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Wiedergutmachungspraxis als Instrument des Antikommunismus Im März 1953 empörte sich der ‚Königst... more Wiedergutmachungspraxis als Instrument des Antikommunismus Im März 1953 empörte sich der ‚Königsteiner Kreis', ein Zusammenschluss von aus der DDR geflüchteten Juristen, Volkswirten und Beamten über eine anstehende Auszahlung von Wiedergutmachungsleistungen an ehemalige NS-Verfolgte in Baden-Württemberg, da der "überwiegende Teil der Empfangsberechtigten" aus "aktive[n] Kommunisten" bestehe "und die Söhne dieser Leute studieren in Berlin. Mit den Wiedergutmachungsgeldern haben sich die Kommunisten Geschäfte gegründet oder Häuser gekauft bzw. gebaut usw.". Allein in dem Bundesland flössen so eineinhalb Millionen DM "in kommunistische Taschen". Der maßgeblich vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) finanzierte Kreis äußerte in einem Brief an die Bundesregierung die Überzeugung, dass KPD-Mitglieder "strengster Parteidisziplin unterworfen sind und einen Teil der ihnen gewährten Wiedergutmachungsgelder der KPD zur Verfügung stellen müssen. Hierdurch kommen also die Todfeinde der Demokratie in den Besitz der segensreichen Auswirkungen der Demokratie" 1. Neben dem vordergründigen Staatsschutzgedanken, der davon ausging, dass Kommunisten die erhaltenen Leistungen stets gegen die Bundesrepublik einsetzten, und der eine pazifizierende Wirkung der Entschädigungszahlungen sowie damit eine soziale Integration von Kommunisten in die westdeutsche Gesellschaft gar nicht erst erwog 2 , trat unverhohlener Sozialneid und das Motiv der Opferkonkurrenz. Denn vor "der Befriedigung der Ansprüche von Kommunisten" müssten die "anerkannten Flüchtlinge aus der Sowjetzone versorgt werden". Der ‚Königsteiner Kreis' nahm damit kommunistische NS-Verfolgte in Westdeutschland unterschiedslos in eine Kollektivhaftung für die Systemkonkurrenz, denn er vertrat die Auffassung, "dass es bei der durch die Kommunisten verursachten Lage in Deutschland, die die Bundesrepublik infolge des anhaltenden Flüchtlingsstroms in ungewöhnliche Schwierigkeiten bringt, angebracht erscheint, den Anhängern des Kommunismus in der Bundesrepublik ihre Wiedergutmachungsansprüche zunächst einmal zu sperren bzw. zurückzustellen. Die Rechtsgrundlage hierfür dürfte der durch den Kommunismus verursachte Staatsnotstand sein und zur Begründung ausreichen" 3. Die Prinzipien der Rechtsgleichheit sollten für Kommunisten also nicht mehr gelten-sie standen außerhalb der postnationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft'.
Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, 2014
Wiedergutmachungspraxis als Instrument des Antikommunismus Im März 1953 empörte sich der ‚Königst... more Wiedergutmachungspraxis als Instrument des Antikommunismus Im März 1953 empörte sich der ‚Königsteiner Kreis', ein Zusammenschluss von aus der DDR geflüchteten Juristen, Volkswirten und Beamten über eine anstehende Auszahlung von Wiedergutmachungsleistungen an ehemalige NS-Verfolgte in Baden-Württemberg, da der "überwiegende Teil der Empfangsberechtigten" aus "aktive[n] Kommunisten" bestehe "und die Söhne dieser Leute studieren in Berlin. Mit den Wiedergutmachungsgeldern haben sich die Kommunisten Geschäfte gegründet oder Häuser gekauft bzw. gebaut usw.". Allein in dem Bundesland flössen so eineinhalb Millionen DM "in kommunistische Taschen". Der maßgeblich vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) finanzierte Kreis äußerte in einem Brief an die Bundesregierung die Überzeugung, dass KPD-Mitglieder "strengster Parteidisziplin unterworfen sind und einen Teil der ihnen gewährten Wiedergutmachungsgelder der KPD zur Verfügung stellen müssen. Hierdurch kommen also die Todfeinde der Demokratie in den Besitz der segensreichen Auswirkungen der Demokratie" 1. Neben dem vordergründigen Staatsschutzgedanken, der davon ausging, dass Kommunisten die erhaltenen Leistungen stets gegen die Bundesrepublik einsetzten, und der eine pazifizierende Wirkung der Entschädigungszahlungen sowie damit eine soziale Integration von Kommunisten in die westdeutsche Gesellschaft gar nicht erst erwog 2 , trat unverhohlener Sozialneid und das Motiv der Opferkonkurrenz. Denn vor "der Befriedigung der Ansprüche von Kommunisten" müssten die "anerkannten Flüchtlinge aus der Sowjetzone versorgt werden". Der ‚Königsteiner Kreis' nahm damit kommunistische NS-Verfolgte in Westdeutschland unterschiedslos in eine Kollektivhaftung für die Systemkonkurrenz, denn er vertrat die Auffassung, "dass es bei der durch die Kommunisten verursachten Lage in Deutschland, die die Bundesrepublik infolge des anhaltenden Flüchtlingsstroms in ungewöhnliche Schwierigkeiten bringt, angebracht erscheint, den Anhängern des Kommunismus in der Bundesrepublik ihre Wiedergutmachungsansprüche zunächst einmal zu sperren bzw. zurückzustellen. Die Rechtsgrundlage hierfür dürfte der durch den Kommunismus verursachte Staatsnotstand sein und zur Begründung ausreichen" 3. Die Prinzipien der Rechtsgleichheit sollten für Kommunisten also nicht mehr gelten-sie standen außerhalb der postnationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft'.
Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, 2014