Kurzweil im Knast (original) (raw)

STRAFVOLLZUG / KONJUNKTURKRISE Kurzweil im Knast

12.03.1967, 13.00 Uhr •ausDER SPIEGEL 12/1967

Statt Matten zu flechten, spielen sie Halme, statt Knöpfe zu stanzen, lesen sie die Geschichte vom weißen Wal »Moby Dick«. Sie sind arbeitslos, aber sie liegen nicht auf der Straße: Deutschlands Gefängnisinsassen leiden unter der Konjunkturkrise.

So sehr private Unternehmer im Wohlstand um kriminelle Arbeitskräfte werben, so hastig paßten sie in der Depression. Für den Düsseldorfer Ministerialrat Dr. Albert Reinemund, Referent für Häftlings-Arbeit im nordrheinwestfälischen Justizministerium, ist das deutsche Gefängnis nahezu ein »Krisenbarometer der wirtschaftlichen Lage«.

Das Barometer steht tief: Von rund 20 000 Häftlingen in Nordrhein-Westfalen sind rund 3000 arbeitslos, in Baden-Württemberg 800 von 8000, in Hessen 1000 von 4000, im Saarland 100 von 500, in Rheinland-Pfalz 850 von 3400. Dabei sind westdeutsche Knastologen laut Strafgesetzbuch normalerweise zu geregelter Arbeit verpflichtet*.

Jetzt werden zum Beispiel Sicherheitsnadeln statt von Langfingern fast nur noch von ehrbaren Heimwerkerhänden in Pappschachteln gezählt. Inhaftierte Schwerarbeiter, die vor kurzem noch an der Ruhr Stahl kochten oder am Main Straßen teerten, verfallen dem Müßiggang, der auch im Loch aller Laster Anfang ist. Und sogar die Bundeswehr hat

* Nach Paragraph 15 StGB besteht für Zuchsthäusler Arbeitszwang; bei »Arbeiten außerhalb der Anstalt« müssen sie »von anderen -- freien Arbeitern getrennt gehalten« werden. Nach Paragraph 16 StGB können zu Gefängnisstrafe verurteilte »auf eine ihren Verhältnissen und Fähigkeiten angemessene weise beschäftigt« werden; einer »Beschäftigung außerhalb der Anstalt« müssen sie zustimmen, die Hilfstruppen im Gefängnis-Drillich entlassen, die bislang Schießstände reparierten und sauberhielten.

Westdeutschlands Gefängnisdirektoren aber stellt sich ein neues Problem des Strafvollzugs: Sie sinnen auf Kurzweil für ihre Verbrecher, um sie vor Haftkollern und Schlimmerem zu bewahren.

So werden Knast-Bewohner an Rhein und Ruhr neuerdings zweimal (sonst einmal) täglich für 45 Minuten an die frische Luft geführt. Mit Brettspielen soll das Nichtstun erleichtert, mit Kulturfilmen und Vorträgen der Bildung nachgeholfen werden. Nur Skat-Karten sind in nordrhein-westfälischen Kittchen verpönt, weil -- so Strafvollzugs-Referent Reinemund -- die Insassen »sonst Glücksspiele machen und ihre Tabakrationen als Währung einsetzen«.

Baden-Württembergs höchster Gefängnisherr, der Stuttgarter Justiz-Ministerialdirigent Dr. Wilhelm Pauli, hofft, »mit verstärkter Eigenproduktion über die Runden zu kommen«. Er läßt in seinen Strafanstalten auf Vorrat Beamten-Schreibtische zimmern und Behörden-Formulare drucken.

Berlins stellvertretender Gefängnischef Wilhelm -- Glaubrecht will Fremdsprachen-Unterricht und Malkurse für schwere Jungs einrichten und ihnen. durch eine Art Berufsschulbetrieb die »Möglichkeit geben, sich fachlich Weiterzubilden«.

Karitativ nutzt Ministerialrat Karl, Heinz Kammer vom saarländischen Justizministerium die Krise, die außerhalb der Gefängnismauern schon wieder abzuebben scheint. Er richtete in der Strafanstalt Saarbrücken eine Bastelstube ein, wo die unterbeschäftigten Häftlinge »Spielzeug für arme und kranke Kinder« fertigen dürfen.

In einem deutschen Gefängnis aber herrscht Hochkonjunktur. Die Strafanstalt im schleswig-holsteinischen Neumünster stellt, außer Fischernetzen und handbemalten Donald-Duck-Figuren, einen ausgesprochenen Verkaufsschlager her: Bundesliga-Fußbälle.