Dumme Gedanken (original) (raw)
Der Grundtenor unseres Entwurfs für ein neues Strafvollzugsgesetz«, so doziert der Bonner Ministerialrat Klaus Meyer oft und gern, »ist die Angleichung der Anstalts-Situation an die Verhältnisse draußen.«
Die Anpassung hat längst stattgefunden, wenngleich kaum im Sinne des Leiters des Referats Strafvollzugsrecht im Bundesjustizministerium: Wo immer in der Republik in letzter Zeit die Zahl der Arbeitslosen stieg, da schnellte auch die Zahl der erwerbslosen Strafgefangenen in die Höhe.
im volkreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen ist jeder zehnte der rund 10 000 arbeitswilligen und -fähigen Gefängnisinsassen ohne Arbeit, in niedersächsischen Anstalten hat sich die Zahl der unfreiwilligen Müßiggänger seit 1973 fast verdreifacht. Kein Knast im Saarland, wo nicht Arbeits- in Freizeit umgewandelt würde, und strukturschwache Regionen wie die bayrische Oberpfalz trifft es besonders hart. Ministerialdirektor Ludwig Mayer vom Bayerischen Justizministerium: »Da ist schon mal Sendepause.«
Die Störungen im Arbeitsprogramm bundesdeutscher Strafanstalten, ärger noch als während der Rezession unter CDU-Kanzler Erhard im Jahr 1966, lassen Strafrechtler und Vollzugsexperten Schlimmes konstatieren. Der Hamburger Kriminologie-Professor Horst Schüler-Springorum weiß von »verödender Gammelei« in den Gefängnissen; Arno Weinert. Abteilungsleiter im Strafvollzugsamt beim Hamburger Justizsenator, würde sich »nicht wundern, wenn die Gefangenen in der Situation auf dumme Gedanken kommen«.
Zwar ist Lust zur Leistung bei Strafgefangenen meist gering gleichwohl hat ungewolltes Nichtstun für Eingesperrte bedenkliche Folgen. Es macht sich, wie etwa in der Justizvollzugsaiistalt Koblenz, gelegentlich »Unruhe breit und Aggressionsstau"« so Leiter Heinz Kettner; und Hellmut Ihle, Chef einer der größten Anstalten der Bundesrepublik im westfälischen Werl, wo schon jeder fünfte Gefangene ohne Beschäftigung ist, mag »einen weiteren Abbau der Disziplin« nicht mehr ausschließen. »Es kann zu Meutereien kommen, wenn sich die Beschäftigungslage im Winter weiter verschlechtert.«
Dabei ist sie schon schlecht genug: Ob in der Jugendstrafanstalt Hameln, wo jeder dritte Jungtäter pausieren muß, ob im Kittehen zu Münster, wo ein Viertel der Strafverbüßer in die Röhre guckt -- im Gefängnis gibt"s kaum mehr was zu schweißen. zu falten, zu kleben, zu sortieren. »Wenn die freie Wirtschaft hustet«, so hat Regierungsdirektor Josef Schausten im NRW-Justizministerium erkannt, »dann haben wir gleich Lungenentzündung.«
Soll heißen: Als Folge der wirtschaftlichen Rezession haben die Unternehmer, die einst Klodeckel und Kartons, Kulturbeutel und Kabel, Kraftfahrzeugfilter und Campingliegen, Automaten und Kordeln hinter Gittern herstellen oder bearbeiten ließen. die Arrestarbeit gestoppt oder zumindest gedrosselt. »In diesen Zeiten«, so weiß Rainer Imhorst vom Justizvollzugsamt Köln, »gehen die Betriebsräte gleich auf die Barrikaden«, wenn sie von Gefangenenarbeit hören.
Zwei eigens eingesetzte Arbeits-Akquisiteure für die Haftanstalten in Nordrhein-Westfalen hatten denn auch unlängst beim Rapport bei Justizminister Diether Posser fast nur Mißerfolge zu vermelden. Bei Verhandlungen, so berichteten die beiden Jobsucher, »stellen die Firmen neuerdings die angeblichen Nachteile der Gefangenenarbeit sehr genau heraus« -- beispielsweise »Materialtransportkosten oder die schlechte Arbeitsmoral der Inhaftierten«.
So ließ Posser dreißig Arbeitsinspektoren aus NRW-Haftanstalten über Auswege aus der Misere nachdenken. Resultat: Anstelle von Nachthemden sollten die männlichen Gefangenen Schlafanzüge tragen -- um der unter Auftragsflaute leidenden Schneiderei in Werl zu helfen.
Und Inhaftierte, die trotz heimeigener Notlösungen nicht an Arbeit kommen, sollen trotzdem »nicht den ganzen Tag gegen die Zellenwand gucken« (Werl-Chef Ihle): Um monatelange Wartezeiten auf einen Arbeitsplatz zu überbrücken und einem »Vollzug des Gammelns« (Gerhard Bulczak, Chef der Jugendstrafanstalt Hameln) entgegenzuwirken, wird in Münster öfter Tischtennis und Handball, in den Hafthäusern von Herford häufiger Karten gespielt. Und in Werl basteln sie.
Das sind freilich Notlösungen, die laut Schüler-Springorum »nur das eine für sich haben, daß der Gefangene nicht völlig verludert«. Wesentliche Resozialisierungsziele indes bleiben unerreicht. »Der Gefangene«, so klagt Bulczak in Hameln, »lernt das Nichtarbeiten, und gerade das Gegenteil wollen wir bewirken.«
Wohl werden Weiterbildungskurse angeboten, doch die Arretierten sind, so der Bonner Ministerialrat Meyer, wenn überhaupt, dann »vor allem an körperliche Arbeit gewohnt«. Und fehlende Muskelmaloche hatten wohl auch Münsteraner Strafgefangene im Sinn, als sie kürzlich in ihrer Knast-Postille »Reflex« resignierend fragten: »Wer kann schon Monate oder Jahre untätig in einem Raum vön knapp acht Quadratmetern leben, ohne körperlichen, aber vor allem seelischen Schaden zu nehmen?«
Kaum einer. Und zusätzlich zu solchen Psycho-Problemen bringt Arbeitsausfall den Gefangenen auch noch finanzielle Sorgen: Zwar erhalten Häftlinge, die unverschuldet arbeits- und erwerbslos wurden, ein monatliches Taschengeld -- in NRW bis zu fünfzehn Mark.
Doch diese Minimalbeträge -- noch niedriger als die ohnehin schon geringen Arbeitslöhne -- reichen nach den Beobachtungen des Hamburger Strafvollzugsexperten Weinert »zumeist nicht aus, sich ausreichend mit Kaffee, Zigaretten oder Tee zu versorgen«.
Folge laut Weinert: »Der Schwarzhandel blüht, Tausch- und Leibgeschäfte werden getätigt« -- zumeist seien dabei sehr hohe Zinsen üblich, »so daß man nach einem Monat häufig bis zum Doppelten zurückgeben muß.«