Barbara Gronau | Universität der Künste Berlin / University of the Arts Berlin (original) (raw)
Papers by Barbara Gronau
Vom Regisseur Eugenio Barba stammt die treffende Beobachtung, dass ein geübter Schauspieler in de... more Vom Regisseur Eugenio Barba stammt die treffende Beobachtung, dass ein geübter Schauspieler in der Lage sei, die Aufmerksamkeit des Zuschauers nur über das „Energieniveau“ seines Körpers zu erlangen. Die „wissende und suggestive Ausstrahlung“ des Darstellers könne das Publikum auch dann in Spannung versetzen, wenn es einer rein technischen Demonstration, zum Beispiel einer Körperübung, zusieht. Barba muss jedoch einräumen: „Wenn man von der Energie des Darstellers spricht, heißt das, einen Begriff zu verwenden, der tausend Missverständnisse hervorrufen kann.“ Eingedenk seiner etymologischen Bedeutung von „bei der Arbeit sein“ stellt sich der Theatermacher deshalb die Frage: „Wie kann der Körper des Darstellers bei der Arbeit sein, bevor er etwas zum Ausdruck bringt? Durch welches Wort können wir das Wort Energie ersetzen?
Szenarien der Energie, 2012
Konzepte und Kritik globaler Aufführungsformen Der Soziologe Ulrich Beck konstatiert Ende der 199... more Konzepte und Kritik globaler Aufführungsformen Der Soziologe Ulrich Beck konstatiert Ende der 1990er Jahre: Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte-missbrauchte-und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag-und Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre. (Beck 1997: 42) Selbst mehr als 15 Jahre später scheint dieser Befund noch gültig. Auch wenn es Konsens ist, dass wir alle in einer globalisierten Welt leben, ist die Forschung sich darüber uneinig, seit wann wir das eigentlich tun: seit dem 16. Jahrhundert beziehungsweise mit Beginn des Kolo-nialismus; seit dem 19. Jahrhundert und der wachsenden Industriali-sierung oder gar erst seit dem Ende des Kalten Krieges 1989 (vgl. ebd.: 44). Einigkeit besteht darin, dass Globalisierung ein Prozess der »Auf-hebung von Entfernungen« (ebd.: 70) ist, in dessen Folge das System von »geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen von Nationalstaate...
What exactly do we mean when, in the contemporary performing arts, the word ritual is pronounced?... more What exactly do we mean when, in the contemporary performing arts, the word ritual is pronounced? I argue that, although one main concept of theatrical ritualism is currently activated, the history of twentieth-century theatre offers at least two alternative notions that were less succesful at establishing themselves. The dominant notion may be termed ‘hot’ ritual, and is chie!y inspired by the writings of Antonin Artaud. The "rst alternative notion will be termed ‘minimalist’ ritual (strongly related to the Fluxus movement and happening art), the second ‘liturgical.’ Conspicuously, the theatrical-liturgical efforts of the interbellum period transmitted no legacy to post-war European theatre. In his essay from 1974, ‘From Ritual to Theatre and Back,’ Richard Schechner attempted to explain what crucial aspects of ritual had made it so attractive to the avant-garde artists of the twentieth century. Schechner identi!ed ‘ef!cacy’ as the de!ning characteristic of ritual, in contrast...
Das zeitgenossische Theater zeichnet sich durch eine grose Heterogenitat der Asthetiken, Traditio... more Das zeitgenossische Theater zeichnet sich durch eine grose Heterogenitat der Asthetiken, Traditionen und Zielrichtungen aus. Mit der Perspektive auf eine internationale Asthetik stellt sich die Frage nach Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Produktions- und Rezeptionsweisen von Theater heute. Gibt es so etwas wie eine globale Theaterszene uberhaupt? Was waren ihre Merkmale? Wo und wie treffen internationale Theatermachende aufeinander? Wann internationalisiert sich Theater und welche produktiven Missverstandnisse markieren diesen Weg? Der Beitrag wirft Schlaglichter auf die historische Entwicklung von internationalen Theaterkulturen und fragt nach Prinzipien des globalen Produzierens und Rezipierens heute.
Der Beitrag untersucht das Wechselverhaltnis von Konzepten des Globalen und den daraus resultiere... more Der Beitrag untersucht das Wechselverhaltnis von Konzepten des Globalen und den daraus resultierenden Auffuhrungsformen. Im Fokus stehen zunachst zwei Formen der Cultural Performance um 1900: die Wiedereinfuhrung der Olympischen Spiele 1896 durch Pierre de Coubertin – als Symbol des modernen Inter-/Nationalismus – und die als Berliner Gewerbeschau bezeichnete Reprasentationsformen kolonialer Hegemonien. Es wird gezeigt, wie sich in den kunstlerischen Auffuhrungen die modernen okonomischen, sozialen und kulturellen Verhaltnisse einschreiben und welchen Anteil theatrale Formen an den Konstruktionen von Identitat und Differenz, Gemeinschaft und Einzelnem haben. In einem zweiten Schritt wird mit Blick auf das zeitgenossische Theater nach Prinzipien einer ›globalisierten Asthetik‹ – d. h. der Produktion und Zirkulation von Kunst unter den Bedingungen einer globalisierten Welt – gefragt. Welche Darstellungsprinzipien sind hier zu finden und wie reflektieren und kritisieren zeitgenossische...
Ökonomien der Zurückhaltung
Im heißen Sommer des Jahres 1905 hatten Zeitungen, Illustrierte und Gespräche des Wiener Bürgertu... more Im heißen Sommer des Jahres 1905 hatten Zeitungen, Illustrierte und Gespräche des Wiener Bürgertums vor allem ein Thema: im ersten Kaffeehaus auf der Wiener Praterallee sollte das "größte Phänomen des 20. Jahrhunderts" öffentlich auftreten. Nach Auskunft der Werbeprospekte handelte es sich dabei um die "erste Hungerkünstlerin der Welt", die Grazer Schauspielerin Auguste Victoria Schenk-die für ganze einundzwanzig Tage einen völligen Nahrungsverzicht praktizieren werde. 2 "Die Einmauerung"-so die Ankündigung-"findet am 22. Juli abends, 8 Uhr in einer mit großen Glasscheiben versehenen Hungerzelle statt. Auguste Victoria Schenk ist Tag und Nacht zu sehen, wird von der Wach-und Schließgesellschaft ununterbrochen bewacht und nährt sich ausschließlich von [dem Tafelwasser] Krondorfer Sauerbrunn." Das zahlende Publikum könne das Spektakel gegen einen Eintritt von sechzig Hellern bei "Lagerbier" und "feinster Wiener Küche" 3 mitverfolgen. Den Schaulustigen bot sich am Eröffnungsabend denn auch ein imposantes Bild. Der beflissen auftretende Impresario ließ eine vornehm gekleidete, von der Presse als korpulent bezeichnete Dame vor das Publikum treten, um sie dort von den bereit stehenden Fotografen ein letztes Mal vor ihrer anstehenden physischen Verwandlung ablichten zu lassen. Frau Schenk, die zuvor von Ärzten untersucht worden war, stieg auf die Waage, der Impresario rief ihr Körpergewicht aus und gestattete dem Publikum, die Zelle auf eventuell versteckte Nahrungsmittel abzusuchen. Danach setzte sich die Hungerkünstlerin an einer weiß gedeckten Tafel zu einem letzten Abendmahl nieder und verspeiste vor den Augen der neugierigen Zuschauer ein Beefsteak mit Spinat, Bier und Gebäck.
Vom Regisseur Eugenio Barba stammt die treffende Beobachtung, dass ein geübter Schauspieler in de... more Vom Regisseur Eugenio Barba stammt die treffende Beobachtung, dass ein geübter Schauspieler in der Lage sei, die Aufmerksamkeit des Zuschauers nur über das „Energieniveau“ seines Körpers zu erlangen. Die „wissende und suggestive Ausstrahlung“ des Darstellers könne das Publikum auch dann in Spannung versetzen, wenn es einer rein technischen Demonstration, zum Beispiel einer Körperübung, zusieht. Barba muss jedoch einräumen: „Wenn man von der Energie des Darstellers spricht, heißt das, einen Begriff zu verwenden, der tausend Missverständnisse hervorrufen kann.“ Eingedenk seiner etymologischen Bedeutung von „bei der Arbeit sein“ stellt sich der Theatermacher deshalb die Frage: „Wie kann der Körper des Darstellers bei der Arbeit sein, bevor er etwas zum Ausdruck bringt? Durch welches Wort können wir das Wort Energie ersetzen?
Szenarien der Energie, 2012
Konzepte und Kritik globaler Aufführungsformen Der Soziologe Ulrich Beck konstatiert Ende der 199... more Konzepte und Kritik globaler Aufführungsformen Der Soziologe Ulrich Beck konstatiert Ende der 1990er Jahre: Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte-missbrauchte-und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag-und Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre. (Beck 1997: 42) Selbst mehr als 15 Jahre später scheint dieser Befund noch gültig. Auch wenn es Konsens ist, dass wir alle in einer globalisierten Welt leben, ist die Forschung sich darüber uneinig, seit wann wir das eigentlich tun: seit dem 16. Jahrhundert beziehungsweise mit Beginn des Kolo-nialismus; seit dem 19. Jahrhundert und der wachsenden Industriali-sierung oder gar erst seit dem Ende des Kalten Krieges 1989 (vgl. ebd.: 44). Einigkeit besteht darin, dass Globalisierung ein Prozess der »Auf-hebung von Entfernungen« (ebd.: 70) ist, in dessen Folge das System von »geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen von Nationalstaate...
What exactly do we mean when, in the contemporary performing arts, the word ritual is pronounced?... more What exactly do we mean when, in the contemporary performing arts, the word ritual is pronounced? I argue that, although one main concept of theatrical ritualism is currently activated, the history of twentieth-century theatre offers at least two alternative notions that were less succesful at establishing themselves. The dominant notion may be termed ‘hot’ ritual, and is chie!y inspired by the writings of Antonin Artaud. The "rst alternative notion will be termed ‘minimalist’ ritual (strongly related to the Fluxus movement and happening art), the second ‘liturgical.’ Conspicuously, the theatrical-liturgical efforts of the interbellum period transmitted no legacy to post-war European theatre. In his essay from 1974, ‘From Ritual to Theatre and Back,’ Richard Schechner attempted to explain what crucial aspects of ritual had made it so attractive to the avant-garde artists of the twentieth century. Schechner identi!ed ‘ef!cacy’ as the de!ning characteristic of ritual, in contrast...
Das zeitgenossische Theater zeichnet sich durch eine grose Heterogenitat der Asthetiken, Traditio... more Das zeitgenossische Theater zeichnet sich durch eine grose Heterogenitat der Asthetiken, Traditionen und Zielrichtungen aus. Mit der Perspektive auf eine internationale Asthetik stellt sich die Frage nach Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Produktions- und Rezeptionsweisen von Theater heute. Gibt es so etwas wie eine globale Theaterszene uberhaupt? Was waren ihre Merkmale? Wo und wie treffen internationale Theatermachende aufeinander? Wann internationalisiert sich Theater und welche produktiven Missverstandnisse markieren diesen Weg? Der Beitrag wirft Schlaglichter auf die historische Entwicklung von internationalen Theaterkulturen und fragt nach Prinzipien des globalen Produzierens und Rezipierens heute.
Der Beitrag untersucht das Wechselverhaltnis von Konzepten des Globalen und den daraus resultiere... more Der Beitrag untersucht das Wechselverhaltnis von Konzepten des Globalen und den daraus resultierenden Auffuhrungsformen. Im Fokus stehen zunachst zwei Formen der Cultural Performance um 1900: die Wiedereinfuhrung der Olympischen Spiele 1896 durch Pierre de Coubertin – als Symbol des modernen Inter-/Nationalismus – und die als Berliner Gewerbeschau bezeichnete Reprasentationsformen kolonialer Hegemonien. Es wird gezeigt, wie sich in den kunstlerischen Auffuhrungen die modernen okonomischen, sozialen und kulturellen Verhaltnisse einschreiben und welchen Anteil theatrale Formen an den Konstruktionen von Identitat und Differenz, Gemeinschaft und Einzelnem haben. In einem zweiten Schritt wird mit Blick auf das zeitgenossische Theater nach Prinzipien einer ›globalisierten Asthetik‹ – d. h. der Produktion und Zirkulation von Kunst unter den Bedingungen einer globalisierten Welt – gefragt. Welche Darstellungsprinzipien sind hier zu finden und wie reflektieren und kritisieren zeitgenossische...
Ökonomien der Zurückhaltung
Im heißen Sommer des Jahres 1905 hatten Zeitungen, Illustrierte und Gespräche des Wiener Bürgertu... more Im heißen Sommer des Jahres 1905 hatten Zeitungen, Illustrierte und Gespräche des Wiener Bürgertums vor allem ein Thema: im ersten Kaffeehaus auf der Wiener Praterallee sollte das "größte Phänomen des 20. Jahrhunderts" öffentlich auftreten. Nach Auskunft der Werbeprospekte handelte es sich dabei um die "erste Hungerkünstlerin der Welt", die Grazer Schauspielerin Auguste Victoria Schenk-die für ganze einundzwanzig Tage einen völligen Nahrungsverzicht praktizieren werde. 2 "Die Einmauerung"-so die Ankündigung-"findet am 22. Juli abends, 8 Uhr in einer mit großen Glasscheiben versehenen Hungerzelle statt. Auguste Victoria Schenk ist Tag und Nacht zu sehen, wird von der Wach-und Schließgesellschaft ununterbrochen bewacht und nährt sich ausschließlich von [dem Tafelwasser] Krondorfer Sauerbrunn." Das zahlende Publikum könne das Spektakel gegen einen Eintritt von sechzig Hellern bei "Lagerbier" und "feinster Wiener Küche" 3 mitverfolgen. Den Schaulustigen bot sich am Eröffnungsabend denn auch ein imposantes Bild. Der beflissen auftretende Impresario ließ eine vornehm gekleidete, von der Presse als korpulent bezeichnete Dame vor das Publikum treten, um sie dort von den bereit stehenden Fotografen ein letztes Mal vor ihrer anstehenden physischen Verwandlung ablichten zu lassen. Frau Schenk, die zuvor von Ärzten untersucht worden war, stieg auf die Waage, der Impresario rief ihr Körpergewicht aus und gestattete dem Publikum, die Zelle auf eventuell versteckte Nahrungsmittel abzusuchen. Danach setzte sich die Hungerkünstlerin an einer weiß gedeckten Tafel zu einem letzten Abendmahl nieder und verspeiste vor den Augen der neugierigen Zuschauer ein Beefsteak mit Spinat, Bier und Gebäck.