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CHATILLON

Lexikon des Mittelalters: Band II Spalte 1772
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CHATILLON
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Französische Adelsfamilie

Das Haus CHATILLON bietet wohl das beste Beispiel für den Aufstieg einer Familie von ursprünglichen ministeriales, die, eng mit einer Burg verbunden, dank geschickter Heiratspolitik und offensichtlich persönlicher Fähigkeiten zu einem der großen europäischen Fürstenhäuser wurden, das selbst mit Königen verschwägert war. Eine moderne Geschichte der Familie fehlt bislang; wir sind auf eine genealogische Darstellung, die der Geschichtsschreiber Andre Du Chesne zu Beginn des 17. Jh. drucken ließ, angewiesen. Durch Du Chesne wurde eine Legende über den Ursprung des Hauses in Umlauf gesetzt: Es soll angeblich von einem Herve (Heriveus) abstammen, Neffe von Heriveus, der 900 Erzbischof von Reims und archicancellarius König Karls des Einfältigen wurde, nachdem er vorher Kanzler Odos gewesen war; als Neffe von Hucboldus, Enkel LUDWIGS DES FROMMEN und Schwager KÖNIG BERENGARS, war Heriveus mit den KAROLINGERN verwandt. Es war Heriveus, der auf erzbischöflichem Land die Burg Chatillon-sur-Marne (ehemals Bistum Soissons, dep. Marne) in beherrschender strategischer Lage (Kontrolle über Straße und Fluß) erbaute. Ob dies aber 925 erfolgte, ist fraglich. Heribert II. von Vermandois ließ (im Namen seines jungen Sohnes Hugo, den er zum Erzbischof von Reims hatte wählen lassen) den Bruder und den Neffen des Erzbischofs Heriveus wegen Usurpationen von erzbischöflichen Gut gefangensetzen. Wann Chatillon an den Grafen von Champagne überging, ist unbekannt, doch hatte sich dieser schon um die Mitte des 11. Jh. der Burg bemächtigt und setzte hier einen Kastellan ein, doch hielt er Chatillon als Lehen des Erzbischofs von Reims. Im 3. Viertel des 11. Jh. heiratete der Kastellan Gui die Tochter des Kastellans von Coucy, wodurch er zum Schwager des mächtigen Herrn von Boves wurde. Eine (wahrscheinliche) Verwandtschaft zu Papst Urban II., der selbst einer Familie von milites aus Chatillon entstammte, vermag diesen sozialen Aufstieg zu erklären. Gui tritt mit anderen Kastellanen des Grafen Tedbald 1076 als Mitunterzeichner einer Urkunde dieses Grafen auf; einer seiner Söhne ist Archidiakon von Soissons (1096-1125). Es war wohl sein Enkel Heinrich (Henri, 1117-1130), Sohn von Gaucher I., der durch seine Heirat mit Ermengarde von Montjay, die ihm zum Herrn des betreffenden Ortes machte, in die Reihen des echten Feudaladels eintrat. Heinrichs Sohn Gaucher II. heiratete um 1134 Ade, die Tochter des Dreux (Drogo), Herrn von Pierrefonds, die ihm die Herrschaft Crecy-en-Brie in die Ehe brachte. Sein Bruder Renaud (Rainald von Chatillon) wurde durch seine Heirat mit Konstanze, der Tochter Bohemunds II., zum Fürsten von Antiochia und zum (fragwürdigen) Kreuzzugshelden, der schließlich 1187 (nach der Schlacht von Hattin) durch Saladins eigene Hand den Tod fand.
Von den Söhnen Gauchers heiratete der eine, ebenfalls Gaucher mit Namen, die Erbin der Herrschaft Nanteuil (-le-Haudouin); er ist der Vater von Milon von Nanteuil, Bischof von Beauvais (1218-1234), sowie eines weiteren Gaucher, Stammvater der Herren von Nanteuil. Der andere Sohn, Gui, war Herr von Montjay; mit ihm begann die glanzvollste Periode der Familiengeschichte. Er heiratete Alix de Dreux (+ um 1205/10), die Tochter von Robert, Grafen von Dreux und Braine, Bruder König Ludwigs VII. Einer der Söhne aus dieser Ehe, Robert, wurde Bischof von Laon (1219-1215). Ein anderer war Gaucher III. (+ 1239), Herr von Chatillon, Troissy, Montjay, Crecy, Pierrefonds, Encre, Pont-St-Maence und Broigny. Er begleitete König Philipp II. August auf den 3. Kreuzzug (1191). Nach der Rückkehr wurde er Seneschall von Burgund und bouteiller (Mundschenk) von Champagne. Durch seine Heirat mit Isabelle, Gräfin von St-Pol, erhielt er diese überaus bedeutende Grafschaft, die im Schnittpunkt des königlichen Artois und Flanderns lag. Damit war Gaucher III. zu einem der großen Barone N-Frankreichs geworden.
Gauchers III. älterer Sohn Guy III. von Chatillon (Guy II. als Graf von St-Pol) nahm am Kreuzzug Ludwigs des Heiligen teil und starb 1226 kinderlos. Seine Schwester Yolande vermählte sich mit Archambault von Bourbon. Der jüngere Sohn, Hugues I. von St-Pol, heiratete Marie aus der großen Familie AVESNES, Tochter von Gautier und Marguerite, Gräfin von Blois (Tochter des Grafen Tedbald VI. und Witwe des Pfalzgrafen von Burgund, Otto von Andechs-Meranien). Von den Söhnen von Hugues und Marie erbte Jean (+ 1279) die Grafschaften Blois und Chartres; Guy war Graf von St-Pol; Gaucher IV. von Chatillon war auch Herr von Crecy (oo Isabelle von Villehardouin). Auf diese 3 Brüder gehen die Linien der CHATILLON zurück:

[1] BLOIS-CHARTRES

Jean von Chatillon, Graf von Blois (oo Alix von Bretagne), hatte nur eine Tochter, Jeanne, die 1271 Peter, Grafen von Alencon, Bruder Ludwigs des Heiligen, heiratete und 1286 die Grafschaft Chartres an König Philipp den Schönen verkaufte.

[2] ST-POL-PORCIEN

Gaucher IV. von Chatillon, Graf von St-Pol, war Vater von Gaucher V. (* 1250, + 1329). Dieser spielte eine bedeutende politische Rolle als Rat Philipps des Schönen, Ludwig X. und Karls IV. Durch seine politische und militärische Tätigkeit vermochte Gaucher von Chatillon zahlreiche Lehen und Güter anzuhäufen. Connetable de Champagne (1285) und schließlich Connetable de France (1302), befehligte er zahlreiche Truppenverbände in den Kriegen gegen Flandern (1302-1320), wo seine familiären Beziehungen ihm einen hervorragenden Platz bei den Verhandlungen verschafften. Ebenso führte er Kriegsoperationen in der Guyenne (1324-1325) und in der Grafschaft Verdun (1309,1318,1321) durch. Er unterdrückte die Aufstände in Chalons-sur-Marne (1307) und Navarra (1307), die Revolte des Beraud de Mercoeur (1311), die feudalen Ligen (1315) sowie die Aufstände des Herzogs von Burgund (1317) und des Grafen Robert von Artois (1316-1319). Neben seinen Lehen Crecy-en-Brie, Troissy, Muscourt und Marigny hatte er auch die Lehen von seiner 1. Gattin Isabelle von Dreux (+ 1300), Tochter von Jean, Vicomte von Chateaudun, inne, ebenso diejenigen der Nachkommen seines Onkels Jean, Grafen von Blois, und seines Bruders, Gaucher tauschte 1290 Crecy gegen Chatillon-sur-Marne, das er 1302-1303 jedoch gegen Rozoy, Gandelu und die Grafschaft Porcien dem König abtrat, der hier eine prevote einrichtete. Gaucher erwarb Champront und la Nouvelle, verkaufte jedoch Champront bald wieder an Enguerrand de Marigny und trat das Lehen Ville Bertins an seinen Neffen Miles de Noyers ab. Aus der Ehe mit seiner 1. Frau Isabelle gingen 3 Söhne hervor: Gaucher VI. von Chatillon, Graf von Porcien; Jean I. von Chatillon, Herr von Troissy, der erste der Linie der Barone von Argenton und Bouville und der Herzöge von Chatillon, sowie Hugues, der erste der Vidames von Lyon. Aus seiner 2. Ehe mit Helissende de Nergy entstammten Guy, Herr von La Fere in Tardenois (+ 1362), Gouverneur der Grafschaft Burgund (1335), oo Marguerite von Dampierre (Tochter von Jean II. und Isabeau von Brienne). Beider Sohn Gaucher VII., Graf von Porcien (+ 1342), war in den Prozeß Roberts von Artois verwickelt; oo Jacqueline de Frie. Dieser Ehe entstammte Jean II., Graf von Porcien, der kinderlos starb, nachdem er seine Grafschaft 1400 an Ludwig von Orleans verkauft hatte.
Der Bruder von Gaucher VII., Jean I. von Chatillon (+ 1362), Herr von Dampierre, capitane von Bethune (1346), oo Marie von Rollencourt im Artois, hatte unter anderem folgende Söhne: Gaucher (gefallen 1356 bei Poitiers/Mapertuis); Jean (+ 1363), Hugues II. (+ 1389), capitaine der königlichen Armbrustschützen (arbaletriers) und 1368 königlicher Rat(conseiller), der an vielen Gefechten des Hundertjährigen Krieges teilnahm (1364 in Berry und Normandie, 1367 in Champagne und Picardie) und nach englischer Gefangenschaft (1369-1371) das Amt des capitaine general in Picardie, Artois und Boulonnais erhielt (1373). Aus seiner Ehe mit Agnes de Sechelles stammte Jacques I. (gefallen 1415 bei Azincourt), Herr von Dampierre, Sompuis, Rollencourt, chambellan Karls VI. (1398), admiral de France (1408); oo Jeanne Bureau de La Riviere. Der Ehe entstammten: Jacques II., oo Jeanne Flotte, Dame von Reve und Escole, der 1427 grand penetier de France (königlicher Großer Brotmeister) war und auf den die Bastarde von Dampierre zurückgehen; Walram (+ 1473), Herr von Dampierre, Sompuis, Rollencourt, Gouverneur des Dauphine, der 2 Töchter hinterließ.

[3] CRECY-BLOIS-PENTHIEVRE

Die Vettern 1. Grades des Connetable Gaucher V. und Söhne Guys IV. waren Hugues VI., Guy V. und Jacques. Hugues VI. (II. als Graf von St-Pol) heiratete Beatrix, Tochter des Guy de Dampierre, Grafen von Flandern. Beider Sohn Guy I., Graf von Blois, vermählte sich mit Margarete von Valois. Aus der Ehe ging Louis I., Graf von Blois ( gefallen 1346 bei Crecy), hervor, der in den Armeen Philipps VI. diente und dessen Heirat mit Johanna von Hennegau (um 1331) dazu führte, dass Johann von Hennegau wieder in die Botmäßigkeit des französischen Königs zurückkehrte. Charles de Blois (gefallen 1364 bei Auray), Bruder von Louis I., war der 1. Graf von Penthievre. Die Söhne Louis�I. waren: Louis II., Graf von Blois (+ 1372 in England, kinderlos); Guy II., Graf von Blois, Dunois, Herr von Avesnes, Chimay usw.; Jean II. (+ 1381), Herzog von Geldern (durch Heirat mit Mathilde von Geldern), der 2 Bastarde hinterließ. Guy II. (+ 1397 in Avesnes) heiratete Marie von Namur, hinterließ jedoch keine Kinder. Er verbrachte einen Teil seiner Jugend in England als Geisel (bis 1367), ging 1370 auf Preußenreise und begab sich sodann in die Guyenne und nach Flandern (1383). Er war, wie schon sein Vater, eng mit dem großen Geschichtsschreiber Froissart verbunden. Nach dem Tod seines Sohnes (1391) verkaufte er seine Grafschaften Blois und Dunois an Ludwig von Orleans.
Die Nachkommen von Guy V., Graf von St-Pol, Bruder von Hugues VI., starben entweder kinderlos oder aber das Erbe wurde zum Kunkellehen. Jean, Sohn von Guy V., heiratete Jeanne de Fisnes; aus dieser Ehe gingGuy VI. von Chatillon (V. von St-Pol) hervor; er war lieutenant du roi in der Picardie und im Beauvaisis (1358), kämpfte bei Corbie (1358) und St-Valery (1359) und starb in England als Geisel. Seine Schwester Mahaut heiratete Guido von Luxemburg.
1400 gehörten die Grafschaft Blois und Dunois sowie die Grafschaft Porcien bereits nicht mehr dem Haus CHATILLON; nur die jüngere Linie (Grafen von Penthievre, Herren von La Fere, Herren von Leuse, Herren von Dours) hatten noch Nachkommen. Doch erlosch die Familie CHATILLON erst 1762 vollständig.