Wie im Hotel (original) (raw)
Den Stuttgarter Justizminister Dr. Rudolf Schieler, 41, beschäftigt die Frage, ob die Gefängnisverwaltungen in Baden-Württemberg künftig »wohl Bettzeug, Bidets und Präservative bereitstellen« müssen. Ausgangspunkt der Überlegung: Schieler möchte verheiratete Häftlinge, Männer wie Frauen, vom Zwangszölibat In der Haft befreien. Denn, so ein Anstaltspfarrer zum Minister: »Die größte Not der Gefangenen ist die sexuelle Not.«
Sozialdemokrat Schieler läßt, als erster deutscher Justizminister, Möglichkeiten einer geeigneten Nothilfe in seinem Geschäftsbereich umfassend überprüfen (Aktentitel: »Intensivierung ehelicher Kontakte während des Strafvollzugs"). Die mißlaunigen Reaktionen einer Gesellschaft, die vom Vergeltungsdenken im Strafvollzug immer noch mehr hält als von der Resozialisierung der Verurteilten, kalkuliert er ein. Schieler: »Es geht nicht darum, eine Art Knast-Puff einzurichten.«
Vielmehr, das Tabu-Thema ist ebenso ernst wie alt. Nicht erst neuerdings beschäftigen sich Wissenschaftler wie Juristen mit dem Not-Problem der Homosexualität hinter Strafanstaltsgittern. Nicht erst neuerdings erkennen Mediziner wie Psychologen: »Sexuelle Not der Gefangenen bedeutet seelische Not«, so der leitende Arzt des baden-württembergischen Strafvollzugskrankenhauses Hohenasperg, Dr. Gerhard Mauch. Doch wie der Not abzuhelfen wäre, blieb Justizministern und Gefängnisdirektionen unklar.
Erst im letzten Herbst sahen einige von ihnen gangbare Auswege -- auf einer Studienreise durch schwedische Haftanstalten. So besichtigten die
Bei einer Diskussion mit Häftlingen der Landesstrafanstalt Bruchsal.
deutschen Experten auf ihrer Straf-Expedition durch das sozialdemokratische Musterland »Urlaubsanstalten« für Strafgefangene. Dort können die Häftlinge, meistens gegen Ende ihres Arrestes, mit Frau und Kindern zusammenleben und so die Bindung an Ehe und Familie aufrechterhalten oder wieder festigen.
In manchen Haftanstalten besichtigten die Studienreisenden auch sogenannte »Ehezellen«, in denen Gefangene -- bisweilen jede Woche -- mit ihrer Ehefrau ohne Aufsicht zusammensein dürfen.
Dem Stuttgarter Minister Schieler, Teilnehmer der Schwedenreise, erschien die Möglichkeit zum Intimkontakt der Häftlinge mit ihren Ehepartnern als ein so wesentlicher Beitrag zur Resozialisierung, daß er sogleich seine Strafvollzugsexperten um Stellungnahme bat. Die baden-württembergischen Strafanstalts-Chefs sprachen sich für ein »vorsichtiges Vorwärtstasten« aus. Ziel: eine »Neuregelung der Besuchserlaubnis für Ehefrauen von Gefangenen, die auch einen Intimverkehr einschließt«.
Doch die Anstalts-Direktionen machten auch auf zahlreiche Schwierigkeiten aufmerksam, die einer sexuellen Liberalisierung im Strafvollzug noch im Wege stehen. So befürchtete das Wachpersonal in Haftanstalten > verstärkte Aggressionen bei unverheirateten Häftlingen, die den Verheirateten (25 Prozent der Strafgefangenen) die ehelichen Kontakte während der Haft neiden lind sich selbst »benachteiligt« fühlen könnten;
* psychologische Belastungen für die Häftlinge, falls sie nach dem Besuch des Ehepartners von Zellengenossen gehänselt werden oder sich beim ehelichen Besuchstermin unter dem Eindruck des Gefängnismilieus als impotent erweisen;
* zusätzliche Probleme für weibliche Strafgefangene, deren Ehemänner häufig Im angetrunkenen Zustand zur Sprechstunde in den Frauengefängnissen erscheinen.
Zudem sind die deutschen Haftanstalten für den Austausch von Intimitäten denkbar ungeeignet eingerichtet. Einer der südwestdeutschen Gefängnisvorsteher zu seinem Justizminister: »Unter den heutigen Anstaltsumständen ist es der Frau eines Gefangenen einfach nicht zumutbar, wie die Kuh zum Bullen geführt zu werden.«
Im Stuttgarter Justizministerium werden zwei Möglichkeiten erwogen, um Sex- und Häftlings-Atmosphäre voneinander zu trennen: Die Strafanstalten sollen Schlafzimmer, vielleicht auch Räume wie in einem Stundenhotel erhalten, oder die Gefangenen könnten sich außerhalb der Gefängnisse mit ihrem Ehepartner treffen.
Minister Schieler will »in allernächster Zeit« erste Intimitäten hinter Gittern zwischen Eheleuten zulassen, »um Erfahrungen zu sammeln«. In »geeigneten Anstalten und für geeignete Gefangene« soll zunächst die »Möglichkeit des intimen Gesprächs« mit dem Ehepartner geschaffen werden. Nach erfolgreichen Sprechkontakten ist an »die Schaffung geeigneter Besucherräume sowie die Errichtung kleinerer Urlaubsanstalten« gedacht, in denen es nicht bei zärtlichen Worten zu bleiben braucht.
Schielers Reform-Experimente sollen, ginge es nach dem Minister, nicht auf Baden-Württemberg beschränkt bleiben. Daher wird er das Thema im Strafvollzugsausschuß der Bundesländer sowie -- im Frühjahr in Niedersachsen -- auf der nächsten Justizministerkonferenz zur Sprache bringen. Denn, so Schieler: »Wir möchten in dieser komplexen Sache keinen Alleingang wagen.«
Konservative Kollegen, die in der Stuttgarter Haftreform den Euch der Libertinage wittern könnten, will der Minister besänftigen. Keinesfalls soll in Baden-Württemberg unverheirateten Gefängnisinsassen der Intimverkehr gestattet werden. Damit, so Schieler, »würden wir doch ganz in die Nähe von Kuppelei und Bordell kommen«.
Auch zwei Kategorien verheirateter Häftlinge nimmt der Minister von seiner Reform aus: Untersuchungsgefangene, da sie »Intim-Kontakte zu Verdunkelungsabsprachen und anderem mißbrauchen« könnten, und Triebtäter Schieler: »Wir müssen doch verhindern, daß nachher im Besucherzimmer eine Leiche zurückbleibt.«