Die letzte Volksschauspielerin (original) (raw)

Pfadnavigation
  1. Home
  2. Welt Print
  3. Lifestyle

Die letzte Volksschauspielerin

Veröffentlicht am 16.06.2010Lesedauer: 3 Minuten

Heidi Kabel, die Hamburger Theater-Legende, ist im Alter von 95 Jahren gestorben

Hamburg - Zweimal noch stand Heidi Kabel im Scheinwerferlicht, bevor die Lichter um sie ausgingen, die hellen Tage der Erinnerung zunehmend von dunklen abgelöst wurden: Im November 2004 bekam die damals 90-jährige, bereits an Demenz erkrankte niederdeutsche Schauspielerin einen Bambi für ihr Lebenswerk. Drei Jahre später stand sie ein letztes Mal vor der Kamera für einen Kinderfilm von Detlev Buck. Und sie hat es herzlich genossen. Danach aber hatte geistige Dunkelheit die Erinnerung an ein reiches Leben beinahe gänzlich ausgelöscht. Sie lebte in einem Stift in Hamburg. Am frühen Dienstagmorgen ist Heidi Kabel im 96. Lebensjahr friedlich eingeschlafen.

Noch zu ihrem 85. Geburtstag war sie unter den jubelnden Zurufen ihrer Fans in einer Kutsche durch Hamburg gefahren worden. Gefeiert wie eine Königin, doch grüßte sie weder leutselig, noch lächelte sie huldvoll. Sie strahlte glückselig.

An ihrem 90. Geburtstag ging es stiller zu. Im großen Kreis ihrer Kinder und Enkel hatte sie gefeiert und vergaß dabei mitunter, dass sie es war, der alle Glückwünsche galten. Und doch genoss sie diese Auftritte, wie die immer seltener werdenden Premierenbesuche im Ohnsorg Theater.

Das Alter, hatte Heidi Kabel immer wieder gesagt, sollte nicht von Krankheit und Leiden gezeichnet sein, es dürfe nicht "wehtun".

Im Alter von 83 Jahren war sie zu einer letzten Tournee aufgebrochen, um von ihren Fans Abschied zu nehmen. "Mein ehrlicher Tag" hieß das eher dürftige Kommödchen, in dem sie in der Doppelrolle der pragmatischen Putzfrau Trude mit Scheuerschürze und der versnobten Konsulin exakt noch einmal jene schauspielerischen Pole absteckte, um derentwillen sie bewundert und geliebt wurde. Wer sie künftig sehen wollte, so hatte sie damals entschieden, müsse das Fernsehen einschalten, um eine der unzähligen Aufzeichnungen mit ihr aus dem Ohnsorg Theater zu genießen.

Heidi Kabel war alles: Komödiantin und Tragödin, Klamauktasche und Duse. Eine Volksschauspielerin eben. Eine allerdings, die auf Distanz achtete. Heidi Kabel war Volksschauspielerin im wahrsten Sinne, sie war der Spiegel der Menschen, die sie betrachteten, sie war wie das Volk, sie war für das Volk und ein bisschen kam sie auch aus dem Volk.

Als Tochter einer hanseatischen Kaufmannsfamilie war sie am 27. August 1914 vis à vis vom Ohnsorg Theater geboren worden. Als 17-Jährige hatte sie, die eigentlich Pianistin hätte werden sollen, ihre Freundin zum Vorsprechen an eben jene Bühne begleitet, die Richard Ohnsorg 1902 gegründet hatte. Der Backfisch wurde vom Fleck weg engagiert. 1973 heiratete sie den Ohnsorg-Intendanten Hans Mahler und bekam mit ihm drei Kinder.

Und nun bleibt also die Erinnerung an Heidi Kabel, die nicht zuletzt Dank der Fernsehaufzeichnungen eine ungeheure Popularität erlangte. Die erste, "Seine Majestät Gustav Krause", flimmerte bereits 1954 in die guten Stuben. Als Klatschbase in "Tratsch im Treppenhaus" oder als bewegende "Mudder Mews" verband sie Witz und Lebensklugheit zu einer Kunst, die zeitlos war. Nur eines war ihr nicht vergönnt: Als echter Hamburgensie, so verlangten es immer wieder die Hamburger, sei sie der Ehrenbürgerschaft würdig. Die Senatskanzlei sah das anders. Heidi Kabel wird es nicht mehr anfechten, wo sie doch ohnehin in den Augen des lieben Gottes im Himmel als dessen Ehrenbürgerin anerkannt ist.