Im blauen Karo (original) (raw)

Ach wär' ich doch ein Hund«, stöhnt »Herbie«, Kolumnist des »Trallenkieker«, dann »bliebe ich gesund«, zumal dann ein »Auslauf von mindestens 6 qm bereitzustellen« wäre. Im Kummerkasten des gleichen Blattes gibt ein Leser zu bedenken: »Sollte man nicht die Zuteilung von 4 Blatt (1!!) Toilettenpapier, die man uns täglich zubilligt, aufheben?«

Der »Trallenkieker« aus Neumünster (Schleswig-Holstein) ist eine der jüngsten von gut zwei Dutzend Zeitungen, die in westdeutschen Gefängnissen geschrieben und gelesen werden. Ihre Namen sind zumeist von Presse und Fernsehen inspiriert wie »Aktuell«, »Dialog« und »Der kleine Spiegel« oder dem Milieu entlehnt wie »Die Mauer«, »Der Riegel« und »Im blauen Karo«.

Ihre Redakteure sind Häftlinge, »fast ausnahmslos längerdienende Schicksalsgenossen« (so die Landsberger Anstaltszeitung »Wir") und nicht selten solche, die in der Biedermann-Sprache »Intelligenzverbrecher« geheißen werden: Abiturienten wie einer der Redakteure des »Lichtblicks« aus Berlin-Tegel (lebenslänglich wegen Mordes) oder mitunter Prominente wie der Photo-Millionär Hannsheinz Porst, der während seiner (mittlerweile verbüßten) Haft in Landsberg »Wir« -- Mitarbeiter war.

Die Blätter spiegeln allesamt die Tristesse des Strafvollzugs wider, die resozialisierungsfeindlichen Zustände in westdeutschen Gefängnissen, wo das Licht nur hell genug ist, »um schlechte Augen zu züchten« (so ein Häftling »Im blauen Karo« der Strafanstalt Münster), wo »der Haß untereinander ein bißchen schlimm ist« (so eine Insassin des Frankfurter Frauengefängnisses im »Kleinen Spiegel"), wo »Aggressionen durch ... sexuelle Not hervorgerufen werden« (so der »Contakt« des Celler Männergefängnisses).

»Der Wasserhahn«, schreibt einer bissig in der »Mauer« der Strafanstalt Saarbrücken, »befindet sich einfachheitshalber über der Toilette -- sitzt jemand auf derselben, hat er Gelegenheit, sich auch gleichzeitig den Rücken zu duschen.« In einem Leserbrief an den »Lichtblick« heißt es: »Inhaftierte haben wohl keine Würde mehr, die mit Schlafdecken« die 30 Jahre alt sind und stinken, zu verletzen ware.

»Resozialisierung?« -- ein Wort mit Fragezeichen, eine »abgedroschene Phrase« für einen Häftlingsautor des »Drachen« in der Strafanstalt Bayreuth. »Reformen« -- für das »Blaue Karo« eine Schnecke, »die sich tags-über einen Meter vorwärts schleppt, um in der Nacht vielleicht einen halben Meter zurückzurutschen«.

Und doch ist es schon ein winziges Stück vorweggenommener Reform, daß es in einem Zehntel der westdeutschen Strafanstalten ein Forum für das freie Wort in Unfreiheit gibt. Immerhin hatte noch 1963 das Oberlandesgericht zu Schleswig entschieden. Sinn und Zweck des Strafvollzugs erforderten das Verbot der freien Meinungsäußerung, um das Strafübel »eindringlich spürbar zu machen«.

Doch im Apo-Jahr 1968 brach mit einem bißchen mehr Demokratisierung im Strafvollzug eine Gründerzeit für Häftlingszeitungen an, und ein »Jahr später mußte eine Geste des Bundespräsidenten den »Mitbürgern in der Strafhaft« (Gustav Heinemann) erscheinen wie ein Lichtblick: Mit »Lichtblick«-Redakteuren sprach das Staatsoberhaupt in Tegel; Im Präsidialamt zu Bonn empfing Heinemann zwei Monate später »Weg«-Mitarbeiter, die gerade aus dem Gefängnis in Hannover entlassen worden waren.

»Der Weg« ist die größte (Auflage: 5000) und teuerste (Herstellungskosten 1970: 17 000 Mark), »Der Lichtblick« (Auflage: 2500) ist die freieste Gefängniszeitung. Während anderenorts die Gefängnisredakteure zumeist von Wohlwollen oder Willkür der Herausgeber (Anstaltsleiter oder -lehrer, Fürsorger oder Pfarrer) abhängen und beispielsweise die Häftlingszeitung »Wir« den Leiter der ZDF-Sendung »Aktenzeichen XY«, Eduard Zimmermann, nicht einen »Menschenfänger« nennen durfte, gereicht das Tegeler Blatt seinem Untertitel zur Ehre: »Unabhängige unzensierte Zeitung«; Anstaltsleiter Wilhelm Glaubrecht kann die Zeitung erst lesen, wenn sie gedruckt ist und die Auslieferung läuft.

Ob frei oder kontrolliert, ob im Hochdruck oder mit Hilfe eines Hektographiergerätes hergestellt, ob nur drinnen oder auch draußen verbreitet -- gemeinsam ist allen Blättern das erkennbare Bemühen, Lebenshilfe zu gewähren: durch ein paar Nachrichten ("In der Kirche findet eine Matinee der Verkehrspolizei statt"), durch ein bißchen Schule ("Streichen Sie die Ihrer Meinung nach falsch geschriebenen! falschgeschriebenen Wörter aus"), durch etwas Kurzweil ("Knast-Kreuzworträtsel«, »Die lachende Mauer") und vor allem durch Tips in Rechtsfragen ("Wiedererlangung der Fahrerlaubnis") wie zum persönlichen Wohlergehen ("Trimm dich auf der Zelle").

Manchmal können Erfolge gemeldet werden -- so in Tegel, wo das Warenangebot des Neckermann-Gefängnisladens erweitert wurde; so in Münster, wo sich eine Besuchszeitverlängerung von einer Viertel- auf eine halbe Stunde erreichen ließ; so in Hannover, wo »Der Weg« im Sportteil Begegnungen mit Mannschaften der Polizei und der Bundeswehr melden konnte: »Die Mauer ist in diesem Fall nur ein willkommener Gegenstand, um Aus-Bällen Einhalt zu gebieten.«

»Der Weg«, der in einigen Exemplaren bis nach Kanada gelangt, nimmt sich ohnedies aus wie eine Public-Relations-Zeitschrift für den modernen Strafvollzug. Das aufwendig aufgemachte Blatt sucht einen Teil der Herstellungs- und Portokosten durch Spenden aus der Privatwirtschaft hereinzuholen. Dafür druckt es kostenlos Anzeigen ab: So kann Eto für Speisen werben (die sich Häftlinge nicht kaufen dürfen), Kubin für Rechenmaschinen (die Häftlinge nicht brauchen), Fischer für ein Buch zum Preis von 22 Mark (das sich Häftlinge kaum leisten können), und das »Sonntagsblatt« zeigt sich gar mit den Statussymbolen Schirm und Melone an. Die gut gepflegten Industrie-Kontakte trugen dem Blatt auch andere Anzeigen ein: pro Ausgabe über zwanzig Stellengesuche für Vorbestrafte.

Berlins »Lichtblick« hingegen, weit kritischer, beschreibt die Arbeitsstätten in der Anstalt und meldet, wo »relativ gutes Arbeitsklima« oder »eine von Mißtrauen und Aggressionen geschwängerte Atmosphäre« herrscht. Das Redaktionsteam im »Verwahrhaus für Langzeiter« kritisiert die geringe Entlohnung ("60 bis 150 Pfennig pro Tag") für die »Staatssklaven«; so werde »dem Gefangenen während seiner Haftzeit praktisch das Recht genommen, wenigstens den materiellen Schaden seiner Tat zu begleichen«.

Gleichermaßen erkennt »Der Lichtblick«, daß die Häftlingsarbeit den Anstalten nicht wirklich Mehrwert verschafft: »Wie ein Leitfaden zieht sich die Bilanz der Unwirtschaftlichkeit durch alle deutschen Strafanstalten, die trotz Vollbeschäftigung keine Chance haben, aus den roten Zahlen herauszukommen.«

Bei aller Kritik ist »Der Lichtblick« dabei so informativ, daß ein Tegeler Strafvollzugsbeamter in der »Neuen Gerichtszeitung« klagte: »Wir Wachtmeister müssen in der Häftlingszeitung nachlesen, was es in unserem Beruf Neues gibt.«