Nicht nur Engel (original) (raw)

Gewählt wird, das hat die Düsseldorfer Justizministerin Inge Donnepp angeordnet, nach den Grundsätzen der »allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahl«, nach »demokratischen Spielregeln«. Aber so ganz frei, gleich und geheim möchte es die Sozialdemokratin nun auch wieder nicht haben.

Wahlberechtigte etwa, »bei denen zu befürchten ist, daß sie einen negativen Einfluß ausüben«, können vom Urnengang ausgeschlossen werden, »wenn es die Sicherheit und Ordnung ... erfordert«. Weibliche und männliche Wahlberechtigte müssen getrennt abstimmen und können nur Kandidaten des gleichen Geschlechts aufstellen, die dann auch nur für höchstens ein Jahr gewählt werden können. Und »unmittelbare Wiederwahl ist nicht zulässig«.

Empfänger der Verfügung waren die 40 Strafvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen, deren rund 15 000 Insassen sich auf ein »Übungsfeld sozialen Verhaltens« (Donnepp) begeben sollen: »Gefangenenmitverantwortung«.

Zwar müßte es nach Paragraph 160 des Strafvollzugsgesetzes den Inhaftierten in allen Bundesländern schon länger möglich sein, »an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse« teilzunehmen. Aber wenn in irgendeiner Strafanstalt eine Mitsprache-Mannschaft gebildet wurde, etwa »Gefangenenrat« benannt, dann geschah das meist auf eigenen Anstoß der Insassen -- und blieb mithin ohne zwingende Konsequenzen für die Anstaltsleitung, etwa ein solches Gremium zu Beratungen beiziehen oder bei Entscheidungen anhören zu müssen.

In Nordrhein-Westfalen können nun als »Organe der Gefangenenmitverantwortung« Gruppen oder einzelne Sprecher gewählt werden, ebenso Sprecher-Konferenzen oder Beauftragte für bestimmte Sachgebiete. Bei der Vorbereitung einer Wahlordnung sind sowohl Bedienstete als auch Gefangene zu beteiligen; für die endgültige Form freilich ist der Anstaltsleiter verantwortlich.

»Eine echte Mitverantwortung kann es in weiten Bereichen von der Natur der Sache her nicht geben«, schränkt der Präsident des Justizvollzugsamtes Köln, Werner Ruprecht, ein, der -- zusammen mit dem Chef des Vollzugsamts in Hamm -- die Oberaufsicht über die neuartige Prozedur hat. Immerhin jedoch sollen die Häftlinge dort ein Mitspracherecht erhalten, wo sie bislang allenfalls über Knast-Zeitungen, den Anstaltspfarrer oder einen Anstaltsbeirat honoriger Bürger zu Wort kommen konnten. Mitverantwortung wird beispielsweise gewährt > für die Hausordnung mit Beleuchtungs-, Hofgang- oder Essenszeiten und die Ausarbeitung des Speiseplans,

* für die »Ausgestaltung des Anstaltsinnern«, Einrichtung von Besuchs- und Gemeinschaftsräumen sowie Farbwahl bei Anstricharbeiten, > für die Anlage und Nutzung von Freiflächen wie auch für die Art des Freizeitangebots,

* für Umfang und Auswahl des Funk- und Fernsehprogramms sowie der Gefangenenbücherei. Für »eine gute Sache« hält Professor Ulrich Klug, Direktor des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Universität Köln und engagierter Verfechter einer Liberalisierung des Strafvollzugs, die Donnepp-Verfügung. Kein Wunder freilich, denn Freidemokrat Klug hatte schon als Justizsenator in Hamburg ähnliche Initiativen im Stadt-Staat gefördert.

Die NRW-Verfügung ist der erste Versuch in einem Flächenstaat, der Hamburger »Insassenvertretung« zu folgen. Mindestens zweimal im Jahr müssen nun in dem Bundesland mit den meisten Vollzugsanstalten Zusammenkünfte des Anstaltsleiters mit dem gewählten Gefangenen-Gremium angesetzt werden. Jederzeit können sich überdies die Häftlingsvertreter »mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden« an den Anstaltsleiter wenden -- der bislang ganz nach Laune darüber entscheiden konnte, ob er sich das anhört oder nicht.

Kopfzerbrechen bereiten den Reformern einstweilen noch die in Nordrhein-Westfalen einsitzenden 14 Häftlinge aus der Terrorszene, darunter Angelika Speitel und Norbert Kröcher. Ob auch solche Gefangenen -- meist aggressiv und wortgewandt, erfahren in Wahlprozeduren und in Agitation -- an der Mitbestimmung beteiligt werden können, ist für die Ministerin wie für den Praktiker Ruprecht ein »kritischer Punkt«.

Terroristen sind zwar in der Haft formal allen anderen Gefangenen gleichgestellt. »Aber wenn sie sich bewußt außerhalb des Vollzugs stellen«, sagt Ruprecht, »wenn sie stören und die Anstaltsordnung nicht wollen, dann kann man sie auch nicht mitbeteiligen.« Und zudem »müßten solche Dinge zurückstehen, wo Sicherheit Vorrang hat«.

Ein paar Monate, glaubt Ruprecht, werde es schon dauern, bis jede einzelne Vollzugsanstalt ein Mitverantwortungs-Statut ausgearbeitet und zur Genehmigung vorgelegt hat. Mißverständnissen soll bereits durch die Düsseldorfer Verfügung vorgebaut werden. So dürfen die Sprecher oder Gruppen nur für drei bis zwölf Monate und dann nicht gleich wieder gewählt werden, um, so Ministerin Donnepp, »Machtpositionen zu vermeiden": Kapos mit gutem Draht nach oben, die sich dann immer wieder wählen lassen und allmählich eine Sonderstellung einnehmen könnten, sind nicht erwünscht.

Daß gewählte Organe auch mal »von einer kleinen, renitenten oder radikalen Gruppe besetzt werden«, die dann »negative Ausstrahlungen hat«, mag Aufseher Ruprecht gleichwohl nicht ausschließen. Aber weil das Projekt »insgesamt positiv« sei, will Ruprecht solche Eventualitäten in Kauf nehmen -- denn »wir haben eben nicht nur Engel in den Anstalten«.