Blut an der Wand (original) (raw)

Fünf Tage forschte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft, des Stadtstaat-Parlaments, nach den Hintergründen der Affäre. Unermüdlich verhörte er Gefängnisbeamte, Staatsanwälte und einen Senator. Die erste Unterbrechung gönnten sich die Inquisitoren erst, als der erschöpfte Ausschußvorsitzende um fünf Minuten Pause bitten mußte. Es ging darum, wie die hamburgischen Behörden den Tod des Untersuchungshäftlings Ernst Haase behandelten, der am 30. Juni 1964 in der »Glocke« genannten Beruhigungszelle des Untersuchungsgefängnisses umgekommen war (SPIEGEL 8 und 10/1966). Noch während der Ausschuß tagte, wurde einem Aufseher, dem UG-Chef und einem Arzt des UG-Zentralkrankenhauses vorsorglich »die Führung der Dienstgeschäfte« verboten.

Schließlich verabschiedete der Untersuchungsausschuß in einer Nachtsitzung am Dienstag letzter Woche einen 50 -Seiten-Bericht für die Bürgerschaft und empfahl, »bei der Geschäftsverteilung im Senat den hamburgischen Bevollmächtigten in Bonn nicht gleichzeitig mit der Leitung der Gefängnisbehörde zu beauftragen«. Mit anderen Worten: Die beiden Ämter, die gegenwärtig Senator Gerhard Kramer in Personalunion verwaltet, sollen zwecks strafferer Dienstaufsicht getrennt werden.

Doch der Ausschußbericht war dem Parlament noch nicht zugegangen, da erregte sich Hamburg schon über einen zweiten Todesfall im Untersuchungsgefängnis. Lokalblätter deckten auf, daß am 5. Dezember 1965 der Zimmermann Paul Karczewski, 42 - als Verkehrssünder zu drei Wochen Gefängnis verurteilt -, nach einer Behandlung in der »Glocke« ums Leben gekommen war.

Nach zwei amtlichen Bescheinigungen starb Karczewski einmal aus »unbekannter« und einmal aus »natürlicher Ursache«. Ein Leichenbesichtigungsprotokoll mit dem Hinweis eines Arztes, die Todesursache sei »durch Sektion zu klären«, geriet bei der Kriminalpolizei in die verkehrte Akte. Karezewski wurde beerdigt und erst Ende letzten Monats exhumiert. Vorläufiges Obduktionsergebnis: Rippenbrüche links, Bruch der großen Zehe rechts.

Da half es nichts, daß Senator Kramer die Öffentlichkeit mit dem Hinweis zu beruhigen suchte, ein Beauftragter des Internationalen Roten Kreuzes habe in den letzten fünf Jahren bei zwei Besuchen in Hamburger Gefängnissen »nicht den geringsten Anlaß zu Beanstandungen gefunden«. Was als Hamburger Lokal-Skandal begonnen hatte, bewirkte nun eine bundesweite Debatte über die Methoden des deutschen Strafvollzugs.

An Diskussionsstoff fehlte es nicht:

- Im Kölner Gefängnis »Klingelpütz« starben 1964 Anton Wasilenko, 36, und 1965 Mohamed Ali Tok, 26. Wasilenko war im Gefängnislazarett in der Badewanne mit dem Gummiknüppel traktiert worden. Tok bekam ebenfalls Prügel und anschließend eine Gehirnblutung.

- In Berlin konstatierte ein Rechtsanwalt am ganzen Körper seines Mandanten, des in die Thyssen-Bank-Affäre verwickelten Finanzmaklers und Untersuchungshäftlings Karl-Heinz Wemhoff, 39, blutunterlaufene Stellen nach Aufseher-Schlägen.

- Im hessischen Zuchthaus Butzbach schlug ein Wärter im vergangenen Jahr auf den Landarbeiter Maximilian Schreiner, 40, derart mit dem Gummiknüppel ein, daß die Haut aufplatzte und Blut an die Zellenwände spritzte.

- Über Mißhandlungen in der bayrischen Strafanstalt Straubing berichtete der Gefangene Edmund Engelbrecht, 38 (siehe Kasten Seite 43). Einmal aufgepeitscht, überspülte die Enthüllungswelle die fast wieder zur Ruhe gekommene Hansestadt noch einmal: Diskutiert wurde nun der neun Jahre alte Fall des Wilhelm Beiße, der 1957 im Hamburger UG nach dem Judogriff eines Aufsehers an den Folgen eines Schädelbruches gestorben war. Die Staatsanwaltschaft hatte dem trainierten Beamten eine Notwehrlage zugute gehalten und das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Diskutiert wurde schließlich der Fall des Mädchens Lilian Papke, 19, das nach eigenen Angaben im vorigen Jahr in der Hamburger Männer-»Glocke« mit dem Gummiknüppel beruhigt wurde.

Und am Mittwoch letzter Woche setzte es im Hamburger Untersuchungsgefängnis schon wieder Hiebe. Mit Kehlkopfverletzungen landete Uwe Möller, 26, im Krankenhaus.

Das Opfer ist Aufseher, der Schläger Häftling. Eine neue Variante im Hamburger Strafvollzug gewinnt Kontur. Es drischt nicht mehr die Obrigkeit. Die Gefangenen prügeln jetzt ihre Wachtmeister.

Bild-Zeitung

Übrigens, was gibt's Neues im UG?

Karczewski-Exhumierung in Hamburg: Rippenbrüche links