Jens Klenner | Bowdoin College (original) (raw)
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Papers by Jens Klenner
Monatshefte special issue: Sprache und Rache 111.3, Oct 2019
Rache und Sprache fügen sich in echohaftem Reim aneinander, und tatsäch-lich scheint die Rache in... more Rache und Sprache fügen sich in echohaftem Reim aneinander, und tatsäch-lich scheint die Rache in der Sprache wörtlich enthalten. Dennoch gibt es keine nachweisliche etymologische Verbindung zwischen den beiden Wör-tern, wohl aber einen systematischen Zusammenhang: Sowohl in der Rede oder schriftlichen Kommunikation als auch in der Rachetat steht Wechsel-seitigkeit im Zentrum und ein Austausch soll etabliert werden. Die Sprache sucht nicht allein als Frage eine Antwort-in der Form einer These erheischt die Rede Erwiderung, als Klage verlangt sie Gehör, als Befehl fordert sie Gehorsam. Eine Rachetat sucht ebenso eine Erwiderungslogik zu etablieren, indem sie beansprucht auf eine Kränkung zu antworten und häufig eine Antwort in Form einer Gegenrache evoziert. Bereits zu Beginn des zwanzig-sten Jahrhunderts sehen die Anthropologie und die Psychoanalyse die Wech-selseitigkeit als strukturelle Analogie zwischen Sprache und Rache, wenn sie Klagen und Gewalt als zwei mögliche Antworten auf Todesfälle miteinander korellieren (Durkheim 658; Freud, GW IX 170-83). Aus verhaltenstheoreti-scher Sicht betonen jüngst Yoshimura und Boon, dass Rachehandlungen auf Austausch und Wechselseitigkeit bedacht sind: ,,revenge is not simply a behavior , but rather is a communicated message" (Yoshimura/Boon 2). Die Nähe von Sprache und Rache, die in der fundamentalen Rolle der Etablierung eines Austauschs liegt, betrifft freilich keineswegs allein deutsch-sprachige Gesellschaften und Literaturen. Doch zum einen macht der Reim von Rache und Sprache auf die Relation aufmerksam, die in anderen Sprachen weniger hervorsticht. A ¨ hnlich phonetisch geht die russische Autorin Stepa-nova vor, wenn sie in einem Text von 2018 eine spezifische Präsenz der Rache in der deutschen Sprache und Erinnerungskultur hört: ,,Im deutschen Wort ,Erinnerung' schwingt für ein russisches Ohr ein ferner Anklang an die Er-innyen mit, die Rachegöttinnen, die den Schuldigen bis ans Ende der Welt vorfolgen" (Stepanova 271-72). 1 Zum anderen hat die Relation von Sprache und Rache als zwei Weisen der Etablierung von Wechselseitigkeit in deutsch
A J o u r n a l D e v o t e d t o t h e S t u d y o f A u s t r i a n L i t e r a t u r e a n d C... more A J o u r n a l D e v o t e d t o t h e S t u d y o f A u s t r i a n L i t e r a t u r e a n d C u l t u r e : Komplexes Erzählen-Vom Scheitern intertextueller Spurensuche In Thomas Bernhards Roman Auslöschung: Ein Zerfall (1986) gibt der Protagonist Franz Josef Murau seinem Schüler Gambetti fünf Bücher zum aufmerksamen Studium: Siebenkäs von Jean Paul, Der Prozeß von Franz Kafka, Die Portugiesin von Musil, Esch oder die Anarchie von Hermann Broch und-Amras von Thomas Bernhard. In einem Akt der Selbstkanonisierung, und das scheint am Ende der Lektüre der einzige Zweck, da die Bücher keinerlei Interpretationsschlüssel darstellen, reiht Thomas Bernhard das ihm Liebste seiner eigenen Bücher in den Kanon deutschsprachiger "Höhenkammliteratur" ein. 2
Book Reviews by Jens Klenner
C o p y r i g h t © 2 0 1 4 A u s t r i a n S t u d i e s A s s o c i a t i o n | journal of aust... more C o p y r i g h t © 2 0 1 4 A u s t r i a n S t u d i e s A s s o c i a t i o n | journal of austrian studies 47:4 136
Alice Stašková and Paul Michael Lützeler, eds., Hermann Broch und die Künste. Berlin: Walter de G... more Alice Stašková and Paul Michael Lützeler, eds., Hermann Broch und die Künste. Berlin: Walter de Gruyter, 2009. 263 pp.
Monatshefte special issue: Sprache und Rache 111.3, Oct 2019
Rache und Sprache fügen sich in echohaftem Reim aneinander, und tatsäch-lich scheint die Rache in... more Rache und Sprache fügen sich in echohaftem Reim aneinander, und tatsäch-lich scheint die Rache in der Sprache wörtlich enthalten. Dennoch gibt es keine nachweisliche etymologische Verbindung zwischen den beiden Wör-tern, wohl aber einen systematischen Zusammenhang: Sowohl in der Rede oder schriftlichen Kommunikation als auch in der Rachetat steht Wechsel-seitigkeit im Zentrum und ein Austausch soll etabliert werden. Die Sprache sucht nicht allein als Frage eine Antwort-in der Form einer These erheischt die Rede Erwiderung, als Klage verlangt sie Gehör, als Befehl fordert sie Gehorsam. Eine Rachetat sucht ebenso eine Erwiderungslogik zu etablieren, indem sie beansprucht auf eine Kränkung zu antworten und häufig eine Antwort in Form einer Gegenrache evoziert. Bereits zu Beginn des zwanzig-sten Jahrhunderts sehen die Anthropologie und die Psychoanalyse die Wech-selseitigkeit als strukturelle Analogie zwischen Sprache und Rache, wenn sie Klagen und Gewalt als zwei mögliche Antworten auf Todesfälle miteinander korellieren (Durkheim 658; Freud, GW IX 170-83). Aus verhaltenstheoreti-scher Sicht betonen jüngst Yoshimura und Boon, dass Rachehandlungen auf Austausch und Wechselseitigkeit bedacht sind: ,,revenge is not simply a behavior , but rather is a communicated message" (Yoshimura/Boon 2). Die Nähe von Sprache und Rache, die in der fundamentalen Rolle der Etablierung eines Austauschs liegt, betrifft freilich keineswegs allein deutsch-sprachige Gesellschaften und Literaturen. Doch zum einen macht der Reim von Rache und Sprache auf die Relation aufmerksam, die in anderen Sprachen weniger hervorsticht. A ¨ hnlich phonetisch geht die russische Autorin Stepa-nova vor, wenn sie in einem Text von 2018 eine spezifische Präsenz der Rache in der deutschen Sprache und Erinnerungskultur hört: ,,Im deutschen Wort ,Erinnerung' schwingt für ein russisches Ohr ein ferner Anklang an die Er-innyen mit, die Rachegöttinnen, die den Schuldigen bis ans Ende der Welt vorfolgen" (Stepanova 271-72). 1 Zum anderen hat die Relation von Sprache und Rache als zwei Weisen der Etablierung von Wechselseitigkeit in deutsch
A J o u r n a l D e v o t e d t o t h e S t u d y o f A u s t r i a n L i t e r a t u r e a n d C... more A J o u r n a l D e v o t e d t o t h e S t u d y o f A u s t r i a n L i t e r a t u r e a n d C u l t u r e : Komplexes Erzählen-Vom Scheitern intertextueller Spurensuche In Thomas Bernhards Roman Auslöschung: Ein Zerfall (1986) gibt der Protagonist Franz Josef Murau seinem Schüler Gambetti fünf Bücher zum aufmerksamen Studium: Siebenkäs von Jean Paul, Der Prozeß von Franz Kafka, Die Portugiesin von Musil, Esch oder die Anarchie von Hermann Broch und-Amras von Thomas Bernhard. In einem Akt der Selbstkanonisierung, und das scheint am Ende der Lektüre der einzige Zweck, da die Bücher keinerlei Interpretationsschlüssel darstellen, reiht Thomas Bernhard das ihm Liebste seiner eigenen Bücher in den Kanon deutschsprachiger "Höhenkammliteratur" ein. 2
C o p y r i g h t © 2 0 1 4 A u s t r i a n S t u d i e s A s s o c i a t i o n | journal of aust... more C o p y r i g h t © 2 0 1 4 A u s t r i a n S t u d i e s A s s o c i a t i o n | journal of austrian studies 47:4 136
Alice Stašková and Paul Michael Lützeler, eds., Hermann Broch und die Künste. Berlin: Walter de G... more Alice Stašková and Paul Michael Lützeler, eds., Hermann Broch und die Künste. Berlin: Walter de Gruyter, 2009. 263 pp.