Public Civic Partnership – Modelle partnerschaftlicher Kooperation am Haus der Statistik – Stadtneudenken Magazin (original) (raw)

Hier entsteht…

Das Haus der Statistik, in unmittelbarer Nähe zum Berliner Alexanderplatz gelegen, bietet die Möglichkeit, die Forderungen nach einer gemeinwohlorientierten und kooperativen Entwicklung unser Städte modellhaft umzusetzen. Über zehn Jahren stand der 50.000m2 große Gebäudekomplex mitten in Berlin leer. Infolge öffentlichkeitswirksamer Aktionen der Initiative Haus der Statistik, einer Gruppe engagierter Künstler:innen, Architekt:innen, Kulturschaffender und Politiker:innen, wurden 2015 die bisherigen Pläne für den Verkauf an Investoren und der geplante Abriss verhindert.

Die Forderung aus der Zivilgesellschaft, das Haus der Statistik als Gemeingut zu sichern, wurde schließlich von Verwaltung und Politik aufgenommen. Das stete Engagement und Aufzeigen von Möglichkeiten durch unentgeltlich durchgeführte Machbarkeitsstudien seitens der Initiative traf auf Raumbedarfe seitens der wachsenden Berliner Verwaltung. Statt beide Nutzungskonzepte – Raum für Kunst, Kultur, Soziales und bezahlbares Wohnen vs Verwaltungsnutzungen – gegeneinander auszuspielen, entschied sich die neue Regierung 2017 dazu, das Areal von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zu erwerben und in eine gemeinsame Projektentwicklung mit dem zivilgesellschaftlichen Partner zu überführen. Die Kerngruppe der Initiative hatte sich inzwischen als Genossenschaft organisiert und konnte dadurch als Akteur rechts- und handlungsfähig werden.

Neue Formen der Kooperation

Durch den Erwerb der Liegenschaft durch das Land Berlin wurde der Weg frei für eine gemeinwohlorientierte Entwicklung des Quartiers. Damit wurde der Grundstein für die Zusammenarbeit von fünf Kooperationspartnern gelegt, die seither in gemeinsamer Verantwortung für das gesamte Areal tätig sind: Die sogenannte „Koop5“ besteht aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirksamt Berlin-Mitte, den landeseigenen Gesellschaften Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH (WBM) und Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) sowie der ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB) als rechtmäßige Vertreterin der Initiative Haus der Statistik. Hier entsteht ein Fundament, auf dem zivilgesellschaftliches Wissen und Engagement mit der Expertise der kommunalen Immobilienwirtschaft und Handlungsspielräumen der Verwaltung zusammengeführt werden.

Rechtliche Grundlage für die Entwicklung des Quartiers bildet ein Bebauungsplanverfahren, das auf die Ergebnisse eines integrierten Werkstattverfahrens fußt. Von September 2018 bis Februar 2019 erarbeiteten drei Planungsgemeinschaften städtebauliche Entwürfe, von denen der gemeinsame Entwurf der Planergemeinschaft Teleinternetcafe und Treibhaus Landschaftsarchitektur als Gewinner hervorging.

Aneignung und Planung durch Zivilgesellschaft

Seit Sommer 2019 werden im Rahmen der sogenannten Pioniernutzung ausgewählte Erdgeschossflächen der Bestandsgebäude an Akteur:innen aus den Bereichen Kunst, Kultur, Bildung, Soziales und Nachbarschaft vergeben. Diese Pioniernutzungen erproben während der Bau- und Planungsphase der nächsten Jahre prozesshaft und prototypisch, was sich später langfristig im Quartier etablieren soll. Im Hinblick auf eine langfristig nachhaltige Quartiersentwicklung können so bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Planungsphase beispielsweise flexible Betriebsmodelle und Nutzungssynergien getestet werden. Als lernender Prozess verzahnen die Pioniernutzungen kontinuierlich die Projektentwicklung mit der breiten Mitwirkung der Stadtgesellschaft und der Perspektive der Nutzer:innen. Damit bilden sie einen zentralen Baustein der kooperativen Quartiersentwicklung, in deren Rahmen sowohl langfristige Nutzungscluster, transparente Organisations- und Vergabestrukturen, als auch eine öffentlich wirksame Mitwirkung aufgebaut und kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Neue Formen gemeinschaftlicher Verantwortung für öffentliche Ressourcen

Die komplexe Quartiersentwicklung erfordert ein hohes Maß an Engagement von allen Beteiligten. Mit der sogenannten Bedarfsplanung wurde durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Weg gefunden, wie die planerische Arbeit des zivilgesellschaftlichen Partners ZUsammenKUNFT Berlin eG honoriert werden kann. Die Bedarfsplanung umfasst die einzelnen Bausteine aus dem Nutzungsprogramm der Initiative Haus der Statistik, sowie die Erarbeitung von Trägermodellen für den Betrieb dieser Flächen und der gemeinschaftlich genutzten Freiflächen im Quartier.

Für die langfristige Sicherung der Flächen und die dauerhafte Bezahlbarkeit strebt die ZKB eG eine Public-Civic-Partnership an: Ein Modell der Selbstverwaltung in partnerschaftlicher Kooperation und mit hoher Entscheidungskompetenz bei den Nutzer:innen. Zivilgesellschaftliche Akteure werden als Beteiligte direkt in die Bewirtschaftung öffentlicher Liegenschaften eingebunden und übernehmen Verantwortung in den Gremien und Organen.

Die angestrebte Public Civic Partnership besteht aus folgenden Bausteinen:

Das Land Berlin und ggf. ihre Unternehmen sollen eine geteilte Wächterfunktion über die zukünftige Verwendung der Grundstücke und Flächen der Initiative in einer neu zu gründenden Gemeinwohl-Stiftung Stadt übernehmen. Diese könnte als Wächterin auch an anderen Standorten zum Einsatz kommen. Um soziokulturelle Flächen und inklusive experimentelle Wohnflächen zu realisieren, werden zwei Betriebs eGs in Zusammenarbeit mit einer gemeinnützigen Bauträger GmbH gegründet. Letztere soll auch an anderen Standorten in Verknüpfung mit der Wächterstiftung zum Einsatz kommen.

Langfristige Sicherung nutzergetragener und gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung

Für die Flächen im Bestand (Haus A und EG Zonen) wird von der ZKB eG gefordert, ein entsprechendes Untererbbaurecht (99 Jahre) und für die Flächen im Neubau das gängige Erbbaurecht (99 Jahre) an einen zu gründenden Träger entweder in Direktvergabe oder per Konzeptvergabe zu übertragen. Im Gegenzug würde sich der von der Initiative gegründete Träger für die gesamte Laufzeit des Erbbaurechts verpflichten, bezahlbare Mieten und Belegungsbindungen für sozio-kulturelle Nutzungen nachhaltig zu sichern. Über eine Mietspreizung können zukünftige Nutzungen mit sehr geringer wirtschaftlicher Potenz aber erheblichem Mehrwert für die Quartiersentwicklung aktiver Bestandteil des Public Civic Partnerships werden.

Für den Bau/Ausbau der Initiativflächen wird der Einsatz von „zivilem“ Eigenkapital, die Einwerbung von investiven Objektförderungen über Mittel der EU, Bund oder Land und Fremdkapital von ethischen Banken angestrebt. Im Betrieb soll die wirtschaftliche, finanzielle und operative Verantwortung mit Belegungsrechten und -pflichten über eigene, kooperative Trägermodelle mit klarer Fixierung von gemeinwohlorientierten Nutzungen im Erbbaurechtsvertrag gesichert werden.

Ein grundlegende Herausforderung für die langfristige Bezahlbarkeit aller Initiativflächen liegt liegt im Umgang mit den sehr hohen Verkehrswerten der Grundstücke. Um die Wirtschaftlichkeit der Nutzungen im Betrieb gewährleisten zu können, gibt es folgende Möglichkeiten:

  1. Gestaltung des Verkehrswerts durch Definition planungsrechtlicher Rahmenbedingungen, Wertminderung durch dauerhafte Nutzungs-, Belegungs- und Mietpreisbindung
  2. Abweichung von Verwaltungsvorschrift von SenFIN zu geltenden Erbbauzinshöhen im Rahmen der Landeshaushaltordnung (LHO), Begründung besonderes Interesse Land Berlin
  3. residuale Ermittlung der Erbbauzinsen bzw. des Verkehrswerts des Grundstücks gemessen an zu erwartenden Mieteinnahmen in gemeinwohlorientierter Immobilienentwicklung, bedarfsgerechte Miethöhe für sozio-kulturelle Nutzungen und Wohnen

Der Abschluss der laufenden Koalitionsverhandlungen wird zeigen, welche Möglichkeiten sich für die langfristige Sicherung der Initiativflächen am Haus der Statistik ergeben werden. Die Initiative Haus der Statistik und die ZUsammenKUNFT Berlin eG blicken optimistisch in die Zukunft. Aber ohne die Unterstützung von Politik und Verwaltung durch die Ausnutzung von Ermessensspielräumen in der Entwicklung und Vergabe von Grundstücken wird der Modellcharakter des Projektes auf Dauer nicht zu halten sein.