»WENN ER EINS AUFS NASENBEIN BEKOMMT« (original) (raw)
Gegen den »Eindruck, als herrschten im Strafvollzug ungesetzliche Methoden, die die KZ-Praktiken ... angeblich noch weit übertreffen«, hat sich der »Bund der Strafvollzugsbediensteten e.V.« in einer Denkschrift gewehrt. Der Berufsverband, dem 80 Prozent der rund 12000 deutschen Vollzugsbediensteten angehören, verteidigt die Aufseher in Gefängnissen und Zuchthäusern gegen Vorwürfe, die noch aufsehenerregenden Todesfällen - etwa in der Beruhigungszelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses - laut geworden sind. Die Denkschrift fordert zugleich eine Reform des deutschen Strafvollzugs, mehr Aufsichtspersonal für Gefängnisse und Zuchthäuser, bessere Ausbildung der Strafvollzugsbediensteten, moderne Haftanstalten und ein Strafvollzugsgesetz. Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten ist Regierungsdirektor Dr. Werner Ruprecht. Leiter der größten Strafanstalt der Bundesrepublik in Werl.
SPIEGEL: Herr Dr. Ruprecht, Ihr Verband hat sich in einer Denkschrift dagegen verwahrt, daß Strafvollzugsbedienstete öffentlich »Schläger, Sadisten, uniformierte Folterknechte, KZ-Schergen und Henker« genannt werden.
RUPRECHT: Wir wehren uns gegen derart unsachliche Angriffe. Im Dritten Reich freute sich schließlich jeder politische Gefangene, wenn er in eine Strafanstalt eingeliefert wurde, die der Justiz unterstand, weil dort nicht einmal damals Prügel üblich waren wie in den KZ's oder bei der Gestapo.
SPIEGEL: In der Beruhigungszelle des Hamburger Untersuchungsgefängnisses, der sogenannten Glocke, starb der Amerikaner Ernst Haase, nachdem Beamte ihm sein Gesäß »zu Butter« geschlagen hatten, wie ein Arzt befand. In der Kölner Strafanstalt Klingelpütz sollen neben anderen die Gefangenen Tok und Wasilenko in der Badewanne mit Knüppeln traktiert worden sein. Beide starben. Drei Aufsichtsbeamte wurden vom Dienst suspendiert.
RUPRECHT: Die Fälle sind noch nicht abschließend geklärt und gewiß nicht typisch für den deutschen Strafvollzug.
SPIEGEL: Im Düsseldorfer Gefängnis schlug ein Aufseher einem anstaltsfremden Lastwagenfahrer mit der Faust ins Gesicht. Der Mann stürzte aufs Pflaster, verlor ein paar Zähne und erlitt eine Gehirnerschütterung. Der Beamte kam mit 300 Mark Geldstrafe davon, weil das Gericht ihm zugute hielt, daß er nur versehentlich keinen Gefangenen - getroffen hatte; der Beamte wurde inzwischen befördert.
RUPRECHT: Wenn Sie die Fälle so vortragen, wirkt das tatsächlich erschütternd und empörend. Ich gehe schon aus dem Leim, wenn ich lese, daß Kinder in der Schule geohrfeigt worden sind. Ich will nichts beschönigen. Gegen Schläger muß scharf durchgegriffen werden. Andererseits: Die Gefangenen können ihre Rechte in Petitionen an die Volksvertretungen, durch Beschwerden bei vorgesetzten Behörden, Strafanzeigen, Verfassungsklagen und so weiter wahrnehmen. Daraus ergeben sich für uns manche Belastungen.
SPIEGEL: Zuchthäuslern wird selten geglaubt, und der Anstaltstod ist offenbar manchmal schneller als alle Instanzen. Doch inwiefern fühlen Sie sich belastet, venn die Gefangenen von ihren Rechten Gebrauch machen?
RUPRECHT: Es besteht die Gefahr, daß viele Gefangene oder bereits Entlassene nach verzerrten Presseberichten über den Strafvollzug ihren Weizen blühen und eine Chance sehen, uns fertigzumachen. In meiner Anstalt sind neben fast 400 Erstbestraften rund 150 Mörder. 700 bis 800 vorbestrafte Zuchthausgefangene und 250 Sicherungsverwahrte untergebracht. Was meinen Sie, wie schwierig die zum Teil sind. Und von diesen Leuten hagelt es Anzeigen gegen uns.
SPIEGEL: Was werfen die Gefangenen Ihnen vor?
RUPRECHT: Alles, was im Strafgesetzbuch vorkommt. Wir sollen stehlen, Akten unterschlagen, Effekten veruntreuen, beleidigen, homosexuelle Handlungen begehen und die Frauen der Gefangenen vergewaltigen. Hohe Würdenträger werden als Arschlöcher und Schweine, Banditen und Drecksäcke bezeichnet ...
SPIEGEL: Nach solchen Beschuldigungen und Beleidigungen fällt es einem Aufseher, der sich zum Beispiel von einem Gefangenen angegriffen glaubt, wohl schwer, seine Notwehr-Schläge korrekt dosiert zu verabfolgen?
RUPRECHT: Menschliche Schwächen gibt es in jedem Beruf. Ich hämmere meinen Leuten immer ein, sie sollen, um des Rechtes willen, aber auch schon im eigenen Interesse, um Vorfahren gegen sich von vornherein auszuschließen, nur den Widerstand brechen und mehr nicht. Aber wer hat stets die Selbstbeherrschung, wenn er eins aufs Nasenbein bekommen hat und blutet oder dem Kollegen mit dem Schemel über den Schädel geschlagen worden ist.
SPIEGEL: Wie oft kommen solche Übergriffe der Gefangenen denn vor?
RUPRECHT: Leider haben wir darüber keine Zahlen. Erst kürzlich ist zum Beispiel in Mainz ein Aufseher lebensgefährlich verletzt worden. Die Fälle gehen meistens ohne Aufhebens unter. Die Öffentlichkeit interessiert sich dafür nicht, und Strafanzeigen gegen die Gefangenen sind dann sinnlos, wenn die zu erwartende Strafe gegenüber der zu verbüßenden bei schweren Jungen nicht mehr ins Gewicht fallen würde.
SPIEGEL: Und dann erledigen die Aufseher den Fall auf eigene Faust? Gibt es Rollkommandos?
RUPRECHT: Nein, die gibt es nun wirklich nicht. Aber natürlich wird man nicht gerade den schwächsten, schon pensionsreifen Beamten zu einem tobenden Gefangenen in die Zelle schicken, sondern junge, kräftige Leute. Doch das alles wollen wir ja gern kontrollieren lassen.
SPIEGEL: Wie? Von wem?
RUPRECHT: Wir haben in unserer Denkschrift gefordert, sogenannte Beiräte für die Anstalten einzusetzen.
SPIEGEL: Wer soll das sein und welche Befugnisse soll so ein Beirat haben?
RUPRECHT: Wir denken zunächst an Abgeordnete, aber auch angesehene Bürger aller Berufe, Richter, Ärzte, Studienräte, Vertreter karitativer Verbände, Polizisten; und auch Presseleute kämen natürlich in Frage. An sie könnte sich dann jeder Gefangene unmittelbar wenden, wenn er befürchtet, daß seine anstaltsinterne Beschwerde bagatellisiert und unterdrückt wird. Wir möchten gar nicht, daß da so etwas Geheimnisvolles hinter den Mauern passiert. Nach der heutigen Zielsetzung im Strafvollzug ...
SPIEGEL: ... laut Paragraph 57 der Dienst- und Vollzugsordnung: Schutz der Allgemeinheit, Sühne und Resozialisierung ...
RUPRECHT: ... ist der Vollzug eine Gemeinschaftsaufgäbe, die alle Staatsbürger angeht und nicht nur einigen Beamten obliegt. Es genügt ja nicht, daß man die Leute in ein Verlies steckt und ihnen morgens und abends eine Tracht Prügel gibt. Das würde allenfalls für die Abschreckung reichen.
SPIEGEL: Haben Sie genügend und ausreichend qualifiziertes Personal?
RUPRECHT: Nein. 12 000 Bedienstete bewachen in der Bundesrepublik rund 60 000 Gefangene. Das ergibt aber keineswegs einen Beamten für
fünf Gefangene. Der ganze Verwaltungskram muß ja auch erledigt werden. Und wir brauchen Leute, die etwas mehr können als den Schlüssel rumdrehen.
SPIEGEL: Was muß ein Strafvollzugsbediensteter können? Wer verbringt sein Leben freiwillig im Gefängnis?
RUPRECHT: Sie meinen wohl, nur gescheiterte Existenzen? Als ich mein juristisches Examen gemacht hatte und Freunden erzählte, ich werde zum Strafvollzug gehen, da glaubten die, ich sei durchgefallen. In Deutschland sieht man bei dem Wort »Strafvollzug« immer noch den Henker im Hintergrund, der am Rande der Stadtmauer wohnen muß
SPIEGEL: Wer will Aufseher werden?
RUPRECHT: Für viele junge Leute ist der Dienst am Mitmenschen durchaus noch ein Motiv, natürlich auch die Aussicht auf ein gesichertes Einkommen.
SPIEGEL: Wieviel verdient ein Aufseher?
RUPRECHT: Zwischen 500 und 1000 Mark im Monat, je nach Dienstalter.
SPIEGEL: Welche Voraussetzungen muß ein Bewerber erfüllen?
RUPRECHT: Die Bewerber müssen mindestens 23 Jahre alt sein und schon irgendeinen Beruf ausgeübt haben. Die meisten sind Volksschüler, auch die Älteren.
SPIEGEL: Wie steht es mit der Ausbildung?
RUPRECHT: Schlecht. Sehr schlecht. Da gibt es wirklich etwas zu reformieren. Manche Beamten können nach ihrer häufig unzulänglichen Ausbildung doch oft gar nicht erkennen, daß ein revoltierender Gefangener nicht in die Beruhigungszelle ...
SP:EGEL: ... sondern in die Hand eines Arztes gehört.
RUPRECHT: Ja, das, ist schon bei Beamten schwierig, die ein halbes Jahr lang praktisch und ebensolange theoretisch geschult werden - schon da liegt vieles im argen; manche Länder haben nicht einmal ein Schulgebäude für diesen Zweck. Noch schwieriger ist es bei den angestellten Aufsehern - in Nordrhein-Westfalen ein Viertel aller Vollzugsbediensteten. Die werden eigentlich überhaupt nicht ausgebildet.
SPIEGEL: Wie bitte?
RUPRECHT: Sie haben richtig gehört. Die besuchen nie eine Schule. Da kann es glatt vorkommen, daß ein Straßenbahnschaffner, ein Friseur oder ein Bergmann schon vier Wochen, nachdem er seinen Beruf aufgegeben hat, Aufseherdienste versieht.
SPIEGEL: Deshalb verlangen Sie in Ihrer Denkschrift eine Bundesakademie für Strafvollzugsbedienstete?
RUPRECHT: Ja, allerdings würden dort vorwiegend die Spitzenkräfte ausgebildet werden. Ohne Schulen in den Ländern kommen wir nicht aus. Aber wir brauchen noch mehr; nicht nur besser ausgebildetes Personal, sondern auch bessere Strafvollzugsanstalten.
SPIEGEL: Sind die Strafanstalten überbelegt?
RUPRECHT: Wir haben viel zuwenig Haftraum. Die Hälfte aller Gefangenen muß immer noch in Gemeinschaftszellen hausen, die gelegentlich sogar mit zehn Mann belegt sind. Unter solchen Umständen werden die Gefangenen eher verdorben als gebessert.
SPIEGEL: Vor allem, wenn nichtkriminelle Verkehrstäter mit Ganoven zusammenhausen.
RUPRECHT: Wir plädieren schon lange dafür, kurze Freiheitsstrafen durch einen sinnvollen Dienst an der Gemeinschaft zu ersetzen. Im übrigen wäre ideal, bei Tage Gemeinschaft, nachts Einzelzelle.
SPIEGEL: Wie viele Einzelzellen müßte eine Anstalt bei dieser Aufteilung gegenwärtig haben?
RUPRECHT: Meine in Werl 1500, Hunderte von kleinen Gerichtsgefängnissen fünf bis zehn.
SPIEGEL: Kann denn der Strafvollzug in der Bundesrepublik bei derart unterschiedlicher Größe der Anstalten überhaupt einigermaßen gleichmäßig gehandhabt werden?
RUPRECHT: Eben nicht. In einer Mammut-Anstalt wie meiner kann von einem persönlichen Kontakt gar keine Rede mehr sein, in kleinen Gerichtsgefängnissen bekocht die Ehefrau des Aufsehers dessen Schäfchen - der reinste Irrsinn. Wir brauchen Anstalten für 500 bis 600 Gefangene.
SPIEGEL: Nehmen wir an, Herr Dr. Ruprecht, Sie hätten genügend geschultes Personal und moderne Haftanstalten. Könnten Sie dann einen vernünftigen Strafvollzug garantieren?
RUPRECHT: Auf jeden Fall wären die Erfolge dann weit größer als heute. Der Strafvollzug darf aber auch als Stiefkind der Strafrechtspflege nicht weiterhin ein Anhängsel der Staatsanwaltschaft sein, wie in einigen Bundesländern leider immer noch, Und vor allem brauchen wir endlich ein bundeseinheitliches Strafvollzugsgesetz, das uns klipp und klar sagt, wieweit Rechte eines Gefangenen eingeschränkt werden dürfen.
SPIEGEL: Ist dieses Gesetz in Sicht?
RUPRECHT: Nein. Man hat immer noch nicht eingesehen, daß Strafrechtsreform und Reform des Strafvollzugs zusammengehören. Außerdem ist nach dem Grundgesetz der Schutz der Menschenwürde oberstes Gebot. Sie wird mißachtet, solange der eine Häftling frühstücken muß, während der andere auf dem Kübel sitzt.
Ruprecht (r.) beim SPIEGEL-Interview in Rech an der Ahr (Hotel »Bergischer Hof")*
Essenempfang im Zuchthaus: »Noch den Henker im Hintergrund«
Zuchthausgänge, Aufseher: »Nur den Widerstand brechen?«
* Während einer Tagung nordrhein-westfälischer Vollzugsbeamter mit SPIEGELRedakteur Axel Jeschke.