Gespräche hinter Spitzengardinen | Stadtmuseum Berlin (original) (raw)

Die Künstler:innen Anna Krenz, Ewa Maria Slaska, Jemek Jemowit und die Freiflächen-Kuratorin Sophie Perl.

Freifläche „Freiheit, Gleichheit, Solidarność“ in BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum © Ewa Maria Slaska, Anna Krenz, Jemek Jemowit | Stadtmuseum Berlin, Foto: Michael Setzpfandt

Auf der Freifläche reflektieren drei polnische Künstler:innen unter dem Titel „Freiheit, Gleichheit, Solidarność” das besondere Verhältnis zwischen Pol:innen und Berlin.

Was macht die Stadt Berlin aus?

Das ist die Kernfrage, die in der Ausstellung BERLIN GLOBAL auf vielfältige Art beantwortet wird: Denn es sind vor allem die Menschen, die aus ganz Europa und der Welt hierherkamen. In vielen Aspekten der Ausstellung ist zu sehen, wie Berlin mit der Welt verbunden ist und sich schon seit dem Mittelalter durch Einwanderung entwickelte: Ohne die Böhmen, Jüdinnen und Juden oder Slaw:innen, die seit Jahrhunderten vor religiöser Verfolgung, Krieg oder wirtschaftlichem Elend nach Berlin kamen, wäre die Stadt an der Spree nicht die Metropole, die sie geworden ist.

In Berlin gibt es viele Orte, die mit der polnischen Geschichte verbunden sind. Besucher:innen informieren sich.

Freifläche „Freiheit, Gleichheit, Solidarność“ in BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum © Ewa Maria Slaska, Anna Krenz, Jemek Jemowit | Stadtmuseum Berlin, Foto: Michael Setzpfandt

Für die Menschen aus dem nahen Polen ist Berlin stets ein wichtiger Anziehungspunkt gewesen, wie die polnischen Künstler:innen Ewa Maria Slaska, Anna Krenz und Jemek Jemowit in ihrem Ausstellungsbereich mit dem Titel „Freiheit, Gleichheit, Solidarność“ zeigen. Auf einer der Freiflächen, die das Stadtmuseum Berlin für Projekte und Kunstschaffende zur Verfügung stellt, ziehen sie einen historischen Bogen von der Weimarer Republik bis in die Jetztzeit, der das besondere Verhältnis der Pol:innen zur deutschen Hauptstadt erklärt.

„Es gibt immer schon enge Beziehungen zwischen den Pol:innen und Berlin, sei es wegen der Nähe, der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen aus verwandtschaftlichen Verhältnissen“, sagt Anna Krenz. Sie zitiere dazu gerne Kurt Tucholsky, der 1919 im „Berliner Abendblatt“ schrieb: „Der Berliner ist meist aus Posen oder Breslau und hat keine Zeit.“ Die Künstlerin, die seit 2003 in Berlin lebt, ist Mitgründerin des Kollektivs Dziewuchy Berlin und des Vereins Ambasada Polek e. V., die sich für feministische und queere Kunstprojekte engagieren und mit ihren Aktionen auf Missstände und Verfolgung in ihrem damals noch von der konservativen PiS-Partei regierten Heimatland aufmerksam machten.

Interviews mit Berliner:innen

Die Freifläche besteht aus drei Teilen. Zum einen haben die Künstler:innen sieben „Polnische Orte in Berlin“ exemplarisch ausgesucht, an denen gemeinsame Geschichte aus über 150 Jahren sichtbar wird. Ein weiterer Ausstellungsbereich ist eine mehrteilige Filminstallation. Sie zeigt unter anderem Interviews mit Berliner:innen unterschiedlicher Generationen, die über die Bedeutung der Solidarność-Bewegung für Berlin und der deutsch-polnischen Solidarität heute sprechen. Es geht auch um Alltagsrassismus und vielfache deutsche Vorurteile gegen Pol:innen.

Eine polnische Mutter und ihre Tochter berichten, dass das in Berlin aufgewachsene Kind nicht Polnisch lernen durfte, weil die Mutter Nachteile für es befürchtete. Die Tochter hingegen beschwert sich, dass ihr ein wichtiger Teil ihrer Identität vorbehalten wurde, den sie erst als junge Erwachsene nachholen konnte.

In der Rauminstallation von Anna Krenz stehen drei moderne Stühle des Designers Roman Modzelewski. Sie sind einander zugewandt und dennoch abgeschirmt von deckenhohen weißen Spitzengardinen – polnische Moderne verbunden mit handwerklicher Tradition, einerseits versteckt, andererseits durchsehbar, zugleich eine Einladung zum sich Setzen und zum Gespräch.

Eindrückliche Rauminstallation

Freifläche „Freiheit, Gleichheit, Solidarność“ in BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum © Ewa Maria Slaska, Anna Krenz, Jemek Jemowit | Stadtmuseum Berlin, Foto: Michael Setzpfandt

„Ich will uns Polen nicht als Opfer zeigen, wie es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Thema war. Die zivile Gesellschaft in Polen hat gezeigt, dass wir uns engagieren und etwas verändern können. Denn wir alle kämpfen um Freiheit, Gleichheit und Solidarność“, sagt Anna Krenz.

Die Kommunikation zwischen den Ländern und ihren Menschen sei das Wichtigste, betont die Künstlerin, gerade in schwierigen Zeiten, auch wenn im heutigen Polen nach dem Regierungswechsel 2023 zum Glück endlich Aufbruchstimmung herrsche.

Polnische Orte in Berlin

Die Sozialistin Rosa Luxemburg ist in Polen geboren und aufgewachsen. Sie wurde im Januar 1919 von rechten Freikorpsmitgliedern ermordet. Die Fußgängerbrücke im Großen Tiergarten steht dort am Kanal, von der ihre Leiche in den Landwehrkanal geworfen wurde.

Hier, wo sonst gerne spontane Partys gefeiert werden, protestierten seit 2016 immer wieder Tausende schwarzgekleidete feministische und queere Aktivist:innen gegen die rigiden Abtreibungsgesetze und den Angriff auf die Verfassungsrechte durch die polnische PiS-Regierung.

Hinter dem Reichstag versteckt steht ein Stück Ziegelsteinmauer aus der Danziger Lenin-Werft. Dort gründete sich 1980 die polnische Gewerkschaft Solidarność angeführt von Lech Wałęsa, die kurz darauf verboten wurde und auch von Deutschland aus im Untergrund weiter arbeitete.

Erschienen im Tagesspiegel am 14.12.2024

Die Freifläche ist im Raum „Vergnügen“ bei BERLIN GLOBAL zu sehen.

Für eine Überraschung gut: die begehbare Diskokugel im Raum Vergnügen.

© Stadtmuseum Berlin | Foto: Anne Preussel

BERLIN GLOBAL

Die Berlin Ausstellung im Humboldt Forum zeigt auf 4.000 Quadratmetern, wie die Stadt und ihre Menschen mit der Welt verbunden sind.