Des Türken Tod (original) (raw)

Um den Geburtstag seiner Ehefrau mit einem Stadtbummel zu feiern, beendete am vergangenen Montagnachmittag der Leiter der Kölner Strafanstalt Klingelpütz, Regierungsdirektor Walter Balensiefer, 59, vorzeitig seinen Dienst. Als das Ehepaar gegen 18 Uhr nach Hause kam, wartete ein Kurier des Kölner Generalstaatsanwalts Dr. Walter Haas.

Der Bote übergab ein dienstliches Schreiben des nordrhein-westfälischen Justizministers Dr. Artur Sträter. Balensiefer entnahm der Kurier-Post, daß er mit sofortiger Wirkung seiner Amtsgeschäfte enthoben worden war - »im Hinblick auf die bekannten Vorkommnisse in der von dem Beamten geleiteten Anstalt«, wie der Minister in einer Presseverlautbarung bekanntgab.

Die Vorkommnisse: Prügelnde Beamte, verletzte Häftlinge, mysteriöse Todesfälle im Klingelpütz. Sie addierten sich zur jüngsten Affäre im deutschen Strafvollzug - ein rheinisches Gegenstück zum Hamburger »Glocken«-Mißklang.

Aber während das hansische Parlament den Tod des Amerikaners Ernst Haase in der Isolierungszelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses prompt durch einen Untersuchungsausschuß zu klären begann, nahmen sich die Nordrhein-Westfalen Zeit. Balensiefer wurde erst suspendiert, als in Düsseldorf durchsickerte, daß die SPD-Opposition seine Abberufung fordern wollte. Der Rechtsexperte der SPD-Landtagsfraktion, Dr. Josef Neuberger: »Wenn das Ministerium nicht Lunte gerochen hätte, wäre dieser Schritt nicht schon jetzt getan worden.«

Daß der Häftlingstod im Klingelpütz umgeht, war allerdings schon im vorigen Herbst ruchbar geworden. Damals erstattete die Ehefrau des Vertreters Anton Wasilenko Strafanzeige, nachdem ihr Mann am 22. Juli 1964 im Alter von 36 Jahren laut offiziellem Befund an »Herzschwäche« in Untersuchungshaft gestorben war. Die Witwe mochte an diese Todesursache nicht mehr glauben, seit ein Reporter des Kölner Boulevardblatts »Express« ihr erzählt hatte, daß ihr Mann nach Augenzeugenberichten gefesselt in der Badewanne sitzend schwer mißhandelt worden sei.

Nach und nach drang die Kunde von weiteren Todesfällen im Klingelpütz durch:

- Armin Milewski, 19, erhängte sich am 9. Mai 1964 in seiner Zelle, nachdem er mehrfach vergeblich um Verlegung in eine Gemeinschaftszelle gebeten hatte.

- Der türkische Gastarbeiter Mohammed Ali Tok, 26, starb am 4. Oktober 1965, nachdem ihn laut Häftlings-Aussagen ein Aufseher geschlagen hatte.

Des Türken Tod mobilisierte Istanbuler Zeitungen, das türkische Generalkonsulat in Köln und schließlich auch das türkische Parlament, das einen Abgeordneten und einen Senator auskunftheischend nach Düsseldorf sandte.

Folge: Im Dezember wurden zwei Aufseher vom Dienst suspendiert, die den Türken betreut hatten, und der Justiz-Ausschuß des Landtags erheischte erstmals vom Sträter-Ministerium Auskunft über die Vorgänge im Klingelpütz.

Nach der ministeriellen Versicherung in geheimer Sitzung, alle Vorwürfe würden »straff und energisch« geprüft, verzichtete auch die SPD-Opposition auf die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Die straffe und energische Prüfung oblag Oberstaatsanwalt Dr. Paul Klein und damit einem Mann, dessen Vorgesetzter, Generalstaatsanwalt Dr. Walter Haas, zugleich Chef des Kölner Strafvollzugs ist. Nach dem Justizaufbau in Nordrhein-Westfalen bekleidet der Generalstaatsanwalt in Personalunion sowohl das Amt des höchsten Ermittlungs- als auch das des höchsten Vollzugsbeamten - und das heißt, daß er bei Übergriffen im Strafvollzug gleichsam gegen sich selbst ermitteln muß.

Anfang März dieses Jahres entschloß sich Minister Sträter, die hausinternen Ermittlungen zu intensivieren. Er ließ die Leiche von Wasilenko exhumieren.

Aber erst fünf Wochen nach der Exhumierung, am 13. April, gab der Minister den Obduktionsbefund preis: Die Leiche Wasilenkos weise »einen Schädelbruch, einen Rippenbruch und Anzeichen für einen Bluterguß über dem rechten Auge« auf. Mithin sei »nicht auszuschließen«, daß die Wasilenko -Verletzungen »auf Mißhandlungen durch Aufsichtsbeamte zurückzuführen sind«.

Erste Konsequenz: Die beiden Wasilenko-Aufseher Fuchs und Naudet wurden vom Dienst suspendiert. Als 14 Tage später auch Balensiefer seinen Posten räumen mußte, waren bei der Kölner Staatsanwaltschaft schon 30 Ermittlungsverfahren gegen Arzte und Aufsichtsbeamte der Strafanstalt Klingelpütz angelaufen.

Suspendierter Klingelpütz-Chef Balensiefer

Lunte gerochen

Klingelpütz-Häftling Wasilenko

Rippen gebrochen

Kölner Strafanstalt Klingelpütz: In Fesseln gebadet