»Ein dickköpfiges Bambi« (original) (raw)

SPIEGEL: Herr Klose, Sie haben ein merkwürdiges Jahr hinter sich: Bis zum Sommer spielten Sie für Werder Bremen, trafen zuletzt selten und steckten in einer tiefen Krise. Inzwischen stehen Sie in der Torschützenliste oben und sind wieder ein gefeierter Star des FC Bayern und der Nationalmannschaft. Können Sie sich das erklären?

Klose: Der Wechsel zum FC Bayern war die absolut richtige Entscheidung, und das gilt nicht nur für die sportliche Seite. Ich bin ein Familienmensch, und für mich ist es ganz wichtig, dass sich meine Frau und meine Kinder wohl fühlen. Der FC Bayern hat sich super um uns gekümmert. Jetzt wohnen wir in einem schönen, ruhigen Haus, wir haben Freunde gefunden und genießen das Leben.

SPIEGEL: In Ihren letzten Monaten in Bremen haben Sie das Leben nicht mehr genossen?

Klose: Das kann man so sagen.

SPIEGEL: Warum nicht?

Klose: Weil etwas passiert ist, das mich sehr mitgenommen hat. Aber das ist vorbei.

SPIEGEL: Es gab im Frühjahr Gerüchte, Ihre Frau bekomme von einem Mannschaftskameraden bei Werder Bremen ein Kind.

Klose: Da wurden in Presseberichten Lügen und Falschmeldungen über meine Familie verbreitet. Das muss man sich alles mal vorstellen - dabei war und ist meine Frau gar nicht schwanger.

SPIEGEL: Sie hätten sich wehren können.

Klose: Das bringt nichts. Diese Leute haben keinen Respekt. Das war das Widerlichste, was mir und meiner Familie jemals passiert ist, das hat mit Fußball nichts zu tun.

SPIEGEL: Stattdessen haben Sie seit dem Wechsel nach München, abgesehen von Pressekonferenzen oder kurzen Gesprächen mit den Journalisten nach Spielen, keine persönlichen Interviews mehr gegeben. Das war eine Art Medien-Protest?

Klose: Man muss vielleicht auch mich mal verstehen. Wenn die Familie ohne Grund so respektlos angegriffen wird, hat man keine Lust mehr, nette Interviews zu geben. Aber letztendlich kann man sich nur wehren, indem man sagt: Ich rede mit genau

den Zeitungen nicht mehr, die diese Lügen verbreitet haben. Dass die jetzt einen Runden Tisch mit mir wollen, ist mir egal.

SPIEGEL: Was ist denn im ersten Halbjahr 2007 so komplett schiefgelaufen?

Klose: Da müsste ich weit ausholen und Leuten weh tun, denen ich nicht weh tun will. Diese Zeit kannst du ja nicht wiedergutmachen. Es klingt wie ein Klischee: Aber ich muss den Kopf frei haben, um gut zu spielen. Verstehen Sie? Ich schaue nach vorne.

SPIEGEL: Sie hatten sich zwei Tage vor dem Uefa-Cup-Halbfinale von Werder Bremen mit Uli Hoeneß und Ottmar Hitzfeld getroffen. Können Sie die Empörung verstehen, die das in Bremen ausgelöst hat?

Klose: Natürlich war es ein Fehler, dass ich es versäumt habe, die Bremer Vereinsführung vorher über das Treffen zu informieren. Ich habe mich dafür entschuldigt. SPIEGEL: Sie haben im Juni erklärt: »Ich glaube zu wissen, wer mir einen Seitenhieb verpassen will. Dazu werde ich zur gegebenen Zeit noch die passende Retourkutsche setzen.«

Klose: Stimmt, das hatte ich vor. Aber ich möchte mich nicht auf dieses erbärmliche Niveau herablassen. Das Thema ist beendet. Bei dem Druck, den ich als Leistungssportler täglich spüre, muss ich den Kopf frei haben von diesen lästigen Gedanken. Jeder Sportpsychologe lehrt, dass man den Blick nach vorne nur schafft, wenn man mit der Vergangenheit abgeschlossen hat. Und das habe ich.

SPIEGEL: Kann man sich einfach entscheiden, die Vergangenheit zu vergessen?

Klose: Das ist eine Charakterfrage. Es ist so, als ob man eine Beziehung beendet. Wenn etwas zu Ende ist, ist es zu Ende. Ich bin ein Kopfmensch, auch auf dem Platz. Für mich ist es zum Beispiel sehr wichtig, wie schnell ich ein Spiel verarbeite. Wenn man beispielsweise während des Spiels aus zwei Metern das leere Tor nicht trifft, muss man das beim nächsten Schuss schon verdrängt haben. Du darfst nicht nach Hause kommen und dich fragen, was denken die anderen über mich, was wird die Presse wieder schreiben. Das muss dir egal sein.

SPIEGEL: Es gab in Ihrer Karriere immer wieder Phasen, in denen Sie keine Tore geschossen haben.

Klose: Als unsere Zwillinge vor knapp drei Jahren zur Welt kamen, konnte ich mich überhaupt nicht mehr auf den Fußball konzentrieren. Ich bin zum Training gefahren und war mit den Gedanken zu Hause. Damals habe ich mich auf dem Spielfeld nicht mehr wiedererkannt. Ich hätte nie gedacht, dass mich etwas so mitnehmen würde. Geholfen hat mir unser Nationalmannschaftspsychologe Hans-Dieter Hermann, der mir erklärte, warum ich mich nicht mehr konzentrieren kann und wie ich aus diesem Teufelskreis rauskomme.

SPIEGEL: Welche Gründe kann es noch für Formschwankungen geben?

Klose: Am schwierigsten ist es, ständig am Limit zu leben. Alle drei Tage ein Spiel - das schafft man nur, wenn man für den Beruf lebt. Viele Spieler bleiben einfach nicht dran, weil sie nach einer guten Saison denken, es geht so weiter. Dass das böse enden kann, habe ich selbst nach der WM 2002 erfahren. Da bin ich fast Torschützenkönig geworden und habe gedacht, jetzt kann ich mich gehenlassen. Dann war ich ein bisschen verletzt, bin nicht richtig in Schwung gekommen, und schon war die Krise da. Das war sehr lehrreich, denn heute weiß ich, dass ich mich keine Sekunde, keinen Millimeter zurücklehnen darf, sonst fährt der Zug ohne mich ab.

SPIEGEL: Ihr ehemaliger Trainer Thomas Schaaf hat gesagt, dass Sie vielleicht zu selbstkritisch sind.

Klose: Ich weiß schon, ob ich gut oder schlecht gespielt habe. Aber selbst wenn wir gewonnen haben, fällt mir noch ein, was man besser machen könnte. Da geht es mir wie vielen anderen Profis, man liegt schon mal wach.

SPIEGEL: Und was machen Sie dann?

Klose: Ich dehne mich immer noch, bevor ich mich ins Bett lege, weil das gut für die Regeneration ist. Dann versuche ich zu schlafen, aber die Szenen sind da, in denen man sich während des Spiels vielleicht hätte anders entscheiden müssen. Ich könnte aufzeichnen, wer wo gestanden hat. Im Spiel geht es um Millisekunden, und wenn man da die falsche Entscheidung getroffen hat, ärgert man sich. Bei Abendspielen schlafe ich vor drei oder vier Uhr nachts nie ein.

SPIEGEL: Sie sind nach einem Spiel nie zufrieden mit sich selbst?

Klose: Nein, es gibt immer irgendwelche Szenen, die noch besser hätten laufen können. Ich bin Perfektionist.

SPIEGEL: Im Oktober hat Bundestrainer Joachim Löw an Sie und Ihre Mannschaftskollegen den EM-Knigge verteilt, in dem Sie unter anderem nachlesen sollen, wo und wie Sie Ihr Spiel verbessern können. An was müssen Sie noch arbeiten?

Klose: So ein Buch gibt es vor jedem großen Event, da ist für mich nicht mehr so viel Neues zu entdecken. Ich arbeite auch ohne Buch täglich an mir.

SPIEGEL: DFB-Teammanager Oliver Bierhoff hat kritisiert, dass es in der Bundesliga im Vergleich zur Nationalelf an Konzepten mangelt. Sehen Sie das genauso?

Klose: Bei Bayern ist alles genauso professionell. Oliver Schmidtlein, einer unserer Fitnesstrainer beim DFB, hat früher bei den Bayern gearbeitet. Sicherlich gibt es

beim DFB immer wieder neue Übungen, aber am wichtigsten ist, ein Gefühl dafür zu kriegen, was mir guttut und was schadet. Mir zum Beispiel schadet zu viel Krafttraining.

SPIEGEL: Was tut Ihnen gut?

Klose: Alles, was der perfekten Konzentration dient. Bei der Nationalmannschaft gibt es eine Übung, bei der man an einem Apparat mit vielen Knöpfen in verschiedenen Farben sitzt. Wenn die Farben hintereinander aufleuchten, muss man möglichst schnell bestimmte Knöpfe drücken. Je weiter man kommt, desto mehr Reize kommen hinzu: hohe und tiefe Töne oder Pfeile, die nach rechts und links weisen. Wenn der Pfeil nach rechts geht, muss man eines der beiden Fußpedale bedienen und umgekehrt. Da kann ich sehr ehrgeizig sein. Horst Eckel, der Weltmeister aus dem 54er Team, hat vor ein paar Wochen zu mir gesagt: »Miro, du wärst auch zu meiner Zeit erfolgreich gewesen.«

SPIEGEL: Wie meint er das?

Klose: Er meint, die Härte, mit der ich an mir selbst arbeite, imponiere ihm. Wir kennen uns gut aus meiner Zeit bei Kaiserslautern. Er verfolgt sehr genau, was gerade mit dem 1. FC Kaiserslautern in der Zweiten Liga passiert. Es ärgert ihn, wie unprofessionell der eine oder andere Spieler dort ist, auch außerhalb des Platzes. Ich muss auch noch an vielem arbeiten, aber Sie werden mich niemals außerhalb des Platzes austicken sehen.

SPIEGEL: Was macht Sie da so sicher?

Klose: Ich definiere mich nicht über den Fußball. Für mich gibt es andere Werte. Der Fußball ist das eine, und dann gibt es das andere Leben. Trotz Bayern München und dem ganzen Glamour drum herum zählt es für mich vor allem, normal zu bleiben, meine Mitmenschen zu respektieren und nicht den Anstand zu verlieren. Und das ist wahnsinnig schwer. Ich spiele gerne die Rolle des stillen Stars - ist das schlimm? Ohne die Unterstützung meiner Frau hätte ich es vielleicht nie so weit geschafft. Sylwia sorgt dafür, dass ich mich ausgewogen ernähre. Wir funktionieren blind.

SPIEGEL: Gibt es Sportler, die Sie als Geistesverwandte sehen?

Klose: Ich kann nur aus meinen Beobachtungen sprechen, aber ich glaube, bei Michael Schumacher war das nicht anders. Er hat seine Familie, seine Kinder, seine Frau. Das ist ihm wichtig. Über unsere Konten machen sich andere Leute viel mehr Gedanken als wir selbst.

SPIEGEL: Man hat den Eindruck, dass es da auch andere Spielertypen gibt.

Klose: Diese Jungs denken zu viel darüber nach, was andere Leute von ihnen halten. Ihnen ist es nicht egal, ob sie nun mit einem Skoda, Audi A3 oder was weiß ich zum Training vorfahren. O Gott, der ist Profi-Fußballer und fährt nur Corsa. Können Sie sich das vorstellen? Die fahren mit 22 Jahren Porsche. Und was machen sie mit 24? Irgendwann gibt es kein Limit mehr. Da fehlen mir die Worte.

SPIEGEL: Bayerns Manager Uli Hoeneß kritisiert Ihre jungen Kollegen für dieses Verhalten auch mal öffentlich.

Bastian Schweinsteiger wollte er etwa »den Puderzucker« wieder rausklopfen, der ihm »in den Hintern geblasen« wurde.

Klose: Uli Hoeneß macht das gut. Er hat das richtige Händchen im Umgang mit den Spielern. Es gibt auch Situationen, in denen er uns öffentlich lobt. Er ist ein außergewöhnlicher Typ. Bayern kann froh sein.

SPIEGEL: Das erste Drittel der Saison des FC Bayern schien wie ein Erfolgsrausch zu sein. Davon ist nicht mehr viel zu spüren, vergangene Woche wurde sogar Oliver Kahn suspendiert, das Team scheint auseinanderzufallen.

Klose: Das ist meiner Meinung nach ein normaler Prozess. Nach der ersten Euphorie kommt jede neu zusammengestellte Mannschaft in eine Phase, in der sie beweisen muss, was wirklich in ihr steckt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir als Team Erfolg haben werden.

SPIEGEL: Sie verdienen rund zehn Millionen Euro jährlich. Denken Sie noch darüber nach, wie viel Geld Sie ausgeben?

Klose: Die Zahl haben Sie gesagt. Natürlich denke ich darüber nach, dass ich sehr viel Geld verdiene, warum soll ich lügen? Ich mache meinen Beruf auch, um Geld zu verdienen. Ich will so viel Geld verdienen, dass es nicht nur mir gutgeht, sondern auch meinen Kindern und vielleicht der nächsten Generation. Die Planung habe ich immer im Hinterkopf.

SPIEGEL: Sie haben nach Ihrer Aussiedlung 1987 mit Ihren Eltern erst mal im Grenzlager Friedland gelebt.

Klose: Ich weiß noch, wie wir vor der Schranke nach Deutschland gewartet haben; wir wussten, wir kommen jetzt in ein anderes Land, wir wussten nicht, wie die Zukunft aussieht, und es war klar, dass wir uns alles ganz neu erarbeiten müssen, aber uns ging es nicht anders als vielen anderen auch. Doch es wäre falsch zu sagen: Ich reiße mir den Hintern so auf, weil ich immer daran zurückdenke. Für mich ist auch meine Zimmermannslehre sehr wichtig - man weiß nie, was im Fußball passiert.

SPIEGEL: Welche Sprache sprechen Sie zu Hause?

Klose: Polnisch, auch die Kinder. Die sind jetzt im Kindergarten und lernen dort Deutsch. Wir wollten das so.

SPIEGEL: Sie klingen so klar und bestimmt, dass man sich fragt: Haben sich alle in Ihnen getäuscht? Die Presse beschrieb Sie mal als »Bambi, ein scheues Reh« oder als ein »Vogeljunges, das aus dem Nest gefallen ist«.

Klose: Letztlich interessiert es mich nicht, wo mich die Leute plazieren. Die Journalisten sehen mich zumeist sowieso nur kurz, aber ich weiß, wie ich tatsächlich bin, und das ist das genaue Gegenteil davon. Ich sage durchaus meine Meinung, wenn mir was nicht passt, und kann ein ziemlich dickköpfiges Bambi sein.

SPIEGEL: Herr Klose, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Oben: auf dem Münchner Oktoberfest; unten: mit den Redakteuren Christoph Biermann und Cathrin Gilbert in Frankfurt am Main.