Knut Wormstädt | RWTH Aachen University (original) (raw)
Ankündigungen by Knut Wormstädt
Tagung des DFG-Graduiertenkollegs 1608/2 "Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in hist... more Tagung des DFG-Graduiertenkollegs 1608/2 "Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive" an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 27.-29. Juni 2019, BIS-Saal Bianca P. Pick & Knut V.M. Wormstädt Unversöhnlichkeit als liminale Figur. Ein Gespräch Wenn Versöhnung zum Gegenstand der Diskussion wird, so ist häufig von den Möglichkeiten gelingender Versöhnung die Rede. Was aber kann in Versöhnungsprozessen überhaupt erreicht werden? Wie sind Versöhnungsprozesse zu strukturieren, um einen möglichst nachhaltigen und umfassenden Erfolg in Aussicht zu stellen? Häufig erhebt eine solche Herangehensweise das Gelingen von Versöhnungsprozessen zu ihrem zentralen Narrativ. Aus diesem Zusammenspiel entsteht nicht selten die Erwartung, dass sich Schädiger*innen und Geschädigte in Versöhnungsprozesse hineinbegeben. Häufig -wenn auch nicht immer -sind es sogar die Schädiger*innen oder deren Nachkommen selbst, die eine solche Versöhnung anstreben. Sich als Geschädigte diesem Prozess zu verweigern wird dann als gegebenenfalls menschlich nachvollziehbar, jedoch letztendlich als zu überwindendes Hindernis auf dem Weg zur Versöhnung begriffen. Das betroffene Subjekt sieht sich mit der Zuschreibung eines Kollektivs konfrontiert, nachtragend zu sein. Gegen diese Logik will das Vortragsgespräch ein anderes Verständnis von Unversöhnlichkeit setzen. Unversöhnlichkeit soll, unter anderem in Anlehnung an Jean Améry, nicht als Hürde, sondern vielmehr als irritierendes, auch gesprächseröffnendes, vor allem aber eigensinniges Moment verstanden werden. Wenn das Vortragsgespräch Unversöhnlichkeit als liminale Figur kennzeichnet, so drückt sich darin einerseits aus, dass Unversöhnlichkeit eine Grenze des Versöhnungsdiskurses darstellt, mit dem sich dieser auseinandersetzen muss. Andererseits wird aber auch stark gemacht, dass durch das Eintragen von Unversöhnlichkeit in die jeweiligen Ansätze zur Versöhnung der Ausgang solcher Versuche in ihrer grundlegenden Offenheit betont wird. Hierbei klingt Victor Turners Idee eines liminalen Raumes an, in dem die bisherige Ordnung zurückgelassen wird, die Konstitution einer neuen aber noch offen steht. Durch die Strukturierung als Vortragsgespräch mit durchaus unterschiedlichen Positionen wird dem differenzierten Charakter der Unversöhnlichkeit Rechnung getragen: Weder soll Unversöhnlichkeit als schlichte Verweigerung des Dialogs aufgenommen, noch soll Versöhnung einfach durch die Hintertür der Unversöhnlichkeit zurückgebracht werden. Der Vortrag macht es sich zur Aufgabe, Positionierungen im Versöhnungsprozess vorzustellen und Unversöhnlichkeit als Versuch der Abgrenzung, aber auch als Versuch der Eröffnung eines liminalen Raums zu diskutieren.
Drafts by Knut Wormstädt
Satisfactio (BÖR 122), 2019
Die Confessio Augustana gilt als eine schillernde Schrift: Einerseits ist sie ein dogmengeschicht... more Die Confessio Augustana gilt als eine schillernde Schrift: Einerseits ist sie ein dogmengeschichtliches Dokument der Frühen Neuzeit und bietet, zusammen mit ihren Schwesterschriften -der Confutatio und der Apologia -einen Einblick in die Streitpunkte christlicher Lehrbildung am Vorabend des so genannten konfessionellen Zeitalters. Ihr Adressat war ursprünglich der Reichstag zu Augsburg und insbesondere der katholische Kaiser Karl V., den die lutherischen Reichsstände von ihrer Rechtgläubigkeit zu überzeugen versuchten. Im Zuge der kirchengeschichtlichen Entwicklungen wurde die Confessio Augustana andererseits eine der lutherischen Bekenntnisschriften. Damit avancierte sie zu einem fundamentalen Teil dessen, was das Christentum lutherischer Prägung in Hinblick auf die denominationelle Identität auszeichnet. Bis heute setzt sich diese identitätsstiftende Klammerfunktion der Confessio Augustana fort: Dies wird etwa daran erkennbar, dass sie -gemeinsam mit den meisten anderen Bekenntnisschriften -die Grundlage der Ordination lutherischer Pfarrerinnen und Pfarrer bildet. Schließlich ist die Confessio Augustana nicht nur als Dokument für die Beziehungen zwischen Luthertum und Katholizismus oder lutherischen Binnenbestimmungen von Bedeutung, sondern ebenso für die Beziehungen zur Reformierten Kirche sowie den Kirchen der täuferischen Tradition. Auf letztere wird im Weiteren näher einzugehen sein, insofern das Bekenntnis, welches die lutherischen Stände in Augsburg präsentierten, nicht nur Bekundungen der eigenen Rechtgläubigkeit gegenüber katholischen Lehranfragen enthielt, sondern auch Verwerfungen Dritter, welche dazu genutzt wurden, die Rechtgläubigkeit der eigenen Position darzustellen. Die Begutachtung dieser Verwerfungen war Gegenstand in den ökumenischen Dialogen zwischen Lutheranerinnen und Lutheranern einerseits und Mennonitinnen und Mennoniten andererseits, die seit den 1980er Jahren in Frankreich, Deutschland und den USA stattfanden und von 2005 bis 2009 in einem internationalen Dialog kulminierten. Im ökumenischen Gespräch wird das ausschließende Potential plötzlich selbst zum Anknüpfungspunkt und bringt so Abgrenzung und verbindende Klammer miteinander in Spannung. Verworfen wurden die so genannten ›Wiedertäufer‹ in fünf Artikeln der Confessio: Artikel 5 (»Vom Predigtamt«), Art. 9
ZEE, 2018
In seinem 1997 erschienen Aufsatz beschreibt der Zeithistoriker Gerhard Botz in Hinblick auf die ... more In seinem 1997 erschienen Aufsatz beschreibt der Zeithistoriker Gerhard Botz in Hinblick auf die österreichische Diskussion zum Opferbegriff (und seiner Negativfolie, dem Täterbegriff) eine »immanente Problematik« 1 dieses Begriffs. Diese immanente Problematik liege darin begründet, dass sich hier verschiedene Bedeutungsfelder überlappten: ein kultisch-religiöses, ein moralisch-ethisches sowie ein gewalt-und schadenorientiertes. 2 Das religiöse Bedeutungsfeld bedient Vorstellungen von kultischen Opferriten, wie Brand-, Schlacht-oder Schwenkopfer, und weist selbst in seiner Bedeutungen Überlappungen zu den anderen beiden Feldern auf. Das moralisch-ethische Bedeutungsfeld findet sich dagegen vor allem im zwischenmenschlichen Bereich wieder. Hier steht der persönliche Verzicht zugunsten eines Anderen im Vordergrund(»Opfer(bringen) für jmd/etw.«). Das letzte Bedeutungsfeld schließlich meint die Erfahrungen von Gewalt und die Schädigung von Menschen (»Opfer von jmd/etw. sein«). Die fruchtbaren Möglichkeiten, die sich aus dem sprachlichen Zusammenfall dieser verschiedenen Bedeutungsfelder ergeben, hat etwa Sigrid Brandt 2000 herausgearbeitet. 3 So sagt sie über das Miteinander von ethisch-moralischem und kultischreligiösem Bedeutungsfeld in ihrer Zusammenschau: »Theologisch hat es meines Erachtens Sinn von Opfer zu reden, wenn dabei betont wird, daß die biblischen Überlieferungen von Opfer überwiegend den heilvollen Zusammenhang (1) des Lebens der Menschen aus, durch und für Gott und (2) des ›Lebens‹ Gottes bzw. seines Namens aus, durch und für die Menschen zur Sprache bringen.« 4 Mithilfe eines Opferbeobachtungs-und -aktionsschemas in Anlehnung an Augustin kann sie auf die strukturellen Ähnlichkeiten in allen Bedeutungsfeldern hinweisen, die sich dann in die konkreten Einzelfälle hinein entwickeln lassen. 5 Dies erscheint zwar einerseits als gangbare Möglichkeit, andererseits denkt sich dieses Schema letztendlich doch zu stark von den kultischen Abläufen eines Opfers her, was die Dimension der Verletztheit in den Hintergrund treten lässt: Das kultische Opfer tritt assoziativ als Ritualgegenstand auf, nicht als betroffendes Subjekt, dem Schädigung und Gewalt an Leib und Leben widerfährt. Die Intervention hinter diesem Diskussionsbeitrag soll nun gerade diese Dimension der Verletztheit in den Vordergrund stellen, indem eine begriffliche Alternative angeboten wird. Diese besteht darin, für die dritte der Botz'schen Bedeutungsfelder anstelle des »Opfers von Gewalt« den Ausdruck »Versehrte_r« ins Spiel zu bringen. Damit werden Bedeutungsnuancen von Verletzung (bis hin zu Amputationen und dauerhaften körperlichen Schäden), Schädigung und Schmerz aufgerufen. Der Begriff ist dabei keineswegs unschuldig, ist er doch untrennbar mit den Bildern von Kriegsversehrten verbunden, die insbesondere nach dem ersten Weltkrieg aufkamen. Er erlaubt es jedoch gerade deswegen auch, auf die Dauerhaftigkeit solcher Verletzungen, die im »Opfer von Gewalt« mitgemeint sind, lauter mitzudenken. Im Folgenden sollen nun verschiedene Aspekte des Begriffs »Versehrte_r« durchdacht werden, um zu prüfen, welche neuen Bedeutungsnuancen die Rede von der_m »Versehrten« dem Begriff des »Opfers« hinzuzufügen vermag. 2. Versehrung 2.1 Klärung des Bedeutungshintergrundes Der Begriff »Versehrte_r« begegnet heute, wie bereits angedeutet, vor allem im Kontext von Kriegsfolgen und meint da insbesondere die Gruppe der im Krieg verwundeten Soldat_innen; der_die Kriegsversehrte ist im Kampf verwundet worden. Ein Blick in das Grimm'sche Deutsche Wörterbuch erweitert diese Perspektive. Dort werden sechs verschiedene Bedeutungen für das Verb »versehren« aufgeführt: (1) die äußere Verletzung am lebenden Körper zufügen, (2) die Jungfrauschaft einer Frau aufheben, die bereits durch einen anderen Mann gefreit wird, (3) (älter) eiternde und schwärende Verletzungen oder sonstige 6), wobei hierbei nochmals zwischen körperlichen (3, 4 und 6), seelischen (4 und 6) und sozialen (2 und 6) Verletzungen zu differenzieren ist. Irmela Krüger-Fürhoff weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die physischen Verletzungen »das gesamte Spektrum von eitrigen Hautausschlägen über oberflächliche Verletzungen bis zu tiefgehenden oder tödlichen Verwundungen« 7 abdecke. Für die Belange des Opferbegriffs erscheinen die Reminiszenzen an äußere und innere Verletzungen hilfreich. Der Begriff der_s »Versehrten« gestattet es, äußere und innere physische, seelische sowie soziale Gewalt gegenüber einem Individuum 8 in den Blick zu nehmen. Damit sind wesentliche Achsen aufgespannt, die in Hinblick auf »Opfer von Gewalt« relevant erscheinen. Anhand des assoziativen Konnexes zu Kriegsversehrten lässt sich außerdem die zeitliche Dimension der Dauer in das Bild mit hineintragen: Während der Begriff »Opfer« auf einen zeitlich punktuellen Vorgang verweist (»Ich wurde Opfer von Gewalt.« oder auch »Ich habe etwas geopfert.«) der sich wie eine Art Übergangsritual verhält, deutet der Begriff »Versehrte_r« auf die (bleibenden) Folgen. Der versehrte Körper widersetzt sich der Wiedereingliederung, er ist beschädigt, unzuverlässig und eingeschränkt. Er bedarf einer prothetischen Erweiterung, um verlorengegangene Funktionen wiederzuerlangen. 9 Die Dimension der Dauer ist für die Frage nach Schädigung durch Gewalt deshalb relevant, weil die Schädigung nicht allein auf das Ereignis beschränkt bleibt, sondern auch in die weiter folgenden Lebenssituationen hineingreift und diese (z.T. massiv) mitbestimmt. 10 Im Modus der Versehrung schreibt sich Gewalt in den Körper ein und dominiert ihn dabei langfristig. Die weiteren Überlegungen sollen nun drei Vertiefungen der Metapher der_s »Versehrten« skizzieren, wobei jeweils die körperliche, seelische und soziale Dimension der Schädigung mitgedacht wird. Diese Vertiefungen der Metapher sind Überlegungen zur Verwundung, zum Schmerz und zur dauerhaften Sichtbarkeit (metaphorisch: zu Narben).
Tagung des DFG-Graduiertenkollegs 1608/2 "Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in hist... more Tagung des DFG-Graduiertenkollegs 1608/2 "Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive" an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 27.-29. Juni 2019, BIS-Saal Bianca P. Pick & Knut V.M. Wormstädt Unversöhnlichkeit als liminale Figur. Ein Gespräch Wenn Versöhnung zum Gegenstand der Diskussion wird, so ist häufig von den Möglichkeiten gelingender Versöhnung die Rede. Was aber kann in Versöhnungsprozessen überhaupt erreicht werden? Wie sind Versöhnungsprozesse zu strukturieren, um einen möglichst nachhaltigen und umfassenden Erfolg in Aussicht zu stellen? Häufig erhebt eine solche Herangehensweise das Gelingen von Versöhnungsprozessen zu ihrem zentralen Narrativ. Aus diesem Zusammenspiel entsteht nicht selten die Erwartung, dass sich Schädiger*innen und Geschädigte in Versöhnungsprozesse hineinbegeben. Häufig -wenn auch nicht immer -sind es sogar die Schädiger*innen oder deren Nachkommen selbst, die eine solche Versöhnung anstreben. Sich als Geschädigte diesem Prozess zu verweigern wird dann als gegebenenfalls menschlich nachvollziehbar, jedoch letztendlich als zu überwindendes Hindernis auf dem Weg zur Versöhnung begriffen. Das betroffene Subjekt sieht sich mit der Zuschreibung eines Kollektivs konfrontiert, nachtragend zu sein. Gegen diese Logik will das Vortragsgespräch ein anderes Verständnis von Unversöhnlichkeit setzen. Unversöhnlichkeit soll, unter anderem in Anlehnung an Jean Améry, nicht als Hürde, sondern vielmehr als irritierendes, auch gesprächseröffnendes, vor allem aber eigensinniges Moment verstanden werden. Wenn das Vortragsgespräch Unversöhnlichkeit als liminale Figur kennzeichnet, so drückt sich darin einerseits aus, dass Unversöhnlichkeit eine Grenze des Versöhnungsdiskurses darstellt, mit dem sich dieser auseinandersetzen muss. Andererseits wird aber auch stark gemacht, dass durch das Eintragen von Unversöhnlichkeit in die jeweiligen Ansätze zur Versöhnung der Ausgang solcher Versuche in ihrer grundlegenden Offenheit betont wird. Hierbei klingt Victor Turners Idee eines liminalen Raumes an, in dem die bisherige Ordnung zurückgelassen wird, die Konstitution einer neuen aber noch offen steht. Durch die Strukturierung als Vortragsgespräch mit durchaus unterschiedlichen Positionen wird dem differenzierten Charakter der Unversöhnlichkeit Rechnung getragen: Weder soll Unversöhnlichkeit als schlichte Verweigerung des Dialogs aufgenommen, noch soll Versöhnung einfach durch die Hintertür der Unversöhnlichkeit zurückgebracht werden. Der Vortrag macht es sich zur Aufgabe, Positionierungen im Versöhnungsprozess vorzustellen und Unversöhnlichkeit als Versuch der Abgrenzung, aber auch als Versuch der Eröffnung eines liminalen Raums zu diskutieren.
Satisfactio (BÖR 122), 2019
Die Confessio Augustana gilt als eine schillernde Schrift: Einerseits ist sie ein dogmengeschicht... more Die Confessio Augustana gilt als eine schillernde Schrift: Einerseits ist sie ein dogmengeschichtliches Dokument der Frühen Neuzeit und bietet, zusammen mit ihren Schwesterschriften -der Confutatio und der Apologia -einen Einblick in die Streitpunkte christlicher Lehrbildung am Vorabend des so genannten konfessionellen Zeitalters. Ihr Adressat war ursprünglich der Reichstag zu Augsburg und insbesondere der katholische Kaiser Karl V., den die lutherischen Reichsstände von ihrer Rechtgläubigkeit zu überzeugen versuchten. Im Zuge der kirchengeschichtlichen Entwicklungen wurde die Confessio Augustana andererseits eine der lutherischen Bekenntnisschriften. Damit avancierte sie zu einem fundamentalen Teil dessen, was das Christentum lutherischer Prägung in Hinblick auf die denominationelle Identität auszeichnet. Bis heute setzt sich diese identitätsstiftende Klammerfunktion der Confessio Augustana fort: Dies wird etwa daran erkennbar, dass sie -gemeinsam mit den meisten anderen Bekenntnisschriften -die Grundlage der Ordination lutherischer Pfarrerinnen und Pfarrer bildet. Schließlich ist die Confessio Augustana nicht nur als Dokument für die Beziehungen zwischen Luthertum und Katholizismus oder lutherischen Binnenbestimmungen von Bedeutung, sondern ebenso für die Beziehungen zur Reformierten Kirche sowie den Kirchen der täuferischen Tradition. Auf letztere wird im Weiteren näher einzugehen sein, insofern das Bekenntnis, welches die lutherischen Stände in Augsburg präsentierten, nicht nur Bekundungen der eigenen Rechtgläubigkeit gegenüber katholischen Lehranfragen enthielt, sondern auch Verwerfungen Dritter, welche dazu genutzt wurden, die Rechtgläubigkeit der eigenen Position darzustellen. Die Begutachtung dieser Verwerfungen war Gegenstand in den ökumenischen Dialogen zwischen Lutheranerinnen und Lutheranern einerseits und Mennonitinnen und Mennoniten andererseits, die seit den 1980er Jahren in Frankreich, Deutschland und den USA stattfanden und von 2005 bis 2009 in einem internationalen Dialog kulminierten. Im ökumenischen Gespräch wird das ausschließende Potential plötzlich selbst zum Anknüpfungspunkt und bringt so Abgrenzung und verbindende Klammer miteinander in Spannung. Verworfen wurden die so genannten ›Wiedertäufer‹ in fünf Artikeln der Confessio: Artikel 5 (»Vom Predigtamt«), Art. 9
ZEE, 2018
In seinem 1997 erschienen Aufsatz beschreibt der Zeithistoriker Gerhard Botz in Hinblick auf die ... more In seinem 1997 erschienen Aufsatz beschreibt der Zeithistoriker Gerhard Botz in Hinblick auf die österreichische Diskussion zum Opferbegriff (und seiner Negativfolie, dem Täterbegriff) eine »immanente Problematik« 1 dieses Begriffs. Diese immanente Problematik liege darin begründet, dass sich hier verschiedene Bedeutungsfelder überlappten: ein kultisch-religiöses, ein moralisch-ethisches sowie ein gewalt-und schadenorientiertes. 2 Das religiöse Bedeutungsfeld bedient Vorstellungen von kultischen Opferriten, wie Brand-, Schlacht-oder Schwenkopfer, und weist selbst in seiner Bedeutungen Überlappungen zu den anderen beiden Feldern auf. Das moralisch-ethische Bedeutungsfeld findet sich dagegen vor allem im zwischenmenschlichen Bereich wieder. Hier steht der persönliche Verzicht zugunsten eines Anderen im Vordergrund(»Opfer(bringen) für jmd/etw.«). Das letzte Bedeutungsfeld schließlich meint die Erfahrungen von Gewalt und die Schädigung von Menschen (»Opfer von jmd/etw. sein«). Die fruchtbaren Möglichkeiten, die sich aus dem sprachlichen Zusammenfall dieser verschiedenen Bedeutungsfelder ergeben, hat etwa Sigrid Brandt 2000 herausgearbeitet. 3 So sagt sie über das Miteinander von ethisch-moralischem und kultischreligiösem Bedeutungsfeld in ihrer Zusammenschau: »Theologisch hat es meines Erachtens Sinn von Opfer zu reden, wenn dabei betont wird, daß die biblischen Überlieferungen von Opfer überwiegend den heilvollen Zusammenhang (1) des Lebens der Menschen aus, durch und für Gott und (2) des ›Lebens‹ Gottes bzw. seines Namens aus, durch und für die Menschen zur Sprache bringen.« 4 Mithilfe eines Opferbeobachtungs-und -aktionsschemas in Anlehnung an Augustin kann sie auf die strukturellen Ähnlichkeiten in allen Bedeutungsfeldern hinweisen, die sich dann in die konkreten Einzelfälle hinein entwickeln lassen. 5 Dies erscheint zwar einerseits als gangbare Möglichkeit, andererseits denkt sich dieses Schema letztendlich doch zu stark von den kultischen Abläufen eines Opfers her, was die Dimension der Verletztheit in den Hintergrund treten lässt: Das kultische Opfer tritt assoziativ als Ritualgegenstand auf, nicht als betroffendes Subjekt, dem Schädigung und Gewalt an Leib und Leben widerfährt. Die Intervention hinter diesem Diskussionsbeitrag soll nun gerade diese Dimension der Verletztheit in den Vordergrund stellen, indem eine begriffliche Alternative angeboten wird. Diese besteht darin, für die dritte der Botz'schen Bedeutungsfelder anstelle des »Opfers von Gewalt« den Ausdruck »Versehrte_r« ins Spiel zu bringen. Damit werden Bedeutungsnuancen von Verletzung (bis hin zu Amputationen und dauerhaften körperlichen Schäden), Schädigung und Schmerz aufgerufen. Der Begriff ist dabei keineswegs unschuldig, ist er doch untrennbar mit den Bildern von Kriegsversehrten verbunden, die insbesondere nach dem ersten Weltkrieg aufkamen. Er erlaubt es jedoch gerade deswegen auch, auf die Dauerhaftigkeit solcher Verletzungen, die im »Opfer von Gewalt« mitgemeint sind, lauter mitzudenken. Im Folgenden sollen nun verschiedene Aspekte des Begriffs »Versehrte_r« durchdacht werden, um zu prüfen, welche neuen Bedeutungsnuancen die Rede von der_m »Versehrten« dem Begriff des »Opfers« hinzuzufügen vermag. 2. Versehrung 2.1 Klärung des Bedeutungshintergrundes Der Begriff »Versehrte_r« begegnet heute, wie bereits angedeutet, vor allem im Kontext von Kriegsfolgen und meint da insbesondere die Gruppe der im Krieg verwundeten Soldat_innen; der_die Kriegsversehrte ist im Kampf verwundet worden. Ein Blick in das Grimm'sche Deutsche Wörterbuch erweitert diese Perspektive. Dort werden sechs verschiedene Bedeutungen für das Verb »versehren« aufgeführt: (1) die äußere Verletzung am lebenden Körper zufügen, (2) die Jungfrauschaft einer Frau aufheben, die bereits durch einen anderen Mann gefreit wird, (3) (älter) eiternde und schwärende Verletzungen oder sonstige 6), wobei hierbei nochmals zwischen körperlichen (3, 4 und 6), seelischen (4 und 6) und sozialen (2 und 6) Verletzungen zu differenzieren ist. Irmela Krüger-Fürhoff weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die physischen Verletzungen »das gesamte Spektrum von eitrigen Hautausschlägen über oberflächliche Verletzungen bis zu tiefgehenden oder tödlichen Verwundungen« 7 abdecke. Für die Belange des Opferbegriffs erscheinen die Reminiszenzen an äußere und innere Verletzungen hilfreich. Der Begriff der_s »Versehrten« gestattet es, äußere und innere physische, seelische sowie soziale Gewalt gegenüber einem Individuum 8 in den Blick zu nehmen. Damit sind wesentliche Achsen aufgespannt, die in Hinblick auf »Opfer von Gewalt« relevant erscheinen. Anhand des assoziativen Konnexes zu Kriegsversehrten lässt sich außerdem die zeitliche Dimension der Dauer in das Bild mit hineintragen: Während der Begriff »Opfer« auf einen zeitlich punktuellen Vorgang verweist (»Ich wurde Opfer von Gewalt.« oder auch »Ich habe etwas geopfert.«) der sich wie eine Art Übergangsritual verhält, deutet der Begriff »Versehrte_r« auf die (bleibenden) Folgen. Der versehrte Körper widersetzt sich der Wiedereingliederung, er ist beschädigt, unzuverlässig und eingeschränkt. Er bedarf einer prothetischen Erweiterung, um verlorengegangene Funktionen wiederzuerlangen. 9 Die Dimension der Dauer ist für die Frage nach Schädigung durch Gewalt deshalb relevant, weil die Schädigung nicht allein auf das Ereignis beschränkt bleibt, sondern auch in die weiter folgenden Lebenssituationen hineingreift und diese (z.T. massiv) mitbestimmt. 10 Im Modus der Versehrung schreibt sich Gewalt in den Körper ein und dominiert ihn dabei langfristig. Die weiteren Überlegungen sollen nun drei Vertiefungen der Metapher der_s »Versehrten« skizzieren, wobei jeweils die körperliche, seelische und soziale Dimension der Schädigung mitgedacht wird. Diese Vertiefungen der Metapher sind Überlegungen zur Verwundung, zum Schmerz und zur dauerhaften Sichtbarkeit (metaphorisch: zu Narben).