Schulaussprache des Lateinischen (original) (raw)

Die Schulaussprache des Lateinischen ist das heute in der deutschen Schule gelehrte und gesprochene Latein. Da es nicht die eine einzige historisch korrekte Aussprache gibt,[1] müssen andere Lösungen gesucht werden. Sie ist deshalb ein Kompromiss aus der deutschen Aussprache des Lateinischen und der auf wissenschaftlicher Grundlage rekonstruierten lateinischen Aussprache des Klassischen Lateins. Sie orientiert sich an den Empfehlungen der gängigen Schulgrammatiken und der staatlichen Lehr- und Rahmenpläne und versucht, eine überschaubare praktikable Anzahl von Regeln aufzustellen, die Lehrer und Schüler eine gewisse Sicherheit in der Aussprache bieten.

Es gibt in Deutschland immer noch traditionell, kulturell und landschaftlich bedingte Unterschiede, die sich aber immer mehr nivellieren. Zum Beispiel wurde früher in einigen Bundesländern und auch in katholischen Gegenden das c vor den hellen Vokalen i, e und ae konsequent mittellateinisch als z ausgesprochen, heute aber hat sich die klassische Aussprache des c als k in Deutschland überall durchgesetzt. Die Aussprache kann trotzdem von Schule zu Schule, von Lehrer zu Lehrer abweichen, da die Schulgrammatiken und Lehrpläne immer noch Raum für divergierende Auffassungen und Geschmacksrichtungen zulassen. Die folgenden Regeln stellen deshalb den Querschnitt der schulischen Praxis dar.

Im Allgemeinen deckt sich die lateinische mit der deutschen Aussprache. Vokale und Konsonanten werden deutlich getrennt gesprochen (ii = i-i, appellare = ap-pel-lare).

Je nach ästhetischem Empfinden des Lehrers (und teilweise der Schüler) können in unterschiedlichem Ausmaß mittellateinische Einsprengsel vorhanden sein, etwa: c mittellateinisch in Eigennamen, „ecce“ und „cis“, sonst aber k (also „kito“ und vor allem „skelus“), ti dagegen als zi.

Diese sind unstrittig festgelegt und müssen beim Lesen genau beachtet werden. Jedes Wort, das mehr als eine Silbe hat, bekommt einen Akz_e_nt (hier gekennzeichnet durch das markierte e). Zweisilbige Wörter werden immer auf der ersten Silbe betont. Erst bei Wörtern mit drei oder mehr Silben kann Unsicherheit auftreten, die aber leicht durch die Beachtung der Betonungsregel (Paenultimagesetz) beseitigt werden kann. Die Betonung ist durch die Quantität (Länge oder Kürze) der vorletzten Silbe (paenultima syllaba) festgelegt. Mit diesem Anhaltspunkt kann die Betonung jedes lateinischen Worts sofort genau ermittelt werden. Dazu gibt es fünf Regeln:

Für alle Wörter gilt:

  1. Betone nie die letzte Silbe!

Zweisilbige Wörter werden also immer auf der ersten Silbe betont: _mū_-rus, _co_-lor.

Für drei- und mehrsilbige Wörter gilt:

  1. Betone die vorletzte Silbe, wenn sie lang ist (a-_mī_-cus, fe-_nes_-tra)!
  2. Betone die drittletzte Silbe, wenn die vorletzte kurz ist (fa-_mi_-li-a, Ger-_mā_-ni-a, Vin-_do_-bo-na).

Die Quantität, das heißt die Länge der vorletzten Silbe, ist genau festgelegt und ergibt sich wie folgt:

  1. Eine Silbe ist lang, wenn sie einen langen Vokal oder einen Diphthong enthält (naturlang): Rō-_mā_-nus, _tau_-rus; im Lexikon gekennzeichnet durch das Makron = Längezeichen; nō-mi-nā-re, der Vokal ā in der vorletzten Silbe nā ist lang, also sprich: nō-mi-_nā_-re.
  2. Eine Silbe ist lang, wenn auf deren Vokal zwei Konsonanten folgen (positionslang): lī-ber-tās, auf das e folgen die zwei Konsonanten r-t, also sprich: lī-_ber_-tās; ebenso fe-_nes_-tra, co-_lum_-ba. Ausnahmen: Muta cum Liquida bewirkt keine Positionslänge: _te_-ne-brae, da ne gefolgt von der Muta cum Liquida br; qu bewirkt ebenfalls keine Positionslänge: _col_-lo-qui.
  3. Vor nf, ns, nct, gn ist der Vokal immer lang: īnsīgnis (sprich īn-_sīng_-nis), īnfans, sānctus, sīgnum.[2]

Text (Caesar, Bell. Gall. 1,1) mit Silben, Längen: ā ē ī ō ū und mit Akzenten: a e i o u, also die betonten Silben sind hier nur im Vokal markiert:

G_a_l-li-a est _o_m-nis dī-v_ī_-sa in p_a_r-tēs trēs, qu_ā_-rum _ū_-nam _i_n-co-lunt B_e_l-gae (=B_e_l-gä), _a_-li-am A-quī-t_ā_-ni (=A-qwī-t_ā_-ni), t_e_r-ti-am, qui (=qwi) ip-s_ō_-rum l_i_ng-uā (=l_i_ng-wa) C_e_l-tae (=C_e_l-tä), n_o_s-trā G_a_l-li ap-pel-l_a_n-tur. Hī _o_m-nēs l_i_ng-uā (=l_i_ng-wa), īn-sti-t_ū_-tīs, l_ē_-gi-bus _i_n-ter sē d_i_f-fe-runt. G_a_l-lōs ab A-quī-t_ā_-nīs (=A-qwī-t_ā_-nīs) Ga-r_u_n-na fl_ū_-men, ā B_e_l-gīs M_ā_-tro-na et S_e_-qua-na (=S_e_-qwa-na) d_ī_-vi-dit. H_ō_-rum _o_m-ni-um for-t_i_s-si-mī sunt B_e_l-gae (=B_e_l-gä), prop-t_e_r-e-ā quod ā c_u_l-tū _a_t-que hū-mā-ni-t_ā_-te prō-v_i_n-ci-ae (=prō-v_i_n-ci-ä) lon-g_i_s-si-mē _a_b-sunt mi-ni-m_ē_-que (=mi-ni-m_ē_-qwe) ad _e_-ōs mer-cāt_ō_-rēs s_ae_-pe (s_ä_-pe) c_o_m-me-ant […]
Anhören/?.

In Österreich folgen die Gymnasien der humanistischen Aussprache des Lateinischen, die auch in katholischen Messen verwendet wird.

Schulgrammatiken enthalten am Anfang einen Abschnitt zur Lautlehre, Aussprache und Betonung, siehe die Liste im Artikel Lateinische Grammatik.

  1. „Es sei vorausbemerkt, daß die Silbenquantitäten des Lateinischen im Lauf der Jahrhunderte sich verändert haben; jede Generation, ja jeder Dichter hat prosodische Eigenheiten. Im wesentlichen genügt es jedoch Altlatein (Plautus, Terenz, Ennius), klassisches Latein und Spätlatein (bis zum Schwinden des Gefühls für Quantitäten) zu unterscheiden. Die Prosodie des klassischen Lateins […] ist am wichtigsten […]“. Crusius, Seite 4 (siehe Literatur).
  2. Leo Stock: Langenscheidts Kurzgrammatik Latein, Berlin 1980, Seite 6: Quanität (Sprechdauer) der Silben.