Michael Jungblut, Die Reichen und die Superreichen in Deutschland (original) (raw)

Die Quelle f�r Millionen

Helmut Horten war nicht der einzige Unternehmer in der Bundesrepublik, der im Handel fast am Nullpunkt anfing und dann im Alleingang den Einbruch in den exklusiven Zirkel der Milliard�re schaffte. Noch steiler verlief der Pfad, der Gustav Schickedanz an die Spitze der Verm�genspyramide f�hrte. Der �Patriarch von F�rth�, der �hnlich wie Horten sein Verm�gen �ber den Ladentisch (oder hier besser den Packtisch) erwarb, kontrolliert das gr��te Versandhaus nicht nur der Bundesrepublik, sondern Europas. Er geh�rt nach einer Verlautbarung seiner hauseigenen Presseabteilung �zu den gro�en Unternehmerpers�nlichkeiten, die auf eine ganz au�ergew�hnliche Lebensleistung zur�ckblicken k�nnen�. Der Herr der �Quelle� herrscht nicht nur �ber zwei gro�e Versandhandelsh�user mit Tochtergesellschaften in Osterreich, Frankreich und Belgien, sondern lie� Anfang 1970 seine Waren dar�ber hinaus in der Bundesrepublik in 20 Kaufh�usern, 152 Verkaufsniederlassungen, 112 Verkaufsstellen und 20 Foto-Spezialgesch�ften feilbieten. Zu seinem Konzern geh�ren au�erdem Papierfabriken, eine Bank, Brauereien und Engagements bei Firmen wie der Gro�druckerei Maul. Das gesamte Eigenkapital der Gruppe lag 1969 bei etwa 350 Millionen Mark (der gesamte Verm�genswert nat�rlich um ein Vielfaches h�her).

Man hat es dem vielseitigen Handelsherrn, der auch mit 75 Jahren noch alle F�den seines Konzerns in der Hand hielt (und mitunter recht eigenwillig daran zog) gewi� nicht an der Wiege gesungen, da� er einmal �ber einen derartigen Konzern herrschen w�rde. Gustav Schickedanz kam als Sohn eines Werkmeisters aus Dambach bei F�rth zur Welt. Seine Eltern konnten ihm Sinn f�r Arbeit, Ordnung und emsigen Flei� mit auf den Weg geben, jedoch kein finanzielles Startkapital. Im Jahre 1923, mit 28 Jahren, gr�ndete Schickedanz eine Gro�handlung f�r Kurz-, Wei�- und Wollwaren - mitten in der Inflation. Vier Jahre sp�ter wurde das Versandhaus Quelle gegr�ndet. Die ersten Pakete schaffte der strebsam junge Mann oft selber mit der Handkarte zur Post. Doch diese Karre wurde bald zu klein, denn 1934 belieferte er schon eine Viertelmillion Kunden. Zwei Jahre sp�ter hatte er eine Million Namen in seiner Kartei. 1938 konnte sich Schickedanz mit 40 Millionen Reichsmark den h�chsten Vorkriegsumsatz ausrechnen. Im Krieg ging es dann aber erst einmal wieder fast ebenso steil bergab. Die Waren wurden bewirtschaftet, der Nachschub stockte. 1943 wurden bei einem Bombenangriff neun Zehntel der Betriebsgeb�ude des Versandunternehmens zerst�rt. Die restlichen Geb�ude besetzten 1945 beim Einmarsch die Sieger. Auch das wichtigste Requisit eines Versandhauses - die Kundenkartei - war vernichtet.

Doch als Gustav Schickedanz 1948, im Jahr der W�hrungsreform, die �Quelle� wieder neu gr�ndete, zeigte sich, da� sie noch nicht ganz versiegt war. Selbst weitgehend zerbombte Betriebsgeb�ude waren Gold wert in diesen Jahren, in denen nur das Sachkapital von der rigorosen Entwertung allen Geldverm�gens durch die W�hrungsreform verschont blieb. Bereits im ersten Jahr wurde ein Umsatz von 315 000 Mark erzielt. Den allgemeinen Warenhunger und den deutlichen Vorsprung, den Ludwig Erhards Wirtsdiaftspolitik den Unternehmern beim Wettlauf in die �berflu�gesellschaft gab, wu�te ein Mann wie Schickedanz mit Tatkraft zu nutzen. Gewi�, seine �Quelle� war fast vollst�ndig unter Tr�mmern begraben - was auch von den Public-Relations-Managern des Konzerns geb�hrend herausgestrichen wird, damit der sp�tere Aufstieg vor diesem Hintergrund nur um so strahlender erscheint. Doch die Ertr�ge seiner florierenden Brauereien und Papierfabriken trugen das ihre dazu bei, da� sich der �Quelle�-Bo� nach dem Krieg unangefochten an die Spitze der deutschen Versandh�ndler setzen konnte.

Der zweite Aufstieg des Werkmeistersohns verlief denn auch noch rasanter als der erste. Schon im zweiten Jahr nach der Neugr�ndung des Versandhauses schnellte die Umsatzzahl auf 12 Millionen hinauf. 1952 hatte der F�rther Paketepacker wieder ein Kundenheer in Millionenst�rke um sich versammelt, und als er Ende 1961 die Auftragsb�cher aufaddierte, war die erste Umsatzmilliarde voll. Um dieses Ergebnis im Handelsbereich zu verdoppeln, hatte Schickedanz nur noch sieben weitere Jahre n�tig. Der Gesamtumsatz des Konzerns einschlie�lich der Brauereien und sonstigen Besitzt�mer stie� zu diesem Zeitpunkt sogar an die Drei-M�liarden-Grenze.

Im gleichen Jahr wurde auch der Schickedanz-Familien-Verein e. V. gegr�ndet. Er soll den Fortbestand des Unternehmens auch �ber die Zeit des Gr�nders hinaus sichern. Diesem Verein wurden alle Anteile der Kommandozentrale des Konzerns, der Schickedanz International Holding GmbH., �bertragen, �ber die die weitverzweigte Gruppe gesteuert wird. Der �Patriarch von F�rth� ist seinem Lebenswerk zu sehr verbunden, um wie Horten nur einen g�nstigen Zeitpunkt f�r den Verkauf abzuwarten. Immerhin dachte Gustav Schickedanz auch nicht nur an sich und seine Familie. Anl��lich seines 75. Geburtstags stiftete der Per-Post-H�ndler f�r Mitarbeiter, die mindestens f�nfzehn Jahre im Unternehmen t�tig sind, eine Altersversorgung. Aus den Mitteln dieses Fonds, dem j�hrlich 11 Millionen Mark zuflie�en sollen, werden die sozialen Alters- und Invalidenrenten sowie die Bez�ge von Witwen und Waisen aufgebessert. Auf diese Weise erhalten diejenigen, die mindestens anderthalb Jahrzehnte lang mitgeholfen haben, das Milliardenverm�gen aufzubauen, das die Schickedanz-Gruppe heute repr�sentiert, wenigstens einen bescheidenen Teil der Ertr�ge, die aus diesem Besitz flie�en.

Von den rund 30 000 Besch�ftigten des Konzerns kommen allerdings nur diejenigen in den Genu� dieser �Aktion Abendsonne�, die wenigstens w�hrend eines Drittels ihres Arbeitslebens mitgeholfen haben, die �Quelle� sprudeln zu lassen. Deshalb mu� es sich jeder langj�hrige Mitarbeiter dreimal �berlegen, ob er nach vielleicht zehn Jahren am Packtisch des Versandhandels eine m�glicherweise besser bezahlte oder interessantere Arbeit in einem anderen Betrieb annehmen soll. Seine bis dahin entstandene Anwartschaft verf�llt, und er mu� im Alter auf die versprochene Zusatzrente verzichten. Zwar sind die Gitter des K�figs vergoldet, aber die freie Arbeitsplatzwahl wird durch solche Versorgungswerke erheblich eingeschr�nkt. Eine verm�genswirksam angelegte Gewinnbeteiligung h�tte diese Nachteile nicht - daf�r f�r den Unternehmer aber auch nicht den erw�nschten Effekt, da� sie die Mitarbeiter anbindet.

Michael Jungblut, Die Reichen und die Superreichen in Deutschland, Hamburg 1971, S. 71 ff.