Werte im Trott (original) (raw)
Deutschlands Haftanstalten, so wissen manche Strafrechtler, sind Schulen des Verbrechens. In der Freien Stadt Hamburg sollen die Verbrecher jetzt zur Schule gehen.
Vom 1. April an werden im Hamburger Zuchthaus Fuhlsbüttel Männer, die einst mit dem Gesetz ihre Not hatten, über Notstandsgesetze informiert werden, über Gewerkschaften und Nationaldemokraten, über das politische Weltbild des Heinrich Heine oder den Sozialkritizismus eines Tennessee Williams.
Ohne festen Lehrplan, sondern in freier Themenwahl und, wenn es sich so ergibt, orientiert am Tagesgeschehen, sollen drei Ganoven-Gruppen von je 20 Mann einmal wöchentlich ihre allgemeine Bildung und ihren Bürgersinn auf bessern.
Die Idee ist schon Jahre alt und stammt vom Fuhlsbütteler Zuchthaus-Direktor Hermann Hörnemann, 53. Aber ihre Ausführung scheiterte stets daran, daß kein hanseatischer Pädagoge bereit war, mit Dieben und Mördern zu pauken. Zuchthaus-Amtmann Artur Schermer, 37: »Keiner wollte dafür seine Freizeit einsetzen.«
Einsatzbereit zeigte sich schließlich Hermann Vogts, 65, Leiter der Hamburger Volkshochschule. Vogts ("Ich bekomme von der Justizbehörde pro Abend und Mann drei Mark") will mit den Knastologen »über alles reden, was so anfällt«, auch über »kniffligere Sachen wie etwa das Verbot der Kommunistischen Partei oder den Wert der Pressefreiheit«.
Dem Volkshochschulchef, der seit 43 Lehrberufsjahren an feste Unterrichtspläne gefesselt ist, erscheint dieser Bildungsplan als pädagogische Erfüllung. Vogts: »Jetzt kann ich endlich so unterrichten, wie ich es immer wollte.«
Zuchthaus-Chef Hörnemann baut darauf, daß seine rund 700 Schutzbefohlenen »vielleicht ethische Werte dabei entdecken«.
Hamburgs Justiz-Senator Peter Schulz, 36, der die Erwachsenenbildung hinter Gittern »eigentlich ganz gut« findet, hegt bescheidenere Hoffnungen: eine »gewisse Auflockerung der Atmosphäre hinter den Mauern«, jedenfalls aber »eine Unterbrechung des Trotts«.
Ob das Unternehmen auch von den Betroffenen gebilligt wird, ist ungewiß, Denn Fuhlsbüttels Büßer, die freiwillig am Unterricht teilnehmen können, wurden bislang noch nicht eingeweiht. Das soll erst einige Tage vor der ersten Unterrichtsstunde geschehen, damit, wie Direktor Hörnemann erläutert, »so ein paar ewige Miesmacher die Sache nicht schon vorher zerreden«.