Diese Menschen (original) (raw)

Leichtfüßig rannte der Strafgefangene Wolfgang Barth*, 21, seinen Verfolgern davon, angefeuert mit Rufen: »Lauf, Junge, lauf.« 24 Mitgefangene hasteten hinterher.

Erst nach 5000 Metern reckte Barth sich und machte ein paar Knie-

* Es handelt sich um ein Pseudonym. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

beugen: Auf der Aschenbahn der Braunschweiger Technischen Universität hatten er und seine Konkurrenten die letzte Leichtathletik-Übung für das Deutsche Sportabzeichen in Bronze absolviert.

Die Leibesübung war Teil eines Programms, das Oberregierungsrat Wolfgang Grützner, 39, Leiter der Strafanstalt Wolfenbüttel, zur Resozialisierung seiner Schützlinge entwickelt hat. Zusammen mit der Volkshochschule richtete er beispielsweise Kurse für Werken und Basteln ein, und im vergangenen Jahr gab er Häftlingen Gelegenheit, das Abschlußzeugnis der Volksschule zu erlangen.

Dann erinnerte sich der ehemalige 400-Meter-Läufer Grützner: »Auch der Sport ist ein gutes Mittel, das Selbstbewußtsein zu fördern.« --

Grützner wandte sich an Studien-Freund Martin Bühne, einst Diskus-As und heute Leiter des Sportinstituts der Braunschweiger TU: »Meister, Sie müssen mir helfen.«

Meister Bühne half. Vom Frühjahr bis Mitte vergangenen Monats kam der TU-Sportrat jeden Freitag mit zwei Assistenten ins Gefängnis und brachte jungen Strafgefangenen auf dem Sportplatz der Anstalt Springen, Laufen, Werfen und Stoßen bei.

Die Leibesübungen zeigten Erfolg. Gefängnis-Mann Grützner entdeckte bei seinen Leuten »Fairneß und Achtung vor dem Gegner«, Sportsmann Bühne fand Ehrgeiz ("Die schinden und quälen sich") und Talente. So Bühne über den 5000-Meter-Häftling Barth: »Wenn der richtig trainiert, dann kann er die 5000 Meter unter 15 Minuten laufen« -- und würde damit zur niedersächsischen Spitze aufschließen.

Beim Niedersächsischen Landessportbund freilich fand man, daß ein rechter deutscher Sportler -- streng nach Alivater Jahn -- nicht nur frisch, fromm und fröhlich, sondern vor allem frei zu sein habe. Sportbund-Chef Albert Lepa, 60, lehnte es kategorisch ab, den Wolfenbütteler Häftlingen »das Sportabzeichen zu verleihen: »Wir verleihen keine Sportabzeichen an Zuchthäusler.«

Vom Gefängnisdirektor darauf aufmerksam gemacht, daß ein Gefängnis kein Zuchthaus ist, beharrte der ehemalige Finanzbeamte Lepa: »Es kommt überhaupt nicht in Frage, daß das Sportabzeichen an diese Menschen verliehen wird.«

Als wäre das Sportabzeichen ein Adelsprädikat, empfindet Lepa es als »Zumutung, daß die sich da im Gefängnis in ihrer Strafkleidung versammeln, und dann geht einer von uns hin und verleiht denen ein Ehrenzeichen«.

Obwohl Jurist Grützner darauf verwies, daß die Sportabzeichen-Bedingungen keine Vorschriften enthalten, »die der Verleihung ... entgegenstünden«, blieb Lepa seinen Prinzipien treu: »Wenn die Leute wieder frei sind, dann können sie ja in unserer Gemeinschaft auch wieder mitmarschieren.«