Seelisches Oben (original) (raw)

Günter Danek, 30, kam mit elf Jahren, zweitältester von 15 Kindern, zum erstenmal in ein Jugendheim. Er riß 32mal aus, wurde Dieb und Einbrecher und schlitterte hin und her zwischen Gefängnismief und Ganovenmilieu.

Als Danek im Mai 1969 aus der Strafanstalt Willich am Niederrhein wieder mal entlassen wurde, galt er als unverbesserlicher Rückfalltäter. Heute, sieben Jahre danach, ist er ausgebildeter Sozialreferent und hat in Viersen einen Versuch »kollektiver Eingliederungshilfe« aufgezogen, der als Modell für die Wiedereingliederung besonders gefährdeter Krimineller gilt.

»Ich hatte eben Glück«, wertet Danek im nachhinein seien sozialen Aufstieg. Als er mit 70 Mark in der Tasche draußen war und nicht wußte wohin, fand er bei einem Kommunalpolitiker in Viersen Bleibe und Hilfe bei der Arbeitssuche; später heiratete er die Schwester seines Helfers. Aus Daneks Selbsteinschätzung- »Alleine hätte ich es nicht geschafft« -- entwickelte sich der Plan, auch anderen den Start in die Freiheit zu erleichtern.

Die Anfänge, so Danek, »waren natürlich schwierig«. Der Vorbestrafte hat darum, in der benachbarten Anstalt in Willich, in der er selbst lange gesessen hatte, einen Gesprächskreis mit Gefangenen aufziehen zu dürfen. Und der Düsseldorfer Justizminister gab, »wider Erwarten« für Danek, sein Plazet.

Was 1971 als reine Privatinitiative der Eheleute Danek begann, hat inzwischen Kontur und Konzept. Der Sozialdienst katholischer Männer hat sich der Modelleinrichtung angenommen, Danek als Sozialreferenten fest angestellt. Ein Förderkreis, dem 150 Mitglieder angehören, schießt monatlich 1300 Mark zu den Unkosten zu. Ehrenamtlich helfen und raten von Fall zu Fall Rechtsanwalt, Psychologe, Priester. Lehrer, Arzt. Die Stadt Viersen hat für 560 Mark Miete ein Haus überlassen.

Die »Schule der Eingewöhnung«. wie Danek seine Arbeit nennt, beginnt bereits in der Strafanstalt Willich. Jeweils zweimal drei Stunden pro Woche proben Danek, seine Frau und ein pensionierter Lehrer mit je zehn Gefangenen in zwei Gruppen Resozialisierung.

Mit den Häftlingen, die fast ausnahmslos in den nächsten sechs bis zwölf Monaten entlassen werden, diskutieren die Helfer über die wirtschaftlichen Verhältnisse draußen, über Aggression, Vertrauen und Liebe und protokollieren Erkenntnisse wie: »Man bedarf sehr viel Durchstehvermögen und seelisches Oben.« Wenn Frau Danek mit dabei ist, »bewirkt das automatisch eine Kultivierung der Gespräche«.

Wer entlassen wird und nicht weiß wohin, findet dann in einer Wohngemeinschaft in Viersen Aufnahme. In dem Haus können sechs Strafentlassene unterkommen. Jeder hat sein eigenes Zimmer. Es gibt keine Hausordnung und keine starren Regeln.

Ein entlassener Häftling kann so lange bleiben, bis er selbst glaubt, sich künftig allein zurechtzufinden, eine feste Arbeit hat und finanziell gesichert ist. Manche ziehen schon nach zwei Monaten aus, einer blieb 30 Monate. Wer arbeitet, muß von seinem Lohn für Logis 150 Mark Monatsmiete zahlen.

76 Strafentlassene haben seither Gruppentraining im Knast mit Familienanschluß in der Freiheit mitgemacht. Acht sind bislang rückfällig geworden. Gleichwohl wertet Danek die Versagerquote von elf Prozent als »großen Erfolg«, denn keiner der Betreuten hatte weniger als vier Jahre hinter Gittern verbracht. Ohne solche gezielte Hilfe aber liegt die Rückfallquote erheblich höher: Knapp 80 Prozent aller Strafgefangenen, die derzeit in Nordrhein-Westfalen einsitzen, sind Rückfalltäter.