29.08.2022: Magnus schreibt an Alec II (original) (raw)

Liebreizender Liebesmuffin,

ich hoffe, dieser parfümierte Brief trifft dich wohlauf an und dass du und R und M eine exzellente Zeit während eurer exotischen Reise nach … nun, ich glaube, der Begriff, den du benutzt hattest, war „Upstate“[1]. Ich habe Legenden über dieses Upstate gehört, aber ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass meine Familie es mit all seinen Bergen, den putzigen Bauernmärkten und dem Fluss des Sohns des Huds[2]sehen würde.

Wichtiger noch, ich hoffe, dass die Kinder ihren Besuch bei Oma genießen, und ich hoffe, du nennst Maryse so oft wie möglich „Oma“, denn ich freue mich über das Gesicht, das sie jedes Mal macht, wenn wir das tun. Eine weit weniger angenehme, aber dringendere Anmerkung: Ich hoffe, du hattest die Gelegenheit, mit Luke für die Kohorte-/Idris-Sachen zu reden.

Aber ermüde deine schönen Hände nicht mit einer schriftlichen Antwort. Ich werde mich heute Nachmittag selbst auf den Weg nach „Upstate“ machen, um mich euch anzuschließen, weil ich erleichtert verkünden kann, dass die Angelegenheit mit dem verfluchten Haus der Blackthorn-Kinder mehr oder weniger geklärt ist. Es stand allerdings auf Messers Schneide.

Ich glaube nicht, dass ich dir den Brief von Jem gezeigt habe, der besagte: „Emma und Julian versuchen, dich nicht mit ihrem Haus zu belästigen, und das ist sehr nett von ihnen, aber im Gegensatz zu ihnen habe ich absolut keine Gewissensbisse, dich zu belästigen, und deshalb belästige ich dich jetzt mit dieser Nachricht. Wir brauchen einen Hexenmeister und du bist der Beste, den ich dafür kenne. Wir alle würden deine Hilfe sehr zu schätzen wissen.“

Wie es so oft der Fall ist, war ich gleichzeitig leicht genervt und leicht beeindruckt von Jem, der gleichzeitig sehr freundlich war _und_mich auch daran erinnerte, dass ich schwach werde, wenn es um ihn und Tessa geht und ich ihnen wann immer möglich zu Hilfe eile. Weil ich schwach werde, wenn es um ihn und Tessa geht, schrieb ich schnell zurück, dass ich kommen würde.

Ich weiß, was du nun denkst: „Wieso braucht Tessa einen Hexenmeister, wenn sie auch ein Hexenwesen ist?“ Aber verschiedene Hexenwesen haben verschiedene Fachbereiche, wie du ja weißt, und auch wenn Jem mir schmeichelte, dass ich die beste Wahl wäre, ist es nun mal eine Tatsache, dass ich mit deutlich mehr Flüchen zu tun _hatte_als Tessa. Das kommt davon, wenn man die letzten Jahrzehnte damit verbracht hat, seine Dienste an zwielichtige Gestalten zu vermieten, anstatt ein ruhiges Leben als Magieforscher im Spiral Labyrinth zu führen. Tessa war schon immer die Klügste von uns allen.

Jedenfalls muss ich Emma und Julian ein Lob aussprechen. Ich hatte erwartet, dass ich ankomme und sie die verfluchten Gegenstände aneinanderschlagen oder so, aber sie hatten einen einigermaßen angemessenen Schutzkreis errichtet und sogar einen Zauberspruch gefunden. Es war ein alter, ziemlich allgemeiner Zauberspruch, der meiner Erfahrung nach bei tatsächlichen Flüchen in der heutigen Zeit selten von großem Nutzen ist, aber immerhin.

Dummerweise habe ich selbst einen einfachen, alltäglichen Fluchbrecherkreis arrangiert und es ausprobiert. „Dummerweise“, weil ich vergessen hatte, wer den Fluch damals ausgesprochen hat. Dein schlimmster Vorfahre, Benedict Lightwood, Dämonenliebhaber und dilettantischer Nekromant. Wie sehr war Benedict mit Dämonen im Bett? Er starb buchstäblich an Dämonenpocken, was – falls du es nicht kennst, weil du so schön rein bist, mein Alec – eine sexuell übertragbare Dämonenkrankheit ist.

Aber ich vergas das in dem Moment, also war ich überrascht, dass der Fluch erstaunlichen Widerstand leistete. Er wand sich und zuckte und schlug um sich, so wie Max, wenn er in die Badewanne gesetzt wird. Die verfluchten Gegenstände leuchteten alle neongrün an den Stellen, an denen sie mit der Magie verbunden waren, und schließlich wurde mir klar, dass ich jeden einzelnen Gegenstand vorsichtig von dem Fluch befreien musste, einen nach dem anderen.

Ich schaffte es mit dem Flachmann, dem Dolch, einem der Kerzenhalter (frag mich nicht, wie DAS passiert), aber danach hing ich fest.

Es sieht nicht gut aus, wenn ein Hexenmeister eine beeindruckende magische Pose einnimmt und dann nichts passiert. Ich bin mir sicher, ich sah lächerlich aus, wie ein irdischer Zauberer, der nicht verstehen konnte, warum das Kaninchen nicht aus dem Hut kam. Julian und Emma waren sehr höflich und warteten geduldig, aber ich fühlte mich ziemlich dämlich.

Und dann habe ich kurz ganz die Konzentration verloren, weil die Tür sich öffnete und Kit hineinspazierte. Er sah sich alles an und meinte schließlich: „Professor Blum in der Bibliothek mit einem Kerzenhalter, wie ich sehe.“[3]

„Violett ist immer eine angemessene Farbe für einen Hexenmeister“, sagte ich. „Es ist die repräsentative Farbe der Magie.“

Emma sagte natürlich: „Deine Magie ist blau“, weil sie eine unverbesserliche Klugscheißerin ist.

„Vielleicht meinte er mich“, sagte Julian. „Ich trage einen lila Kapuzenpullover. Auch, weil es die repräsentative Farbe der Magie ist“, fügte er mit einem Kopfnicken in meine Richtung hinzu, was ich begrüßte.

„Vielleicht könntest du die Gegenstände auf eine lila Tischdecke anstatt auf eine weiße legen“, schlug Kit vor und während er sprach, kam er näher, um sich das Ganze genauer anzusehen.

Und als er dem Kreis wirklich nahe kam, Alec, spürte ich das seltsamste Gefühl. Ein Gefühl von … Macht, die irgendwie in Kit summte. Kennst du das, wenn dein Körper bei einem wirklich sehr tiefen Ton quasi vibriert? Dieses rumorende Gefühl? Es war wie das, nur lautlos. Das habe ich noch nie gespürt, wenn ich Kit gesehen habe. Ich konnte auch erkennen, dass Kit nichts Ungewöhnliches empfand. Und wenn doch, dann war er erstaunlich nonchalant deswegen.

Also habe ich vorgeschlagen, dass er sich zu uns in den Kreis stellen und seinen Fokus auf die Magie legen soll. „Besonders weil Jem und Tessa sich irgendwohin verzogen haben, anstatt uns zu helfen.“

„Sie sind draußen im Garten mit Mina“, sagte Kit ein wenig defensiv.

Ich lenkte die Aufmerksamkeit aller auf die Objekte zurück und stellte eine etwas abgewandelte Version meines üblichen Fluchbrechers auf. Ich wandte mich dem Kerzenhalter zu und BANG! Kein Widerstand mehr! Es gab einen großen blauen Knall und alle magischen Knoten, die die Gegenstände mit dem Fluch verbanden, zerbrachen.

Alle mussten ziemlich viel blinzeln. Irgendwann sagte ich so etwas wie: „Nun, das war eher das, was ich mir erhofft hatte. Ich schätze, vier Leute haben den Unterschied ausgemacht.“

Ich schaute nach. Der Fluch schien … verschwunden. Ich war tatsächlich etwas aufgewühlt. Ich habe es Tessa und Jem gegenüber nicht erwähnt, weil ich keine große Sache daraus machen wollte, aber ich denke, es hat wegen Kit funktioniert. Nicht, weil wir eine vierte Person benötigten.
Irgendetwas ist los mit ihm, irgendeine Magie, die völlig außerhalb seines Bewusstseins liegt. Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass er der Nachkomme des Urerben ist, aber ich war noch nie ein Experte für diese Art von Feenzauber. (Verbrenne diesen Brief nachdem du ihn bekommen hast – sehr wenige von uns wissen, dass Kit der Urerbe ist und es ist besser, wenn es so bleibt.)

Es macht mich traurig, daran zu denken. Kit ist ein guter Junge, der ein gutes, normales Leben verdient hat. Ich weiß, dass Jem und Tessa sich das für ihn wünschen, mehr als alles andere, nach dem Chaos, in dem er aufgewachsen ist. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er eine Wahl in dieser Angelegenheit haben wird. Die Feenwesen werden ihn vielleicht nicht wählen lassen.

Julian streckte die Hand aus und nahm den Flachmann auf. Er hielt ihn einen Moment lang und runzelte die Stirn.

„Was?“, fragte Emma.

„Nichts“, sagte Julian. Er sah mich an. „Das war’s? Kein Fluch mehr?“

„Kein Fluch mehr“, erwiderte ich. „Hoffe ich.“

Und dann schwebte Rupert der Geist von der Decke herab. Ich habe Rupert Blackthorn zu Lebzeiten nie getroffen. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Einerseits scheint er ein Unschuldiger gewesen zu sein, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, ein Geist, der in einem Haus gefangen war, in dem er nie gelebt hat, aufgrund eines Übels, von dem er vor seinem Tod nichts gewusst hat. Andererseits hat er Tatiana Lightwood getroffen und sich gedacht: „Diese Dame scheint eine gute Heiratskandidatin zu sein“, also muss irgendetwas an ihm komisch gewesen sein.

Rupert war über dem Tisch und er schwebte hinunter, bis er direkt darüber war. Er starrte etwas darauf an.

„Was ist los, Rupert?“, fragte Emma. „Was siehst du?“

Kit folgte seinem Blick und schob die Gegenstände aus dem Weg. „Es ist ein Ring“, sagte er.

Emma fragte: „Welcher Ring?“

In der Tat, welcher Ring? Unter den verfluchten Gegenständen befand sich kein Ring. Aber es lag nun ein Ring auf dem Tisch. Es war ein silberner Ring, mit einem schwarzen Stein und einem Dornenmuster.

„Blackthorn Familienring?“, fragte Kit.

„So sehen Familienringe normalerweise nicht aus“, meinte Emma.

„Ehering?“ schlug Kit vor.

„Schattenjäger tragen keine Eheringe“, antwortete Emma, aber Julian hatte diesen nachdenklichen Gesichtsausdruck, den er manchmal bekommt.

„_Ein Band aus Silber hält mich hier_“, meinte er leise.

„Schattenjäger können Eheringe austauschen“, sagte ich. „Es wird nur nicht von ihnen erwartet. Aber sie können es tun, wenn sie möchten.“

Was auch immer es war, es gehörte Rupert. Er war Kits Hand gefolgt, als sie den Ring aufhob, und nun griff er mit einer dünnen Geisterhand nach ihm. Er wickelte sie um den Ring, was absolut nichts bewirkte, da er ein Geist ist – Kit hielt ihn einfach für ihn fest. Dann schlossen sich seine Augen (Ruperts, meine ich) und er bekam diesen Ausdruck von Erleichterung, Dankbarkeit und Frieden auf seinem Gesicht, und er… verschwand einfach, genau da. Er verblasste langsam und war weg. Kein Rupert mehr. Auf zu einem besseren Ort und hoffentlich nicht zu einem Wiedersehen mit seiner Frau, denn sie war über hundert Jahre lang seine Gefängniswärterin.

„Er hat sich nicht einmal verabschiedet“, meinte Emma leise.

„Das ist auch gut so“, sagte ich. „Er hätte niemals hier sein sollen.“

„Rupert, wenn du mich hören kannst“, sagte Emma, „es war schön, von dir heimgesucht zu werden.“

„Fünf Sterne“, sagte Kit feierlich und legte den Ring zurück auf den Tisch. „Würde mich wieder heimsuchen lassen.“

Und dann gingen alle Kerzen auf einmal im Raum aus. Was, wenn es Rupert war, eine nette Geste war. Vielleicht war es aber auch nur ein Luftzug.

Wir gingen alle schweigsam aus dem Raum. „Es ist anders,“ sagte Julian. Er sah sich im Flur um. „Ich kann es bereits fühlen.“

Ich konnte es auch spüren. Es herrschte eine Leichtigkeit, die vorher nicht da war. Eine Art angenehme Gemütlichkeit, die ein gutes Haus ausstrahlt und die all in der Zeit, seitdem ich Blackthorn Hall kenne, immer gefehlt hat. Es ist schwierig zu beschreiben, aber auf einmal fühlte es sich auf eine Art und Weise wie das Zuhause von Julian und Emma an, wie es vorher nicht der Fall war. Ich kannte es immer als einen abweisenden Ort, und dann als eine abscheuliche Ruine, aber zum ersten Mal dachte ich, dass dies ein Ort ist, den die Blackthorns mit Freude füllen könnten.

Und ich bin sicher, das werden sie auch.

Wir sehen uns sehr bald, mein Liebling. Ich werde dich küssen, bis uns ein Kleinkind trennt und Aufmerksamkeit verlangt. Plane also einen Kuss von etwa 30-60 Sekunden ein, basierend auf früheren Erfahrungen. Aber ich wünsche mir, wie immer, dass er endlos sein könnte.

In Liebe

Magnus

[1]Magnus macht hier einen New Yorker Witz. Von Wikipedia: „Unter Upstate New York versteht man denjenigen Teil des US-Bundesstaates New York, der sich weder dem Großraum New York City noch Long Island zurechnen lässt.“ Der gängige Witz ist, dass die New Yorker es als eine bedeutende Reise betrachten, obwohl es eigentlich ganz nah ist.

[2]Magnus meint hier selbstverständlich den Hudson River.

[3]Kit bezieht sich auf das Spiel Cluedo. Im Englischen/Amerikanischen heißt der Professor „Plum“, also Pflaume, was auch eine Farbbezeichnung für Lilatöne sein kann.

~*~
Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.