Furcht vor dem Sieg (original) (raw)

Im Jahre 1886 sprach ein Kaufmann, Agent der britisch-schwedischen Waffenfirma Nordenfelt, im griechischen Marineministerium vor. Er offerierte, was keine Großmacht hatte haben wollen: der Welt erstes kriegstüchtiges U -Boot. Ich bin griechischer Patriot, sagte der Händler. Der Minister kaufte.

Kurze Zeit nach diesem Geschäftsabschluß klopfte, derselbe Handelsmann in Konstantinopel (Istanbul) an die Hohe Pforte und warnte - als guter Türke - vor der neuen Untersee -Macht der feindlichen Griechen Erfolg: Die Türken kauften zwei U-Boote.

Sodann begab der Reisende in Waffen sich nach St. Petersburg. (Leningrad) und verwies, auf die im Schwarzmeer drohende türkische Gefahr. Die Russen kauften vier U-Boote.

Der U-Boot-Fischzug zwischen Athen, Konstantinopel und St. Petersburg war das Gesellenstück jenes Mannes, der sich innerhalb weniger Jahrzehnte zum mächtigen Waffenzaren emporhandelte und wie kaum ein anderer die Kriegs -Spiele in aller Welt in Szene setzen half. Sir Basil Zaharoff einer der skrupellosesten und bislang rätselhaftesten Akteure hinter den weltpolitischen Kulissen der Jahrhundertwende. Sein Motto: »Ich machte Krieg, um an beide Seiten Kanonen zu verkaufen.«

In einem Buch mit dem Titel »Peddler of Death« ("Hausierer des Todes") hat jetzt der englische Historiker und Journalist Donald McCormick, Auslands -Nachrichtenchef bei der Londoner »Sunday Times«, den Versuch unternommen, »Leben und Zeiten des Sir Basil Zaharoff« (so der Untertitel) zu rekonstruieren*.

Ausgangspunkt der Waffenhändler -Karriere war ein Job als Bordell -Schlepper in Konstantinopel. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn war Zaharoff Mitglied von 300 Aufsichtsräten, Besitzer mehrerer Banken und Eisenbahngesellschaften, ihm gehörten Hotels, Ölquellen, Kohlengruben, Fabriken und Werften. Die Krupps zählten zu seinen Geschäftsfreunden, der spätere Chef der deutschen Abwehr, Admiral Canaris, zu seinen Freunden. Die Franzosen machten ihn zum Kommandeur der Ehrenlegion, die Engländer schlugen ihn zum Ritter des Britischen Empire. An Zaharoffs Frackbrust durften 298 Orden und Ehrenzeichen aus 31 Nationen prangen.

Restlos läßt sich die dunkle Existenz des Waffen-Hausierers Zaharoff nicht mehr aufklären. Zeitlebens hat er sich mit Erfolg bemüht, seine Spuren zu verwischen. So klagte schon der österreichische Schriftsteller Robert Neumann ("Mit fremden Federn"), der bereits 1934, zwei Jahre vor Sir Basils Tod, eine Zaharoff-Biographie, versucht hatte: Man erkundigt sich nach seiner Geburtsurkunde. Aber leider wurde das Kirchenregister durch Brand vernichtet. Man forscht im Archiv des Wiener Kriegsministeriums nach einem Dokument über ihn. Die Akte ist vorhanden, doch sie ist leer.«

Autor McCormick sichtete für seine Zaharoff-Biographie die einschlägigen Jahresbände von rund 25 bedeutenden Tageszeitungen in Europa und Asien, durfte erstmals die geheimen Firmendokumente des britischen Waffenkonzerns Vickers einsehen und studierte diplomatische Papiere mehrerer europäischer Regierungen. McCormick: »Dieses Buch war mehr eine Detektivarbeit als eine des Schreibens.«

Umstritten blieb trotz dieser Recherchen, ob Zacharia Basilius Zaharoff (oder Zacharie Vasiliou Zacharoff Basile) 1849 oder 1851 geboren wurde, ob er als Russe, Pole oder Grieche, als Sohn einer reichen türkischen Mutter oder eines armen jüdischen Vaters in Odessa Anatolien, Albanien, Bulgarien oder den Londoner Whitechapel-Slums zur Welt kam.

Sicher ist nur, laut McCormick, daß Zaharoff, nach kriminellen Halbstarkenjahren in Konstantinopel, 1872 in England auftauchte - als Angeklagter (wegen Unterschlagung) vor einem britischen Gericht.

Er etablierte sich, wie der britische Biograph entdeckte, zunächst als Ehemann einer wohlhabenden Sägemühlenbesitzerstochter in Bristol, sodann als Kaufmann auf Zypern, schließlich (nach

Verabschiedung der mittlerweile mittellosen Ehefrau) als Gelegenheitskellner, Fremdenführer und politischer Agent in Athen. Dort endlich startete er seine Rüstungs-Karriere: 1877 ernannte ihn die Waffenfirma Nordenfelt zu ihrem Vertreter in Athen.

Fortan pendelte der vielsprachige Kosmopolit, »wandelbar wie ein Chamäleon«, (McCormick), zwischen Paris und London, Berlin, Petersburg und Wien. Er war, wie er selbst seine Verkaufstaktik rühmte, »ein Russe in Rußland, in Griechenland ein Grieche, ein Franzose in Paris«.

1894 wechselte Zaharoff, inzwischen als geheimnisvoller »Mr. Zetzet« berühmt, als freier Agent zu der britischen Waffenfirma Vickers über. Den japanischen, Vize-Admiral Matsumoto bestach er mit 800 000 Goldmark: Die Japaner kauften von Vickers den Panzerkreuzer »Kongo«.

Allein im, Jahre 1905 zahlte Vickers seinem begabten Waffenverkäufer mehr als anderthalb Millionen Goldmark Provision. Zaharoff ließ sich in Paris nieder, gründete einen eigenen Geheimdienst, kaufte Banken und Zeitungen. Nach Kräften gab er nebenher seinen romantischen Neigungen nach. Zaharoff: »Frauen sind die besten Verbündeten.« Gewinnträchtigste Alliierte war die spanische Herzogin Villafranca, die Zaharoff auf einer Reise im Orient-Expreß gewann: Die herzogliche Freundin machte ihren Einfluß am spanischen Hof geltend und verschaffte dem Waffen -Weltbürger Millionenaufträge.

Nahezu an jedem der Jahrhundertwenden-Kriege nahm Sir Basil Zaharoff auf seine Weise teil - am Salpeter-Krieg zwischen Bolivien und Chile (1884), am spanisch-amerikanischen Krieg (1898), am Burenkrieg (1899 bis 1902), am russisch-japanischen Krieg (1904 bis 1905). Er erntete jeweils auf beiden Seiten und armierte nacheinander die Griechen gegen die Türken, die Türken gegen die Serben, die Serben gegen die Österreicher.

Zaharoff schürte die Weltkriegsangst und machte seine eigene Europa-Politik. So lancierte beispielsweise einer seiner Pariser Agenten, ein Mann namens Ledoux, 1907 auf Wunsch des deutschen Waffenfabrikanten Paul von Gontard ("Deutsche Waffen- & Munitions-Fabriken") im französischen »Figaro« eine - unwahre - Meldung, wonach die französische Armee über »eine bessere Maschinengewehr-Ausrüstung« verfüge als die deutsche. Erfolg: Der Deutsche Reichstag bewilligte 40 Millionen Mark zur Beschaffung von MGs. Einer der Lieferanten war die Gontard-Firma - die wiederum mit der Zaharoff-Firma Vickers liiert war. Erst ein Jahr später deckte der Abgeordnete Karl Liebknecht die Konspiration der Waffenhändler vor dem Reichstag auf.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, lieferte der Waffenhändler wieder an alle Fronten. Es waren, zumindest teilweise, Zaharoff-Minen, die englische Schiffe in die Luft jagten, und türkische Zaharoff-Kanonen, mit denen deutsche Artilleristen an den Dardanellen englische Infanterie-Bataillone dezimierten - mit englischer Munition.

Eine Kriegsangst kannte allerdings auch Zaharoff: Er fürchtete Blitzsiege, gleich auf welcher Seite. Zaharoff: »Deutschland war 1914 viel leichter verwundbar, als es selbst oder der Westen sich vorstellte. Ich hätte den Alliierten drei Punkte zeigen können, an denen sie das feindliche Rüstungspotential total hätten vernichten können. Aber das hätte ein Geschäft ruiniert, das in mehr als einem Jahrhundert aufgebaut wurde ...«

Zaharoff half den Krieg verlängern. Er sorgte dafür, daß ein im Oktober 1914 von den Franzosen aufgebrachter Frachter, der 2500 Tonnen Nickel für die Firma Krupp an Bord hatte, seine Fahrt ungehindert fortsetzen konnte. Und als 1916 der französische General Malleterre plante, die Hochöfen und Stahlwerke von Briey nördlich von Metz zu bombardieren, intervenierte Zaharoff, vor allem bei dem damaligen Briten-Premier Lloyd George, dessen Willfährigkeit er sich durch Ausspähung des - nicht unanfechtbaren - Privatlebens des Premiers erzwungen hatte. Erfolg: Das geplante Bombardement unterblieb.

Mitunter spielte der Waffenhändler selbst die Rolle eines Agenten und Spions im Bond-Format - meistens im Auftrage Lloyd Georges.

Die Deutschen wußten von seiner Späh-Tätigkeit. Als Zaharoff - kurz vor dem Eintritt Amerikas in den Krieg - von einer Amerika-Mission auf einem Passagierschiff nach Europa zurückkehrte, tauchte plötzlich ein deutsches U-Boot auf, ein Offizier enterte den Dampfer und verlangte die Auslieferung von »Herrn Zaharoff, Kabine 24«.

»Erst als das U-Boot wieder in Deutschland ankam«, so berichtet Biograph McCormick, der diese Episode von dem damaligen britischen Marine -Attaché in Washington, Sir Guy Gaunt, erfuhr, merkten die Deutschen, daß der Mann, den sie gefangen hatten, nicht Basil Zaharoff war, sondern sein Sekretär, den er als Double mitgenommen hatte.«

Im letzten Kriegsjahr, 1918, reiste Sir Basil unerkannt durch Deutschland - in der Uniform eines bulgarischen Armee-Arztes, den Zaharoff-Agenten in der Schweiz gekidnapt hatten. Hinweise auf die Resultate dieser Reise fand McCormick in den »Documents Politiques de la Guerre«, in den Kriegsaufzeichnungen des französischen Premierministers Georges Clemenceau. Das Späh-Ergebnis aber bewertete Clemenceau als »die wichtigste Spionage -Information des ganzen Krieges": Deutsche Agenten, die er noch aus der Zeit vor dem Kriege kannte, hatten den Durchreisenden wissen lassen, daß spätestens für den Herbst 1918 mit einem revolutionären Umsturz in Deutschland zu rechnen sei (bis zu Zaharoffs Deutschland-Reise hatten die Alliierten ihren Sieg für frühestens Ende 1919 erhofft).

Nach Weltkriegsende wandte sich der Kriegs-Verdiener einer neuen Branche zu: dem Handel mit Erdöl. Um den Weg zu den Ölfeldern des Mittleren Ostens freizubekommen, schürte er, unterstützt von dem Briten-Premier Lloyd George, abermals zu einem Krieg zwischen Griechen und Türken.

Zwei Jahre dauerte das anatolische Massaker (1920 bis 1921). Dann hatte der Kranke Mann am Bosporus, von Kemal Atatürk zu neuem Leben erweckt, sowohl die Großmachtträume Griechenlands als auch die Pläne Zaharoffs zerstört. Der Kaufmann verlor drei bis vier Millionen Pfund Sterling, die Griechen zahlten mit 100 000 Toten.

Es war der einzige Krieg, bei dem Sir Basil Zaharoff verlor. Er geriet bei der britischen und französischen Öffentlichkeit in Mißkredit, seine Karriere ging dem Ende zu.

Er fand Zeit zu Dingen, zu denen er jahrelang nicht gekommen war. Im Alter von mehr als siebzig Jahren ehelichte er 1924 die lang verehrte spanische Herzogin von Villafranca - sie starb 18 Monate später. Zaharoff: »Eine magere Dividende für einen Mann, der 40 Jahre lang so viel in eine Leidenschaft investiert hat.« Noch als Achtzigjähriger, so Biograph McCormick, jagte er Debütantinnen nach und plante sein »Liebesleben nach dem Terminkalender«.

Bis zu seinem Tode intrigierte er auf der politischen Hinterbühne, vor allem gegen den Völkerbund und die humanitären Ideen des US-Präsidenten Woodrow Wilson. Noch in späteren Briefen, so etwa an Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, bekundete er seine Besorgnis über den in Europa sich ausbreitenden Pazifismus.

Daß die Waffenruhe nicht von Dauer war, erlebte der einstige Waffenzar nicht mehr. Am 29. November 1936 starb Basil Zaharoff in einem Hotel nahe jenem Etablissement, das der geschäftige Hasardeur in Nationalgefühlen ein Jahrzehnt zuvor erworben hatte: dem Spielkasino Monte Carlo.

* Donald McCormick: »Peddler of Death«. Verlag Holt, Rinehart and Winston, New York; 255 Seiten; 5,95 Dollar.

Waffenhändler Zaharoff, Ehefrau (1924): Verkleidet durch Deutschland

Japanische Zaharoff-Geschütze im russisch-japanischen Krieg 1905 (bei Schusanpo) Kanonen für alle