Bettina Full | Ruhr-Universität Bochum (original) (raw)
Books by Bettina Full
Die volkssprachliche Lyrik Italiens entsteht zu einer Zeit, als sich, in Sizilien am Hof des Stau... more Die volkssprachliche Lyrik Italiens entsteht zu einer Zeit, als sich, in Sizilien am Hof des Stauferkaisers Friedrich II. und im Patriziat der toskanischen Städte, ein neuer Stand von gebildeten Laien ausformt. Die gelehrte Kultur entwirft mit der Dichtung einen eigenständigen Wissens- und Erfahrungsbereich. In die Poesie gehen Theoreme und Erkenntnismethoden aus scholastischer Theologie, averroistisch geprägter Philosophie und Rhetorik sowie Formen christlicher Andachtspraxis und affektiver Frömmigkeit ein. Gegenstand der dichterischen Reflexion ist die Liebe als geistig-spirituelle Kraft, die Bildvorstellungen erzeugt, sich begrifflicher Aneignung entzieht und daher eine besondere Findungskunst initiiert. Die logisch-dialektische Struktur von Sonetten und Kanzonen bildet das Gerüst für ein Phänomen, das dem direkten Zugriff der ratio nicht zugänglich ist; figurative Sprache veranschaulicht die Ambiguität einer inneren Bewegung, die zwischen religiöser Schau und wahnhaftem Phantasma oszilliert. Bildfiguren, die den Texten eingeschrieben sind, reflektieren die Wertigkeit der Prozesse, die sich bei der Lektüre vollziehen. In der Transformation von Modellen christlicher Spiritualität und philosophischer Erkenntnis bildet sich der spezifische Raum vormoderner Dichtung aus.
Das vorliegende Buch zeichnet die Erschließung einer neuen Dimension menschlicher Geistigkeit in der mittelalterlichen Lyrik, bei Guittone d'Arezzo, Giacomo da Lentini, Cavalcanti, Guinizzelli und Dante nach. Es verfolgt deren kritische Durchsetzungskraft bei Petrarca, im Florentiner Neuplatonismus bis hin zu Giordano Bruno. Verdeutlicht wird der hohe theoretische Anspruch, mit dem sich die Dichtung in zeitgenössischen Wissenshorizonten situiert. In der textimmanenten Spiegelung ihrer Rezeption tritt eine frühe Konzeptualisierung ästhetischer Erfahrung hervor.
Papers by Bettina Full
Frühmittelalterliche Studien 55, 2021
Boccaccio's Genealogy of the Pagan Gods (1360-1374) has been recognised as a substantial compendi... more Boccaccio's Genealogy of the Pagan Gods (1360-1374) has been recognised as a substantial compendium that presents rich source material of Greek and Roman mythology combined with the history of its allegoresis. Opposing the Christian apologetic tradition, which transcends the erroneous integumental 'veil' of pagan fables, the work emphasises the value of ancient myth as human invention and as a medium for historical, geographic, cosmological, and ethical knowledge. This article focuses on the conceptual framework and the abstract level of the Genealogy which devises an epistemological foundation of early humanism. It examines, how Boccaccio's treatise is programmatically inscribed in the ordo scientiarum, the conflict of methods between theology and philosophy since the 12 th century, and in the conflict over their respective claim for truth. In order to establish poetic fiction, philology, and secular hermeneutics as sciences in their own right, Boccaccio creates a 'comical' texture, i.e. a counterdiscursive style. Furthermore, in the paratexts and the first genealogical tree of the pagan gods, he revises the matrix of universal chronicles and encyclopedia which deduce the order of knowledge, as well as world models and concepts of history, from the biblical Genesis. Contradicting and transforming premises of allegory in a pivotal way, Boccaccio provides a new sign theory adaequate to a contingent world, negotiating schemes of the mappa mundi, cosmogonic ideas, and diverse explanations of beginnings suggested by theological, philosophical as well as poetical traditions. This complex speculation is intertwined, ultimately, in the father of all pagan gods, Demogorgon. Composed as a specific text-image-relation, a figura, Demogorgon integrates multilayered mythological narrations, philological source studies and hermeneutical practices. Inscribed in an empty world-circle, as the diagrammatic modes of Boccaccio's autograph expose, the god of origins, signifying pure poetic invention, refers to the absence of allegorical sense and of ontological world-ground, while the Greek word 'Demogorgon' puts the meaning 'secular wisdom' in evidence.
Die Verwandlung von Paris. Denkbilder städtischen Lebens bei Charles Baudelaire, hg. von K.P. Ellerbrock, K. Westerwelle, Bielefeld: transcript (im Druck), 2024
hat die "Reflexion auf das sprachliche Wesen der Erkenntnis" früh als Aufgabe der Kritik bestimmt... more hat die "Reflexion auf das sprachliche Wesen der Erkenntnis" früh als Aufgabe der Kritik bestimmt. 1 In seinem eigenen Schreiben verbindet er die Untersuchung literarischer Form, "gegenständlicher Ausdruck der dem Werk eigenen Reflexion", 2 mit der Arbeit am epistemologischen Potential, das die Essay-Form im Wechselspiel von Bild, Wort und Begriff, von Anschaulichkeit, philologisch-ästhetischem Kommentar und philosophischer Abstraktion gewinnt. 3 Die Kritik, die sich des expliziten Urteils enthalten soll, konzentriert sich auf "die Darstellung des prosaischen Kerns in jedem Werk." 4 Sie vermittelt Einblick in Erfahrungsräume und Wirklichkeitskonzepte, indem sie, wie es im Aufsatz zu Hölderlin heißt, "die geistig-anschauliche Struktur derjenigen Welt, von der das Gedicht zeugt", 5 zu erschließen sucht. Für Benjamins Interesse an Baudelaire ist es signifikant, dass er sich bereits als Übersetzer der Fleurs du Mal dazu entschließt, die Tableaux parisiens 1923 als gesonderte Ausgabe zu publizieren. Die Großstadt-Lyrik reflektiert ein Problem, das Benjamin, als er sich zeitgleich mit der romantischen Kunstkritik auseinandersetzt, in die Denkfigur "die Idee der Poesie ist die Prosa" fasst. 6 Die ,prosaische Welt', ungeschönter Realitätsbezug, dem die alltagsnahe, ungebundene Rede entspricht, verschränkt sich mit der poetischen Form, die "nicht mehr Ausdruck der Schönheit, sondern der Kunst als Idee selbst ist." 7 In die Baudelaire-Essays, die Ende der 1930er Jahre entstehen, fügt Benjamin in eine Fülle historischen Materials Gedichtzitate, die eigenständige kleine Denkräume bilden, ein. Welches Potential er diesem Verfahren zumisst, deutet sich an, wenn er den Essay Über einige Motive bei Baudelaire als "ein Bruchstück aus einer Folge von Untersuchungen" charakterisiert, "die sich die Aufgabe stellen, die Dichtung des neunzehnten Jahrhunderts zum Medium seiner kritischen Erkenntnis zu machen." 8 Für die Baudelaire-Essays konstitutiv ist die Frage nach dem gesellschaftspolitischen Ort des Schriftstellers und dem Reflexionsgrad, den die Poesie in der Moderne gewinnt. Hierin trifft sich Benjamin mit Baudelaire, der wie er selbst ein aufmerksamer Beobachter der modernen Metropole, von sozialen Wirklichkeiten, ökonomischen, kulturellen und machtpolitischen
Erfinden - Erschaffen - Erdichten. Konzepte und Darstellungen von 'Ersten Erfindern' in der antiken Literatur und ihrer Rezeption, hg. von Manuel Baumbach, Darmstadt: WBG 2023, 403-458., 2023
Erfindung und Leere Die Frage nach dem Anfang bildet ein Diskurs-Narrativ. Sie schafft-oft Indiz ... more Erfindung und Leere Die Frage nach dem Anfang bildet ein Diskurs-Narrativ. Sie schafft-oft Indiz für Verunsicherung in Umbruchszeiten-einen Reflexionsraum für das Selbstverständnis der Gegenwart. Anfänge dienen als Begründungsinstrument für kulturgeschichtliche Diagnosen, anthropologische Thesen und kollektive Identitäten, sie untermauern Zivilisationskritik oder Fortschrittsoptimismus, Wissenschaftsskepsis und Spekulationsfreude, sind immer auch ein Zukunftsdispositiv. Sie gehören zu jenen Zeitparadoxien, die sich, werden sie abseits von Intentionalität, Finalität und Kausalität gedacht, dem kategorisierenden Zugriff entziehen. 1 Für das Schreiben vom Anfang scheint es daher charakteristisch zu sein, dass Autoren, abhängig vom Wahrheitsanspruch ihrer Thesen, die eigene diskursive Vorprägung entweder kalkuliert verschleiern oder aber als unhintergehbar problematisieren. 2 Angesichts aktueller, kontrovers geführter Debatten, auch eines suggestiven Stils, der dem Urteilsvermögen des Lesers zunehmend weniger zuzutrauen scheint, 3 möchte ich im Folgenden den Akzent darauf legen, dass das, was
Infinitum. Imagination, Entgrenzung und Exzess, hg. von Michael Neumann, Würzburg: Königshausen & Neumann 2019, 103-136., 2019
Komparatistische Perspektiven auf Dantes ,Divina Commedia'. Lektüren, Transformationen und Visualisierungen, hg. von Stephanie Heimgartner, Monika Schmitz-Emans, Berlin/Boston, 2017
in: Bardo Gauly/Michael Neumann, 'Entzeitlichung', Würzburg: Königshausen & Neumann, 239-301, 2021
Bettina Full/Michelle Lecolle (éds.): Jeux de mots et créativité. Langue(s), discours et littérature, Berlin/Boston: De Gruyter, 2018
La poésie médiévale émerge d'une culture qui dispose d'un savoir riche et élaboré du langage. Par... more La poésie médiévale émerge d'une culture qui dispose d'un savoir riche et élaboré du langage. Par un maniement artistique et réflexif des mots, les poètes contrecarrent le verdict théologique qui affirme que le pouvoir de créer n'est pas concédé à l'homme. En croisant jeu de mots et forme poétique-celle-ci étant définie comme une structure porteuse des mots et constituée par le nombre de syllabes, la rime et la syntaxe-les poètes parviennent d'une part à produire un vide, un néant, qui rend concevable une création par la langue, et ils arrivent par ailleurs à façonner un espace qu'ils emplissent de la plénitude du quotidien, ce-lui-ci s'avérant être un matériau de premier choix pour la fantaisie. À l'aube de la poésie vernaculaire, Guillaume IX d'Aquitaine trace par l'architecture des vers une effigie de l'auteur tout en affirmant le droit propre de l'ingenium humanum. Les fatrasies, par contre, apparues dans la culture urbaine savante d'Arras au XIII e siècle, emploient les règles grammaticales pour transformer des fragments du réel en microcosmes imaginaires. Par la corrélation entre jeu de mots et forme, ces poèmes invitent, tel que montré dans l'article, à des spéculations sémiotiques et anthropologiques 1 .
in: Marcel Proust und die Korrespondenz, hg. von Karin Westerwelle, Berlin: Insel 2010, 90-122
Zwischen Tradition und Innovation. Poetische Verfahren im Spannungsfeld Klassischer und Neuerer Literatur und Literaturwissenschaft, hg. von Jürgen Paul Schwindt, München/ Leipzig 2000, S. 163-181.
I Mit ausdrücklichem Verweis auf die Antike hat Walter Benjamin die Theorie der modernen Kunst al... more I Mit ausdrücklichem Verweis auf die Antike hat Walter Benjamin die Theorie der modernen Kunst als schwächsten Punkt in Baudelaires "Ansicht von der Moderne" kritisiert. Während letztere "die modernen Motive" aufzeigt, heißt es in der Studie, die dem Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus gewidmet ist, wäre "Sache der ersten [...] wohl eine Auseinandersetzung mit der antiken Kunst gewesen."' Das ungeklärte Verhältnis von Antike und Moderne ist für Benjamin Indiz, daß es der ästhetischen Reflexion Baudelaires an Tiefe und konzeptueller Schärfe fehlt. Ob die antike Tradition in den theoretischen Schriften des Lyrikers tatsächlich ausgeklammert bleibt, wird in vorliegendem Aufsatz zu überprüfen sein. Vorschnell erscheint es in jedem Fall, Benjamin aufgrund des angemahnten Desiderats anachronistische Blindheit zu unterstellen, gerade als sei die Auseinandersetzung mit der antiken Kunst um die Mitte des 19. Jahrhunderts obsolet.^ Das 18. Jahrhundert markiert keineswegs den äußersten Punkt, hinter dem die Antike endgültig ihren Vorbildcharakter eingebüßt hat und als historisches Gegenbild das Bewußtsein einer unüberbrückbaren Distanz anzeigt. Über die Konstruktion von Parallelen tritt die jeweils eigene Zeit auch weiterhin in Bezug zu Erfahrungen und Tendenzen, wie man sie in früheren Epochen exemplarisch vorgeprägt sieht. Da die hohe Zivilisation der römischen Welt, ' Walter Benjamin, Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. ^1992, 81.
in: Charles Baudelaire. Dichter und Kunstkritiker, hg. von Karin Westerwelle, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, 77-105.
In Piatonismus und Neuplatonismus ist Eros als ordnungsstiftende Macht bestimmt, die zwischen Sin... more In Piatonismus und Neuplatonismus ist Eros als ordnungsstiftende Macht bestimmt, die zwischen Sinnlich-Sichtbarem und Unsichtbarem vermittelt. Eros gibt dem Chaos Form und Gestalt; er hält das Universum zusammen, fügt Getrenntes zur Einheit und ist damit, wie Ficino in De amore schreibt, der alles durchwirkende ,Knoten und die Koppel der Welt', "nodus perpetuus et copula mundi"'. Das innere Prinzip, das das kosmische Gefüge stützt und dem Ungestalten Wohlgestalt verleiht, ist auch in erkenntnistheoretischer Perspektive relevant. Bezogen auf die Weltwahrnehmung des Menschen und sein Verhältnis zur Transzendenz ermöglicht es Eros, sich dem Göttlichen anzunähern, indem er die Seele aus dem Trug der Sinne zur Schau der Ideen führt. Angestoßen und ermöglicht wird dieser Aufstieg durch den Anblick des Schönen, wie dies Piaton im Phaidros im Kontext der Anamnesislehre gefaßt und Ficino in der folgenden Definition weitergeführt hat^: "Appropinquationem, amoris impetum. Formationem, amoris perfectionem. [...] Ideo amoris conditio est, ut ad pulchritudinem rapiat ac deformem formoso coniungat."
in: Handbook of Medieval Studies, ed. by Albrecht Classen, 3 Vols., New York/ Berlin 2010, 2153-2159.
A. is considered, along with Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, and Leo Spitzer, one of the grea... more A. is considered, along with Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, and Leo Spitzer, one of the greatest German literary scholars of the 20 th century, concentrated on Romance philology. His main contribution to research was to analyze and synthesize the relationship between textual expression (i. e. style) on the one hand, and on perception of reality on the other. He considered both as a time-bound complex. A.'s philological method is indebted directly to historicism, especially to Giambattista Vico. He interprets Vico emphasizing the element of historical relativism and perspectivism, when looking on different literary periods. A. argues that each specific era bears particular qualities in its thought and concepts of reality. These unique traits are reflected in the literary style. In what is usually regarded his masterpiece, Mimesis, A. spans the entire European literature from Homer to Virginia Woolf in case studies. These highlight stylistic specificities in order to reconstruct historical forms of representations of reality. According to the diachronic basis, A. emphasizes stylistic diversity. Nevertheless, he argues for an underlying unity of European literature, signified by a serious representation AUTHOR'S COPY | AUTORENEXEMPLAR AUTHOR'S COPY | AUTORENEXEMPLAR
, in: Handbook of Medieval Studies, ed. by Albrecht Classen, 3 vols. New York/ Berlin 2010, 2655-2661.
Die volkssprachliche Lyrik Italiens entsteht zu einer Zeit, als sich, in Sizilien am Hof des Stau... more Die volkssprachliche Lyrik Italiens entsteht zu einer Zeit, als sich, in Sizilien am Hof des Stauferkaisers Friedrich II. und im Patriziat der toskanischen Städte, ein neuer Stand von gebildeten Laien ausformt. Die gelehrte Kultur entwirft mit der Dichtung einen eigenständigen Wissens- und Erfahrungsbereich. In die Poesie gehen Theoreme und Erkenntnismethoden aus scholastischer Theologie, averroistisch geprägter Philosophie und Rhetorik sowie Formen christlicher Andachtspraxis und affektiver Frömmigkeit ein. Gegenstand der dichterischen Reflexion ist die Liebe als geistig-spirituelle Kraft, die Bildvorstellungen erzeugt, sich begrifflicher Aneignung entzieht und daher eine besondere Findungskunst initiiert. Die logisch-dialektische Struktur von Sonetten und Kanzonen bildet das Gerüst für ein Phänomen, das dem direkten Zugriff der ratio nicht zugänglich ist; figurative Sprache veranschaulicht die Ambiguität einer inneren Bewegung, die zwischen religiöser Schau und wahnhaftem Phantasma oszilliert. Bildfiguren, die den Texten eingeschrieben sind, reflektieren die Wertigkeit der Prozesse, die sich bei der Lektüre vollziehen. In der Transformation von Modellen christlicher Spiritualität und philosophischer Erkenntnis bildet sich der spezifische Raum vormoderner Dichtung aus.
Das vorliegende Buch zeichnet die Erschließung einer neuen Dimension menschlicher Geistigkeit in der mittelalterlichen Lyrik, bei Guittone d'Arezzo, Giacomo da Lentini, Cavalcanti, Guinizzelli und Dante nach. Es verfolgt deren kritische Durchsetzungskraft bei Petrarca, im Florentiner Neuplatonismus bis hin zu Giordano Bruno. Verdeutlicht wird der hohe theoretische Anspruch, mit dem sich die Dichtung in zeitgenössischen Wissenshorizonten situiert. In der textimmanenten Spiegelung ihrer Rezeption tritt eine frühe Konzeptualisierung ästhetischer Erfahrung hervor.
Frühmittelalterliche Studien 55, 2021
Boccaccio's Genealogy of the Pagan Gods (1360-1374) has been recognised as a substantial compendi... more Boccaccio's Genealogy of the Pagan Gods (1360-1374) has been recognised as a substantial compendium that presents rich source material of Greek and Roman mythology combined with the history of its allegoresis. Opposing the Christian apologetic tradition, which transcends the erroneous integumental 'veil' of pagan fables, the work emphasises the value of ancient myth as human invention and as a medium for historical, geographic, cosmological, and ethical knowledge. This article focuses on the conceptual framework and the abstract level of the Genealogy which devises an epistemological foundation of early humanism. It examines, how Boccaccio's treatise is programmatically inscribed in the ordo scientiarum, the conflict of methods between theology and philosophy since the 12 th century, and in the conflict over their respective claim for truth. In order to establish poetic fiction, philology, and secular hermeneutics as sciences in their own right, Boccaccio creates a 'comical' texture, i.e. a counterdiscursive style. Furthermore, in the paratexts and the first genealogical tree of the pagan gods, he revises the matrix of universal chronicles and encyclopedia which deduce the order of knowledge, as well as world models and concepts of history, from the biblical Genesis. Contradicting and transforming premises of allegory in a pivotal way, Boccaccio provides a new sign theory adaequate to a contingent world, negotiating schemes of the mappa mundi, cosmogonic ideas, and diverse explanations of beginnings suggested by theological, philosophical as well as poetical traditions. This complex speculation is intertwined, ultimately, in the father of all pagan gods, Demogorgon. Composed as a specific text-image-relation, a figura, Demogorgon integrates multilayered mythological narrations, philological source studies and hermeneutical practices. Inscribed in an empty world-circle, as the diagrammatic modes of Boccaccio's autograph expose, the god of origins, signifying pure poetic invention, refers to the absence of allegorical sense and of ontological world-ground, while the Greek word 'Demogorgon' puts the meaning 'secular wisdom' in evidence.
Die Verwandlung von Paris. Denkbilder städtischen Lebens bei Charles Baudelaire, hg. von K.P. Ellerbrock, K. Westerwelle, Bielefeld: transcript (im Druck), 2024
hat die "Reflexion auf das sprachliche Wesen der Erkenntnis" früh als Aufgabe der Kritik bestimmt... more hat die "Reflexion auf das sprachliche Wesen der Erkenntnis" früh als Aufgabe der Kritik bestimmt. 1 In seinem eigenen Schreiben verbindet er die Untersuchung literarischer Form, "gegenständlicher Ausdruck der dem Werk eigenen Reflexion", 2 mit der Arbeit am epistemologischen Potential, das die Essay-Form im Wechselspiel von Bild, Wort und Begriff, von Anschaulichkeit, philologisch-ästhetischem Kommentar und philosophischer Abstraktion gewinnt. 3 Die Kritik, die sich des expliziten Urteils enthalten soll, konzentriert sich auf "die Darstellung des prosaischen Kerns in jedem Werk." 4 Sie vermittelt Einblick in Erfahrungsräume und Wirklichkeitskonzepte, indem sie, wie es im Aufsatz zu Hölderlin heißt, "die geistig-anschauliche Struktur derjenigen Welt, von der das Gedicht zeugt", 5 zu erschließen sucht. Für Benjamins Interesse an Baudelaire ist es signifikant, dass er sich bereits als Übersetzer der Fleurs du Mal dazu entschließt, die Tableaux parisiens 1923 als gesonderte Ausgabe zu publizieren. Die Großstadt-Lyrik reflektiert ein Problem, das Benjamin, als er sich zeitgleich mit der romantischen Kunstkritik auseinandersetzt, in die Denkfigur "die Idee der Poesie ist die Prosa" fasst. 6 Die ,prosaische Welt', ungeschönter Realitätsbezug, dem die alltagsnahe, ungebundene Rede entspricht, verschränkt sich mit der poetischen Form, die "nicht mehr Ausdruck der Schönheit, sondern der Kunst als Idee selbst ist." 7 In die Baudelaire-Essays, die Ende der 1930er Jahre entstehen, fügt Benjamin in eine Fülle historischen Materials Gedichtzitate, die eigenständige kleine Denkräume bilden, ein. Welches Potential er diesem Verfahren zumisst, deutet sich an, wenn er den Essay Über einige Motive bei Baudelaire als "ein Bruchstück aus einer Folge von Untersuchungen" charakterisiert, "die sich die Aufgabe stellen, die Dichtung des neunzehnten Jahrhunderts zum Medium seiner kritischen Erkenntnis zu machen." 8 Für die Baudelaire-Essays konstitutiv ist die Frage nach dem gesellschaftspolitischen Ort des Schriftstellers und dem Reflexionsgrad, den die Poesie in der Moderne gewinnt. Hierin trifft sich Benjamin mit Baudelaire, der wie er selbst ein aufmerksamer Beobachter der modernen Metropole, von sozialen Wirklichkeiten, ökonomischen, kulturellen und machtpolitischen
Erfinden - Erschaffen - Erdichten. Konzepte und Darstellungen von 'Ersten Erfindern' in der antiken Literatur und ihrer Rezeption, hg. von Manuel Baumbach, Darmstadt: WBG 2023, 403-458., 2023
Erfindung und Leere Die Frage nach dem Anfang bildet ein Diskurs-Narrativ. Sie schafft-oft Indiz ... more Erfindung und Leere Die Frage nach dem Anfang bildet ein Diskurs-Narrativ. Sie schafft-oft Indiz für Verunsicherung in Umbruchszeiten-einen Reflexionsraum für das Selbstverständnis der Gegenwart. Anfänge dienen als Begründungsinstrument für kulturgeschichtliche Diagnosen, anthropologische Thesen und kollektive Identitäten, sie untermauern Zivilisationskritik oder Fortschrittsoptimismus, Wissenschaftsskepsis und Spekulationsfreude, sind immer auch ein Zukunftsdispositiv. Sie gehören zu jenen Zeitparadoxien, die sich, werden sie abseits von Intentionalität, Finalität und Kausalität gedacht, dem kategorisierenden Zugriff entziehen. 1 Für das Schreiben vom Anfang scheint es daher charakteristisch zu sein, dass Autoren, abhängig vom Wahrheitsanspruch ihrer Thesen, die eigene diskursive Vorprägung entweder kalkuliert verschleiern oder aber als unhintergehbar problematisieren. 2 Angesichts aktueller, kontrovers geführter Debatten, auch eines suggestiven Stils, der dem Urteilsvermögen des Lesers zunehmend weniger zuzutrauen scheint, 3 möchte ich im Folgenden den Akzent darauf legen, dass das, was
Infinitum. Imagination, Entgrenzung und Exzess, hg. von Michael Neumann, Würzburg: Königshausen & Neumann 2019, 103-136., 2019
Komparatistische Perspektiven auf Dantes ,Divina Commedia'. Lektüren, Transformationen und Visualisierungen, hg. von Stephanie Heimgartner, Monika Schmitz-Emans, Berlin/Boston, 2017
in: Bardo Gauly/Michael Neumann, 'Entzeitlichung', Würzburg: Königshausen & Neumann, 239-301, 2021
Bettina Full/Michelle Lecolle (éds.): Jeux de mots et créativité. Langue(s), discours et littérature, Berlin/Boston: De Gruyter, 2018
La poésie médiévale émerge d'une culture qui dispose d'un savoir riche et élaboré du langage. Par... more La poésie médiévale émerge d'une culture qui dispose d'un savoir riche et élaboré du langage. Par un maniement artistique et réflexif des mots, les poètes contrecarrent le verdict théologique qui affirme que le pouvoir de créer n'est pas concédé à l'homme. En croisant jeu de mots et forme poétique-celle-ci étant définie comme une structure porteuse des mots et constituée par le nombre de syllabes, la rime et la syntaxe-les poètes parviennent d'une part à produire un vide, un néant, qui rend concevable une création par la langue, et ils arrivent par ailleurs à façonner un espace qu'ils emplissent de la plénitude du quotidien, ce-lui-ci s'avérant être un matériau de premier choix pour la fantaisie. À l'aube de la poésie vernaculaire, Guillaume IX d'Aquitaine trace par l'architecture des vers une effigie de l'auteur tout en affirmant le droit propre de l'ingenium humanum. Les fatrasies, par contre, apparues dans la culture urbaine savante d'Arras au XIII e siècle, emploient les règles grammaticales pour transformer des fragments du réel en microcosmes imaginaires. Par la corrélation entre jeu de mots et forme, ces poèmes invitent, tel que montré dans l'article, à des spéculations sémiotiques et anthropologiques 1 .
in: Marcel Proust und die Korrespondenz, hg. von Karin Westerwelle, Berlin: Insel 2010, 90-122
Zwischen Tradition und Innovation. Poetische Verfahren im Spannungsfeld Klassischer und Neuerer Literatur und Literaturwissenschaft, hg. von Jürgen Paul Schwindt, München/ Leipzig 2000, S. 163-181.
I Mit ausdrücklichem Verweis auf die Antike hat Walter Benjamin die Theorie der modernen Kunst al... more I Mit ausdrücklichem Verweis auf die Antike hat Walter Benjamin die Theorie der modernen Kunst als schwächsten Punkt in Baudelaires "Ansicht von der Moderne" kritisiert. Während letztere "die modernen Motive" aufzeigt, heißt es in der Studie, die dem Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus gewidmet ist, wäre "Sache der ersten [...] wohl eine Auseinandersetzung mit der antiken Kunst gewesen."' Das ungeklärte Verhältnis von Antike und Moderne ist für Benjamin Indiz, daß es der ästhetischen Reflexion Baudelaires an Tiefe und konzeptueller Schärfe fehlt. Ob die antike Tradition in den theoretischen Schriften des Lyrikers tatsächlich ausgeklammert bleibt, wird in vorliegendem Aufsatz zu überprüfen sein. Vorschnell erscheint es in jedem Fall, Benjamin aufgrund des angemahnten Desiderats anachronistische Blindheit zu unterstellen, gerade als sei die Auseinandersetzung mit der antiken Kunst um die Mitte des 19. Jahrhunderts obsolet.^ Das 18. Jahrhundert markiert keineswegs den äußersten Punkt, hinter dem die Antike endgültig ihren Vorbildcharakter eingebüßt hat und als historisches Gegenbild das Bewußtsein einer unüberbrückbaren Distanz anzeigt. Über die Konstruktion von Parallelen tritt die jeweils eigene Zeit auch weiterhin in Bezug zu Erfahrungen und Tendenzen, wie man sie in früheren Epochen exemplarisch vorgeprägt sieht. Da die hohe Zivilisation der römischen Welt, ' Walter Benjamin, Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. ^1992, 81.
in: Charles Baudelaire. Dichter und Kunstkritiker, hg. von Karin Westerwelle, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, 77-105.
In Piatonismus und Neuplatonismus ist Eros als ordnungsstiftende Macht bestimmt, die zwischen Sin... more In Piatonismus und Neuplatonismus ist Eros als ordnungsstiftende Macht bestimmt, die zwischen Sinnlich-Sichtbarem und Unsichtbarem vermittelt. Eros gibt dem Chaos Form und Gestalt; er hält das Universum zusammen, fügt Getrenntes zur Einheit und ist damit, wie Ficino in De amore schreibt, der alles durchwirkende ,Knoten und die Koppel der Welt', "nodus perpetuus et copula mundi"'. Das innere Prinzip, das das kosmische Gefüge stützt und dem Ungestalten Wohlgestalt verleiht, ist auch in erkenntnistheoretischer Perspektive relevant. Bezogen auf die Weltwahrnehmung des Menschen und sein Verhältnis zur Transzendenz ermöglicht es Eros, sich dem Göttlichen anzunähern, indem er die Seele aus dem Trug der Sinne zur Schau der Ideen führt. Angestoßen und ermöglicht wird dieser Aufstieg durch den Anblick des Schönen, wie dies Piaton im Phaidros im Kontext der Anamnesislehre gefaßt und Ficino in der folgenden Definition weitergeführt hat^: "Appropinquationem, amoris impetum. Formationem, amoris perfectionem. [...] Ideo amoris conditio est, ut ad pulchritudinem rapiat ac deformem formoso coniungat."
in: Handbook of Medieval Studies, ed. by Albrecht Classen, 3 Vols., New York/ Berlin 2010, 2153-2159.
A. is considered, along with Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, and Leo Spitzer, one of the grea... more A. is considered, along with Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, and Leo Spitzer, one of the greatest German literary scholars of the 20 th century, concentrated on Romance philology. His main contribution to research was to analyze and synthesize the relationship between textual expression (i. e. style) on the one hand, and on perception of reality on the other. He considered both as a time-bound complex. A.'s philological method is indebted directly to historicism, especially to Giambattista Vico. He interprets Vico emphasizing the element of historical relativism and perspectivism, when looking on different literary periods. A. argues that each specific era bears particular qualities in its thought and concepts of reality. These unique traits are reflected in the literary style. In what is usually regarded his masterpiece, Mimesis, A. spans the entire European literature from Homer to Virginia Woolf in case studies. These highlight stylistic specificities in order to reconstruct historical forms of representations of reality. According to the diachronic basis, A. emphasizes stylistic diversity. Nevertheless, he argues for an underlying unity of European literature, signified by a serious representation AUTHOR'S COPY | AUTORENEXEMPLAR AUTHOR'S COPY | AUTORENEXEMPLAR
, in: Handbook of Medieval Studies, ed. by Albrecht Classen, 3 vols. New York/ Berlin 2010, 2655-2661.