[K]onversations mit Peggy Parnass - Kampnagel (original) (raw)

Ruth »Peggy« Sophie Parnass wurde am 2. Oktober 1927 in Hamburg geboren. Ihr Vater Simon »Pudl« Parnass und ihre Mutter Hertha Parnass (geb. Emanuel) wurden im Vernichtungslager Treblinka von den Nationalsozialisten ermordet. Mit einem Kindertransport nach Schweden gebracht, überlebte sie mit ihren Bruder Gerd Hans Ludwig »Gady« die Schoah. Peggy studierte in Stockholm, London, Hamburg und Paris. Sie arbeitete als Sprachlehrerin, Filmkritikerin, Kolumnistin und Dolmetscherin für die Kriminalpolizei, spielte in Film und Fernsehen. Siebzehn Jahre lang schrieb sie Gerichtsreportagen für die linke Zeitschrift »Konkret« und veröffentlichte einige Bücher. Außerdem erhielt sie zahlreiche Ehrungen für ihre Arbeit und ihr Engagement. Sie wurde geehrt u.a. mit Fritz-Bauer-Preis, Joseph-Drexel-Preis, Biermann-Ratjen-Medaille, St.-Georgs-Medaille, Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, Ehrendenkmünze in Gold (Hamburg), Ehrenmitgliedschaft im PEN-Zentrum Deutschland.

Sie sind bekannt für Ihre Lebensfreude trotz vieler Hürden, und haben sogar ein Buch mit dem Titel »Süchtig nach Leben« verfasst. Was hat Sie im Positiven am meisten geprägt?

Ich lebe wahnsinnig gern und drauf los. Ich war schon als Kind kämpferisch. Ich will mittendrin sein, genau hinsehen und Offenheit ist unsere einzige Chance in der Begegnung. Meine Lebenslust und Liebeslust hat mein Leben geprägt.

Sie sind im Laufe Ihres Lebens vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. An welche Begegnungen erinnern Sie sich besonders gern und warum?

Besonders gerne erinnere mich an meinen kleinen Bruder Gady, weil ich ihn so sehr liebte. Meine Mutter und mein Vater, die Liebenden, nach denen 2023 der Parnass-Platz in Eimsbüttel ernannt wurde. Meine Tante Flora Neumann, die Auschwitz überlebte und nach der eine Straße im Karolinenviertel benannt ist, und ihr Mann Rudolf »Rudi«, der Buchenwald überlebte. Mein Freud Georg Stefan Troller, der die Befreiung des KZ Dachau dokumentierte, und Ralph Giordano, der selbst in Hamburg überlebte und nach dem Roman Bertini, den Bertini-Preis für junge Menschen in Hamburg, die sich für Zivilcourage und gegen Ausgrenzung einsetzt begründete.

Sie haben schon unterschiedliche politische Epochen miterlebt. Wie erleben Sie die aktuelle politische Entwicklung in Deutschland?

Nach wie vor entsplitternd. Ich kann mich über die große Politik und die tausend Vorwände für eine militärische Intervention, und auch die Art, Leute zu ködern, in Kriege reinzugehen, zu morden oder sich verkrüppeln und umbringen zu lassen, nicht äußern. Ich bin ganz klar gegen jeden Krieg, egal welchen.

Vor dem Hintergrund Ihrer gesammelten Lebenserfahrung: Was raten Sie progressiven jungen Menschen, die politisch etwas verändern möchten?

Den Wunsch zur Veränderung nicht aufzugeben. Ich habe immer viele Fragen! Bei dem Verein Mit2wo von meinem Freund Giorgio Paolo Mastropaolo, wo ich Ehrenmitglied bin, dreht es sich um die Mizwot, die Humanität unter Menschen und um eine gemeinsame Gesellschaft, in der wir uns in der Offenheit und der Wertschätzung begegnen. Es ist absolut meine Lebenseinstellung.

Welche wahre Geschichte, über die Sie als Gerichtsreporterin geschrieben haben, geht Ihnen nicht aus dem Kopf?

Geschichten, denen Wahrheiten zugrunde liegen. Zum Beispiel bei dem Prozess gegen die Palästinenserin, die zusammen mit drei Palästinensern ein Flugzeug entführt hatte, um die RAF freizupressen. Sie war die einzige überlebende der Entführer. Sie war knappe 19, hatte nichts als Scheiße erlebt in ihrem Leben in Palästina, hatte aber niemanden bei der Flugzeugentführung umgebracht. Beim Erstürmen des Flugzeugs hatte man sie zum Krüppel geschossen. Sie lebte danach mit ihrem Mann in Norwegen, bekam in ihrem Zustand sogar ein Kind und machte dort Friedensarbeit. Im Prozess konnte sie nicht sitzen, nicht stehen, mal stand sie auf, mal lehnte sie sich an die Wand, brach da fast zusammen. Ich war die einzige, die auf sie zuging und mit ihr sprach, als einen Moment Pause war. Und wurde sofort mit Rausschmiss bedroht. Draußen redete ich mit anderen Journalisten, die alle fanden, dass das eine Massenmörderin sei. Und tatsächliche Massenmörder, wie Dr. jur. Ludwig Hahn, der höchste Gestapo-Mann in Polen, verantwortlich für 280.000 Morde, mussten nicht in den Knast, wenn sie kränkelten.

Was lieben Sie an Hamburg, was geht Ihnen gegen den Strich?

Ich liebe Hamburg, weil die Sprache meine Sprache ist. Dass ich trotz meiner Lebens- und Familiengeschichte in meine Geburtsstadt Hamburg zurückkehrte, mich ins öffentliche Leben einmische und meine Stimme erhebe, empfinde ich als gro.es Geschenk. Stets bin ich, die schwedische Staatsbürgerin, in meiner Heimatstadt Hamburg geblieben und somit aber auch immer im Exil.

Gibt es einen Theaterbesuch, an den Sie sich besonders gern erinnern? Warum?

Alle Theaterbesuche in Hamburg waren für mich ein »Lebendig machen«.