DFR - BVerfGE 100, 214 (original) (raw)

Gründe:

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob eine Gewerkschaft Mitglieder ausschließen darf, die bei Betriebsratswahlen auf einer konkurrierenden Liste kandidieren.

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I.

Die beschwerdeführende Gewerkschaft wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, durch die die Unwirksamkeit von Verbandsmaßnahmen (Ausschlüssen und Funktionsverboten) festgestellt wurde. Die Sanktionen waren gegen Mitglieder der Beschwerdeführerin verhängt worden, dieBVerfGE 100, 214 (215) BVerfGE 100, 214 (216)bei Betriebsratswahlen auf einer Liste kandidiert hatten, die mit der von der Beschwerdeführerin aufgestellten konkurrierte.

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1. Zur Wahl von Betriebsräten können neben den wahlberechtigten Arbeitnehmern auch die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Wahlvorschläge machen (§ 14 Abs. 5 des Betriebsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Dezember 1988 [BGBl. 1989 I S. 1, ber. S. 902], zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 1997 [BGBl. I S. 594]; im folgenden: BetrVG). Wahlschutz wird in § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG wie folgt geregelt:

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(1) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats behindern. Insbesondere darf kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden.

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(2) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.

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Das Beeinflussungsverbot des Absatzes 2 gilt auch für die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt daraus, daß sie ihre Mitglieder nicht mit verbandsinternen Sanktionen belegen dürfen, wenn diese bei Betriebsratswahlen auf einer konkurrierenden Liste kandidieren, dabei aber keine grundlegend gewerkschaftsfeindlichen Positionen vertreten (vgl. BGHZ 45, 314 ff.; 102, 265 ff.; NJW 1991, S. 485).

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2. Alle neun Kläger des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Kläger), sämtlich Mitglieder der Beschwerdeführerin, waren bei einer Automobilfabrik beschäftigt. Die Kläger zu 1) bis 6) waren dort Betriebsräte. Im Jahre 1990 lehnten sie es in der Folge von Meinungsverschiedenheiten mit der Beschwerdeführerin über deren Politik gegenüber dem Arbeitgeber ab, auf der Liste der Beschwerdeführerin erneut für den Betriebsrat zu kandidieren, und beantragten bei der Beschwerdeführerin die Genehmigung einer zweiten Liste. Als sie dies nicht erreichten, kandidierten sie zusammen mit den Klägern zu 7) bis 9) auf einer Liste "Alternative Metaller", für die sie mit Plakaten, Flugblättern und mehrseitigen Anzeigen unter Hinweis auf ihre eigene Gewerkschaftszugehörigkeit warben. Der Vorstand der Beschwerdeführerin beschloß nach Durchführung des in ihrer Satzung vorgeschriebenen Untersuchungsverfahrens, die KläBVerfGE 100, 214 (216)BVerfGE 100, 214 (217)ger zu 1), 2), 5) und 6) auszuschließen und die anderen Kläger bis zum 30. April 1994 mit einem befristeten Funktionsverbot zu belegen. Der Kontrollausschuß der Beschwerdeführerin wies die dagegen gerichteten Beschwerden zurück.

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3. Die gegen die Verbandsmaßnahmen gerichteten Feststellungsklagen waren in allen Instanzen erfolgreich. Das Oberlandesgericht gab in wesentlicher Übereinstimmung mit dem Landgericht der Klage mit der Begründung statt, die Maßnahmen verstießen gegen § 20 Abs. 2 BetrVG und seien deshalb gemäß § 134 BGB unwirksam. Das Verhalten der Beschwerdeführerin stelle eine unzulässige Beeinflussung der Betriebsratswahl dar. Darüber hinaus werde das Wahlvorschlagsrecht (§ 14 Abs. 5 BetrVG) und das passive Wahlrecht (§ 8 Abs. 1 BetrVG) der Kläger eingeschränkt. Deren Kandidatur auf einer eigenen Liste bedeute keine grundsätzliche Gegnerschaft zur Beschwerdeführerin und sei daher von dieser zu dulden. Nur wenn die Kläger die Grundordnung der Beschwerdeführerin in Frage gestellt oder deren Zielsetzung bekämpft hätten, wären die Sanktionen berechtigt gewesen. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft dürfe grundsätzlich kein Hindernis bilden, auf einer anderen als der gewerkschaftlich unterstützten Liste zu kandidieren, wenn das Mitglied der Ansicht sei, dies diene eher dem Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs. Die Gewerkschaften hätten kein Anrecht darauf, bei Betriebsratswahlen ausschließlich durch von ihnen selbst ausgesuchte Bewerber vertreten zu werden. Daran ändere auch ihr Wahlvorschlagsrecht nichts.

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Der Bundesgerichtshof nahm die von der Beschwerdeführerin eingelegte Revision nicht an. Die Instanzgerichte seien seiner ständigen Rechtsprechung gefolgt.

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II.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG geltend. Dieses Grundrecht schütze ihre koalitionsmäßige Betätigung auch im Bereich der Betriebsverfassung. Gestützt auf ein eigenes Vorschlagsrecht zur Betriebsratswahl, nehme sie auch im Rahmen der Betriebsverfassung eigene gewerkschaftliche Interessen wahr. DieBVerfGE 100, 214 (217) BVerfGE 100, 214 (218)streitigen Ausschlüsse und Funktionsverbote seien daher keine unzulässige Wahlbeeinflussung. Eine Kandidatur ihrer Mitglieder auf konkurrierenden Listen brauche sie nicht hinzunehmen.

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Der Staat dürfe die Koalitionen nicht durch gesetzliche Konkurrenzeinrichtungen aus ihrem Tätigkeitsbereich verdrängen; deswegen müsse der Beschwerdeführerin ein maßgeblicher Einfluß auf alle Mitbestimmungseinrichtungen eingeräumt werden. Da die Kandidaten nach demokratischen Regeln aufgestellt worden seien und alle Mitglieder die gleiche Wahlchance gehabt hätten, seien die streitigen Maßnahmen zulässig. Die Gewerkschaften könnten im Betriebsverfassungswesen nur durch ihre Mitglieder handeln. Deren Lenkung sei daher Lenkung der eigenen Betätigung. Die Gewerkschaften seien mithin keine Dritten im Sinne des § 20 BetrVG.

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III.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Hessische Staatskanzlei, der Bundesgerichtshof, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands und die Kläger Stellung genommen.

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1. Die Hessische Staatskanzlei hält die Abwägung des Bundesgerichtshofs zwischen dem Recht der Koalition aus Art. 9 Abs. 3 GG und dem Wahlschutz des Betriebsverfassungsgesetzes für vertretbar, soweit es um den Ausschluß der davon betroffenen Kläger geht. Die Gewerkschaften verträten auch im Bereich der Betriebsverfassung vor allem die Interessen ihrer Mitglieder. Der Betriebsrat nehme dagegen im Rahmen der Betriebsverfassung die Interessen aller Arbeitnehmer des Betriebes wahr. Bei seiner Amtsausübung unterliege er dem Gebot der gewerkschaftlichen Neutralität. Die unterschiedlichen Aufgaben von Betriebsverfassungsorgan und Gewerkschaft gleiche das Gesetz dadurch aus, daß es den Gewerkschaften bestimmte Einflußmöglichkeiten zubillige. Diese Einflußmöglichkeiten könnten durch § 20 Abs. 2 BetrVG im Sinne der Rechtsprechung der Zivilgerichte ohne Verfassungsverstoß eingeschränkt werden. In den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG werde durch diese Rechtsprechung nicht eingegriffen.BVerfGE 100, 214 (218)

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BVerfGE 100, 214 (219)Es sei zweifelhaft, ob der Gewerkschaftsausschluß überhaupt ein taugliches und erforderliches Mittel zur Abwehr der Konkurrenz durch eigene Mitglieder sei. Die Bildung und Kundgabe interner Opposition sei erfahrungsgemäß auf diesem Weg nicht zu verhindern. Welchen Einfluß konkurrierende Wahlvorschläge von Gewerkschaftsmitgliedern auf die Wahlchancen der gewerkschaftseigenen Liste hätten, sei nicht dargelegt worden.

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Die uneingeschränkte Wahrung der Verbandssolidarität sei keine notwendige Voraussetzung für die Fähigkeit der Beschwerdeführerin, an der Arbeit des Betriebsrats mitzuwirken. Ihre Durchsetzungskraft werde durch eine Verselbständigung einzelner Mitglieder bei den Betriebsratswahlen ersichtlich nicht beeinträchtigt. Trotz der seit rund 30 Jahren feststehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung seien Mißstände und Unzuträglichkeiten nicht aufgetreten. Jedenfalls habe die Beschwerdeführerin dazu nichts vorgetragen. Daß die Gewerkschaften infolge der konkurrierenden Listen möglicherweise weniger Stimmen erhalten hätten, sei unbedenklich. Der Umfang ihres innerbetrieblichen Einflusses werde durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht geschützt.

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Soweit in den angegriffenen Entscheidungen auch Funktionsverbote für unzulässig erklärt würden, werde Art. 9 Abs. 3 GG verletzt. Dieses Grundrecht schütze die interne Selbstbestimmung der Koalition. Dazu gehöre auch die Befugnis, ein Mitglied zum Organwalter zu bestellen. Würden die Gewerkschaften daran gehindert, bestimmte Tatbestände zum satzungsgemäßen Anlaß für einen Funktionsentzug oder eine Sperre zu wählen, so werde ihr Selbstbestimmungsrecht in einer Weise eingeschränkt, die mit den schutzbedürftigen Belangen des Betriebes nicht zu rechtfertigen sei. Die Gewerkschaften seien befugt, Übertragung und Innehabung solcher Ämter an eine besondere Loyalität der Amtsinhaber zu knüpfen. Anderenfalls wären die Geschlossenheit der Koalition nach außen und ihre Durchsetzungsfähigkeit auch in Tarifauseinandersetzungen in Frage gestellt.

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2. Der Bundesgerichtshof weist auf seine ständige Rechtsprechung hin, nach der es den Gewerkschaften gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG verwehrt sei, ein Mitglied allein deswegen zu maßregeln,BVerfGE 100, 214 (219) BVerfGE 100, 214 (220)weil es bei Betriebsratswahlen auf einer konkurrierenden Liste kandidiert habe.

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3. Der DGB macht geltend, durch das 1989 eingeführte Wahlvorschlagsrecht der Gewerkschaften habe der Gesetzgeber deren Einfluß im Betrieb verstärkt. Die Wirksamkeit der Arbeitnehmerkoalitionen hänge wesentlich von der Geschlossenheit der wahlberechtigten Mitglieder und vom Abschneiden ihrer Liste ab. Die Unterstützung anderer Wählerlisten durch die eigenen Mitglieder stelle einen empfindlichen Angriff auf die gewerkschaftliche Geschlossenheit dar.

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Es verstoße daher gegen Sinn und Zweck der Koalitionsfreiheit, den Gewerkschaften das Recht abzusprechen, Mitglieder, die auf einer freien oder neutralen Liste kandidierten, auszuschließen. § 20 Abs. 2 BetrVG müsse im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG einschränkend ausgelegt werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Kandidaten in einem demokratischen Verfahren aufgestellt würden und die opponierenden Mitglieder dabei zu Worte kämen. Dies sei geschehen.

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4. Der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Bundesgesetzgeber habe mit § 20 Abs. 2 BetrVG den innerbetrieblichen Belangen Vorrang vor den Belangen der Koalitionen eingeräumt. Die Beschwerdeführerin vertrete nach eigenem Verständnis alle Arbeitnehmer in ihrer Branche. Dann aber müsse sie auch kritische Mitglieder in ihren Reihen dulden, wenn diese bei der Betriebsratswahl auf anderen, neutralen Listen kandidierten. Art. 9 Abs. 3 GG schütze nicht die Idee der Einheitsgewerkschaft.

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5. Die Kläger verteidigen die angegriffenen Entscheidungen. Sie seien der Beschwerdeführerin nach wie vor verbunden und hätten nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts ihre gewerkschaftliche Arbeit ohne Beanstandungen fortgesetzt. Ihre Kandidatur habe keinen gewerkschaftsschädigenden Charakter gehabt. Gewerkschaftsfeindliche oder diffamierende Angriffe seien bei den streitigen Wahlen nicht vorgekommen. Bei den damaligen Auseinandersetzungen sei es allein um betriebliche Belange und die Politik der Betriebsratsmehrheit gegangen. In zahlreichen anderen Betrieben dulde die Beschwerdeführerin konkurrierende Listen von IG-MeBVerfGE 100, 214 (220)BVerfGE 100, 214 (221)tall-Mitgliedern. Durch die Auslegung von § 20 Abs. 2 BetrVG, auf der die angegriffenen Entscheidungen beruhten, werde die Beschwerdeführerin weder in ihrer betrieblichen noch in ihrer überbetrieblichen Arbeit behindert.

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B. -- I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Das gegenüber den Klägern zu 3), 4), 7), 8) und 9) ausgesprochene Funktionsverbot hat sich zwar inzwischen durch Zeitablauf erledigt. Die Beschwerdeführerin hat aber auch insoweit ein Rechtsschutzinteresse an einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen. Ihre Verbandsautorität bleibt in jedem Fall beeinträchtigt. Außerdem hat sie ein Interesse an einer Klärung der verfassungsrechtlichen Rechtslage für den Wiederholungsfall.

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II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) verletzt.

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1. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet jedermann das Recht, zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Die individualrechtliche Gewährleistung setzt sich nach feststehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einem Freiheitsrecht der Koalitionen selbst fort. Es schützt ihren Bestand und ihre Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte. Geschützt sind ferner die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre innere Ordnung sowie ihre Tätigkeiten zum Zwecke der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder (vgl. BVerfGE 50, 290 [373]; 84, 212 [224]; 93, 352 [357]; 94, 268 [282 f.]). In den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen damit auch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer Geschlossenheit nach innen und außen. Dieser Schutz ist nicht von vornherein auf einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (vgl. BVerfGE 93, 352 [358 ff.]).BVerfGE 100, 214 (221)

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BVerfGE 100, 214 (222)Indem die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin daran hindern, ihre innere Geschlossenheit durch verbandsinterne Sanktionen zu wahren, wird diese in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG beeinträchtigt.

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2. a) § 20 Abs. 2 BetrVG, auf den die Gerichte ihre Entscheidungen gestützt haben, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gerichte haben jedoch bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift die Ausstrahlungswirkung von Art. 9 Abs. 3 GG zu beachten. Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie Auslegung und Anwendung des Rechts bleiben allerdings grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat auf eine Verfassungsbeschwerde hin nur zu prüfen, ob die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]).

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b) Die Gerichte haben Bedeutung und Tragweite des Art. 9 Abs. 3 GG verkannt. Sie gehen im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGHZ 45, 314; NJW 1981, S. 2178) davon aus, daß die Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist, und sehen diesen durch ihre Auslegung des § 20 Abs. 2 BetrVG nicht als verletzt an. Das wird weder im Ansatz noch in der fallbezogenen Würdigung der Bedeutung und Tragweite des Art. 9 Abs. 3 GG gerecht.

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aa) Die Reduzierung des Schutzes von Art. 9 Abs. 3 GG auf einen Kernbereich beruht, wie das Bundesverfassungsgericht inzwischen klargestellt hat, auf einem Mißverständnis seiner Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 93, 352 [358 ff.]). Vielmehr müssen in jedem Fall die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung und das Gewicht der entgegenstehenden Rechtsgüter abgewogen werden. Aber selbst von ihrem Standpunkt aus hätten die Gerichte die Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerin wohl anders werten müssen. Das Verbot einer Maßregelung von Mitgliedern, die bei Betriebsratswahlen auf einer konkurrierenden Liste kandidieren, beeinträchtigt dieses Freiheitsrecht der Beschwerdeführerin nachhaltig.

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bb) Die Beeinträchtigung trifft die Beschwerdeführerin empfindBVerfGE 100, 214 (222)BVerfGE 100, 214 (223)lich. Die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre innere Ordnung ist ein wesentlicher Teil der Koalitionsfreiheit. Das Prinzip der freien sozialen Gruppenbildung ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 1 GG ausgeführt hat, konstituierend für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 50, 290 [353]). Für Koalitionen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sind die Solidarität ihrer Mitglieder und ein geschlossenes Auftreten nach außen von besonderer Bedeutung. Vor allem darauf beruht ihre Fähigkeit, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder wirksam zu fördern und zu wahren. Tarifautonomie steht von Verfassungs wegen nur solchen Koalitionen zu, die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge sinnvoll zu gestalten. Voraussetzungen dafür sind die Geschlossenheit der Organisation und die Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler (vgl. BVerfGE 58, 233 [248 f.] m.w.N.). Gegnerfreiheit gehört zum Wesen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen (BVerfGE 18, 18 [28]). Verbandsinterne Regularien, die diese Voraussetzungen sicherstellen sollen, sind daher zentrales Schutzgut des Art. 9 Abs. 3 GG.

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Auch im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung fördern die Gewerkschaften die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder und nehmen damit eine verfassungsrechtlich geschützte Funktion wahr. Seit 1989 gibt ihnen das Betriebsverfassungsgesetz (§ 14 Abs. 5) das Recht, sich an den Betriebsratswahlen mit eigenen Listen zu beteiligen. Die Glaubwürdigkeit ihrer Wahlaussagen und das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit hängen wesentlich von dem Eindruck ihrer Geschlossenheit ab. Konkurrierende Listen eigener Mitglieder wirken dem entgegen. Die abträgliche Wirkung strahlt auf das Gesamtbild der Gewerkschaft ab und berührt damit auch das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit bei Tarifauseinandersetzungen.

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cc) Allerdings tritt das Recht der Beschwerdeführerin aus Art. 9 Abs. 3 GG in Widerstreit mit der individuellen Koalitionsfreiheit ihrer Mitglieder und kann hierbei Beschränkungen erfahren; denn auch das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht des Art. 9 Abs. 3BVerfGE 100, 214 (223) BVerfGE 100, 214 (224)GG kann zum Schutz anderer verfassungsrechtlich begründeter Positionen, insbesondere zum Ausgleich konkurrierender Positionen desselben Grundrechts, eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 84, 212 [228]).

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Dem Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit der Gewerkschaftsmitglieder kommt hier jedoch nur geringes Gewicht zu. Sie haben sich mit ihrem Beitritt zur Gewerkschaft freiwillig deren Satzungsautonomie unterworfen und die Verbindlichkeit ordnungsgemäß zustande gekommener Beschlüsse anerkannt. Im Gegenzug hatten sie die Gelegenheit, sich an der gewerkschaftsinternen Willensbildung zu beteiligen und so selbst auf deren Entscheidungen Einfluß zu nehmen. Der Wahlvorschlag der Beschwerdeführerin wird nach den Richtlinien der Beschwerdeführerin für die Vertrauensleutearbeit vom Vertrauenskörper unter der Leitung der Ortsverwaltung aufgestellt und beschlossen. Der Vertrauenskörper besteht aus den Vertrauensleuten, die auf betrieblicher Ebene von den Mitgliedern der Beschwerdeführerin gewählt werden. Die den Klägern wie allen Mitgliedern obliegende Solidaritätspflicht gegenüber den in satzungsgemäßen Verfahren zustande gekommenen Entscheidungen der Beschwerdeführerin ist vom Zweck der Koalition her sachlich begründet. Sie gilt wie dargelegt auch im Rahmen der Beteiligung der Gewerkschaft an der betrieblichen Mitbestimmung und dient letztlich auch der Förderung der Interessen der Kläger. Verstöße gegen die Solidaritätspflicht dürfen deshalb grundsätzlich zu verbandsinternen Sanktionen führen, ohne daß die individuelle Koalitionsfreiheit der betroffenen Mitglieder dadurch von vornherein verletzt wird. Dies gilt auch für den in § 20 Abs. 2 BetrVG gewährten Schutz vor unzulässiger Wahlbeeinflussung.

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Die mit § 20 Abs. 2 BetrVG verfolgten Ziele sind zwar geeignet, die Position der Kläger zu verstärken. Sie wiegen aber in der vorliegenden Konstellation nicht besonders schwer. Das in § 20 Abs. 2 BetrVG enthaltene generelle Verbot, die Betriebsratswahlen weder durch die Zufügung oder Androhung von Nachteilen noch durch die Gewährung oder das Versprechen von Vorteilen zu beeinflussen, dient der Integrität der Betriebsratswahl. Diese soll frei und ungehindert durchgeführt werden. Die Ausübung des passiven und desBVerfGE 100, 214 (224) BVerfGE 100, 214 (225)aktiven Wahlrechts soll allein auf der freien Entscheidung der Betriebsangehörigen beruhen und keiner Steuerung von dritter Seite unterliegen (vgl. BTDrucks I/1546, S. 43; BTDrucks I/3585, S. 5; Schneider, in: Däubler/Kittner/Klebe [Hrsg.], Betriebsverfassungsgesetz, 6. Aufl., 1998, § 20 Rn. 1; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, Betriebsverfassungsgesetz, 19. Aufl., 1998, § 20 Rn. 1).

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Das Ziel der Regelung hat für sich genommen erhebliches Gewicht. Der Betriebsrat repräsentiert die gesamte Belegschaft und nimmt die Belange aller Beschäftigten wahr. Freie und unbehinderte Wahlen sind dafür unabdingbare Voraussetzung.

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Das hier streitige Maßregelverbot ist diesem Ziel förderlich, indem es die betriebsangehörigen Mitglieder der Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihres passiven Wahlrechts auch von einer Rücksichtnahme auf ihre Verbandssolidarität freistellt. Für das gesetzgeberische Ziel, die Glaubwürdigkeit und Legitimität der Wahl zu sichern, ist diese Ungebundenheit jedoch weniger bedeutsam. Zwar kann die Drohung mit einem Ausschluß oder einem Funktionsverbot die Entscheidung zur Kandidatur bei den Betriebsratswahlen beeinflussen. Dies nimmt dem Wahlakt aber nicht seine legitimierende Kraft. Denn der Gesetzgeber selbst hat den Gewerkschaften eine aktive Rolle bei der Betriebsratswahl eingeräumt. Dieser Rolle entspricht es, daß die Gewerkschaften dabei geschlossen auftreten und diese Geschlossenheit auch mit verbandsinternen Sanktionen zu verteidigen suchen.

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3. Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Es läßt sich nicht ausschließen, daß das Gericht bei Berücksichtigung der dargelegten Abwägungsgesichtspunkte zu einem anderen Ergebnis kommt.

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Papier, Grimm, Kühling, Jaeger, Hömig, Steiner, Hohmann-DennhardtBVerfGE 100, 214 (225)

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