In Gang gekommen (original) (raw)
Auf ihrem Kontrollgang durch die Hamburger Strafanstalt Fuhlsbüttel II fanden Justizbeamte um 9.25 Uhr einen Toten: Heinz-Detlef Krieger, 31, hatte sich mit einer Kunstfaserschnur am Fensterkreuz seiner Zelle erhängt. Anderthalb Stunden danach entdeckte ein Mithäftling noch einen Selbstmörder: Der Krieger-Freund Hans Rohrmoser, 25, hatte sich an einem Wandhaken stranguliert.
Um diese Zeit, am Montag letzter Woche, lag eine Erklärung für den Doppelselbstmord bereits Rundfunk- und Zeitungsredaktionen vor: säuberlich getippte letzte Botschaft der beiden Häftlinge, die ihren Tod als »Protestaktion« ankündigten, gegen unmenschliche Behandlung im deutschen und Hamburger Strafvollzug. Der »Bild«-Zeitung ("Schon wieder Gefängnis-Skandal in Hamburg") war das die Schlagzeilen-Frage wert: »Wer sorgt endlich für Ordnung?« Und für die oppositionelle CDU stand sogar »Hamburgs Ruf auf dem Spiel«. Hinter Schloß und Riegel müsse, so zeigte sich auch die CDU im Bilde, »endlich Ordnung geschaffen werden«.
Wohl selten nur klaffen Tatbegründung und Kommentierung einer Tat so weit auseinander wie bei dem Hamburger Doppelsuizid -- und sind dabei gleich weit entfernt von der Wirklichkeit. Denn weder Freitod noch Law-and-order-Parolen bezeichnen das Problem des Strafvollzugs in Hamburg. Was immer sich gegen die unwürdigen Zustände in bundesdeutschen Strafanstalten sagen läßt: In Fuhlsbüttel, von den Häftlingen »Santa Fu« genannt, wird seit geraumer Zeit ein, so Justizsenator Professor Ulrich Klug, »besonders wohlüberlegter, beispielloser Resozialisierungsvollzug« praktiziert.
Das war lange Zeit keineswegs selbstverständlich. Fuhlsbüttel stand jahrelang und zu Recht in zweifelhaftem Ruf, in dem betagten Backsteinbau kam es immer wieder zu Eruptionen der Gewalt, dort machten Häftlinge deutlich, was »Bambule« heißt, Gelegentlich randalierten an die zweihundert Gefangene, dann wieder verschanzten sich kleine Gruppen aus Protest tagelang auf dem Gefängnisdach.
»Die Anstalt«, so Klug über die unruhigen Zeiten, »war ganz aus dem Ruder geraten«, und dafür gab es, neben anderen, auch diese Gründe: Bauart und Belegung. Die vor siebzig Jahren fünfstrahlig angelegte Ziegel-Zwingburg, in der ein Wachhabender nach dem Willen der Architekten »panoptisch« und »panakustisch« alles wahrnimmt, schafft, so die Gefangenen-Zeitung »HN« schon vor Jahren, eine »von Mißtrauen, Groll und Aggressionen vergiftete Atmosphäre«.
In dieser niederdrückenden Umwelt hausen über 500 »Langzeiter"« Häftlinge, die mindestens drei Jahre, oft gar den Rest ihres Lebens abzusitzen haben -- zumeist »schwierige Typen«, wie ein Beamter weiß, die in Hamburg-Fuhlsbüttel, der ausbruchsichersten Anstalt Norddeutschlands, Bekanntschaft mit einem rückständigen Strafvollzug machten.
Die hanseatische Justizverwaltung, die hei der Strafverfolgung eher traditionell an Sühne und Vergeltung denn an Resozialisierung <lachte, 1964="" 1973="" war="" wegen="" zahlreicher="" mysteriöser="" vorfälle="" im="" untersuchungsgefängnis="" (ug)="" in="" verruf="" geraten,="" die="" erst="" verschwiegen="" und="" dann="" vertuscht="" wurden.="" allein="" zwischen="" kamen="" ug="" acht="" gefangene="" unter="" dubiosen="" umständen="" zu="" tode="" durch="" beamten-prügel,="" mangelhafte="" ärztliche="" versorgung="" oder="" behandlung="" einschluß="" einer="" berüchtigten="" beruhigungszelle,="" der="" »glocke«.<="" p=""></lachte,>
Das änderte sich freilich, als die Hamburger den liberalen Professor Klug aus Nordrhein-Westfalen für ihr Justizressort an die Alster holten. Seit gut zwei Jahren sind vergleichbar schwere Übergriffe von Vollzugsbediensteten und Gewalttaten von Gefangenen nicht mehr zu registrieren. Justizsenator und Anstaltsleiter bemühen sich um einen humanen Vollzug, »der nichts«, so Hamburgs Strafvollzugsamtschef Arno Weinert, »mit weicher Welle zu tun hat«, sondern der den Gestrauchelten »aufbauen« und ihn auf ein Leben in Freiheit vorbereiten soll. »Nur wenn wir die Gefangenen wie Menschen behandeln«, argumentiert Fuhlsbüttels Anstaltsleiter Heinz-Dietrich Stark, »werden wir sie eines Tages auch als Menschen entlassen.«
So dürfen in Fuhlsbüttel heute die Inhaftierten sieh während ihrer Freistunden in der Anstalt und auf dein Hof frei bewegen. Sie haben die großzügigste Urlaubsregelung aller westdeutschen geschlossenen Anstalten und können im Bau ihren Haupt- und Realschulabschluß machen -- auch Krieger und Rohrmoser besuchten einen Realschulkurs. Die Gefangenen treiben Sport, können Englisch und Französisch lernen, in einer eigenen Musikschule das Musizieren. Sogar der Verpflegungssatz pro Gefangenen und Tag (3,95 Mark) liegt höher als anderswo.
»Schnelle Erfolge«, erläutert Anstaltsbeirätin und »Zeit«-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff allerdings, »stellen sich da nicht am nächsten Tag ein wie beim Brötchenbacken.« Gleichwohl hat Hamburg heute schon von allen Bundesländern die niedrigste Quote von Gefangenen, die das Weite suchen, wenn sie Gelegenheit dazu haben: beim erlaubten »Ausgang«.
In den Hamburger Haftanstalten wurde 1974 insgesamt 7210mal Urlaub auf Ehrenwort gewährt, nur 2,9 Prozent der Ausgänger kamen nicht oder nicht pünktlich heim ins feste Haus. Im benachbarten Schleswig-Holstein hingegen durften 1924 Gefangene mal raus, und neun Prozent fanden nicht zurück. Und auch in Bayern, wo es nur selten Urlaub gibt, hielten es 4,6 Prozent nicht genau mit der Rückkehr.
In Fuhlsbüttel kamen im Januar dieses Jahres (79 Urlaube) sogar alle Häftlinge pünktlich zurück -- um so stärker freilich der Schlagzeilen-Lärm, wenn ein gestandener Krimineller wie der Gewalttäter Uwe Ackermann bei einer Ausführung zum Instrumentenkauf abhaut. »Bild": »Es ist ein Justiz-Skandal.«
Dessenungeachtet wollen die Hamburger an ihrem liberalen Kurs festhalten und, wie Weinert sagt, durch »weitgehenden Abbau von Verboten« verhindern. daß »ein Klima des Hasses entsteht«.
Die Gründe für den Doppelselbstmord in Fuhlsbüttel dürften eher »in der Persönlichkeitsstruktur der Täter« (Weinert) zu finden sein. Denn der lebenslange Krieger und sein Intimfreund Rohrmoser (fünf Jahre, drei Monate) faßten ihren Selbstmordentschluß möglicherweise im LSD-Rausch, kamen durch die schon abgeschickte öffentliche Ankündigung ihrer »Verzweiflungstat« in einen »gewissen Zugzwang« (Stark), und dann »ist da eine bestimmte Psychodynamik« » so Weinert, »in Gang gekommen
Denn das ist das Widersinnige: Die Forderungen der beiden, die sie in den Abschiedsbriefen erhoben, »Abschaffung von stupider Arbeit wie Tütenkleben«, »rückwirkende Sozialversicherung« für Gefangene, »Arbeitslohn« und bessere Betreuung durch Sozialarbeiter und Psychologen, gehören längst zum Programm der Hamburger Vollzugsreformer.