Schlafes Brüder (original) (raw)

Pamphlet wider die Natürlichkeit oder Warum die junge deutsche Literatur so brav ist: Schlafes Brüder

Von Iris Radisch

Einen Literaturstreit kann man das nicht nennen. Kaum eine Debatte. Ein paar nicht mehr ganz junge junge Männer verbreiten im Spiegel, auf der Buchmesse und in Tempo ihre Ansichten über eine bessere, neuere, modernere Literatur. Maxim Biller, Reinald Goetz, Matthias Altenburg – der kleine Trupp wächst langsam, aber zuverlässig. Sie wollen das Echte, das Reale, das Richtige, ausgerechnet in der Literatur (und meinen wenig überraschend die eigene), sie richten die schlechte (und meinen die der Kollegen).

Die Aufregung legt sich augenblicklich, müßt man die großen Worte der Biller und Altenburg an ihren Werken. Trotzdem ist der Furor, mit dem in den jugendbewegten Feuilletons das staubigste und älteste Literaturkonzept der Nachkriegsära, das des biederen Realismus, als das neueste und beste ausgegeben wird, einigermaßen verblüffend. Die jungen Autoren beziehen ihre Argumente aus der Klamottenkiste der Literaturgeschichte. Verglichen mit ihren Reden von einer "normalen" Literatur, die das "Menschliche anzurühren versteht" und dem "epochenadäquaten Drive" immer hart auf der Spur ist, nehmen sich die literaturkritischen Überzeugungen Marcel Reich-Ranickis avantgardistisch aus. Der Haß der jungen Autoren auf komplizierte literarische Formen, ihre stramme Haine gegen die "ungangbaren Ausflüge in die unwichtigen Seelenqualen unwichtiger Wohlstandsgesellschafts-Autoren" klingen prachtvoll jung, dröhnen völkisch empfindsam. Normale Literatur für normale Menschen. Und der normale Mensch will, daß "es knallt". Was soll er sonst wollen. Darum ist Literatur, wenn es "knallt", schrieb Reinald Goetz neulich im Spiegel. Und das heißt: Literatur ist, wenn es keine ist. Die radikale realistische Literatur, zeigt Jürg Laederach in seiner Polemik auf Seite 2 dieser Beilage, braucht kein Werk. Das Werk stört den Realismus, stellt sich ganz unnötig zwischen Autor und Leser. Weshalb Jürg Laederach einen "Literatur-Umgehungspreis" für junge Neorealisten stiftet.