Freddy, die Ratte (original) (raw)
Als Weihnachten vorüber war, lag der Häftling Hans Peter Vast tot in der Zelle. Der 25jährige war, am 27. Dezember letzten Jahres, blutig geschlagen und getreten, am eigenen Erbrochenen erstickt.
Zu Pfingsten kamen die Häftlinge Robert Williams aus England und Stacy Hata aus den USA noch einmal davon. Sie wurden zusammengeschlagen. Im Gesicht des kaum 1,50 Meter großen Hata drückte einer der Peiniger seine Zigarette aus. Diagnose des Anstaltsarztes Eckard Reith: »Leichte Verschorfung«, spätere Klinikdiagnose: »Verbrennungen zweiten Grades.«
Geprügelt wurde immer mal wieder im Mannheimer Landesgefängnis (Anstaltsjargon: »Landes") und fast immer auf die gleiche Tour: »Sie rissen meine Tür auf«, berichtet ein Exhäftling, »riefen, »du sollst zum Inspektor kommen', und als ich aus der Tür war, wurde ich von hinten niedergeschlagen und in den Keller geschleppt. Dort haben sie mich mit Füßen getreten und bewußtlos geschlagen.« Ein Beamter, der es wissen muß, zum SPIEGEL: »Ja, so ist es wohl meistens vor sich gegangen.«
Und so kam es zu einem der größten Gefängnisskandale in der bundesdeutschen Geschichte -- ähnlich der Kölner »Klingelpütz'-Affäre (wo geisteskranke Häftlinge mit Spritzen und Gummiknüppeln drangsaliert wurden) und ähnlich den Schindereien und Schludereien im Hamburger Strafvollzug (wo in acht Jahren sechs Häftlinge umkamen).
Acht Vollzugsbeamte der Mannheimer Haftanstalt ("Alle so um die 25 Jahre, keine alten Haudegen«, so Ministerialdirektor Thomas Rösslein vom Stuttgarter Justizministerium) sitzen nun selbst in der Zelle; ein neunter, der im Ausland Urlaub macht, soll nach seiner Rückkehr festgenommen werden. Anstaltschef Edmund Recher wurde beurlaubt. Justizminister Traugott Bender brach seine Schwarzwaldferien ab. Benders Vorgänger, der jetzige Oppositionsführer im Landtag Rudolf Schieler (SPD), sprach von einem »unvergleichlichen Sumpf«.
Freilich, auch schon zu Schielers Zeiten wurden Mannheimer Häftlinge gequält. Als der an einer schweren Hirnhautentzündung erkrankte Ernst Christ, damals 28, am Abend des 7. Juli 1971 vor Schmerzen laut jammerte, warf ein Vollzugsbeamter vom Hof aus Steine durch das Zellenfenster, sperrte den Wimmernden in die Beruhigungszelle und drehte bei nahezu dreißig Grad Außentemperatur die Heizung voll auf. Beamte, die tags darauf den toten Christ bargen. erinnern sich: »Auf dem Fußboden hätte man Spiegeleier backen können.«
Das Verfahren gegen Christs Peiniger wurde eingestellt wie in nahezu allen Fällen, die der Mannheimer Staatsanwaltschaft zur Untersuchung vorlagen. Auch als ein Häftling am 27. Juli letzten Jahres krankenhausreif in seiner Zelle lag -- noch heute laboriert er an einer Hodenverletzung -, wurde kein Schuldiger gefunden. Nachdem die fraglichen Beamten »ein strafbares Verhalten entschieden in Abrede« gestellt hatten, so der beispielhafte Einstellungsbeschluß vom 7. März 1974, »steht somit Aussage gegen Aussage«. So wurde auch der Fall des Taxi-Fahrers Uwe Walter erledigt, der im Juni mit zwei anderen Häftlingen der Sonderbehandlung unterzogen worden war ("Die haben sein Gesicht zu Brei geschlagen«, so ein Mithäftling).
Auch nach dem Tod des Häftlings Vast wurde das Verfahren kurzerhand eingestellt: »Das Ergebnis der Ermittlungen«, so Staatsanwalt Ewald Schindler, »ist unbefriedigend.« Erst als die Stuttgarter Ministerialen einen Widerspruch zwischen dem Obduktionsbefund ("Erhebliche äußere und innere Verletzungen, die nicht ohne Fremdeinwirkung hervorgerufen worden sein können") und den staatsanwaltlichen Vermutungen ("Im Haftkoller heftige Stöße mit dem Kopf gegen die Wand") festgestellt hatten, wurde die Mannheimer Staatsanwaltschaft von Stuttgart aus zu einer zweiten Ermittlungsrunde gezwungen.
Und als dann der Frankfurter Gefangenenrat einen ganzen Katalog vermuteter Quälereien in die Öffentlichkeit lancierte, drängte es auch Justizminister Bender nach der »rückhaltlosen Aufklärung des ungeheuren Vorwurfs, in der Landesvollzugsanstalt Mannheim seien nachts schlagende Rollkommandos tätig«.
Eine zwölfköpfige Sonderkommission aus Beamten des Stuttgarter Landeskriminalamtes und der Mannheimer Kripo versucht nun aufzuklären, was Kenner des »Landes« schon lange vermuten, womit Vollzugsbeamte in ihrer Stammkneipe »Scharfes Eck« seit Jahren prahlen und was gleichwohl der Aufsichtsbehörde verborgen blieb.
Sie ermitteln gegen Schläger und Händler, Gefangenenhasser wie Kollaborateure. Ein Ex-Häftling:,. Bei den Bullen kriegst du alles, vom Schnaps bis zur Unterhose. wenn du nur richtig zahlst, und wenn du nicht richtig zahlst, kriegst du ein paar in die Fresse.« Der Häftling Dieter Hess kaufte am 18. Mai sogar einen Entlassungsschein. Er durfte auch regelmäßig in die Stadt gehen, mal zum Friseur, mal, zusammen mit seinem Bewacher, zu Bekannten in einen Massagesalon.
Möglich machte solche Extratouren allemal Freddy, genannt die »Ratte von Soho«, ein wegen 220 Einzelstraftaten seit 1972 einsitzender Häftling, der es zum Kalfaktor gebracht hatte und eine ansehnliche Streitmacht von Unterkalfaktoren dirigieren konnte.
Schon melden Häftlinge auch aus anderen baden-württembergischen Gefängnissen Schikanen und Mißhandlungen. Und in Mannheim selbst rechnen die Insassen nicht einmal langfristig mit Besserung. Ein Gefangener, der vor der Sonderkommission aussagen sollte, will auf dem Wege zur Vernehmung von einem Vollzugsbeamten bedroht worden sein: »Paß auf, was du sagst, wir zahlen dir alles heim.«