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Papers by Jan Tobias Fuhrmann
Algorithmisierung und Autonomie im Diskurs, 2020
Der Kommunikationsbegriff der soziologischen Systemtheorie wurde bisher als Selektionstrias von M... more Der Kommunikationsbegriff der soziologischen Systemtheorie wurde
bisher als Selektionstrias von Mitteilung/Information/Verstehen konzipiert. Er setzt beteiligte psychische Systeme voraus, die in der Lage sind, Kommunikationen sinngenetisch auszulesen. Kommunikation, an der algorithmische Systeme beteiligt sind, kann darum nicht konzipiert werden. Das erfordert eine Revision des Kommunikationsbegriffs.
Luhmann inszenierte die soziologische Systemtheorie als epistemologische Wende. Denn die Welt kön... more Luhmann inszenierte die soziologische Systemtheorie als epistemologische Wende. Denn die Welt könne nicht mehr vorausgesetzt werden, die Welt ziehe sich in das Unbeobachtbare zurück, weil die Beobachtung einen Schnitt, eine Einkerbung vornehmen müsse, „die man zwar kreuzen, aber nicht ‚aufheben‘ kann, ohne ins Unbeobachtbare zurückzukehren.“ Was sich bei Luhmann als radikal konstruktivistisch gibt, was sich als Überwindung der Ontologie und der klassischen Logik prätendiert, finde sich darin, dass jede Beobachtung eine Unterscheidung benutze, mit der die Welt nicht erreicht werden kann. Die Fundamente der Epistemologie der alteuropäischen Tradition scheinen erschüttert durch die Geste einer postfundamentalen Theoriebildung.
Doch die Einkerbung, die nur gekreuzt werden könne, verweist auf die Spur eines unerschütterlichen Fundaments der Systemtheorie. Denn die Kerbe entsteht nicht im Einkerben, sie ist schon da, in der Unterscheidung, die der Beobachter blind verwenden müsse. Er kann nur von der einen auf die andere Seite der Zwei-Seiten-Form wechseln. Die andere Seite ist in der Totalalternative eines binären Schematismus vorbestimmt, sodass der systemtheoretische Beobachter immer nur im Entweder-Oder operieren kann.
Eine postfundamentale Systemtheorie setzt an diesem Punkt an und geht davon aus, dass keine Kerbe einer blind zu benutzenden Unterscheidung vorliege. Stattdessen bleibt das Außen, die andere Seite, immer unbestimmt. Es liegt keine fundamentale Einkerbung vor, die gekreuzt werden kann. Das Außen, die andere Seite der Unterscheidung, entzieht sich permanent der Operation. So wird Unbestimmtheit als Ausgangspunkt für die Theoriebildung festgelegt.
Welche Folgen das für eine Theorie, die sich noch in die Tradition der soziologischen Systemtheorie stellen will, hat und wie ein Theorieprogramm daraus begründet werden kann, wird im Vortrag entwickelt. Die Festlegung auf die Unbestimmtheit wird insbesondere die Grundannahme, dass jedes Operieren sozialer Systeme rekursiv erfolge, infrage stellen. Das hat zur Folge, dass die Totalität des Mediums Sinn aufgelöst wird. Das hat zur Folge, dass das Soziale nicht mehr symmetrisch, daher nicht-hierarchisch, sondern im Gegenteil asymmetrisch konstituiert ist, und es wird insbesondere dazu führen, dass sich das Theoretisieren selbst als ein Prozess des Überprägens, der Übergriffigkeit darstellen wird. Die Theorie stellt sich als politisch heraus, weil sie erst aus einem konstitutiven Gewaltverhältnis abgeleitet werden kann. Eine postfundamentale Systemtheorie wird dann den hyperdistanzierten Beobachter der Theorie mit sich selbst konfrontieren, damit konfrontieren, dass er sich selbst nur aufgrund einer gnadenlosen Symmetrisierung des Asymmetrischen begründen kann.
Der Begriff der Komplexität wird in einer formtheoretischen Wendung durch die Systemtheorie als U... more Der Begriff der Komplexität wird in einer formtheoretischen Wendung durch die Systemtheorie als Unterscheidung zwischen komplett/selektiv definiert. Dabei wird jede Operation der Relationierung als ein Selektionsereignis bestimmt, welches sich gegenüber seinen potenziellen Alternativen hat aktualisieren lassen und sich aus der Struktur des Systems possibilisierte. Im Moment der Komplettheitsbestimmung potenzieller Alternativen versagt sich die Messbarkeit von Komplexität in ihrer Haltlosigkeit. Dieses Design führt dazu, dass der Begriff der Komplexität seine analytische Schärfe verliert. Diese soll im Folgenden zurückgewonnen werden, indem für einen Begriff plädiert wird, der Messbarkeiten gestattet. Nachdem in einem ersten Schritt die Ambiguität des systemtheoretischen Komplexitätsbegriffs dargelegt wurde (I), wird der relationale Begriff der Komplexität dekonstruiert (II), um sodann einen operationalen Begriff der Komplexität zu entwickeln. Hier soll auf das Diktum einer Komplettheitsbestimmung verzichtet werden. Messbarkeit von Komplexität lässt sich nun aus der jeweils realisierten Form der Kommunikation selbst gewinnen. Rekurriert wird dabei auf einen Distinktionsraum, der sich rekursiv aufspannt, sodass im Abzählen der Distinktionsschritte Komplexität messbar gemacht werden kann (III). Abschließend soll angedeutet werden, wie sich das Konzept auf das Forschungsprogramm der Theorie sozialer Systeme auswirkt (IV).
Daten, mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz, schreibt sich in Regime der Überwachung und Prot... more Daten, mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz, schreibt sich in Regime der Überwachung und Protokollierung ein und verbirgt dies zugleich hinter einem Surface, auf dem sich immer nur Oberfläche, nie die Tiefe des Interfaces, 2 zur Geltung bringt. Die "neue Unübersichtlichkeit", von der Habermas einst sprach, scheint nun in eine neue Hyperunübersichtlichkeit eingetreten zu sein. Die Algorithmen lernen selbst und machen undurchschaubar, was sie wie und warum operieren. Dann, so ließe sich schließen, führt die Komplexität der Algorithmen und die schiere Menge der Daten zu einer permanenten Überforderung der Gesellschaft. Wird jedoch seitens des Benutzers auf Indifferenz gegenüber der operationalen Ebene des Algorithmus gesetzt, die Tiefe des Algorithmus ignoriert und nur an der Oberfläche laboriert, dann kann er ausgenutzt werden, dann kann mit ihm kommuniziert werden. 3 Plötzlich ist die Lage so überfordernd und unübersichtlich nicht. Man sieht ein paar Kennzahlen, klickt ein paar Piktogramme an, bekommt eine Nachricht darüber, dass jemandem die eigene Aktion gefallen hat, oder man wird angeschrieben und kann eine kurze Textnachricht lesen und gegebenenfalls auf sie antworten.
Books by Jan Tobias Fuhrmann
Postfundamentale Systemtheorie, 2019
Eine postfundamentale Systemtheorie entsteht, sobald die Fundamentalismen der soziologischen Syst... more Eine postfundamentale Systemtheorie entsteht, sobald die Fundamentalismen der soziologischen Systemtheorie durch ihre Dekonstruktion und Neuarrangierung überwunden wurden. Das setzt eine Kritik der Systemtheorie durch sie selbst voraus.
Mit großer Geste, die Fundamente des alteuropäischen Denkens überwunden zu haben, inszenierte Luhmann sein Projekt der Systemtheorie. Mit dem Verweis auf den Formenkalkül eines George Spencer-Brown führte er schließlich ein unbestimmtes Außen in die Systemtheorie ein. Er erkannte nicht, dass er damit eine différance in die Theorie integrierte, deren konstitutives Außen sich immer der Systemoperation entzieht. Stattdessen begann Luhmann, ein binäres Denken zu radikalisieren, indem er eine Systemwelt aus Registern und Kategorien, eine Welt der Differenzen, in der Differenzen nicht mehr durchkreuzt werden können, etablierte. Differenzen waren von nun an Einkerbungen, die aufzuheben unmöglich ist: Fundamente.
Nun gilt es, die Register, die Kategorien, die Binarität der systemtheoretischen Grundbegriffe zu irritieren, um sie mit ihrer eigenen différance zu konfrontieren. Ihre Fundamente werden dekonstruiert und die Begriffe reartikuliert. Die Begriffe verweisen von nun an auf ihre eigene Unbestimmtheit: postfundamentale Systemtheorie.
Algorithmisierung und Autonomie im Diskurs, 2020
Der Kommunikationsbegriff der soziologischen Systemtheorie wurde bisher als Selektionstrias von M... more Der Kommunikationsbegriff der soziologischen Systemtheorie wurde
bisher als Selektionstrias von Mitteilung/Information/Verstehen konzipiert. Er setzt beteiligte psychische Systeme voraus, die in der Lage sind, Kommunikationen sinngenetisch auszulesen. Kommunikation, an der algorithmische Systeme beteiligt sind, kann darum nicht konzipiert werden. Das erfordert eine Revision des Kommunikationsbegriffs.
Luhmann inszenierte die soziologische Systemtheorie als epistemologische Wende. Denn die Welt kön... more Luhmann inszenierte die soziologische Systemtheorie als epistemologische Wende. Denn die Welt könne nicht mehr vorausgesetzt werden, die Welt ziehe sich in das Unbeobachtbare zurück, weil die Beobachtung einen Schnitt, eine Einkerbung vornehmen müsse, „die man zwar kreuzen, aber nicht ‚aufheben‘ kann, ohne ins Unbeobachtbare zurückzukehren.“ Was sich bei Luhmann als radikal konstruktivistisch gibt, was sich als Überwindung der Ontologie und der klassischen Logik prätendiert, finde sich darin, dass jede Beobachtung eine Unterscheidung benutze, mit der die Welt nicht erreicht werden kann. Die Fundamente der Epistemologie der alteuropäischen Tradition scheinen erschüttert durch die Geste einer postfundamentalen Theoriebildung.
Doch die Einkerbung, die nur gekreuzt werden könne, verweist auf die Spur eines unerschütterlichen Fundaments der Systemtheorie. Denn die Kerbe entsteht nicht im Einkerben, sie ist schon da, in der Unterscheidung, die der Beobachter blind verwenden müsse. Er kann nur von der einen auf die andere Seite der Zwei-Seiten-Form wechseln. Die andere Seite ist in der Totalalternative eines binären Schematismus vorbestimmt, sodass der systemtheoretische Beobachter immer nur im Entweder-Oder operieren kann.
Eine postfundamentale Systemtheorie setzt an diesem Punkt an und geht davon aus, dass keine Kerbe einer blind zu benutzenden Unterscheidung vorliege. Stattdessen bleibt das Außen, die andere Seite, immer unbestimmt. Es liegt keine fundamentale Einkerbung vor, die gekreuzt werden kann. Das Außen, die andere Seite der Unterscheidung, entzieht sich permanent der Operation. So wird Unbestimmtheit als Ausgangspunkt für die Theoriebildung festgelegt.
Welche Folgen das für eine Theorie, die sich noch in die Tradition der soziologischen Systemtheorie stellen will, hat und wie ein Theorieprogramm daraus begründet werden kann, wird im Vortrag entwickelt. Die Festlegung auf die Unbestimmtheit wird insbesondere die Grundannahme, dass jedes Operieren sozialer Systeme rekursiv erfolge, infrage stellen. Das hat zur Folge, dass die Totalität des Mediums Sinn aufgelöst wird. Das hat zur Folge, dass das Soziale nicht mehr symmetrisch, daher nicht-hierarchisch, sondern im Gegenteil asymmetrisch konstituiert ist, und es wird insbesondere dazu führen, dass sich das Theoretisieren selbst als ein Prozess des Überprägens, der Übergriffigkeit darstellen wird. Die Theorie stellt sich als politisch heraus, weil sie erst aus einem konstitutiven Gewaltverhältnis abgeleitet werden kann. Eine postfundamentale Systemtheorie wird dann den hyperdistanzierten Beobachter der Theorie mit sich selbst konfrontieren, damit konfrontieren, dass er sich selbst nur aufgrund einer gnadenlosen Symmetrisierung des Asymmetrischen begründen kann.
Der Begriff der Komplexität wird in einer formtheoretischen Wendung durch die Systemtheorie als U... more Der Begriff der Komplexität wird in einer formtheoretischen Wendung durch die Systemtheorie als Unterscheidung zwischen komplett/selektiv definiert. Dabei wird jede Operation der Relationierung als ein Selektionsereignis bestimmt, welches sich gegenüber seinen potenziellen Alternativen hat aktualisieren lassen und sich aus der Struktur des Systems possibilisierte. Im Moment der Komplettheitsbestimmung potenzieller Alternativen versagt sich die Messbarkeit von Komplexität in ihrer Haltlosigkeit. Dieses Design führt dazu, dass der Begriff der Komplexität seine analytische Schärfe verliert. Diese soll im Folgenden zurückgewonnen werden, indem für einen Begriff plädiert wird, der Messbarkeiten gestattet. Nachdem in einem ersten Schritt die Ambiguität des systemtheoretischen Komplexitätsbegriffs dargelegt wurde (I), wird der relationale Begriff der Komplexität dekonstruiert (II), um sodann einen operationalen Begriff der Komplexität zu entwickeln. Hier soll auf das Diktum einer Komplettheitsbestimmung verzichtet werden. Messbarkeit von Komplexität lässt sich nun aus der jeweils realisierten Form der Kommunikation selbst gewinnen. Rekurriert wird dabei auf einen Distinktionsraum, der sich rekursiv aufspannt, sodass im Abzählen der Distinktionsschritte Komplexität messbar gemacht werden kann (III). Abschließend soll angedeutet werden, wie sich das Konzept auf das Forschungsprogramm der Theorie sozialer Systeme auswirkt (IV).
Daten, mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz, schreibt sich in Regime der Überwachung und Prot... more Daten, mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz, schreibt sich in Regime der Überwachung und Protokollierung ein und verbirgt dies zugleich hinter einem Surface, auf dem sich immer nur Oberfläche, nie die Tiefe des Interfaces, 2 zur Geltung bringt. Die "neue Unübersichtlichkeit", von der Habermas einst sprach, scheint nun in eine neue Hyperunübersichtlichkeit eingetreten zu sein. Die Algorithmen lernen selbst und machen undurchschaubar, was sie wie und warum operieren. Dann, so ließe sich schließen, führt die Komplexität der Algorithmen und die schiere Menge der Daten zu einer permanenten Überforderung der Gesellschaft. Wird jedoch seitens des Benutzers auf Indifferenz gegenüber der operationalen Ebene des Algorithmus gesetzt, die Tiefe des Algorithmus ignoriert und nur an der Oberfläche laboriert, dann kann er ausgenutzt werden, dann kann mit ihm kommuniziert werden. 3 Plötzlich ist die Lage so überfordernd und unübersichtlich nicht. Man sieht ein paar Kennzahlen, klickt ein paar Piktogramme an, bekommt eine Nachricht darüber, dass jemandem die eigene Aktion gefallen hat, oder man wird angeschrieben und kann eine kurze Textnachricht lesen und gegebenenfalls auf sie antworten.
Postfundamentale Systemtheorie, 2019
Eine postfundamentale Systemtheorie entsteht, sobald die Fundamentalismen der soziologischen Syst... more Eine postfundamentale Systemtheorie entsteht, sobald die Fundamentalismen der soziologischen Systemtheorie durch ihre Dekonstruktion und Neuarrangierung überwunden wurden. Das setzt eine Kritik der Systemtheorie durch sie selbst voraus.
Mit großer Geste, die Fundamente des alteuropäischen Denkens überwunden zu haben, inszenierte Luhmann sein Projekt der Systemtheorie. Mit dem Verweis auf den Formenkalkül eines George Spencer-Brown führte er schließlich ein unbestimmtes Außen in die Systemtheorie ein. Er erkannte nicht, dass er damit eine différance in die Theorie integrierte, deren konstitutives Außen sich immer der Systemoperation entzieht. Stattdessen begann Luhmann, ein binäres Denken zu radikalisieren, indem er eine Systemwelt aus Registern und Kategorien, eine Welt der Differenzen, in der Differenzen nicht mehr durchkreuzt werden können, etablierte. Differenzen waren von nun an Einkerbungen, die aufzuheben unmöglich ist: Fundamente.
Nun gilt es, die Register, die Kategorien, die Binarität der systemtheoretischen Grundbegriffe zu irritieren, um sie mit ihrer eigenen différance zu konfrontieren. Ihre Fundamente werden dekonstruiert und die Begriffe reartikuliert. Die Begriffe verweisen von nun an auf ihre eigene Unbestimmtheit: postfundamentale Systemtheorie.