batschkapp ist mehr los, nicht alles nur auf »Meerschweinchen-Höhe«.

Elke würde gern den Tresen machen, würde gern mitarbeiten, auch die Klos putzen. Denn hier zu putzen, glaubt sie, das sei ein anderes Putzen als das, was ihr Vater ständig als Berufsziel im Auge hat.

Schon zweimal hat Elke bei Moni angefragt, wie es denn wäre mit der Mitarbeit und so. Moni war da sehr zurückhaltend. Denn die Batschkapp sei nicht irgendein Laden, sondern ein Kollektiv.

»Wir haben 'ne Beziehung zu dem, was wir hier tun«, soll Moni gesagt haben. Auch 'ne politische, weil das »die Alternative ist«.

Na gut, dachte Elke. Was Alternatives, das wäre schon prima. Sie müßte einfach mal mit zuhören, wenn die über Beziehungen und Politik reden. Die Frauengruppe, die von Zeit zu Zeit in der Batschkapp tagte, war nichts für sie. Nicht etwa weil Elke die Mädchen blöd fand. »Die laberten so gestochen daher, da kriegte ich nichts gecheckt.«

Anders bei der Roten Hilfe. Das war echt konkret, Knast und so. Haftbedingungen S.101 für politische Gefangene, die da kaputtgehen, »mausetot« gemacht werden. Die Genossen, auch Rechtsanwälte wie der Willy, die es ja wissen müssen, sagten immer: »Wir müssen raus aus der Isolation, sonst verrecken wir auch noch.«

Die Genossen von der Roten Hilfe empfahlen ihr zunächst einmal den »Pflasterstrand«, den manche auch »Plastikstrand« schimpfen, weil er ihnen nicht kämpferisch genug ist.

Ihr erster Artikel, zu dem sich Elke quälend durchrang, beschäftigte sich mit der Todesursache von Ulrike Meinhof. Den Namen kannte sie ja schon von der Baader-Meinhof-Bande. Später erzählte sie der Moni, daß die Selbstmordgeschichte ziemlich komisch sei.

Moni ging auf Elkes Version nicht ein, sie hatte auch den Artikel nicht gelesen. Aber seither beurteilte das Kollektiv-Mädchen Elkes Entwicklung außerordentlich positiv. Sie hatte nach einer Beratung mit den Genossen auch keinerlei Einwände mehr, wenn Elke mal an der Theke aushalf.

Elke blühte auf, endlich eine Aufgabe, endlich hinterm Tresen. Nach kurzer Zeit kamen ihr auch die richtigen Sprüche über die Lippen. Motzte einer über das »scheißteure Bier«, sagte sie: »Du hast wohl 'nen Vogel. Meinste, wir machen hier die Preise, meinste, daß wir hier Kohle verdienen? Du hast wohl keine echte Beziehung zur Batschkapp, wir sind hier nämlich 'n Kollektiv.«

Willy, der Rechtsanwalt, der auch Tresendienst macht, meint: »Nach bürgerlichen Ansprüchen ist da keine einzige normale Figur in der Hütte drin.«

Wölfchen hätte eigentlich Tresendienst. Aber er saß im Hof vor der Batschkapp und zählte die Züge, die nur zehn Meter von ihm entfernt in Richtung Köln rauschten. Er war fertig, sah das Projekt als gescheitert an, er würde am liebsten aus dem Ausstieg wieder aussteigen. Dann fiele er aber, das war ihm unzweideutig klar, in ein tiefes Loch, in ein Nichts.

Eine Ferne zwischen der bürgerlichen Welt und der Alternative, die Wölfchen noch nie so konkret wie in diesem Moment empfunden hatte, die für ihn immerhin sechs Jahre seines 22jährigen Lebens ausmacht.

Wölfchens Bruch mit dieser Gesellschaft passierte auf der Straße, genau im Kettenhofweg 51. Damals war er 16, noch Schüler, damals redete auch noch niemand von einer Alternative. Damals tobte im Westend der Häuserkampf, Stein um Stein, Knüppel um Knüppel.

Schon bei der ersten Demonstration führten Polizisten Wölfchen im Schwitzkasten ab. Wölfchen heute: »Ich hatte da überhaupt noch nicht durchgeblickt. Am Straßenrand lieferten sich Zivile und Demonstranten eine blutige Schlägerei. Ich war so blöd und hab' versucht, mit den Zivilen zu diskutieren, weil ich dachte, das sind normale Passanten.«

»Da hab' ich einen Kinnhaken kassiert, und sechs Bullen packten mich, warfen mich in den Mannschaftswagen. S.104 Erst nach 24 Stunden war ich wieder frei. Da bin ich rausgekommen, und es war um mich geschehen. Das letzte Portiönchen Vertrauen, das ich noch zum Staat hatte, war weg. Von da war ich bei jeder Demonstration, bei vielen Hausbesetzungen dabei.«

Gemeinsame Kämpfe, das schließt die Reihen, macht unterschiedliche Auffassungen nebensächlich. Vor allem aber ist vielen eine zunächst unüberwindlich erscheinende Schwellenangst genommen worden: zuzuschlagen.

Eine Tatsache, die Wölfchen in der Batschkapp zugute kommt, wenn Rocker oder Besoffene Schlägereien inszenieren. Dann holt er einen alten Besenstiel unterm Tresen hervor und geht hemmungslos dazwischen.

Wölfchen befand sich am Ende des Häuserkampfes in einer brenzligen Phase. Er bestand zwar noch sein Abitur -- das war dann aber auch alles.

»Damals habe ich mir geschworen«, erinnert er sich, »nicht zu studieren, mich nicht noch einmal herumjagen zu lassen. Und eine Lehre kam für mich auch nicht in Frage, weil ich wußte, ich werd' nach einer Woche wieder rausgeschmissen. Ich bin keiner, der auf Kommando springt.«

Trotzdem dachte er sehr lange übers Kommando nach, über Rote Armee Fraktion, Stadtguerilla, Rote Zellen.

Daß Wölfchen heute nicht auf den Fahndungsplakaten des Bundeskriminalamtes abgebildet ist, hat im wesentlichen zwei Gründe. Zum einen merkte er recht schnell den gravierenden Unterschied zwischen einem öffentlich ausgetragenen Häuserkampf, der ja sogar von Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurde, und dem Leben der Stadtguerilla im Untergrund.

Er kannte noch ein paar Leute sehr genau. Er sah auch, wie sehr sie sich veränderten. »Ihr Alltag«, sagt Wölfchen, »ist der totale Streß.«

Zum anderen hatte es Mitte 1977 in der Frankfurter Sponti-Bewegung einen Knacks gegeben. Nach der Ermordung von Buback und Ponto sowie der Entführung von Schleyer war für die Mehrheit der Undogmatischen die Kriegführung der Stadtguerilla nicht mehr nachvollziehbar.

Denn das Prinzip der Roten Zellen, »sofort und überall den bewaffneten Kampf beginnen«, artete für die Spontis in eine rein »militärische Konfrontation« mit der Staatsgewalt aus.

Wölfchen sagt: »Warum ich eigentlich ein Linker geworden bin, weiß ich gar nicht so recht. Ich habe nichts gelesen, noch nicht einmal ein kleines Bändchen vom alten Marx. Wenn wir aufdrehten, dann meist ohne großes Grundwissen.«

Befreiung erträumten sich viele von der Batschkapp -- insbesondere ihr Kollektiv. Zumindest, als sie für den Schuppen, in dem früher die Diskothek »La Baya« hauste, den Zuschlag bekamen. Genau 40 000 Mark Abstand mußten gezahlt werden, und nochmals 100 000 Mark wurden reingesteckt, damit das Ordnungsamt nicht ständig mit der Schließung drohen konnte.

Eine ganz schöne Summe für Wölfchen, Theo, Karo, Moni und für das Kollektiv insgesamt -- gesammelt oder geliehen in und von der Szene, zu der die Karl-Marx-Buchhandlung ebenso zählt wie das »Strandcafe«, die Kneipe »Größenwahn« oder auch der »Pflasterstrand«. Aber langgehegte Erwartungen, die die Spontis mit ihrer S.106 Batschkapp verknüpften, rechtfertigten solch kostspielige Investitionen.

Zunächst gab es wohl keinen, der nicht von der Batschkapp schwärmte. Es wurde gehämmert und gemeißelt, geschreinert und geschrubbt. Das nicht nur wenige Wochen, sondern über ein Jahr.

Stützpfeiler mußten gezogen, Notbeleuchtungsanlagen installiert, Toiletten ausgebaut, Heizungskörper angebracht werden. Aus einer vermoderten Abstellhalle im Keller entstand ein ansehnlicher Übungssaal für Laienspiel, Folklore- und Musikergruppen.

Aber die Pläne gingen noch viel weiter. Eine Tischlerei sollte eingerichtet werden, eine Nähwerkstatt war geplant, Schülern, denen zu Hause wenig Platz und Ruhe blieb, bot das Kollektiv einen Extraraum an, um ungestört lernen zu können.

Es dauerte relativ lange, ehe das Kollektiv seine vom Publikum zugedachte Funktion begriff. Keiner wollte es nämlich zunächst so richtig wahrhaben, daß sie sich unversehens und ungewollt in der Rolle wiederfanden, die sie eigentlich schon der Vergangenheit zugeschrieben hatten.

Nämlich in der unergiebigen Rolle des permanenten Abarbeitens an Gesellschaft und Institutionen, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Nun war es nicht mehr der Häuserkampf, sondern die leidvollen Disco-Abende, die Kaputtmacher-Nächte, nur sie zählten bei den Freaks.

Beinahe vergessen schien der hoffnungsvolle Versuch, eine Gegenkultur zu gründen. Denn die Politszene, mit der das Kollektiv fest rechnete, verschwand leise aus dem Blickfeld. Insbesondere am Wochenende, an den Disco-Abenden, konnten sie schlecht über den »antiimperialistischen Kampf« diskutieren.

Dann dominierte stets die Sozial-Szene, ein Heer von arbeitslosen Jugendlichen aus dem Frankfurter Norden, Typen mit Hoffnung auf Nähe, mit Hoffnung auf Durchbruch, auch wenn es die Fäuste sind.

Wölfchen meint: »Wenn hier eine Gewaltnummer abläuft, sind wir oft machtlos. Denn wir haben mit den Bullen nichts zu tun, die sind gegen uns, auch in solchen Situationen. Wir müssen halt versuchen, uns gezielt zu wehren. Da liegen dann die Knüppel hinterm Tresen. Wenn wir selbst eins draufkriegen, haben wir Pech gehabt. Aber Schiß haben wir keinen.«

Viele Spontis haben schon im Batschkapp-Kollektiv gearbeitet, viele sind auch schnell wieder ausgestiegen, weil sie Angst hatten. Nur Wölfchen und Theo sind praktisch von Anfang an dabei. Manchmal kriegen sie einen Koller, wollen alles hinschmeißen.

Doch am nächsten Abend stehen die beiden erneut an ihrem Platz. »Schließlich haben wir das Ding hier aufgebaut«, erklärt Theo beinahe treuherzig. »Und 60 000 Mark Schulden müssen wir auch noch an die Szene zurückzahlen.«

Wölfchen gesteht: »Okay, ich lebe halt heute, und das ist für mich wichtig. Ich denke eben nicht an morgen und schon gar nicht an übermorgen, sonst würde mir schwindelig.«